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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

71-72

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Thiele, Walter

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zu den altlateinischen Texten der drei Johannesbriefe 1957

Rezensent:

Thiele, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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oder Theokratie — das ist die neue Alternative, und sie ist doch nicht
viel mehr als das frühere Gegenüber von Rom. 13 und Apoc. 13 unter
neuen Verhältnissen. Es zeigt sich nämlich: das theokratische Denken
erweckt das radikale Schema der Apoc. zu neuem Leben, das staatskirchliche
hat sich einem allzu simplen Paulinismus verschworen. Beide
Möglichkeiten erweisen sich theoretisch wie praktisch als fragwürdige
Lösungen. Der Mißbrauch der Schrift ist schon in diesem Zeitraum (Lu-
ziferv. Cal.; Constit. apost.) eklatant und erst recht auf dem Höhepunkt
der beiderseitigen geschichtlichen Entwicklung (vgl. Rom. 13 bei Boni-
faz VIII. und dem Conc. Trid. bzw. im moskowitischen Domostroj und
bei Iwan IV.). Es erhebt sich daher die Frage, ob nicht das Bemühen
einer dritten Gruppe, verkörpert durch Athanasius und Hosius v. Cord.,
eine gewisse Würdigung verdient. Sie denken paulinisch, wobei Rom. 13
bei Hosius klar in Mt. 22, 21 das notwendige Korrektiv erhält. Aber
vor allem: sie erkennen, daß die Kirche ihrem Wesen nach nicht als
politische Größe verstanden werden kann. Die geschichtliche Wirkung
blieb ihnen versagt. Verständlicherweise hatten die politisierenden
Kräfte mehr Erfolg. Doch dürfte ihr Denken, da es zu einer solchen,
seit langem verschütteten Erkenntnis vordrang, für die politische Ethik
der Kirche von mehr als zeitgeschichtlichem Wert sein. Vielleicht ist es
sogar imstande, einen bleibenden Wahrheitsgehalt der Lehre Luthers
von den beiden Regimenten sehr eindrucksvoll zu belegen.

Thiele, Walter: Untersuchungen zu den altlateinischen Texten der
drei Johannesbriefe. Diss. Tübingen 1956, 14* + 227 S.

Die Einleitung nennt die benutzten Zeugen und gliedert sie in verschiedene
Texttypen. (Die Bezeichnung der Textzeugen folgt dem
Sigelverzeichnis der Beuroner Vetus-Latina-Ausgabe.) Der nordafrikanische
Bibeltext trennt sich in die Typen K (Karthago zur Zeit Cyprians
) und C (150 Jahre nach Cyprian, belegt durch die Donatisten und
die Frühschriften Augustins). Zum europäischen Text (E) gehört der
Typ S (Spanien), vertreten durch die Handschriften 32 (Wolfenbüttel,
Weissenb. 76 Palimpsest); 55 (h; Palimps. von Fleury); 64 (r; clm
6436); 65 (z; London, B. M. Harley 1772); 67 (Leon, Cat. 15 Palimps.).
Die Bezeugung des Textes S bei den Vätern zeigt seine weite Verbreitung
, viele Lesarten finden sich noch in der spanischen Vulgata-
überlieferung. Die Heimat des Textes ist Nordafrika, wie die Verwandtschaft
mit dem Text C zeigt. Als Typ 1 (Italien) wird der Text
der Vulgata bezeichnet, dessen frühester Zeuge der Pelagianer Caele-
stius ist. Für die Rezension der Vulgata wurden außer den von Words-
worth-White benutzten Zeugen neue Handschriften, besonders der spanischen
Überlieferung, herangezogen. Die Bibelzitate Lucifers stehen
bald auf der Seite von S, bald auf der von I und weisen durch charakteristische
Übereinstimmung mit K auf die ursprüngliche Einheit der
Übersetzung hin. Augustin benutzt bis 395 den Text C, später die
europäischen Texte, führt aber auch eigene Lesarten in die Überlieferung
ein (als A bezeichnet), die sich zum Teil in den Handschriften
des Textes S erhalten haben.

