Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

934-937

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Giersch, Martin

Titel/Untertitel:

Es werde 1957

Rezensent:

Glüer, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

933

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

934

wirkliche Totenmahl steht die Auffassung älterer christlicher Archäologen
entgegen, die die Mahlbilder der frühchristlichen Kunst nicht einheitlich
deuten wollen, sondern neben einigen Totenmahlbildern Darstellungen
der Eucharistiefeier und des himmlischen Seligenmahles erkennen
möchten; außerdem lägen auch Anspielungen auf die wunderbaren
Brotvermehrungen des Neuen Testamentes vor" (S. 133 f.).
Allein die hiezu genannten Unterscheidungsmerkmale sind in der Tat
nicht stichhaltig, die Teilnahme am himmlischen Mahl verliert durch
die damals vorherrschende Idee vom allgemeinen Hadesinterim an
Wahrscheinlichkeit. Eine spiritualistische Deutung der Mahlbilder kann
jedoch, wie St. sagt, in einzelnen Fällen dazugetreten sein (S. 136).
Jedenfalls wurde der alte Totenkult auch von den Christen weitergeübt,
natürlich unter Ausschaltung spezifisch paganer Elemente. Die Beibehaltung
der alten Grabgebräuche aber war „wenigstens theoretisch" unvereinbar
mit der Vorstellung von einer postmortalen Aufnahme der
Seele in den Himmel (S. 136).

Die ältesten Jonas-Darstellungen auf Sarkophagen stehen der Bibel
„in einer unerwarteten Souveränität" gegenüber, „wie sie nur am Anfang
der Verchristlichung paganer Motive [hier maritim-bukolischer Art]
möglich sein kann" (S. 13 8); ihr Hauptanliegen ist der ruhende Jonas
als Bild der abgeschiedenen Seele (vgl. E. Stommel, Beiträge zur Ikonographie
der konstantinischen Sarkophagplastik, Theophaneia 10, Bonn
1954, 42—19). Für deren Aufenthaltsort kommt eher der Gedanke an
die Ruhe der Gerechten im Hadesinterim als der an einen himmlischen
Ort in Betracht.

Beliebt und verbreitet war auch in der Grabeskunst das Hirtenbild
, besonders das des auf Christus zu beziehenden Guten Hirten.
St. folgt auch hier der heute am meisten vertretenen Annahme einer
künstlerischen Kontinuität zwischen christlichen und nichtchristlichen
Hirtendarstellungen, wobei jedoch der christliche Gute Hirt bedeutungsvoll
in die Mitte gerückt ward. In der frühchristlichen Sepulchral-
kunst hat der Gute Hirt jedoch keine spezielle Bedeutung; er ist „eine
allgemeine Darstellung des Heilswirkens Christi... die sich am Grabe
natürlich auf den Toten bezieht" (S. 167).

Die at.lichen „Rettungsbilder" führt St. gegen E. Le Blant, K.Michel
und teilweise P. Styger mit Recht auf den altchristlichen Summarienvorrat
zurück, „der in seinen alttestamentlichen Bestandteilen Stärkstens
von der spätjüdischen Tradition bestimmt ist" (S. 172). Dahinter
stand, was Stommel a. a. O. 54 betont hat, typologisches Verständnis
des AT. Vor dem 4. Jhdt. überwiegen in der Sepulchralkunst noch die
at.lichen Motive: „die Bilder des Noe in der Arche, des Opfers Abrahams
, des Quellwunders des Moses, des Daniel zwischen Löwen, der
Jünglinge im Feuerofen, der Susanna und der Jonasausspeiung stehen
unter dem einheitlichen Thema der Rettung aus dem Tode durch das
wunderbare Eingreifen Gottes" (S. 173 f.). An Gräbern angebracht beziehen
sich diese Darstellungen auf das Los der Toten, deren sich Gott
angenommen hat bzw. annehmen möge, ohne daß dahinter, wenigstens
in der frühen Zeit, eine anderweitige Symbolik gesucht werden müßte.
Die Bildparadigmen denken dabei an die Auferstehung und wahrscheinlich
auch das Los der Seele im unterirdischen (?) Zwischenzustand. Die
Darstellung der Erweckung des Lazarus schließt sich den at.lichen Rettungsbildern
und ihrem Zweck ungezwungen an.

