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Ausgabe:

1957 Nr. 11

Spalte:

874-876

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bettray, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Akkomodationsmethode des P. Matteo Ricci S. J. in China 1957

Rezensent:

Rosenkranz, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 11

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über). Der Jungverheiratete geht weithin der kirchlichen Mitarbeit verloren
, meist aus Mangel an Zeit. Eine instruktive Kennzeichnung de»
katholischen Laienführers schließt sich an, auf die ein besonderer Hinweis
gerechtfertigt sein wird.

Uns scheint Teil I der wichtigste zu sein. Aber auch Teil II
(„Gesellschaftliche Entsprechungen des religiösen Lebens") und Teil III
(„Gesellschaftliche Beziehungen und Strukturen") behandeln wichtige
Themen, aus deren Gesamtzahl wir auswählen: Die kirchliche Pflichttreue
der Jugendlichen wird durch Einflußnahme der höheren Schulen
miterklärt. Im späteren Leben hält sich der Alleinstehende treuer als
der Verheiratete zur Kirche. Die ernstesten religiösen Probleme stellen
sich im Alter von 30—39 Jahren ein (Geburtenbeschränkung schließt
vom Sakramentsempfang aus!). In der schlechten Kommunikantenziffer
der über 60 Jahre Alten sollen sich noch die Gewohnheiten zu Beginn
des Jahrhunderts auswirken (erst seit 1905 wurde auf monatliche und
wöchentliche Kommunion gedrängt). Auch in der katholischen Kirche
sind die Frauen aktiver als die Männer. Da die Amerikaner das beweglichste
Volk der Erde sind (ausgenommen Nomaden und Wanderarbeiter
), lag eine Untersuchung über die Beziehungen zwischen Kirchlichkeit
und häufigem Wohnungswechsel nahe. Das Ergebnis hier lautet:
„Für die religiösen Übungen können wir im (häufigen) Wohnungswechsel
keinen bedeutenden Faktor finden"; oft sind die Angehörigen der
„unteren" Schichten, die am meisten umziehen, die besten Katholiken.
Die Rolle der Jugendlichen ist besonders stark durch Leitbilder bestimmt
, denen mehr unbewußt als bewußt gefolgt wird (Flirt, Bandendasein
). „Sie lassen sich zu Sportunternehmungen bewegen, aber nicht
zu religiösen oder geistigen Betätigungen." Ihre Rolle sei schwierig in
einer Gesellschaft, „in der sie gesellschaftlich nicht geachtet und auch
nicht wirklich benötigt werden". Die Pfarrorganisationen, die kanonischen
Status haben und alle unter der Autorität des Pfarrers stehen,
leiden durchweg unter dem Mangel an aktiven Mitarbeitern. „In jedci
Pfarrei gibt es nur eine Handvoll Laien, die die ganze Arbeit tun."
Cliquenwirtschaft droht. Ein Haupthindernis für neue kirchlich-gesellschaftliche
Entfaltung sei das traditionelle Verhältnis von Priester und
Volk. „Das Prinzip der Selbstführung und der Laienverantwortung,
das der modernen Auffassung vom Laienapostolat zugrunde liegt, steht
im Widerspruch zu dieser Tradition." Symptomatisch ist offenbar die
Anziehungskraft überpfarrlicher Organisationen auf aktive Laien.
Interessengruppen gehen sogar über die Bistumsgrenze hinweg, als
„dritte Orden", von denen eifrige Pfarrer sagen, daß sie ihnen die
Aktivsten entzögen. Das leitet zur Kritik des Pfarrsysterrts in der modernen
Stadt über. „In einer Stadt bleibt die Pfarrkirche der Ort der
religiösen Handlungen, aber das Muster der Pfarrbeziehungen nimmt
neue Kennzeichen auf." Obwohl das Trienter Konzil das Pfarrsystem
sanktioniert hat, worin der CJC ihm gefolgt ist, und obwohl es verwegen
wäre, das Ende der Territorialpfarrei zu weissagen, fordert doch
die Neuformung der amerikanischen Gesellschaft die Kritik an der
kirchlichen Grundorganisation heraus. „Es ist begreiflich, daß unsere
verstädterte industrialisierte Gesellschaft, die einzigartig in der Weltgeschichte
ist, auch eine einzigartige Neugliederung der religiösen Formen
und Institutionen verlangt." Die Neuformung scheint in Richtung
auf überpfarrliche Betätigung zu gehen. „Städtische Pfarrangehörige
scheinen ihre geistlichen und gesellschaftlichen Anliegen lieber in Gliederungen
ihrer eigenen Wahl als innerhalb der Pfarransammlung, zu
der sie kraft ihres Wohnsitzes .gehören', zu befriedigen. ... In mehr
technischer Hinsicht ist eine Vervielfältigung der bescheidenen Stadt-
Icapellen zu verzeichnen, um die sich kleine Gruppen scharen und in
denen das Verhältnis zwischen Priester und Volk sich enger und weniger
förmlich gestaltet." Nachdem die katholische Kirche ihre Jugendzeit
in Amerika erfolgreich hinter sich gebracht hätte, „indem sie sich
in einer ihr fremden protestantischen Kultur festsetzte", müsse sie
jetzt um neue Organisationsformen ringen, um in der „fließendsten und
dynamisohsten Gesellschaft, die die Welt je gesehen hat", ihre Sendung
zu erfüllen.

