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Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

919-923

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Die Traditionen des Klosters Tegernsee 1003 - 1242 1957

Rezensent:

Bosl, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

920

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Acht, Peter: Die Traditionen des Klosters Tegernsee 1003—1242
bearb. München: Beck 1952. 64* u. 427 S. gr. 8° = Quellen und
Erörterungen zur Bayer. Gesch. N. F. IX, 1. DM 32.—.

Weissthanner, Alois: Die Traditionen des Klosters Schäftlarn
760—1305, bearb. München: Beck 1953. 39*, 724 S., 5 Schriftproben
auf Taf. gr. 8° = Quellen u. Erörterungen zur Bayer. Geschichte
N.F. Bd.X, Teil 1, DM 48.-.

Engel, Wilhelm: Urkundenregesten zur Geschichte der Stadt Würzburg
(1201—1401). (Regesta Herbipolensia I). Würzburg: Schöningh
1952. 391 + 46* S. gr. 8° = Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. Bistums
und Hochstifts Würzburg Bd. V. DM 15.—.

Die vorgenannten Quellenausgaben für zwei bayerische Klöster
im weiteren Raum von München sowie die Regesten der
fränkischen Bischofstadt und Hochstiftsmetropole Würzburg anzuzeigen
macht deshalb Freude, weil hier wesentliche Bereicherung
unserer historischen Erkenntnisse in einer Reihe von Teildisziplinen
geboten wird. Jede der drei Veröffentlichungen stellt
irgendwie durch ihre Sonderart ein individuelles Muster methodischer
Darbietung eines reichen und interessanten Quellenstoffes
dar. Acht ist technisch ein Meister der Edition; ihm geht es
primär um sorgsamste Analyse der handschriftlichen Überlieferung
jedes Einzelstückes und um dessen sichere Einreihung nach diplomatischem
und historischem Befund. Er wie Weißthanner ersetzen
für immer die völlig veralteten Ausgaben der Tegernseer und
Schäftlarner Traditionen von 1766 und 1767 im 6. und 8. Band
der Monumenta Boica. Weißthanners textkritisch wie
diplomatisch nicht minder gründliche Ausgabe aber geht weit über
den technischen Rahmen hinaus und bietet eine auch für weitere
Kreise bestimmte Sach- und Wortkommentierung der Quellen,
die man als beispielhaft hervorheben muß. Daß man über diese
mit staunenswerter Sach- und Detailkenntnis vorgenommene Interpretation
, wie sie nur einem Archivar möglich ist, die die Benutzung
zum Genuß macht, auch nur ein Wort der Beckmesserei
verlieren mag [s. F. T y r o 11 e r, Stud. u. Mitt. a. d. Bened. Orden
65, 1953/4, 300 ff.], besonders wenn man es selber nicht
besser weiß, verstimmt fast. [Mit vollem Recht verwahrt sich dagegen
L. Steinberge r, Schäftlarner Randglosse 1, Schiern 28,
1954, 287 und Sch. Randglosse 2, Stud. u. Mitt. OSB 66, 1955,
161—163 und Weißthanner, ebda 66. 163]. Ohne Achts 110 Seiten
umfassende Orts-, Personen-, Wort- und Sachverzeichnisse
deshalb nicht voll als zusätzliche Leistung zu einer vorzüglichen
Edition zu würdigen, sei jedoch besonders auf das Wort- und
Sachverzeichnis des „Philologen" Weißthanner hingewiesen, das
über den nächsten Zweck weit hinaus geeignet ist, Du Cange und
Diefenbach wesentlich zu ergänzen und zum mittellateinischen
Wörterbuch der Zukunft beizutragen. Der gesicherte Text auf der
Grundlage einer Analyse der Überlieferung ist unabdingbar für
alle Geschichtsschreibung aus den Quellen; verbindet sich damit
ein sachkritischer Quellenkommentar, so ist damit bereits ein
Weg auch für die Lösung der Detailprobleme durch Forscher wie
Liebhaber bereitet.

