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Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

937-940

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ellul, Jacques

Titel/Untertitel:

L' Homme et l'argent 1957

Rezensent:

Delekat, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

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Schaft allenfalls zu einem non liquet in diesen Fragen kommen
könnte. Ähnliches ließe sich über die Argumente sagen, die Wh.
aus dem Entropiesatz von E. Clausius gewinnt. (Vgl. die Bemerkung
über eine interessante Vermutung von Tolman bei Hennemann
, 26.) Vorerst ist für das zur Rede stehende apologetische
Problem nicht mehr erreichbar als dies, daß ein Anfang und ein
Ablaufen unserer bestehenden Welt nicht außer dem Bereich
physikalisch-astronomischer Denkmöglichkeiten liegt. Dies ist
freilich nicht wenig.

S p ü 1 b e c k bringt besonders auf dem Gebiet der Physik
und Astronomie viel wertvolles, z. T. ganz neues Material, das
zur Klärung der Probleme dieser Wissenschaften für den Laien
manches beiträgt. Was er in seinen sehr vorsichtigen Ausführungen
über die heutige Physik sagt, gipfelt etwa in dem Zitat von
Heisenberg (8 3): „Man erkennt . . . vor allem, wie schwierig es
wird, wenn man versucht, neue Sachverhalte in ein altes, aus
früherer Philosophie stammendes System von Begriffen zu pressen
oder, um eine alte Redeweise zu brauchen, wenn man probiert
, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen. Solche Versuche
sind immer peinlich, denn sie verführen dazu, sich immer wieder
mit den unvermeidbaren Rissen in den alten Schläuchen zu befassen
, statt sich über den neuen Wein zu freuen." („Die Entwicklung
der Deutung der Quantenmechanik", Physikalische
Blätter 12 7, 289, 1956). Sp. hält an einem philosophischen Kausalgedanken
fest, obwohl er weiß, daß dieser mit der Quantenmechanik
prinzipiell nicht vereinbar ist. Er kann seine Aussagen
über den Raum mit Thomas von Aquin so zusammenfassen, er
6ei ein „ens rationis cum fundamento in re". Auch seinen astronomischen
Vortrag schließt er mit einem bemerkenswerten Zitat
des Aquinaten: „Mundum ineepisse sola fide tenetur; nec demonstrative
hoc sciri potest; sed id credere maxime expedit"
(Sum. I, q. 46, a. 2). Dabei bleibt Sp., obwohl er all die erstaunlichen
Ergebnisse der neueren physikalischen Astronomie (Flucht
der Spiralnebel, Alter der Welt, ihr Wärmetod auf Grund des
2. Wärmesatzes usw.) selbst darstellt. (Vgl. das zu Wh. Gesagte
.) Aus den biologischen Vorträgen sei die Tatsache hervorgehoben
, daß Sp., wie übrigens auch Dolch (Sch. u. E. 146 f.),
in seiner Wesensbestimmung des Lebens dieses aus philosophischen
Gründen von vornherein für etwas anderes hält, als die
Biologie das zu tun geneigt ist, die es zunächst nach den chemisch
-physikalischen Gesetzen zu erklären sucht. Ferner sei Sp.s
starke Kritik an der Darwinschen Deszendenztheorie erwähnt.
Die Argumente sind z. T. auch von Neuberg gebraucht. Allerdings
begnügen sich beide mit einer Kritik Darwins und Häckels
selbst. Der Neodarwinismus wird nicht vollständig dargestellt,
wie man dies etwa bei G. G. Simpson a. a. O. ausgeführt findet.
Sieht Rez. recht, so ist von da dieser Kritik weithin der Wind
aus den Segeln genommen. — Auf das Literaturverzeichnis Sp.s
mit ca. 280 einschlägigen Titeln sei dankbar hingewiesen.

Rez. versuchte zu zeigen, wie verschieden in der apologetischen
und verwandten Literatur über die Hauptprobleme geurteilt
wird. Den Lesern dieser Bücher könnte es darum ähnlich
ergehen, wie es v. Koenigswald über denjenigen sagt, der sich
über die Abstammung des Menschen bei mehreren Autoren zu
informieren sucht (s.o.!). Der Apologet wird das Fazit ziehen
müssen, daß er nicht die gesamte naturwissenschaftliche Problematik
verwendet, um sein letzten Endes seelsorgerliches Ziel zu
erreichen. Rez. hofft, andernorts auf die Fragen der praktischen
Apologetik eingehen zu können.

Naumburg OttoGlüer

ETHIK

vK? Mi

Ellul, Jacques: L'homme et I'argent. (Nova et Vetera), Neuchätel
u. Paris: Delachaux & Niestie [1954], 220 S, kl. 8° = Collection
„L'actualite protestante". sfr. 5.50.