Der 1. Teil untersucht die Frage, wie weit in der Geschichte der
lateinischen Texte der Einfluß der griechischen Bibel von Bedeutung gewesen
ist. Es werden zunächst (Liste 1) alle Stellen ausgeschieden,
bei denen griechischer Einfluß zwar möglich, aber nicht zu beweisen ist,
um dann (Liste 2) die Texte aufzuführen, die einwandfrei die Einwirkung
des Griechischen zeigen.

Der 2. Teil untersucht den Wortschatz in Anlehnung an die durch
Hans v. Soden eingeschlagene Methode der Trennung zwischen „afrikanischem
" und „europäischem" Wortschatz.

Der Exkurs 1 behandelt die textgeschichtliche Stellung des Titels
„ad Parthos": er wird schon im Texttyp C vertreten und geht auf eine
entsprechende griechische Vorlage zurück.

Der Exkurs 2 untersucht das Comma Iohanneum. Sowohl die Belege
zu l.Jo 5, 7—8 wie das aus dem Gesamtbestand der lateinischen Texte
zu 1—3 Jo sich ergebende Bild führen zu dem Ergebnis, daß bereits
Cyprian, de unitate 6 als Zeuge für das C. I. (nicht nur für eine allegorische
Auslegung von Geist, Wasser und Blut) zu werten ist, das
C. I. also Bestandteil der ältesten lateinischen Bibel ist.

Als Ergebnis der Arbeit läßt sich festhalten: Die Geschichte der
lateinischen Bibel ist bestimmt durch immer stärkere Angleichung an
den griechischen Normaltext und Aussonderung des „afrikanischen"
Wortschatzes zugunsten „europäischer" Vokabeln. Die Angleichung an
das Griechische zeigt sich schon bei Pseudo-Cyprian, de rebaptismate,
doch bleibt dies ein Seitentrieb der Überlieferung, dessen letzte Spuren
vielleicht bei Priszillian greifbar werden. Der Typ S zeigt noch viele
Freiheiten des alten Textes K, jedoch bereits im „europäischen" Sprachgewand
, während in der Vulgata beide Tendenzen ihre stärkste Ausbildung
erfahren haben, wenn man von den Sonderlesarten Augustins
absieht, die die Textgeschichte nicht entscheidend beeinflussen konnten.
Die besten Vertreter des Vulgatatextes sind die Handschriften Gl 251
(Lektionar von Luxeuil) sowie das augustinische Speculum. Aus der
Arbeit ergeben sich einige Verbesserungsvorschläge zur Rezension der

Vulgata. Die Frage nach dem Anteil des Hieronymus an der Vulgata
wurde in der Arbeit noch offen gelassen, das vorgelegte Material rechtfertigt
jedoch ein negatives Urteil.

Die Freiheiten des alten lateinischen Textes gegenüber dem griechischen
Normaltext lassen auf einen verlorenen griechischen Text in
der Art des sog. „westlichen" Textes schließen. Einige Spuren haben
sich in der Handschrift 'I', stärkere in den orientalischen Übersetzungen
erhalten. Tertullian, dessen Zitate aus 1. Jo auf selbständiger Übersetzung
beruhen, zeigt im Gegensatz zu Cyprian nur wenig Berührungspunkte
mit diesem Text, ein Zeichen für das außerordentlich frühe
Zurücktreten des „westlichen" Textes.

Williams, Glen Garfield: The Theology of Bernardino Ochino.
Diss. Tübingen 1955, 211 S.

Die Arbeit, in englischer Sprache geschrieben, beschäftigt sich mit
der Darlegung der Theologie von Bernardino Ochino (1487—1564/5).
Eine weitere Aufgabe der Arbeit besteht darin, die Bedeutung der Gedanken
Odiinos und seine mögliche Verwandtschaft mit Bewegungen wie
den Antitrinitariern und den Wiedertäufern aufzuzeigen. Die Entwicklung
seiner Gedankengänge wird, weil diese recht bedeutend sind, möglichst
genau dargestellt.

Das erste Kapitel bringt eine kurze allgemeine Einführung in das
Thema und gibt einen Überblick über die bereits veröffentlichte Literatur
. Es wird darauf hingewiesen, daß bisher noch kein Versuch einer
umfassenden Darlegung von Ochinos Theologie unternommen wurde.

