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Ausgabe:

1957

Spalte:

891-902

Autor/Hrsg.:

Kietzig, Ottfried

Titel/Untertitel:

Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus 1957

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Theologische Literatairzeitung 1957 Nr. 12

892

Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus

Zur Problematik religiöser Bekehrung

Von Ottfried K i e t z i g, Berlin

Die alten Dogmatiker reden noch zentral von der conversio,
der „Bekehrung". In ihrem ordo salutis besitzt die Bekehrung
die Schlüsselstellung zur Heilsgewinnung.

Trotzdem hat der Bekehrungsvorgang als solcher kaum das
Interesse gefunden wie die ihm zugehörigen Teilbegriffe „Glaube
", „Rechtfertigung", „Heiligung" u. a. Das Gewicht der conversio
verlegte sich auf die Taufe. Sie übernahm die Wirksamkeit
der conversio, wozu ihr der Wortlaut von Tit. 3, 5 den Weg
wies.

Aber die mit der „conversio" gemeinten Erfahrungen traten
doch zu selbständig auf, um übersehen zu werden.

Die zweibändige Untersuchung von R. A 11 i e r : La Psychologie
de la conversion chez les peuples non civilis«, Paris
1925, beschäftigt sich mit der Bekehrung Primitiver zum Glauben
an Christus. M. N e e s e r : Du Protestantisme au Catholi-
cisme . . . essay de psychologie des conversions confessionelles,
Paris 1926, stellt die konfessionellen Übertritte in das Licht der
Bekehrung. L. W. Lang: A Study of Conversion, An Inquiry
into the developement of Christian Personality, London 1931,
behandelt die Bekehrungsfrage charakterologisch. E. Harms:
Psychologie und Psychotherapie der Conversion, Leiden 1939,
beleuchtet sie vorwiegend therapeutisch.

In Deutschland hat sie noch keinen Anwalt gefunden. Sie
erscheint hier zunächst nur als Teilproblem eines sie mit umfassenden
Themas, gewinnt aber mehr und mehr an Bedeutung.
Bei den „Tiefenerlebnissen" unterscheidet H. L e i t n e r in seiner
„Psychologie jugendlicher Religiosität"1 neben „nicht religiösen
Tiefenerlebnissen" (S. 45—50) und „anderen religiösen
Erlebnissen" (S. 63—86) das „Bekehrungserlebnis", dem er auf
13 Seiten beobachtend nachgeht (S. 51—63). W. Gruehn widmet
der Frage der „Wandlung (Bekehrung)" 197 Seiten (S. 40
—237) seiner Untersuchung „Die Frömmigkeit der Gegenwart"2.
Schon an den von mir1 1934 veröffentlichten Fragebogenberichten
über das Gläubigsein erkennt man die der Bekehrung eingeräumte
zentrale Stellung.

Zu einer Monographie über die Bekehrung ist es freilich
auf deutschem Boden noch nicht gekommen. Die jüngste Neuerscheinung
mit dem Thema „Bekehrung" ist wieder eine ausländische
, von dem Finnen V. I. I h a 1 a i n e n* vorgelegte Untersuchung
.

Wir wollen sehen, welche Ergebnisse Ihalainen erzielt. Auf
dem Hintergrund ihrer Darstellung und Beurteilung werden wir
dann die Hauptprobleme der Bekehrung entwickeln.

I. Die Problematik der Bekehrung im Rahmen
der Untersuchung von Ihalainen: „Bekehrungschristentum"

Bekehrungsmotive: Im Anschluß an Starbuck unterscheidet
Ihalainen die Anlässe zur Bekehrung als Bekehrungsmotive
. Er nennt sie auch „Gefühlsfaktoren", die
als „Gefühle" von „Leere, Gottverlangen usw." die Bekehrung
einleiten. Bei der Landbevölkerung sieht er dagegen in dem „von
inneren Empfindungen unabhängigen Erfüllen der göttlichen Gebote
" die eigentliche religiöse Motivation. Andererseits beobachtet
er gerade hier in dem „der Bekehrung" „vorausgehenden"
„Ringen" ein durch das „Bewußtsein des Todes und Gottes
immerwährendes Drohen mit dem Gericht" hervorgerufenes „Sündenbewußtsein
" als Motiv der Bekehrung (S. 220/21).

nV l) München 1930.

') Grundtatsachen der empirischen Psychologie. Münster 19 56.

3) O. Kietzig: Religiös, kirchlich, gläubig. Drei Höhenlagen
evangelischer Frömmigkeit. Versuch einer religionspsychologischen
Grenzbestimmung auf neutestamentlicher Grundlage. Göttingen 1934.

*) V. J. Ihalainen: Kääntymyskristillisyys. Sielutieteellinen
tutkimus. Deutsches Referat: Das Bekehrungschristentum, eine psychologische
Untersuchung. Turku: Turun Yliopiston Kustantama 1953.
226 S. 4° = Turun Yliopiston lulkaisuja (Annales Universitatis Tur-
kuensie) Serie B, Tom. XLIII. Fm. 500.—.