Nach der Literatur zu urteilen, hat es den Anschein, als ob
die theologische Ethik sich eines neuerwachten Interesses erfreute.
Wirkliche Fortschritte werden auf diesem Gebiete aber nur in
dem Maße gemacht, in dem es gelingt, „weltliche Dinge" oder
verweltlichte Lebensbereiche theologisch zu durchdringen. Geld
ist ein sehr weltliches Ding. Wie ist es theologisch zu "beurteilen

und wie ist das Verhältnis (Ellul sagt) des Menschen, (er meint
aber) des Christen zum Gelde richtig zu ordnen? Verf. beginnt
damit, daß er es ablehnt, sich grundsätzlich und generell entweder
für den Kapitalismus oder für den Kommunismus zu entscheiden,
obwohl das bei einem Buche über das Geld nahezuliegen scheint
und vielleicht sogar von manchen Lesern erwartet wird. Man könne
sich zwar (so meint Ellul) als Christ durchaus, sei es nun für den
Liberalismus oder für den Sozialismus politisch einsetzen, wenn
man das durchaus für nötig halte. Aber dann dürfe man weder
aus dem einen noch aus dem anderen eine Weltanschauung machen
und müsse allen liberalistischen und sozialistischen „Recep-
ten" gegenüber eine bestimmte Skepsis bewahren. Das ist richtig
, gut und notwendig. Denn „keines der großen Systeme sagt
uns etwas Vernünftiges, sobald uns die Wirklichkeit des Geldes
im Lichte der Hl. Schrift gewissensmäßig voll bewußt wird" (27).
Verf. sucht deshalb bei seiner eigenen Lehre vom Gelde nach
einem theologischen Ausgangspunkt, der außerhalb der politischen
Gegensätze des Tages und ihrer Schlagworte liegt. Es geht ihm
nicht um das „objektive" Problem der richtigen Verteilung des
Geldes, auch nicht darum, wer diese Verteilung vornimmt und
nach welchen Grundsätzen er das tut, sondern um das Verhältnis
des einzelnen Menschen zum Gelde. Im Blick darauf referiert
er kurz und summarisch über die Stellungen, die in unserer evangelischen
kirchlichen Tradition hierzu eingenommen worden sind.
Die Lutheraner (nach Ellul): Geld ist ein eigengesetzliches, rein
weltliches Ding, das mit Theologie nichts zu tun hat. Die amerikanischen
Independentisten: Geld ist „Arbeitssegen". Die französischen
Reformierten: Geld ist eine Art von Lehen und sein
Besitz dessen treuhänderische Verwaltung. Diese Auffassungen
halt Verf. jedoch für veraltet. Er bemüht sich um eine neue biblische
Grundlegung der theologischen Lehre vom Verhältnis des
Christen zum Gelde.

Die Einzelheiten dieser biblischen Besinnung können hier
nicht wiedergegeben werden. Sie sind z. T. höchst überraschend
und stellenweise außerordentlich geistreich. Sie legen zugleich
Zeugnis ab von einer aktiven, beweglichen und ehrlichen Frömmigkeit
. Es ist aber nötig, über die von Ellul benutzte Methode
der Exegese ins Reine zu kommen, weil es von ihr abhängt, ob
die theologische Begründung, die er seiner Lehre vom Verhältnis
des Menschen zum Gelde geben möchte, tragfähig ist. Elluls
exegetische Methode ist ausgesprochen biblizistisch in der Annäherung
an den biblischen Text und individualistisch-erbaulich
>n dessen praktischer Auswertung. Die Bibel wird in ihren einzelnen
Aussagen als Norm für das geistige und geistliche Leben
des Christen betrachtet, und zwar die Bibel in ihrer Ganzheit.

Dies bringt Ellul natürlich in Schwierigkeiten, weil die alttesta-
mentlichen Aussagen über Geld und Reichtum (besonders in den Sprüchen
Salomos, die Verf. ausgiebig zitiert) in scharfem Kontrast zu denen
des Neuen Testaments stehen. Hier „Segen Gottes", dort „Götze
Mammon". Hier unverhohlene Freude darüber, daß die Heiden am
Ende der Tage ihr Gold und Silber selber nach Zion tragen werden;
dort der Jubel über den Fall der „großen Babel", an deren Wollust
sich alle Händler der Erde bereichert haben. Elluls Methode der Schriftauslegung
führt ihn zu seltsamen Folgerungen. Ich würde nicht wagen
zu behaupten, „der Reichtum sei eines der Sakramente des alten Bundes
" (so), scrion deshalb nicht, weil ich es für theologisch unerlaubt
halte, den Sakramentsbegriff auf das AT auszudehnen. Ich hätte Bedenken
, zu sagen, daß „der Mensch, sobald er seinen Reichtum als ein
Gnadengeschenk betrachtet, fähig wird, auch seine ewige Erwählung
als ein Gnadengeschenk zu erfassen" (81). Vielleicht wird umgekehrt
ejn Schuh daraus. Ich glaube auch nicht, „daß der Reichtum für Israel
der Hinweis darauf ist, daß seine Erwählung auf Gotte6 freier Gnade
beruht", weil das Geld nicht „einfach und direkt Frucht der Arbeit",
sondern immer ein Gnadengeschenk Gottes ist. Denn der neutestament-
liche Satz: „Wer da hat, dem wird gegeben; von dem aber, der nicht
hat, wird auch das genommen, was er hat", ist leider, auch wenn er
rein weltlich verstanden wird, allzu wahr. Wenn man diese weltliche
Wahrheit über das Geld als Gleichnis für Gottes freie Gnade benutzt,
wie Jesus das im Gleichnis von den anvertrauten Talenten tut, dann
kann man über sie als weltliche Wahrheit nur ironisch reden Das
Geld und die Art, wie es sich vermehrt, ist kein Symbol der freien
Gnade Gottes, sondern nur im ironischen Kontrast für sie als Gleichnis
brauchbar. Ich weiß ferner nicht, ob sich der Reichtum Salomos
wesentlich von dem der Standard Oil Companie unterschieden
hat (81), seitdem unsere Archäologen festgestellt haben, daß er durch
einen lukrativen Pferdehandel zwischen Ost und West mit politischmilitärischen
Hintergründen erworben wurde. Pferde und öl, das ist