Die eigentliche Behandlung des Themas erfolgt dann in den Kapiteln
2 bis 6 unter den Überschriften: God; Creation, Revelation and
Sin; Salvation in Christ; The Holy Spirit, Church and Sacraments; Prac-
tical Applications. Dabei wird auf die offensichtlich sich zeigende Abhängigkeit
Ochinos von den Gedankengängen anderer, besonders der
großen Reformatoren, hingewiesen.

Ochino legte großen Nachdruck auf die Souveränität des göttlichen
Willens, aber er verband damit sehr stark die Idee von der Macht der
Liebe Gottes. Im allgemeinen beansprucht Ochino von Grund auf als das
Motiv von Gottes Handeln die Offenbarung seiner Herrlichkeit. Als Ergebnis
seiner Auffassung von der Souveränität des göttlichen Willens
nimmt auch der Glaube an die Prädestination einen wichtigen Platz in
Ochinos Theologie ein. Es ist möglich, daß er unmittelbar nach seiner
Hinwendung zur Reformation im Jahre 1542 eine strenge Auffassung der
absoluten Prädestination in jedem Lebensbereich hatte; doch kam er
bald davon ab zugunsten einer veränderten Auffassung, welche die vollkommene
Prädestination in geistlichen Dingen annahm, während sie die
Freiheit der Entscheidung in untergeordneten Bereichen und praktischen
Dingen zuließ.

Ochino betrachtete den Menschen als die Krone der Schöpfung. Der
Sündenfall jedoch hat einen Abgrund zwischen Mensch und Gott aufgerissen
, den der Mensch nicht überbrücken kann. Ochino glaubte an die
Verworfenheit des Menschen und an seine Unfähigkeit, etwas zu seiner
eigenen Rettung zu tun. Der Grund der Sünde ist nach Ochinos Meinung
die Unwissenheit. Sie wurde nicht von Gott eingesetzt, sondern
nur zugelassen. Was den menschlichen Verstand betrifft, so war Ochino
bereit, seine Wirkungskraft innerhalb seiner eigenen Sphäre zuzugestehen
, aber er hielt unentwegt an dessen Ohnmacht bei der Begegnung
mit der übersinnlichen Welt fest. Beständig verurteilte er das Nachsinnen
über religiöse Fragen. Er legte zusehends Gewicht auf die Notwendigkeit
der Toleranz.

Die Errettung der Auserwählten geschieht nach Ochinos Auffassung
aus Gnade, allein durch das Werk Christi. Christus war für ihn die völlige
Offenbarung Gottes gegenüber der Menschheit. Doch war er in keinem
Stadium seines Lebens eine so völlige Offenbarung Gottes als wie
bei seiner Kreuzigung. Der gekreuzigte Christus ist das große Thema,
das alle Schriften Ochinos beherrscht. Es ist auch sehr auffallend, daß
Ochino nur wenig an Auferstehung und Eschatologie bzw. Chiliasmus
interessiert war. Er sah im Glauben eine Art geistlicher Gewißheit, die
ein göttliches Geschenk für den Auserwählten allein ist.

Ochino verstand unter der Kirche die „congregatio sanctorum" und
war gleichermaßen an der sichtbaren wie an der unsichtbaren Kirche interessiert
. Er verurteilte die Kirche zunächst in ihrer römisch-katholischen
Gestalt, dann auch sowohl als „lutherische" wie als „reformierte". Er
anerkannte als Sakramente die Taufe und das Abendmahl, obwohl er
beides nicht für unbedingt heilsnotwendig hielt. Seine Auffassung von
der Bedeutung der Sakramente war zuerst calvinisch, entsprach später
jedoch eher der von Zwingli.

Bei der Erörterung der praktischen Anwendung seiner Lehre betont
Ochino den Wert des Gebets, und als das vordringlichste Gebot den
Gehorsam gegenüber der inneren Erleuchtung durch den Geist Gottes.

Abschließend befaßt sich die Arbeit mit der Bedeutung seiner Theologie
. In Kapitel 7, unter der Überschrift ,.The Dialogues on the Trinity
and on Polygamy", wird die These vertreten, daß die Beschuldigungen.