Die Ausgabe der Tegernseer Traditionen vertieft unsere
Kenntnis der Geschichte eines um die Geistes-, Literatur- und
Wissenschaftsgeschichte des 6üdbayerischen Raumes höchstverdienten
Benediktinerklosters vor allem nach der wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Seite hin: Tegernsees führende Rolle in
Geschichtsschreibung und Stilentwicklung hat B. Schmeidler
aufgezeigt [Studien zur Geschichtsschreibung des Klosters Tegernsee
, Schriftenreihe z. bay. Ldg. 20, 1935]; die Untersuchungen
K. H a u c k s [Heinrich III. und der Ruodlieb. Theod. Frings gewidmet
] haben engste Beziehungen zum Hofe Kaiser Heinrichs III.
wahrscheinlich gemacht und das Seekloster als Wirkungsort des
Dichters des Ruodlieb, des ersten Prosaromans in deutschen Landen
, erwiesen. Tegernsees Bibliothek zählte im 15. Jahrhundert
zu den bedeutendsten des ganzen süddeutschen Raumes, es war
Hauptzentrum der von der Wiener Universität ausgehend n
Melk-Tegernseer Benediktinerreform, die man neben der von
Prag ausgehenden Kastler als wichtige Symptome spätmittelalterlichen
Reformwillens zu beachten hat. Beziehungen zu Italien, zu
Konstanz, zu Nikolaus Cusanus machen die geistige Blüte verständlich
, die aber immer eine geregelte Wirtschaft und eine gesicherte
Stellung in Staat und Gesellschaft voraussetzt. In Achts
Ausgabe haben wir zwar nicht jene interessanten Verzeichnisse
der vom bayerischen Herzog Arnulf säkularisierten Tegernseer
Klostergüter zu suchen [jetzt K. R e i n d e 1, Die bayerischen
Luitpoldinger (893-989), 1953, 88 ff. — F. T y r o 11 e r, Zu den
Säkularisationen des Herzogs Arnulf, Stud. u. Mitt. 65, 1953/4,
303 ff. — W. B e c k, Tegernseeische Güter aus dem 10. Jhdt.,
Arch. Zs. NF. 20, 1914, 88 ff.]; es wird hier aber eine solche
Fülle von Quellenmaterial zur Gesellschaftsgeschichte der Bayerischen
Unter- und Oberschichten und zur Wirtschaftsgeschichte
eines Wirtschaftszentrums im mittelalterlichen Voralpenraum
vorgelegt, daß die Forschung nicht genug dankbar sein kann.
[Z. B. Verzeichnis von Tegernseer Freisassen.] Ich darf hier nur
das Problem der Leibeigenen auf fremden Urbar herausgreifen,
das H. K 1 e i n für Salzburg an den „Freisatzories" gültig geklärt
hat. Wir sehen dabei den Wandel von den personalen zu den
dinglichen Verpflichtungen von Bauer und Bauerngut, erleben die
Lockerung der Schollegebundenheit, sehen die sozialen Voraussetzungen
für den Landesausbau des 12. Jhdts. und die Bevölkerungsbewegung
, die wirtschaftlichen für den Siegeslauf des institutionellen
Flächenstaats. Wir greifen bei Acht und Weißthanner
nicht nur auf jeder Seite die Besonderheiten des Sozial-
und Rechtsstandes der bäuerlichen Grundholden/Leibeigenen und
ihrer Klassen (Zensualen), wir gewinnen auch Einblicke in den
gesellschaftlichen und rechtlichen Aufstieg der für Deutschland
so charakteristischen Ministerialität. [Vgl. K. B o s 1, Freiheit und
Unfreiheit. Zur Entwicklungsgeschichte der Unterschichten im
mittelalterlichen Deutschland und Frankreich, vswg 1957. — Ph.
Dollinger. L'evolution des classes rurales en Baviere, 1949.]
Schließlich ist es für die bayerische Historie nicht unerheblich, daß
von den Tegernseer und Schäftlarner Traditionen die Lösung des
Problems der Frühgeschichte Münchens ausgehen muß [R. S c h a f-
f er, An der Wiege Münchens, 1950, 36—39]. Die „staatsrechtliche
" Stellung jeder mittelalterlichen Abtei bemaß sich nach
ihren Vogteiverhältni6sen, die bei den alten Klöstern anders
waren wie bei den Reformklöstern und -orden des 11./12. Jhdts.
[Th. Mayer, Fürsten und Staat, 1950]. Acht hat sich quellenkritisch
mit diesem Problem in einer Vorarbeit beschäftigt [Die
Tegernsee-Ebersberger Vogteifälschungen, Arch. Zs. 47, 1951,
135 ff.].

An Rang und Wirkung stand zwar das südlich München
im Isartal idyllisch gelegene, heute noch als Benediktinerabtei
existierende, im Hochmittelalter aber als Prämonstratenserstift
wiedererrichtete Schäftlarn hinter Tegernsee zurück. [Sein heute
regierender Abt Sigisbert Mitterer ist durch Studien zum bayerischen
Eigenklosterwesen hervorgetreten.] Wir haben aber dafür
wertvolle Traditionen aus dem 8./9. Jhdt., die etwas Licht auf
die frühmittelalterliche Geschichte des Münchener Raumes werfen
. Über die nicht minder große Bedeutung auch der Schäftlarner
Traditionen für die bayerische und deutsche Wirtschafts- und Ge-
sellschaftsgeschichte brauche ich kein Wort zu verlieren; [s. Verzeichnisse
von Zinspflichtigen, Leibeigenen, Zins-, Zehnt- und
Güterverzeichnisse!]; aber ich muß betonen, daß Weißthanner die
von Karl Lechner (Wien) mit so hohem Nutzeffekt meisterhaft
entwickelte besitzgeschichtlich - genealogische Methode, die ein
unentbehrliches heuristisches Prinzip der Siedlungs-, Verfassungsund
politischen Geschichte geworden ist, in seinem Quellenkommentar
mit souveräner Kenntnis des Materials ebenfalls zu
handhaben vermag und sich als hervorragender Kenner der Genealogie
und Besitzgeschichte und damit der mittelalterlichen
Verfassurigsgeschichte Bayerns ausweist. Man kann sich freuen,
daß der 2. Band dieser Traditionen bereits ausgedruckt ist. Daß
die Vogtei bei Prämonstratensern wie Zisterziensern (grundsätzliche
Vogtfreiheit) im Mittelalter nicht die Rolle wie bei den
Benediktinern alter Observanz und den Hirsauern (Kastvogtei)
mehr spielte, aber Ansatzpunkte zu neuen Formen in sich barg,
weiß man seit H. Hirsch, wenn auch diese Kenntnis offenbar noch
nicht Allgemeingut des Wissens geworden ist.

Ein methodisch wie auch material ganz anderes Gebiet betreten
wir in Engels Urkundenregesten zur Geschichte der
Stadt Würzburg, die sich eigentlich genau so Regesten zur Geschichte
der geistlichen Stadtherrschaft des Bischofs in Würzburg