Rückblickend auf das Ganze möchten wir urteilen, daß der
Hauptakzent nicht auf der Morphologie eines sehr kleinen stadtkirchlichen
Territoriums im Süden der USA liegt, sondern auf
brennenden Gegenwartsfragen der Kirchen in aller Welt, wo
immer das Problem der Verstädterung und Vermassung andrängt.
Daß uns ein wertvolles Muster der streng auf das empirische Leben
ausgerichteten amerikanischen religionssoziologischen Forschung
so gut zugänglich gemacht ist, ist in hohem Grade dankenswert
.

Rostodt - G. Hoitz

Edmaier, Alois: Ist unsere christliche Sozialordnung nur kulturbedingt
?

Trierer Theologisohe Zeitschrift 66, 1957 S. 152—162.
Kitagawa, Joseph M.: Bibliography of Joachim Wach (1922—55).

The Journal of Religion XXXVII, 1957 S. 185—188.
— Joachim Wach and Sociology of Religion.

The Journal of Religion XXXVII, 1957 S. 174—184.

MISSIONSWISSENSCHAFT

B e 11 r a y, Johannes, P. S. V, D.: Die Akkommodationsmcthode des
P. Matteo Ricci S.L in China. Rom: Pontificia Universitas Gregori-
ana 1955. IL, 411 S. gr. 8° = Analecta Gregoriana Vol. LXXVI.
Series Facultatis Missiologicae Sectio B (n. 1)