Hinsichtlich der Oranten in der frühchristlichen Sepulchralkunst
bekämpft St. übereinstimmend mit W. Neuß auf Grund des literarischen
Befundes mit Recht die verbreiteten Meinungen, wonach die Orans-
Gestalt den Toten in der Seligkeit des Himmels darstellen müsse. Soweit
die Orans als Personifikation des Gebetes zu betrachten ist oder
als sog. biblische Orans erscheint, stellt sie wenigstens indirekt eine
Aufforderung zum Bittgebet für das Verstorbene dar, wobei in der
Frühzeit noch nicht an dämonische Gefahren für die Seele nach dem
Tode zu denken ist; werden Verstorbene selbst als Oranten dargestellt,
so bezeugen sie nach St. ihren außerhimmlischen Zwischenzustand;
ihrem Bittgestus zufolge befinden sie sich noch nicht in einem Zustand,
in dem jede Bitte überflüssig ist.

Doch gibt es seit dem ausgehenden 3. Jhdt. auch vereinzelte Darstellungen
von Totenoranten, die diese in himmlischer Seligkeit zeigen
; der eingebürgerte Bittgestus ist hier nach dem Verf. formelhaft
beibehalten worden. Sonst treten parallel zum überwiegenden literarischen
Befund und zu den Inschriften sichere Zeugnisse bildlicher Darstellungen
für himmlische Seligkeit nach dem Tod erst im 4. Jhdt. allmählich
auf.

Bei der Formulierung der literarischen Gesamtergebnisse
hätte das Schlußwort in Einzelheiten vorsichtiger sein können.
Dies gilt nicht für den archäologischen Befund, zu dem St. auch
die andere Frage nicht unterdrückt, ob die frühchristliche Grabeskunst
überhaupt Aussagen über den Zustand der Toten machen
wollte, und ob wir diese noch v/irklich mit genügender Sicherheit
erkennen können. Im ganzen ist die Methode Stuibers der richtige
Weg, um zu gültigen positiven Ergebnissen zu gelangen, soweit
solche zu erreichen sind. Es ist das bedeutende Verdienst dieser
sachkundigen, umgreifenden Untersuchungen, daß der Verfasser
gewiß weitgehend das Richtige getroffen und eingebürgerte
Irrtümer überwunden hat.

Freisinn Joseph A. Fischer

NATURWISSENSCHAFT UND GLAUBE

Giersch, Martin: Es werde. Entwicklungslehre und Schöpfungsbericht
. 2. Aufl. Gelnhausen und Berlin-Dahlem: Burckhardthaus-
Verlag [1955]. 60 S. 8° = Studienreihe der Jungen Gemeinde H. 34.
DM 2.40.

Goez, Wilhelm: Naturwissenschaft und Evangelium. Heidelberg:
Quelle & Meyer 1954. 180 S. kl. 8° Pp. DM 5.80.

Hennemann, Gerhard: Philosophie, Religion, moderne Naturwissenschaft
. Witten/Ruhr: Luther - Verlag [1955], 72 S. gr. 8°.
DM 5.60.

L ä u c h 11, A., Rektor Dr., u. S c h a e p p i, H., Prof. Dr.: Wandlungen
des naturwissenschaftlichen Weltbildes und christlicher Glaube. Zürich
: Zwingli-Verlag [1956]. 43 S. 8° = Kirchliche Zeitfragen H. 37.
sfr. 2.90; DM 2.80.

