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Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

943-948

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Haendler, Otto

Titel/Untertitel:

Grundriß der praktischen Theologie 1957

Rezensent:

Rendtorff, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

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Glaube bleibt". Es besteht also eine hilfreiche Abhängigkeit des
Kindes, die die Abhängigkeit von den Mächten der Welt verhindert
.

Nach dieser Grundlegung beschäftigt sich der Verfasser mit
dem Geheimnis des kirchlichen Unterrichts und wehrt sich
energisch gegen die gedankenlose Verschulung, die nicht mehr
das Geheimnis achtet. Worin besteht das Geheimnis? Das Kind
holt sich aus der großen Welt ein Stück heraus und macht es zu
seiner Kindeswelt. Es leibt sich auch die Glaubenszeugnisse ein
und kann sehr wohl zwischen Märchen und biblischer Geschichte
unterscheiden. Die Unterscheidung wird dadurch möglich, daß es
den Zeugnischarakter sehr fein wahrnimmt: „In diesem
persönlichen Verhältnis liegt für das Kind der einzige Weg zu
seinem Gott." Der kirchliche Unterricht muß den Mut haben,
sich zu dem „Ungreifbaren als zu etwas Wirklichem vor den
Kindern zu bekennen". Die Frage, „ob sie das Gehörte auch verstanden
haben", ist eine Erwachsenenfrage. Sie bleiben nach ihrem
Kindes- und Glaubensstand empfangend". „Der Gott, der hier
gibt ... läßt die Kinder in seiner Gabe heranreifen." Bis zur
Stunde der Bewährung werden die Kinder „durch das Glaubenswort
der für sie verantwortlichen Menschen gehalten".

Es ist schade, daß die Grundlegung 60 knapp gehalten sein
mußte. Was an dieser Schrift anregend ist, ist die Warnung vor
einer menschlichen Aktivität, die nur ein Nachahmen säkularer
Bildungsprozesse sein kann und die damit den kirchlichen Charakter
des Unterrichts verleugnet. Das Gespräch müßte an dem
Punkt weitergeführt werden, den der Verfasser „das Geheimnis
des Unterrichts" nennt.

Leipzig H.Wagner

Betzendahl, Walter, Prof. Dr.: Der menschliche Charakter in Wertung
und Forschung. Paderborn: Schöningh 1956. XVI, 662 S. gr. 8°.
DM 43.—.

Der Verfasser ist Psychiater und wendet sich an den gebildeten
Leser allgemein, also auch an den Theologen, der die
Charakterologie als Hilfswissenschaft der Seelsorge beachten
sollte. Das Werk ist in die Literatur der Fachdisziplin nur schwer
einzureihen, denn es bringt weder eine systematische Gesamtdarstellung
noch einen eigenen Entwurf, sondern fast ausschließlich
Diskussionen, und sie in einer Fülle und Breite, die nicht
nur bereichert, sondern auch zerstreut und ermüdet. Die sechs
Kapitel — wir nennen von den Überschriften „Dämonie und Charakter
", „Individualität und Persönlichkeit", „Psychologie und
Soziologie", „Sexualität und Biologie" — spannen wohl das Interesse
, erschöpfen aber nicht die Problematik, sondern treiben
Auswahl. Der Leser, dessen Zeit und Geduld beansprucht werden,
hat umfängliche Referate und Zitierungen hinzunehmen (z. B.
über Ibsens Peer Gynt 13 Seiten, über Shakespeares Hamlet
19 Seiten; nicht ganz so umfänglich über wissenschaftliche Werke
), gleichzeitig die Diskutierung der Probleme, die geistvoll und
hilfreich sein kann, aber auch weitschweifig und unsicher im Ziel.
Man bekommt Respekt vor der Belesenheit des Verf.s, aber bedauert
den Mangel an Straffheit und Gestaltungskraft, hinter dem
fehlende methodische Sicherheit spürbar sein dürfte. Auf seine
Kosten kommt am ersten derjenige, der kritische Randglossen
und pointenreiche Beobachtungen liebt, aber auch für ihn werden
die 660 Seiten Großformat eine schwer zu nehmende Hürde sein.
Leider kommen noch elementare äußere Mängel hinzu. Das karge
Inhaltsverzeichnis wird durch keinen Index, kein Autorenregister
und keine Literaturzusammenstellung ergänzt. Hat der Verf. nur
mit flüchtigen Lesern gerechnet?

Rostock G. Holtz

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Ha endler, Otto: Grundriß der Praktischen Theologie. Berlin:
Töpelmann 1957. XII, 391 S. gr. 8° = Sammlung Töpelmann,
1. Reihe: Die Theologie im Abriß, Bd. 6. Lw. DM 26.50.

