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Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

927

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Scheffczyk, Leo

Titel/Untertitel:

Friedrich Leopold zu Stolbergs "Geschichte der Religion Jesu Christi" 1957

Rezensent:

Stupperich, Robert

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927

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

928

Scheffczyk, Leo, Dr. theol.: Friedrich Leopold zu Stolbergs „Geschichte
der Religion Jesu Christi". Die Abwendung der katholischen
Kirchengeschichtsschreibung von der Aufklärung und ihre Neuorientierung
im Zeitalter der Romantik. München: Zink 1952. XXIII,
227 S. gr. 8° = Münchener Theologische Studien. Im Auftrag der
Theol. Fakultät München hrsg. v. F. X. Seppelt, J. Pascher, K. Mörsdorf
. I, Hist. Abt., 3. Bd. DM 20.-.

Die Ansicht, daß die Romantik dem Wesen der katholischen
Kirche nähergekommen ist, sie in neuem Licht hat erscheinen
lassen und ihr selbst dadurch neuen Auftrieb gegeben hat, gilt
allgemein als feststehend. Daß diese Auffassung auf ihre Berechtigung
hin nachgeprüft wird, ist wichtig. Die vom Verf. angestellte
Untersuchung steckt einen weiten Kreis ab und geht auch gründlich
vor. Stolbergs Buch, das die Wissenschaft nicht weiter tangiert
, hat seine Bedeutung dadurch, daß es im Schnittpunkt der
rationalistischen und romantischen Auffassung von der Kirchengeschichte
liegt. Es hat dazu beigetragen, den im 18. Jhdt. verkümmerten
geschichtlichen Sinn neu zu beleben. Angeregt in der
geistigen Atmosphäre der Münsterschen „Familia sacra", gefördert
durch umfassende Studien und persönliche Erfahrungen
schreibt St. die „Geschichte der Religion Jesu Christi", die zum
Bekenntnis der jungen Katholiken im beginnenden 19. Jhdt. wird.
Verf. weist Stolbergs Abhängigkeit von Augustin, Bossuet, Tille-
mont, Fleury, vor allem aber von den Zeitgenossen Hamann und
Herder nach. Weiter kennzeichnet er Stolbergs Anschauungen
vom Walten des göttlichen Prinzips in der Geschichte und von
der Kontinuität des göttlichen Lebens. Sein neues Geschichtsbild
verdrängt die aufgeklärten Ansichten der katholischen Kirchen-
historiker und wirkt, wie der Verf. abschließend nachweist, in den
ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts nicht unbeträchtlich
nach.

Munster/Westf. R. Stupperich

Grub er, Heinrich, Propst D. Dr.: Dona nobis pacem! Gesammelte
Predigten und Aufsätze aus zwanzig Jahren. Hrsg. von seinen Freunden
Zsgst. u. bearb. v. G. Wirth u. G. Kretzschmar. Berlin: Union
Verlag [1956]. 405 S. 8° = Bibliothek der CDU IX.

Freunde aus gemeinsamer politischer Arbeit haben diese
Predigten, Ansprachen, Briefe und Zeitungsartikel aus zwanzig
Jahren dem Bevollmächtigten des Rates der EKiD bei der Regierung
der DDR zu seinem 65. Geburtstag zusammengestellt
und als Band IX der „Bibliothek der CDU", mit einem Vorwort
Dr. Otto Nuschkes versehen, im Union Verlag Berlin herausgebracht
. Der Aufbau des Buches ist recht geschickt. 14 Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, zumeist aus Kirche und Theologie
, äußern sich dankbar über Grübers Wirken. Den Reigen eröffnen
der Metropolit Nikolai von Krutici und Kolomna, Martin
Niemöller und der Bischof von Chichester George Bell — ihn
beschließt das Referat von Prof. Dr. J. B. Soucek, das er am
12. 5. 1956 bei der feierlichen Ehrenpromotion Grübers in Prag
gehalten hat. Eine nachfolgende kurze autobiographische Notiz
(S. 31—34) erschließt uns das Verständnis für den Bekenner und
sozialen Mitstreiter, der aus den schmerzlichen Erfahrungen seiner
Kindheit und Jugendzeit heraus gegen die Tradition der Familie
Theologe wurde, um in seiner jahrelangen Pfarrtätigkeit
immer den unbequemen Weg zu gehen. Die aufschlußreiche Betrachtung
endet mit dem Satz: „Da, wo in meinem Leben das
Gefälle nach unten aufhörte oder für kurze Zeit sich umkehrte,
liegen die Lügen meines Lebens." (S. 34).

Nicht zu übersehen ist die Betrachtung „Vor zehn Jahren"
(S. 37_4o), auch die eingestreuten autobiographischen Bemerkungen
auf S. 362 und 394 sind für Grübers Einstellung wichtig
: Kaum konfirmierte Jungen sollten ein Wasserwerk in die
Luft sprengen und ihren Pfarrer vor dem Einmarsch der Roten
Armee aufhängen, der später (Zeit und Ort sind zu dem Beitrag
„Größere Geschlossenheit — größere Aufgeschlossenheit" auf
S. 390—396 leider nicht angegeben) bekennt, daß ihm in Dachau
zweimal kommunistische Kameraden unter persönlichem Einsatz
das Leben gerettet haben. „Soll ich mich von der Einsatzbereitschaft
meiner alten Kameraden beschämen lassen?" (S. 394). Dieser
warmherzige, temperamentvolle und doch weiter blickende
Seelsorger vereinigt in seltener Weise die Gabe erwecklicher Predigt
und politischen Denkens in sich. Er predigt nicht zeitlos

