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Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

942-943

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Ziegner, Oskar

Titel/Untertitel:

Der Kinderglaube und das Geheimnis des kirchlichen Unterrichts 1957

Rezensent:

Wagner, H.

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941

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

942

PSYCHOLOGIE UND RELIG10NSPSYCH0L0G1E

Strasser, S.: Das Gemüt. Grundgedanken zu einer phänomenologischen
Philosophie und Theorie des menschlichen Gefühlslebens.
Utrecht/Antwerpen: Spectrum und Freiburg: Herder 19 56. XIX, 291 S,
8°. DM 22.50.

Arbeiten des Professors für philosophische Anthropologie
und Psychologie an der Universität Nimwegen werden in Deutschland
bisher nur wenigen bekannt geworden sein, wie man dem
Schweigen in umfänglichen Literaturlisten größerer Handbücher
entnehmen muß. Nachdem das Buch „Seele und Beseeltes" 1955
in Wien erschienen ist, wirbt nun diese Untersuchung um die Aufmerksamkeit
der Psychologen, Philosophen und Theologen in
Deutschland.

Man kann fragen, ob der Haupttitel richtig gewählt ist. Was
unter dem Gemüt verstanden sein soll, wird erst kurz vor der
Mitte des Buches gesagt, und da die kurzen Ausführungen dort
(S. 121—126) noch stark von Ph. Lersch abhängig sind, ist dieser
Teil nicht einmal durch strenge Originalität ausgezeichnet. Immerhin
hat er Gewicht. Vor allem ist wichtig, daß Strasser unter
„Gemüt" eine „Kategorie'versteht, der „die Bedeutung einer
fundierenden Schicht" des Seelischen zukäme. Wie weit solche
Aussage reicht, versteht man erst von der Anschauung des Verf.s
über den Schichtbau des Seelischen her: die Schichten besitzen
und bewahren ihr Eigenwesen, sind aber hierarchisch einander
zugeordnet; „die Hinordnung der je niedrigeren zu den je höheren
Lebensverrichtungen ist eine Leistung des lebendigen Individuums
und nicht einer einzelnen Schicht". Wir verstehen das
Wort von der „Kategorie" des Gemüts dahin, daß die einheitliche
„Leistung des Individuums" durch sie ermöglicht wird. Dem
dient der Aufweis der phänomenologischen Merkmale des Gemüts
: es reicht in die Schicht der „Stimmungen" hinein und ruht
auf ihr, regelt die „Gestimmtheit des Erlebens" und steht in
wirklichen oder wesensmöglichen Beziehungen zu geistigen Vorgängen
. Der Gemütsbegriff sei also geeignet, „die wechselseitige
Durchdringung geistiger und fühlender Vollzüge und die auf dieser
Durchdringung beruhende gestalthafte Ganzheit menschlichen
Daseins theoretisch zu verantworten". Oder anders gesagt: die
Phänomenologie des Gemütes erfasse „die Stimmung und das
Gestimmtsein als defiziente Teilhabe am Logos". Die Kategorie
des Gemüts würde somit es möglich machen, die Vertikalverbindung
im Schichtbau der Seele zu fassen. Uns scheint der Versuch
aller Beachtung wert zu sein, wir hätten aber eine stärkere und
klarere Bezogenheit aller vorangehenden und nachfolgenden Ausführungen
auf diese Mitte begrüßt. Denn der Hauptinhalt des
Buches ist, wie der Untertitel recht angibt, „eine phänomenologische
Philosophie und Theorie des menschlichen Gefühlslebens".
Der Einfluß einiger deutscher Forscher auf das Gesamtwerk ist
beträchtlich, — es handelt sich um E. Husserl, F. Krueger und
Ph. Lersch. Der Leser stößt neben schon Bekanntem auch auf
neue ausgezeichnete Analysen; wir heben hier die Ausführungen
über die 'Elementarstruktur der einfachen Vollzüge, die Emotionen
und Leidenschaften, den Genuß, die Freude, das Glück dankbar
hervor. Hier werden Pädagogen und alle, die um Selbstverständnis
und Vertiefung ihrer Menschenkenntnis bemüht sind, lernen.
Ein einleitender Teil gibt die Theorien moderner Denker über
das Gefühlsleben wieder; M. Scheler und J. P. Sartre sind am
stärksten berücksichtigt.

Der Theologe wird die philosophische Zielsetzung des Ganzen
interessiert zur Kenntnis nehmen. Es ist allgemein bekannt,
daß die phänomenologische Schule von Anfang an der neuthomi-
6tischen Begriffswelt zugeneigt war. Der Professor für philosophische
Anthropologie an der katholischen Universität Nimwegen
ist Thomist und will in seinem Werk den „Tractatus de passioni-
hus" des Thomas (S. Th. I—II q 22—48) in moderne Sprache übersetzen
. Die Begriffe des Aquinaten entsprächen den seinigen
(S. 152 f.). Allerdings muß die weittragende Einschränkung gemacht
werden, daß Thomas nicht umweltliche Akte und Verhaltensweisen
, sondern ihr Apriori meine, und resigniert heißt es:
„Wir zweifeln im allgemeinen an der Möglichkeit, die Wahrheiten
des Traktates auf Grund irgendwelcher Parallelen und Anklänge
in die Sprache der empirischen Psychologie zu übertragen".
Damit dürfte ein Teil der Bemühungen, die sich durch das ganze
Buch hinziehen, vom Verfasser selbst entwertet sein. Um so deutlicher
aber ist, wo seine anthropologische Philosophie verankert
ist.

