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Ausgabe:

1957 Nr. 12

Spalte:

909-910

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Die Religion in Geschichte und Gegenwart 1957

Rezensent:

Wingren, Gustaf

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909

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 12

910

ALLGEMEINES

Die Religion in Geschichte und Gegenwart
(RGG). 3., völlig neu bearb. Aufl. in Gemeinschaft mit Hans Frhr.
v. Campenhausen, Erich D i n k 1 e r, Gerhard G 1 o e g e und
Knud E. Logstrup hrsg. von Kurt Galling. Lieferung 1—12
= Band l: A — Bibel. Tübingen: Mohr 1956/1957. 1152 Sp. 4°.
Subskr. je Lfg. DM 4.20.

Das große Werk, „Die Religion in Geschichte und Gegenwart
", das seit dem Beginn dieses Jahrhunderts den europäischen
Theologen so wertvolle Hilfe geleistet hat, erscheint jetzt in
seiner dritten, völlig neu bearbeiteten Auflage. Die erste Auflage
, 1900—1913, war wohl hauptsächlich von der religionsgeschichtlichen
Schule und der damit zusammenhängenden, ziemlich
unkonfessionellen systematischen Theologie geprägt. Die
zweite Auflage, 1926—1932, entstand bald nach dem großen
theologischen Umbruch in Europa. Nach 1920 wurden viele fest
umrissene Formen von Theologie und Religionswissenschaft in
Europa geboren, die nicht immer vereinbar waren, die sich gegeneinander
allmählich abgrenzten, aber die doch alle die Reformation
positiv schätzten und die auch eine Verankerung im Zentrum
der Bibel oder wenigstens des Neuen Testaments suchten.
Die Lutherrenaissance, die dialektische Theologie u. s. w. trugen
dieses Gesicht. Keine von ihnen prägte die zweite Auflage der
RGG, aber man spürte die allgemeine Atmosphäre der Entstehungszeit
dieser Auflage beim Studium des Werkes. Und
jetzt, seit 1956, beginnt die dritte Auflage zu erscheinen. Was
ist ihr Gepräge?

Hauptredaktor ist Kurt Galling in Göttingen, der das Alte
Testament vertritt. Neben ihm stehen vier Vertreter der Hauptfächer
: zwei Systematiker, Gerhard Gloege in Jena und K. E.
Logstrup in Aarhus, ein Historiker, H. Frhr. v. Campenhausen
in Heidelberg, und ein Neutestamentier, Erich Dinkler in Bonn.
Die Mitarbeiter, besonders in Kirchengeschichte — wo v. Campenhausen
zwar alles koordiniert, aber doch neben sich Spezialisten
für jede Periode hat — sind aus manchen Ländern geholt
und geben dem ganzen Werk ein ausgesprochen internationales
Gepräge. Dieser Zug des neuen Werkes — das Internationale
— gilt auch dem Aufbau und dem Inhalt der verschiedenen
Artikel. Man könnte sogar sagen: das organisatorisch
Internationale ist das wesentlich Neue. Die ökumenische Arbeit
und die Weltmission samt den Organisationen dieser beiden
haben einen beträchtlichen Raum in der dritten Auflage bekommen
, teils durch besondere Artikel, teils durch neue Abteilungen
in alten Artikeln. Es ist kein Zufall, daß der Artikel „Auslandsgemeinden
" in früheren Auflagen ganz fehlt, aber in der
dritten Auflage sechs Spalten bekommen hat. Noch auffallender
ist das Auftreten der jungen Kirchen in alten Artikeln, wo sie
früher keinen Platz hatten. Zwei Beispiele können hier erwähnt
werden.

Das erste Beispiel ist der Artikel „Abendmahl". Der Aufriß des
Artikels ist sehr ähnlich in den drei Auflagen, also 1909, 1927 und
1956: Abendmahl (l) im Neuen Testament, (2) dogmengeschichtlich,
(3) dogmatisch, (4) liturgiegcschichtlich, (5) liturgisch, (6) rechtlich.
Aber in der neuen Auflage 19 56 wird eine siebente Unterabteilung
hinzugefügt. „Abendmahl in den jungen Kirchen" von H. W. Gen-
sichen. Außerdem findet man bald danach einen ganz neuen Artikel,
..Abendmahlsgemeinschaft" von H. Gollwitzer, einen Artikel ohne
Entsprechung in den älteren Auflagen. Die Mission und die ökumenische
Arbeit bestimmen zusammen die Änderungen im Aufbau des
Ganzen.

Das zweite Beispiel ist der Artikel „Bekehrung". Die Mission
hatte innerhalb dieses Artikels im Jahr 1909 und im Jahr 1927 kein
besonderes Wort zu sagen. Jetzt, 1957, ist der Artikel so aufgebaut:
Bekehrung (1) im AT, (2) im Judentum, (3) im Urchristentum, (4) systematisch
und — als ganz Neues 1 — (5) Bekehrung als Missionsproblem
(21'' Spalten von W. Freytag). Die missionswissenschaftliche Darstellung
der Bekehrung ist sogar länger als die systematische Darstellung
, von W. Joest geschrieben. Was Freytag hier von der Bekehrung
als Folge der Predigt des Evangeliums in heidnischen Völkern zu sagen
hat. ist von größtem Interesse. Nur kann man die Frage stellen, ob
dies wirklich als eine fünfte Abteilung nach der systematischen Darstellung
der Bekehrung gesagt werden sollte. Die Verknüpfung mit

der Mission gehört doch zu den Urtatsachen der Bekehrung, die im
Missionskerygma vom urchristlichen Anfang an einen festen Platz
hatte. Mit anderen Worten: wir fügen gern die Missionsgeschichte an
die Kirchengeschichte an, als ein modernes Anhängsel dazu, ohne zu
bedenken, daß die ganze Kirchengeschichte Missionsgeschichte ist und
daß alle zentralen neutestamentlichen Begriffe in dieses Licht gestellt
werden sollten.

