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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

68-69

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Hofmeister, Philipp

Titel/Untertitel:

Das Beichtrecht der männlichen und weiblichen Ordensleute 1957

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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Es geht dem Verf. um die Grundlegung der Rechtstheologie
— also um ein wichtiges, gegenwärtig besonders dringlich erscheinendes
Anliegen der Christenheit. Deshalb fragt er zuerst nach
dem Ort des Naturrechts in der Offenbarung (9—42). Wenn freilich
dabei das Zeugnis der Kirche dem der Hl. Schrift vorangestellt
und eine christologische Rechtsbegründung als einseitig abgelehnt
wird (75 f.), so ist das eine Vorentscheidung, die von
evangelischer Glaubenshaltung wie von den Erkenntnissen reformatorischer
Theologie her nicht annehmbar erscheint. Abgesehen
von dieser Grund-Differenz aber ist der von Fuchs gewonnene
Ansatz einer theologischen Begründung des Rechts in
der Offenbarung und kirchlichen Dogmatik notwendig und richtig
. Auch ist eine so umfassende Auswertung der Verlautbarungen
des päpstlichen Stuhls zum Gedanken des Naturrechts (bes.
12 ff. und 174 ff.) problemgeschichtlich bemerkenswert und läßt
über die langher bekannten Traditionslehren hinweg den heutigen
Standort des Gesprächs innerhalb der römisch-katholischen
Kirche erkennen.

Einig wird der evangelische Rechtstheologe mit dem Verf.
darin sein, daß „Naturrecht" dialektisch verstanden werden muß,
nämlich als Einheit in der Unterschiedenheit seiner absoluten
Geltungsforderung (116 ff.) und relativen Geschichtsmächtigkeit
(81 ff.); infolgedessen ein bloß auf allgemeinste Prinzipien reduziertes
(„abstraktes") Naturrecht ebenso abzulehnen ist wie
der pure Aktualismus eines existentialistischen Positivismus. Inwieweit
allerdings hier (mit diskussionsloser Selbstverständlichkeit
gebrauchte) begriffliche Gegensätze, wie „Natur" und „Geschichte
", „absolut" und „relativ" keine offenbarungstheologischen
Einsichten, sondern Kategorien säkularer Philosophie darstellen
(die — eben dadurch — theologisch unverbindlich sind)
scheint mir nicht hinreichend geklärt zu sein: dieser Vermischung
philosophischen und theologischen Denkens (wie dem entsprechenden
Harmonisieren von Natur und Gnade, Notwendigkeit
und Freiheit 43 ff.) muß evangelische Theologie widersprechen;
sie vermag auch das optimistische Vertrauen auf die Vernunft
hinsichtlich der Naturrechts-Erkenntnis (136 f.) nicht zu teilen.

Unbeschadet dieser Vorbehalte bedarf es aber der Aufgeschlossenheit
für die positiven, theologisch substantiellen und
das zwischenkirchliche Gespräch wesentlich bereichernden Elemente
des Buches; sie sind wichtiger als die Konstatierung des
Dissensus, der teilweise mehr auf einer gewissen beiderseitigen
Statik und „kontroverstheologisch" gefesselten Denkungsweise
beruht als auf echtem Status confessionis. Dieses Positive ist mitgeteilt
in dem wichtigen Kapitel VIII über die „Heilsbedeutung
des Naturrechts". Wie hier der längst steril gewordene Gegensatz
von „Gerechtigkeit" und „Liebe" kritisch durchleuchtet und
überwunden wird (157 ff.) stimmt mit den Ergebnissen jüngerer
evangelischer Rechtstheologie ganz überein. ökumenische Rechtstheologie
enthält auch der Satz: Insofern Christus das Haupt
der Kirche und der König des Menschengeschlechts ist, sei das
Naturrecht das Gesetz der Welt unter Christus (172), weil er
die von reformatorischer Theologie gleichfalls bezeugte Wahrheit
bezeugt, daß allen naturhaften Gesetzen der Welt nur insoweit
theologische Verbindlichkeit zukommt, als in ihnen das
Königtum Christi mit-wirkt. Wenn der Verf. endlich (174) ausführt
, daß nicht „bloß in der Kraft einer negativen Disposition"
wirkendes Naturrecht des von sich aus leben wollenden Menschen
, sondern erst die „Durchführung der naturrechtlichen Forderungen
durch den Gerechtfertigten", das meint also: den allein
aus und in der Gnade leben wollenden Menschen (der es freilich
nur wollen kann, weil und insofern Christus in ihm aus Gnade
mächtig geworden ist), echte Heilskraft zu entfalten vermag —
so ist mit dieser behutsamen Formulierung dem evangelischen
Rechtstheologen die Aufgabe gestellt, seinerseits die Frage des
Rechtfertigungsdogmas unter diesem Aspekt neu zu durchdenken
. Vielleicht hülfe uns das, von der einen oder anderen Lehrtradition
des 16. Jhdts. frei zu werden für die uns heute gegebene
Pflicht, wahrhaft schriftgemäße Rechtstheologie zu erarbeiten
.

Freiburg i. Br Erik Wolf

Hofmeister, Philipp, Prof. Dr. P. OSB: Das Beichtrecht der männ-
lidien und weiblichen Ordensleute. München: Zink 1954. VII, 277 S.
gr. 8° = Münchener Theol. Studien. III. Kanonist. Abt., 6. Band.
DM 18.-.