gültige Gedanken, er stellt das unverkürzte Bibelwort in eine
konkrete Situation hinein, ob das nun im KZ Dachau, auf der
Kanzel seiner Berliner Marienkirche oder vom Vortragspult anläßlich
einer Tagung geschieht, sei es vor der VVN oder vor
Prager Studenten, beim Pax Kongreß in Warschau oder auf dem
Weltfriedenstreffen in Helsinki, handele es sich um Kirchentage
in Berlin oder Stuttgart, um Kongresse in Hannover oder Evan-
ston. Heinrich Grüber, der alte Vorkämpfer der BK und der zuverlässige
Kamerad christlicher und kommunistischer KZ Häftlinge
übt scharfe Kritik am System Hitlers, er geißelt mit Temperament
Unarten seines Volkes, aber er steht als dieses Volkes
Anwalt vor dem König von Dänemark, er spricht „Fürbitte und
FüTdank" zum 80. Geburtstag des Präsidenten Pieck als überzeugter
Christ aus und weist einen höchst anfechtbaren Ausspruch
des englischen Generals Robertson mit Würde zurück, er entgegnet
einem Manne namens Kalander freundlich, der sich über
das „peinliche Klappern" der Hilfswerkbüchsen ereiferte. Gerecht
und unparteiisch nach allen Seiten möchte er urteilen. In einer
Betrachtung, die der politischen Verpflichtung der Kirche von
heute gilt (Pontifex, nicht Partisan S. 318—323), kommt das sehr
deutlich zum Ausdruck. Ein Christ kann nicht Partisan der einen
oder anderen Macht sein (321), er muß alle Schwarz-Weiß-Malerei
in Presse und Rundfunk ablehnen: „alle Verallgemeinerungen
sind Lüge" (322).

Als Kämpfer, Helfer, Diener, Freund, Brückenbauer und
Mahner (so heißen die einzelnen Unterabschnitte), wird uns Grüber
vor Augen geführt. Den allzu Vergeßlichen sei empfohlen,
die Abschnitte „Priester im KZ" (S. 61 f.) und den Nachruf auf
Pastor Werner Sylten (237—243) nachzulesen samt den Dachauer
Predigten. Der Freund packender Predigten wird aus den im
Abschnitt „Der Diener" (veröffentlichten Predigten über aJt-
und neutestamentliche Texte viel lernen. Man könnte sie alle
unter die Überschrift einer Dachauer Predigt stellen: „Gott ist's,
der es schafft" (S. 91). Mit besonderem Interesse wird man die
ausführlichen Berichte über eine Reise nach Moskau und Kiew
(Große Vergangenheit — Neue Wirklichkeit, 271—290) und über
Evanston (294-311) lesen. Den Gesamteindruck des Wirkens
eines ursprünglichen und offenherzigen Menschen hat wohl am
besten Martin Niemöller (S. 8 f.) wiedergegeben: Heinrich Grüber
, der schlechterdings in kein Schema paßt, ist eine Herausforderung
, man kommt nicht daran vorbei, sich mit ihm auseinanderzusetzen
, man muß ihn hassen oder lieben oder beides zugleich
tun. In unserer wachsenden Armut an originalen Persönlichkeiten
steht er in der Mitte des 20. Jahrhunderts als ein
Mensch da! — Ein Mensch, hinter dessen rastlosem Dienst ein
Herr steht. Und von diesem Herrn ergriffen wagt er z. B. den
Satz: „Jede Verharmlosung dieser Frage (die Wasserstoffbombe
ist gemeint) ist eine Verharmlosung der Ur- und Grundsünde
der Menschheit. Ist es darum übertrieben, wenn wir sagen: „In
der Entscheidung für die Wasserstoffbombe liegt eine Entscheidung
gegen Christus?" (S. 386). Das wird nicht pathetisch gesagt
, das kommt aus einer Erkenntnis, die schon 1937 in Oxford
formuliert wurde: „Da wir an den heiligen Geist als die Quelle
der Gerechtigkeit glauben, sehen wir den Staat nicht als die
tiefste Quell des Rechtes an, sondern eher als seinen Garanten.
Er ist nicht der Herr, sondern der Diener der Gerechtigkeit. Es
kann für den Christen außer Gott keine letzte Autorität geben"
(S. 307). Aus dieser letzten Verpflichtung heraus ist denn wohl
alles auch an Bitterem und Hartem zu verstehen, was Grüber
über die Zeitkrankheit des „Negativismus", der schlimmer als
aller Nihilismus sei, sagt (312), über psychologische Kriegführung
(S. 93 f.), babylonische Sprachverwirrung (169), über den
Stacheldraht (235), die Presse (299), die sinnlose Bilderstürmerei
der Deutschen (275), über Wortinflation (359) u.a.m., was zur
Charakteristik nicht sehr tapferer Zeitgenossen gehört, die irt
diesen unruhigen Übergangsjahren nach dem Grundsatz leben:
nutze jedes System, ohne dich daran zu binden! Letztlich lebt
Grüber als denkender Theologe existenziell, wenn er gelegentlich
bekennt: „Es ist etwas Schweres um Mitschuld, auch dann,
wenn die Mitschuld nur in der Passivität liegt" (373) und „Heute
hat nur das gelebte Wort, das Wort, das in der persönlichen»
Existenz sichtbar wird, Zeugniskraft" (S. 3 59).

Unsere junge theologische Generation, welche die Gesell-