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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

66-67

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Josef

Titel/Untertitel:

Lex naturae 1957

Rezensent:

Wolf, Erik

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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beleuchtet erscheinen. Warum das alles, so fragen wir uns, da
doch die grundsätzliche Diskussion vermieden wird!

3. Wenn nicht alles täuscht, weist das bisher Bemerkte auf
eine Unsicherheit in der Mitte des Sachanliegens, das Gruehn
vertritt. Durch das ganze Buch geht die gereizte Abwehr einer
von klassischen Dokumenten der Religionsgeschichte ausgehenden
verstehenden Religionspsychologie, als deren Exponent
R. Otto genannt sein mag, der denn auch Gruehns Ablehnung
weidlich erfährt. Leute wie Otto hätten nur Gedanken zur Religion
herzuzutragen, während der exakte experimentierende Forscher
an die religiöse Seele selbst herankäme. Schauen wir darum
scharf auf die Girgensohn-Gruehnsche Methode! Den Versuchspersonen
, die fast ausnahmslos zur Schicht der religiösen
Intelligenz gehören (nur Leitner hat junge Leipziger Arbeiter
herangezogen!) und die allzuoft aus — Theologiestudenten bestehen
, werden zum Anreiz Worte oder Sätze oder religiöse
Dichtungen geboten, nachdem der Versuchsleiter bei ihnen zuvor
die rechte seelische Disposition zu erreichen sich bemühte.
Einige Reizsätze lauten: „Mein Glaube ist der Sieg, der die Welt
überwunden hat"; ,,Aus Gnaden allein bin ich erlöst"; „Der
Mensch vermag es, sich Gott zu entziehen"; „Ich will dir nicht
dienen." Über solche Sätze meditiert, wenn auch in Sekundenschnelle
, die Versuchsperson und macht dann ihre protokollarische
Aussage, unter der sehr einleuchtenden, oft wiederkehrenden
Versicherung, daß man aus dem Experiment seelisch bereichert
herausgegangen sei, was der Psychologe mit der Kategorie
der Neuwertung wohlbegreiflich machen kann. Was hier vorgeht
, sagt im Grunde am deutlichsten Gruehn selbst: „Bemerkenswert
ist Leitners Feststellung, daß der Versuchssatz in der
Versuchsstunde bei echten Bekehrungen eine ähnliche Stellung
einnimmt wie die Predigt (!). Eine Bestätigung meiner früheren
Beobachtungen" (73). Die aus der christlichen Heils- oder Sünden
- oder Menschenkenntnis geschöpfte Predigt der Reizsätze
wird meditiert, wobei wohldisponierte Theologen gewiß beachtliche
Zeitrekorde aufstellen können, besonders, wenn man die
Leistungsfähigkeit des Unterbewußtseins mitbedenkt. U. E. berühren
sich hier die beiden Forschungsrichtungen. Die wissenschaftlichen
Gegner Gruehns könnten schlagfertig antworten:
Deine Methode beweist die Wirkung des Numinosen im klassischen
Dokument der Glaubens- und Frömmigkeitsgeschichte, der
wir uns zugewandt hatten! Man mag noch so ausschließlich die
heute Lebenden befragen, — arbeitet man dabei mit Wort und
Wirkung des klassischen Dokumentes, so hat man die gesamte
Vorarbeit der Verketzerten grundsätzlich aufgenommen! Lebt
man aber voneinander, sollte man sich auch gegenseitig achten!

Diese kritischen Bemerkungen waren nötig, dürfen aber
vom Studium des Werkes nicht abschrecken, das die volle Aufmerksamkeit
der Theoretiker und Praktiker verdienen dürfte.
Wir jedenfalls nehmen mit mehr Dank als Verärgerung von der
Beschäftigung Abschied.

Rostock O. Holtz

Künkel, Fritz. Dr. med.: Ringen um Reife. Eine Untersuchung über
Psychologie, Religion und Selbsterziehung. Titel der amerikanischen
Ausgabe: In Search of Maturity, übers, v. G. Timmer unter Mitarb.
v. L. Saatmann. Konstanz: Bahn [1955]. 212 S., 7 Abb. gr. 8°. Lw.
DM 10.80.

Kurz bevor die Nachricht von Dr. Fritz Künkels Tod uns
erreicht hat, ist sein neues Buch „Ringen um Reife" in deutscher
Ausgabe erschienen. Dr. Künkel war vor 1933 als Nervenarzt
und Charakterologe in Deutschland bekannt geworden durch eine
Reihe von Bänden, in denen er als Schüler Adlers, aber auf eigene
Weise, Charakterkunde und Charakterheilkunde so hilfreich darlegte
, daß mancher bekannte, er müsse jährlich eine gewisse Zeit
..künkeln", d.h. Künkel lesen. Vor 1933 weigerte sich Künkel
noch, öffentlich zu gestehen, ob er ev. Christ sei oder Idealist.
In der Emigration (USA) hat er sich zur Erkenntnis des ev. Glaubens
durchgerungen. Das vorliegende Buch vereinigt die Lebens-
reife des erfahrenen Arztes, durch die Tiefenpsychologie Jungs
erweitert, mit der Erkenntnis des ev. Glaubens, den Künkel nunmehr
offen bekennt.