Diese historisch-kanonistische Studie des (der Neresheimer
Benediktinerabtei angehörigen) Münchener Kirchenrechtslehrers
zeichnet im 2. Teil das Beichtrecht der Mönche, Nonnen, Schwestern
nach dem Cod. Jur. Can. von heute; im 1. Teil werden die
verwickelten Vorgänge beschrieben und gedeutet, welche etwa
vom 9. Jhdt. ab zum Beichtrecht der Mönche und Nonnen führten
. In beiden Teilen geht es um die Fragen: 1.) Wem haben Mönche
und Nonnen zu beichten? 2.) Wer kann Klosterbeichtvater
werden und wie? 3.) Wie steht es um die freie Wahl des Beichtvaters
durch Mönche, Nonnen, Schwestern? 4.) Wie oft haben die
Klosterinsassen zu beichten? 5.) Wie verhält sich in der Angelegenheit
„Klosterbeichtrecht" die Gewalt des Abtes (etc.) zum
Bischofsrecht, beides wiederum zum Papstrecht — in Vergangenheit
und Gegenwart? 6.) Welche Parallelen bietet das Laienbeicht-
recht? — Mutet den evangelischen Leser die Sache zunächst recht
fernliegend an, so ändert sich alsbald die Sicht, wenn man daran
denkt: Es war Luther, der die Privatbeichte (die „heimliche
Beichte") aus der Umklammerung durch das Kirchenrecht von
Seelsorge wegen losriß! Nun also: Wie das Kirchenrecht aussah,
das an der Privatbeichte hing, das sieht jeder in Hofmeisters Buch
wie an Wandtafeln. Es ist aber nicht an dem, daß die übliche Beurteilung
nicht verbesserungsfähig wäre; gewiß ist Luthers
Kampf der Triumph der Seelsorge über das Jus — aber Hofmeister
zeigt uns, wie gerade Päpste, innerhalb des rechtlichen Rahmens
freilich, dem Gedanken der Seelsorge gegen Äbte und Bischöfe
Raum schufen! Hofmeister nennt das Streben solcher Päpste Hilfe
zur „Gewissensfreiheit" der Mönche und Nonnen. Es ist demnach
manches differenzierter zu schildern, als man es so gewöhnlich anzusehen
geneigt ist. Daß es trotzdem schlimm genug war, faßt
Hofmeister S. 272 in den Satz zusammen: „Vergleicht man die
ehedem geltenden Normen des Beichtrechts mit dem heutigen, so
wird sich mancher glücklich schätzen, daß Gottes unendliche Güte
ihm erst in diesen Tagen die irdische Laufbahn beschieden hat."
Im übrigen: zwar können die Kanonisten von dem durch den Cod.
Jur. Can. erneuerten Grundsatz der iudicialis potestas des Beichtvaters
nicht einfach abgehen — aber z. B. Klaus Mörsdorf (Eichmann
-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts II7, Paderborn 1953)
nennt zwar die Auferlegung der Bußwerke einen richterlichen Akt,
die Lossprechung aber „Ausspendung eines fremden Gnadengeschenkes
", einen „Akt der iurisdictio voluntaria seu gratiosa",
den „österlichen Friedenskuß der Kirche", und übersetzt „iurisdictio
" mit „hoheitlicher Hirtengewalt". Hofmeister vertritt
offenbar (S. 2) dieselbe größere Nähe zum Seelsorgerlichen, welche
c. 888 CIC nach Mörsdorf besitzt: Der Beichtvater Träger hoheitlicher
Kirchengewalt und Seelenarzt, Anwalt der göttlichen
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zugleich.

Was die Entwicklung zur Privatbeichte vor dem 9. Jhdt.
betrifft, urteilt Hofmeister gewiß so vorsichtig, als es vom katholischen
Standpunkt aus möglich ist. Die Sache ist und bleibt
ja ein Dornenfeld. Aber gerade für die Klöster wird man das, was
Hofmeister die „Gewissenseröffnung" (bei Basilius, Cassian, Benedikt
v. Nursia, „Columban") nennt, als Anfang der richtigen
Kloster-Beichte ansehen dürfen, aus welcher dann die Privatbeichte
der Laien abgeleitet wurde (zugleich aus noch einer Quelle: der
freien Privatbeichte der Ängstlichen). Es kam offenbar in jener
Kloster- und Laienbeichte auf die adäquaten Bußwerke an, welche
man vom Klosteroberen, Bischof, Priester erbat, obwohl für
nichtkriminelle Sünden das nicht notwendig gewesen wäre. Das
Gebet des Priesters usw. unterstrich die Sündentilgung durch das
Bußwerk, z. B. durch die „Gewissenseröffnung". Die Ausscheidung
der „Gewissenseröffnung" von der Sündentilgung mußte natürlich
mit der strengen Lehre der Scholastik über die Sündentilgung
kommen. Aber vor dem 9. Jhdt., erst recht vor dem
7./8. Jhdt., liegt noch einiges Material vor, welches andere Wege
(als die scholastisch-scharfen Distinktionen) lobt. Z. B. des Martin
von Bracara „Correctio rusticorum" aus dem 6. Jhdt. — ja-
noch des Ulrich von Augsburg Vita aus der Hand des Propstes
Gerhard überrascht im 10. Jhdt.! Aber die Geschichte der Sündentilgung
vor dem 9. Jhdt. ist für Hofmeisters Buch nur Einlei-