In seiner Besprechung des Grundrisses der Praktischen Theologie
von Alfred Dedo Müller (ThLZ 1954, Sp. 661 f.) hat Otto
Haendler der Theologie überhaupt und insbesondere der Pr. Th.
„eine neue und vertiefte Möglichkeit" als Aufgabe gestellt, „die

verpflichtende geschichtliche und schicksalshafte Verbundenheit
zwischen Kirche und Welt neu zu sehen und zu realisieren". Es
kommt ihm darauf an, daß die Theologie „das Anliegen der
Kirche und das Anliegen der Welt gleichermaßen versteht und
aus einheitlicher Haltung heraus mit innerer Notwendigkeit
beider Anwalt wird". In dem Grundriß von Müller sieht
H. das Herausstellen eines in dieser Richtung befreienden und
weiterführenden Ansatzes, nämlich eine „theologische Lehre von
der richtigen Verwirklichung des Reiches Gottes in der Welt".
Es geht Müller dabei um einen radikalen Realismus, der ohne
theoretische Vorentscheidungen die Wirklichkeit zu erkennen
bemüht ist, die Wirklichkeit „sowohl als Realität der gegebenen
und erkennbaren Welt wie auch die erfahrbare und zugleich alles
Verstehen übersteigende Offenbarung Gottes".

Nun liegt der Grundriß der Pr. Th. vor, in dem Otto Haendler
von dem oben angedeuteten Ansatz aus weit über Dedo
Müller hinaus vorstößt. Der neue methodische Grundsatz, nach
dem das ganze, alle Disziplinen der Pr. Th. umfassende Werk
gestaltet ist, ist der einer „Strukturtheologie der gegenwärtigen
Kirche". Es ist der Versuch einer Synthese zwischen Praxis und
Kirche. Weder kann die Pr. Th. die Richtlinien für die kirchliche
Praxis einfach dem NT oder der Geschichte entnehmen, noch
kann es ihre Aufgabe sein, praktisch zu lehren, „wie man es
macht". Vielmehr gilt es, „das Wesen und die Lebensgesetze der
Kirche zu verstehen, an der man verantwortlich mitarbeitet und
in der man steht und lebt" (13). Der Forschungsgegenstand der
Pr. Th. ist die gegenwärtige Kirche. Ihre Struktur muß perspektivisch
gesehen werden: räumlich, das heißt nicht nur der Vordergrund
, sondern ebenso das, was dahinter ist; und zeitlich, das
heißt nicht nur die Kirche in der Gegenwart in ihrem einfachen
Bestände, sondern zugleich als Stadium zwischen ihrer Vergangenheit
und Zukunft (10). In Anlehnung an einen in der
Naturwissenschaft und in der Medizin gebräuchlichen Strukturbegriff
sieht H. die Kirche so, daß sie zugleich Organismus
und Organ ist: Organ für den Auftrag von der Offenbarung
Gottes her, Organismus, indem sie wirkt mit dem Ganzen dessen
, was sie ist und tut. „Sie ist Organ, das heißt wirkend, zugleich
als Organismus im Ganzen der Welt bzw. der Menschheit
und als Trägerin einer Offenbarung, die nicht von dieser Welt
ist" (ll). In wechselnden Formulierungen begegnet fast in jedem
Abschnitt des Werkes diese phänomenologisch-dynamische Schau:
Geist und Gestalt — universal und konkret — objektiv und subjektiv
usw. Und fast in jedem Abschnitt wird vor den Gefahren
gewarnt, die die lebendige Dynamik der Kirche zu hemmen drohen
: Biblizismus, der meint Aussagen des NT imitieren zu müssen
; Objektivismus, der als Dogmatismus und Historismus den
echten voraussetzungslosen Realismus abwürgt; Subjektivismus,
der zu leicht die Normen objektiver Wirklichkeit und Wahrheit
überspielt.

Den ausführlichen Kapiteln über Liturgik (Das Gebet der
Kirche), Homiletik und Katechetik (Die Verkündigung der Kirche
) und Poimenik (Die Seelsorge der Kirche) geht voran das gewichtige
Kapitel über die Grundstruktur der Kirche (24—143),
von dem her alle weiteren Ausführungen maßgeblich bestimmt
sind. Das Wesen der Kirche ist „wirkende Gestalt des Geistes
Gottes auf Erden, und alles, was Wirken des Geistes Gottes auf
Erden ist, ist Kirche" (24). Entstehung und Gestalt der Kirche
war und ist die Offenbarung Gottes in Christus — aber es gibt
in der Welt ein echtes Erfahren der Urwirklichkeit Gottes auch
ohne bewußte Gründung auf Christus. Deshalb muß immer der
Universalismus der Kirche in ihrem Verhältnis zur Welt im Auge
behalten werden. Festhalten muß sie an dem Gegebenen der
Offenbarung, aber zugleich muß sie allem Neuen unbedingt
offen sein, in der Haltung des Glaubens und der Liebe. Sie bedarf
einer „immer wieder aus dem Evangelium heraus neu empfangenden
und Fehlentwicklungen korrigierenden Hinwendung zu
Gott und Zuwendung zur Welt" (33).

Nach einer Behandlung der Gestalt und der organisatorischen
Gestalten der Kirche folgt ein besonders charakteristischer
Abschnitt über „das Feld der Kirche" (8 5-103). Zu unterscheiden
ist das Seinsfeld und das Wirkungsfeld. Seinsfeld: die
Kirche ist wirkende Gestalt des Geistes Gottes auf Erden, konkret
realisiert niemals anders als in Menschen; das Evangelium