Müller, Paul: Bibel und Naturwissenschaft im Widerspruch oder in
der Harmonie? 2., verb. Aufl. Metzingen/Württ.: Ernst Franz 1954.
180 S. 8°. Kart. DM 4.80; Lw. DM 5.70.

N eub er g, Arthur, D. theol.: Entwicklung und Schöpfung. 2. Aufl.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1956]. 108 S. 8°. Lw. DM 3.80.

^Ü"C'C' ^ax: Re'iSion ""d Naturwissenschaft. Vortrag gehalten im
Mai 1937. 12., unveränd. Aufl. Leipzig: J. A. Barth 1953. 30 S 8°
DM 1.50.

S p ül b c c k, Otto: Der Christ und das Weltbild der modernen Naturwissenschaft
. Sieben Vorträge über Grenzfragen aus Physik und Biologie
. 4., völlig neu bearb. u. erweit. Aufl. Berlin: Morus - Verlag
11957], 270 S., 12 Abb., 7 Taf. gr. 8°. Kart. DM 11.80; Lw. 14.80.

St ei dl, Hans: Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Glauben.
Hildesheim: August Lax 1951. 130 S. 8°. Kart. DM 4.50.

Whittaker, Edmund, Sir, Prof.: Der Anfang und das Ende der Welt.
Die Dogmen und die Naturgesetze. Übers, v. Dr. J. Streller. [Orig.
Ttl.: The Beginning and End of the World. London: G. Cumberlege].
Stuttgart: Günther [1955]. 115 S. 8°. Lw. DM 6.50.

Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie. Eine Vortragsreihe bekannter
Theologen und Naturwissenschaftler. Stuttgart: Kröner [19 55]. 163 S.
mit Abb. kl. 8° = Kröners Taschenausgabe 230. Lw. DM 5.50.

Die genannten Schriften nehmen sämtlich das Wort zur
Frage des Verhältnisses der Aussagen von Naturwissenschaft und
Glaube. Es ist bezeichnend für die Wandlung der Situation auf
diesem Gebiet, daß mehrere akademische Lehrer verschiedenster
Disziplinen hierzu in einer für den Glauben positiven Weise
Stellung genommen haben. Genannt seien wenigstens außer den
oben aufgeführten Schriften um ihrer Bedeutung für den Apologeten
willen Max Hartmann, „Atomphysik, Biologie und Religion
" 11.-13. Tsd. (Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1949)
und Aloys Wenzl, „Naturwissenschaft und Christentum" (Ver-
lag Paul Müller, München 1948).

M. Planck geht es in seinem Vortrag um die Gottesfrage
als solche und darum, wie ihre positive Beantwortung mit
der Naturwissenschaft vereinbar sei. Über die Religion spricht
er in theologisch höchst anfechtbarer Weise, um dann zu zeigen,
daß die religiösen Symbole, etwa die Engel, menschlichen Ursprungs
seien, daß in ihnen aber Gott geglaubt werde, der vor
den Menschen existierte. Er könne mit der ordnenden Macht,
die als hinter der Natur stehend erschlossen werden könne, identifiziert
werden. P. gibt uns also im ersten Teil zu wenig, im
zweiten zu viel; denn er bringt den Ansatz für eine — freilich
vielen Naturwissenschaftlern naheliegende — theologia naturalis
. Dazu vgl., was H. Beintker ThLZ 82, Sp. 376 zu dem Buch
von J. Hessen, „Griechische oder biblische Theologie?" sagt.

In den beiden folgenden Schriften wird dieser Abweg vermieden
. Rektor Dr. A. L ä u c h 1 i zeigt in seinem Vortrag
..Physik", daß das mechanistische Weltbild aufgelöst worden sei
und daß damit die Hindernisse für den christlichen Glauben seitens
der Physik beseitigt seien. Dazu ist zu sagen, daß die Apologetik
ihrerseits sich darum bemühen müßte, darzutun, daß jede
Physik, auch die mechanistische, mit dem Glauben vereinbar ist.