Eine andere typische Änderung bedeutet das Wachsen der
verschiedenen Artikel über „Bekenntnis", „Bekenntnisbildung"
usw. Auch hier stehen die jungen Kirchen für einen Teil der
Ausdehnung dieses Stoffes — aber nur für einen Teil. Der Hauptgrund
dafür, daß man hier mehr als früher sagen muß, ist natürlich
das Wachsen der konfessionellen Bestrebungen wie die Tatsache
, daß die Bekennende Kirche in Deutschland gerade in der
Zeit zwischen der zweiten und dritten Auflage der RGG in Erscheinung
trat. Der neue Artikel „Bekennnende Kirche" ist von
dem Fachberater für die Neuzeit, Ernst Wolf in Göttingen, geschrieben
.

Sehr umfassende Artikel, fast kleine Bücher, findet man in
den ersten zwölf Lieferungen, die hier zu besprechen sind, z. B.
über folgende Themen: Abendmahl, Afrika, Aufklärung, Arbeit
(Arbeiter usw.) und dann natürlicherweise Bibel (samt Ableitungen
davon). Am Ende der zwölften Lieferung findet sich
hier eine Unterabteilung, bearbeitet von A. Lehmann'Halle,
nämlich „Bibel in der Mission und in den jungen Kirchen", eine
Unterabteilung, die man in den Auflagen 1909 und 1927 vergebens
sucht. Die Probleme der Bibclkritik und Bibelwissenschaft
überhaupt werden wahrscheinlich einen großen Teil der kommenden
13. Lieferung in Anspruch nehmen.

Ein kompletter Band wird etwa 20 Lieferungen umfassen.
Das ganze Werk soll aus 6 solchen Bänden bestehen, dazu kommt
ein Registerband. Da jedes Jahr ein Band publiziert werden soll,
dürfte das ganze Werk ungefähr 1963 vorliegen. Man kann nur
wünschen, daß es den Herausgebern gelingt, diese gewaltige Aufgabe
zu Ende zu führen, denn was hier gegeben wird, ist von
Höchstem Wert für das theologische Studium in allen Ländern.
Der Subskriptionspreis der Einzellieferung beträgt DM 4.20. Ein
Band wird also DM 84.— kosten, das ganze Werk fordert von
dem Käufer mehr als DM 500.—. Daß ein so groß aufgelegter
Plan in dem geteilten Deutschland durchführbar ist, ist ein Grund
zur Freude für die europäische Theologie.

Die Fragezeichen sind, wie gewöhnlich, gerade vor die Tugenden
zu setzen. Die Neigung zum Organisatorischen, Kirchlichen
, die im Verhältnis zu den früheren Äuflagen neue positive
Schätzung gerade der organisierten Frömmigkeit, bringt natürlich
eine Ablenkung des Interesses vom Individuellen mit sich, also
von dem, was zu Beginn unseres Jahrhunderts „Religion" genannt
wurde. Die Zahl der biographischen Artikel über Einzelpersonen
ist gesunken. Ich bemerke die Kleinigkeit, daß Gustaf Aulen,
der 1927 mit ein paar Zeilen den Lesern vorgestellt wurde, im
Jahre 1957, wo seine Bedeutung zweifelsohne größer ist, nicht
erwähnt wird. Dasselbe gilt von vielen anderen Namen, Lebenden
sowohl wie Toten. Ein sehr interes anter und lesenswerter
Artikel behandelt Karl Barth, von Gloege in Jena geschrieben
(aber Karls Brüder, Heinrich und Peter, die 1927 neben ihm
standen, sind weggelassen). Daß uns Hans LIrs von Balthasar
trotz dieser restriktiven Methode mit einigen Zeilen von H.-H.
Schrey präsentiert wird, ist wohl eine glückliche Ausnahme, vielleicht
erklärlich durch Balthasars Buch gerade über Karl Barth.
Es besteht heutzutage eine Gefahr, die Individuen als Vertreter
v°n „Kirchen" zu betrachten: die Personen werden sozusagen
Modifikationen der bestehenden Kirchlichkeit. Bisweilen habe
ich den Eindruck, daß auch diese neue Auflage von RGG von
dieser Gefahr Zeugnis ablegt.

Detailkritik der verschiedenen Artikel ist diesmal nicht
möglich. Vielleicht finde ich in Zukunft bei der Besprechung späterer
Lieferungen Anlaß dazu, auch Anlaß zur Rückkehr zu den
ersten Lieferungen. Das, womit ich jetzt enden will, ist eine
Empfehlung des Werkes. Ruhig, soweit wie möglich unparteiisch,
objektiv referierend in strittigen Fragen, gibt die neue Auflage
der RGG dem Leser was er wünscht: Wissen.

Liind Gustaf W ■ n fr r c n