Der 1. Teil schildert „die historische Situation": Religion
ohne Psychologie — Psychologie ohne Religion — Zusammenarbeit
von Religion und Psychologie (mit „Religion" meint er,
amerikanischem Sprachgebrauch folgend, den christlichen Glauben
). Der 2. Teil bietet den „Abriß einer religiösen Psychologie"
(die Macht — das Ich — die Bilder — die Desintegration — das negative
Leben — die Idolatrie — bewußtes Wachstum). Der 3. Teil
handelt von der „Tiefenpsychologie in der Selbsterziehung".

Künkel ist dialektischer Denker, der mit Gegensätzen arbeitet
, die er als polar erweist. Durch beide Pole gewinnt das Leben
seine Spannung; zwischen beiden Polen springt der schöpferische
Funke über. Im Blick auf Gott verhält er sich „nonisch",
d.h. er vermeidet die unmittelbare Aussage: „Unsere Methode
besteht darin, daß Negative zu erörtern und das Positive
vorauszusetzen" (35). Er führt über die bisherigen psychologischen
Einsichten hinaus, indem er den Begriff „das Unbewußte
der Zukunft" einführt (36), den er dem Historischen als
dem Unbewußten der Vergangenheit entgegensetzt. Frei von jeglichem
Wissenschaftsdogmatismus erklärt er: „alle unsere Begriffe
jedoch erheben nicht den Anspruch, das letzte Wort oder
die entscheidende wissenschaftliche Wahrheit zu sein. Sie sind
Mittel zur Orientierung ähnlich einer Landkarte" (37).

Für den Theologen als Seelsorger — diesem vor allem tut
das Buch neue Sichten auf — ist Künkels Erkenntnis bedeutsam:
er könne seinen Beichtkindern nur soweit helfen, als er sich selbst
konkret hat helfen lassen (27). Deshalb, so folgert er, „müssen
wir Fachgelehrte der Sünde, der Finsternis und des Leides werden.
Wir brauchen ein Mikroskop für die Mikroben der Finsternis"
(27). Als Einzelsatz klingt diese Aussage manchem schauerlich.
Was Künkel aber aus reicher Erfahrung darlegt, stimmt sehr nachdenklich
und wird jeden praktischen Theologen alarmieren. Er
möchte der „heidnischen Tiefenpsychologie" eine entsprechende
..religiös ausgerichtete Psychologie" entgegensetzen (27). In diesem
Zusammenhang erweist sich als überaus hilfreich Künkels
Begriff des „Theologismus". Damit bezeichnet er jene weit verbreitete
Haltung, die weltlich-menschlichen Bezüge nicht ernst zu
nehmen und gleich mit göttlichen Aussagen zu arbeiten (I2'l3).

Es ist selbstverständlich, daß jeder Leser auf seine Weise
kritische Fragen erheben wird. Zuerst aber ist er selbst gefragt.
i>° tritt er mit dem Buch in ein fruchtbares Zwiegespräch ein, wie
es ihm wenige Bücher unserer Zeit ermöglichen. Zur Ausdrucksweise
des Buches ist zu bemerken: obwohl es deutsch geschrieben
,st. müssen auch die deutschen Aussagen vom angelsächsischamerikanischen
Hintergrund verstanden werden („Religion" und
auch „Psychologie" haben im Englischen einen anderen umfassenderen
Sinn als im Deutschen). Das Buch bietet einen wertvollen
Beitrag zum Gespräch zwischen Arzt und Seelsorger, an dem jeder
teilnehmen sollte, der Menschen zu dienen hat. Künkel schreibt
weder in der Ausdrucksweise der Fachwissenschaft noch in der
des Journalismus; er spricht verständlich, anschaulich, bietet Beispiele
aus dem Leben. Mancher deutsche Leser läuft allerdings
Gefahr, über der Klarheit des Ausdrucks die Wahrheit der Aussage
zu überhören. Bis in den Stil hinein ist das Buch selbst durch
Reife geprägt.

Künzelsau Friso Melzer

KIRCHEN RECHT

F u c h s, Josef, S.J.: Lex Naturae. Zur Theologie des Naturrechts. Düsseldorf
: Patmos-Verlag 1955. 1 89 S. 8°. Lw. DM 10.50.

Der gelehrte, auch im Schrifttum evangelischer Theologen
und Rechtstheoretiker wohl bewanderte Autor hat die eigene
Position scharf und klar zum Ausdruck gebracht, dabei fremde
Ansichten unverzerrt dargestellt und sich ihren Anliegen gegenüber
um Gerechtigkeit bemüht. Durch seine Schriften zum Problem
der sog. „Situationsethik" hat er bereits vor einigen Jahren
die Diskussion um eine theologische Begründung des Rechts gefördert
. Er legt in diesem neuen Werk eine gründliche, vielseitig
orientierte, aber auf eindeutiger dogmatischer Grundlage erarbeitete
Übersicht des Problemstandes vor und formuliert die Ergebnisse
eigenen, weit ausgreifenden, aber disziplinierten Denkens.
Niemand wird den scharfsinnigen Überlegungen ohne Gewinn
folgen und, auch wo er dissentiert, den hohen Rang dieser theologisch
-philosophischen Arbeit verkennen.