Die Bezeichnung und Einteilung von „Bekehrungsmotiven"
hat sich seit Starbuck so eingebürgert, daß sie fast 6chon schematisch
gebraucht wird. Sie läßt sich bei genauerem Zusehen
aber nicht halten. Die „Bekehrungsmotive" sollen die individuelle
Verschiedenheit der Anlässe und der Art der Bekehrung
angeben. Die Beobachtung zeigt, daß sie bei j e d e m Bekehrungserlebnis
zugleich vorkommen5. „Gefühl einer Leere", „Gottverlangen
" auf der einen und „Sündenbewußtsein" auf der anderen
Seite können also nicht als besondere Motive zur individuellen
Kennzeichnung der Bekehrung dienen. Unrichtig ist dann
auch, das Motiv „Gefühl einer Leere" und „Gottverlangen" auf
die Stadtbevölkerung zu beschränken und das Motiv des „Sündenbewußtseins
" nur bei Landleuten anzunehmen. Die angeführten
Belege (Anmerkungen) zeigen ein ebenso starkes Sündenbewußtsein
bei Städtern und Gebildeten, wie es Ihalainen einseitig bei
den Landleuten feststellt.

Bekehrung als Reifungsprozeß. Die Erörterung
über die Bekehrungsmotive, die wir besser Bekehrungssymptome
nennen, führt uns schon unmittelbar in die Behandlung
des Erweckungszustandes. Ihalainen spricht auch
von einem Reif ungsprozeß. Er weist auf bestimmte Merkmale
hin, an denen er die verborgene Reifung erkennt: „Schmerz,
Not, Angst, Weinen, Unglück (gemeint ist wohl Unglücklichsein),
Appetitlosigkeit, Depressionen, Hilfsbedürftigkeit, Visionen und
Automatismus". Auch die Aufzählung dieser Merkmale zeigt
Anlehnung an die Terminologie von Starbuck. Ich will nicht sagen
, daß sie bei Ihalainen nicht auch auf Beobachtungen beruhen.
Sie werden durch das mir bekannte Erlebnismaterial zum Teil bestätigt6
. Doch scheinen mir die Starbuckschen Kategorien hier
die eigene Sicht zu behindern. Viel bezeichnender für die „Reifung
" sind m. E. die in den „Affekten" hervortretenden I c h -
reaktionen, auf die uns Allier aufmerksam macht7. Das
äußere Verhalten erweist sich als das Negativ der inneren Wirkung
. Es bildet also den Gradmesser dieser Wirkung. Abwehr-
und Ausweichstaktik deuten auf Unterlegenheit Gottes Wort
gegenüber. Man meidet es aus Furcht, ihm erliegen zu können.
Haß und Feindschaft gegen Gott verraten das Stadium letzter
Gegenwehr. Niedergeschlagenheit und Verzweiflung künden
schon den Sieg Gottes über das Ich an. Das Ich reift zur Übergabe
an Gott. Dazu hat man bei Ihalainen den Eindruck, daß die
„Affekte" bzw. „Leeregefühle" und „Gottverlangen" auf eine in
der Reifung entstehende Ich-„S p a 11 u n g" hinwiesen. Es müßte
also die eine Hälfte des Ich sein Ichsein behaupten, die andere
es an Gott preisgeben wollen. Ich halte diese Ichspaltungstheorie
für verfehlt. Die Tatsachen stellen uns vor das Phänomen totaler
Ganzheit des Ich gerade in der Krisis der „Reifung". Nirgends
ist es so titanisch es selbst wie in seiner Bedrohung durch die Bekehrung
. Das in der Reifung festgestellte „Gottverlangen" und
„Suchen" ist daher leicht psychologisierender Mißdeutung ausgesetzt
. Es kann doch nur auftreten, wo und sofern das Ich jeweils
von Gott 6chon erfaßt ist. Wie die Beobachtung lehrt, zieht
sich dann das Ich immer wieder in sich zusammen. Es konzentriert
sich zu neuer entschlossener Abwehr. Und je länger, um so
erbitterter wird das Ringen. Der Kampf, nicht die Sehnsucht
läßt den Fortsdiritt der Reifung erkennen. Er beschränkt sich
auch nicht auf den Fall des geistig schweren und langsamen
„Landbekehrten". Ebenso heftig tritt er bei den anpassungsfähigen
Städtern auf. In den von uns zitierten Berichten (s. Anm.)
lassen sich neben den Äußerungen von „Gottverlangen" (Bedürfnis
und Leere) auch die Bezeugungen von Erschütterung nachweisen
.

°) M. v. Wurmb: Was ich mit Jesus erlebte. Gießen u. Basel
ohne Jahreszahl S. 19 u. 21. Aussagen meiner Berichterstatterin Be. H.
in: O. Kietzig: Religiös, kirchlich, gläubig... a.a.O. Göttingen
1934. S. 57. Henri Tri cot: Confession d'un anarchiste. Paris 1899.

6) Vgl. H.Most: Gehe hin und künde. Eine Selbstbiographie.
Freiburg 1920. S. 72—74 und die Selbstberichte S. 39, sowie S. 43. In:
Religiös, kirchlich, gläubig ... a. a. O. ..

7) La psychologie de la conversion, a a. O.