Mancher Druckfehler, den ein Setzer in einer holländischen Druk-
kerei verschuldet haben dürfte, ist stillschweigend zu korrigieren.
Ärgerlich sind „Argwahn" (S. 191) und die Verwechselung von „lehren '
und „lernen" (S. 188).

Rostock G. Holtz

Ziegner, Oskar: Der Kinderglaube und das Geheimnis des kirchlichen
Unterrichts. Stuttgart: Ehrenfried Klotz [1956]. 40 S. 8°
DM 2.10.

Der Verfasser geht von der Situation aus, wie sie für die
kirchliche Unterweisung sich im Gebiet der DDR nach 1945 ergab
. Ihm liegt daran, daß über die organisatorische, personelle
und finanzielle Leistung hinaus, die die katechetische Praxis anerkanntermaßen
in der völligen Umstellung auf kircheigenen
Unterricht vollzogen hat, eine Neubesinnung auf den
kirchlichen Charakter dieses Dienstes einsetzt. Ausgangspunkt für
diese Neubesinnung soll das Menschenbild, insbesondere das
Bild vom Kinde sein. Der Verfasser macht darauf aufmerksam,
daß das Bildnis des modernen Menschen mit seinen „aktivistischen
" Zügen leicht auf das Kind übertragen werde und damit
das Kind in seiner Menschlichkeit, d. h. in seinem Kindsein bedrohe
, wenn das Kind als kleiner Erwachsener gesehen und behandelt
werde. Erziehung und Unterweisung sind dann nichts anderes
als ein Förderungsprozeß zum Erwachsenwerden ohne Sinnerfüllung
der Kindheit.

Er sieht auch in der Kirche diese Gefahr der Überfremdung
des Kindeslebens. Ihr kann nicht mit psychologischen Hinweisen,
wie es kluge Pädagogen immer wieder getan haben, gewehrt werden
, sondern nur durch strenge Gründung aller Dienste, auch
der Unterweisung, auf die Tatsache der Taufe. Sie stellt keine
Bildungsaufgabe, sondern setzt die Lebensfunktionen der Kirche
m Gang. Es scheint dem Verfasser so, daß unsere Bemühungen
um einen geordneten Unterricht viel stärker vom Bildungsdenken
herkommen, als zugegeben wird. Damit wäre aber diese verhängnisvolle
Aktivität des heutigen Menschen wirksam, die die
eigentliche Aktivität, nämlich das Handeln Gottes, überlagert.
Deshalb setzt die Untersuchung ein mit einer Überlegung über
den Glauben in seinem Zusammenhang mit der Taufe. Der
Glaube ist Geschehen, souveränes Handeln Gottes. So, wie
die Taufe einen „reinen Empfangscharakter habe", so kann der
Glaube, „wenn Taufe ein Empfangen ist, auch nur von diesem
Empfangen her verstanden werden". Gottes Handeln am Kinde
in der Taufe sollten wir „wirklich als sein souveränes Handeln
bekennen". Gott spricht das Kind als Person in der Taufe an:
-.Person ist man ganz oder man ist es nicht." „Und Gott handelt
stets ganz und hat in der Taufe die ganze Person vor sich."

Der Verfasser grenzt nun dieses Glaubensverständnis von
aller Psychologie ab, da diese nur „rein menschliche Vorgänge
feststellt, niemals aber göttliches Geschehen". Der in der Taufe
geschenkte Glaube ist der K i n d e r g I a u b e. Damit ist die
entscheidende These der Abhandlung ausgesprochen. Er ist wirklich
eine Geschichte des Lebens, d. h. „ein Hineingenommenwerden
in die Wirklichkeit Gottes, des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes". Worin unterscheidet sich nun der Glaube
des Erwachsenen von dem Kinderglauben? Der Verfasser verweist
auf das erste Gebot und auf die Forderung Gottes, „ihm allein
zu glauben und zu vertrauen". Er fährt fort: „Man könnte die
Sache so schildern, daß Gott diese seine Forderung dem kleinen
Kinde gegenüber wohl aufrecht erhält, aber nicht einfordert. Er
beläßt es bei seinem ruhenden Glauben, bis es anfängt, seine
ersten Versuchungen durch die Mächte der Welt zu erfahren."
Das Kind kommt im Laufe seines Heranwachsens in Hörigkeit
der gottwidrigen Mächte. Dann nimmt der Glaube Entscheidungscharakter
an. Ehe dies aber geschieht, erfährt er eine Geborgenheit
, die die Eltern und Erzieher geben. Der Verfasser meint wohl
das gleiche, was Gerhard Bohne den „behüteten Raum" nennt.
Die Hilfe der Eltern und Paten besteht darin, alles zu tun und zu
sagen, was dem „Kinderglauben" zum Leben hilft und „daß er