Die missionarische Tätigkeit Riccis in China verläuft auf
zwei Linien, deren Dynamik auch dann spürbar bleibt, wenn man
sie, wie der Verf. es tut, als „Methode" behandelt. Die eine
Linie ist seine Anpassung an chinesisches Leben und Wesen, die
andere seine Übermittlung europäischen Geistesgutes an China.
Beides war uns bekannt, jedoch nicht in der Fülle der Einzelheiten
, die Bettray in gründlicher Ausschöpfung primärer und sekundärer
Quellen, auch bisher ungedruckten Materials, vor uns
ausbreitet. Seine Akribie ermüdet gelegentlich den Leser; aber
es ersteht vor uns das imposante Bild des Jesuitenmissionars, in
dessen Wirksamkeit Leben und Methode eins waren, und der in
dieser Geschlossenheit, unter größten persönlichen Opfern, Erstaunliches
geleistet hat. Bettray gibt eine knappe, auf neuesten
Forschungsergebnissen beruhende Darstellung von „Leben und
Tugenden des P. Matteo Ricci" im Eingangskapitel seines Buches.
Der Gegensatz zwischen der Akkommodation Ricciö und seiner
von Bettray als „indirekte" Missionsmethode anerkannte „Befruchtung
asiatischen Geistesgutes durch die europäische Geisteswelt
(S. 161) ist nur scheinbar. Denn einmal war Ricci, wie der
Verf. einräumt, „kein kalter Methodiker" (S. 162); er blieb auch,
wie jeder Missionar, der Kultur seines Herkunftslandes verhaftet
(ebd.). Noch mehr: der Verf. betont nachdrücklich, es sei „im
Wesen der katholischen Mission begründet, daß sie Kulturträgerin
und Kulturbringerin ersten Ranges ist" (ebd.). Daraus folgert
er: „Wenn manRicci einen klassischen Vertreter derAkkommoda-
tionsmethode nennen kann, so steht das durchaus nicht im Widerspruch
mit seiner Methode der Einführung europäischen Wissens
und Wesens. Und schließlich möchten wir sagen: Methode ist
eben nur Methode!" (S. 163). Demgegenüber bekennt sich Bettray
zu dem Satz seines Confraters Dr. Joh. Thauren (in „Die Akkomodation
im katholischen Heidenapostolat", 1927, S. 85): „Worauf
schließlich doch alles ankommt, ist nicht das System, sondern
der Erfolg."

Der Arbeit Thaurens hat Bettray auch die Einteilung seines
Buches „in die 6 Abschnitte der äußeren, sprachlichen, ästhetischen
, sozialrechtlichen, intellektuellen und religiösen Akkommodation
" entnommen (S. VI). Sie gibt ihm Gelegenheit, auf jedem
Akkommodationsgebiet die entsprechenden Bemühungen und Erfolge
Riccis mit vorbildlicher Exaktheit darzustellen. Er zeigt,
um nur einige Beispiele zu nennen, wie Ricci seine äußere Akkommodation
an das buddhistische Bonzentum sofort aufgab, als er
wahrnahm, daß sie seiner Arbeit zuwider war, und fortan in der
von ihm als erfolgversprechend erkannten Weise der konfuzianischen
Literati auftrat; daß er ferner mit Ernst um eine angemessene
sprachliche Akkommodation gerungen, für die „Verwendung
heimischer Kunstelemente" aber kein Verständnis gehabt hat
(S. 50). Die Zuordnung der beiden oben erwähnten Verhaltensweisen
Riccis zueinander erfolgt in dem Abschnitt über „intellektuelle
Akkommodation" (S. 161 ff.). Den größten Raum widmet
Bettray der „religiösen Akkommodation" (S. 235-382).

Gegen diese Aufteilung sind Bedenken zu äußern. Es ist in
unserem Zusammenhang nicht entscheidend, daß das komplexe
Handeln des Missionars durch sie unzulässig zergliedert wird.
Dagegen hat Bettrays gesonderte Behandlung der religiösen
Akkommodation Riccis und die damit verbundene Isolierung des
Religiösen gegenüber den übrigen Lebensgebieten des chinesischen
Menschen schwerwiegende theologische Folgen. Daß jede Religion
als ein Ganzes den gesamten äußeren und inneren Bereich
des Volkes durchdringt, in dem sie herrscht - diese Erkenntnis
konnte Ricci nicht in der Klarheit haben, wie sie die moderne
Religionswissenschaft besitzt; der Verf. aber — das gilt nicht als
Kritik seiner historischen Darstellung, sondern seines Bekenntnisses
zur Akkommodationsmethode Riccis — müßte sie haben.
Zudem hat Ricci, was ihr zugrunde liegt, dem Buddhismus und
Taoismus gegenüber zum mindesten gespürt und beide Religionen
kompromißlos abgelehnt. Zum Konfuzianismus hat er sich an-