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Ausgabe:

1957

Spalte:

868-871

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Wendland, Heinz-Dietrich

Titel/Untertitel:

Die Kirche in der modernen Gesellschaft 1957

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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867

Theologisdie Literaturzeitung 1957 Nr. 11

868

dung Gottes und Christi möglich, ist absolut unhaltbar, weil sie an
dem Theologumenon vom präexistenten Christus stillschweigend vorbeigeht
. Der Präexistente wird wohl in der Gestalt des Inkarnierten
dargestellt, weil wir ihn nur „nach dem Fleisch" kennen, aber er wird,
außer in den von R. selbst genannten Trinitätsdarstellungen einsichtig
von Gott-Vater geschieden. In dem Zusammenhang sei auch erwähnt,
daß das Bilderverbot der Lutheraner, das S. 6 berichtet wird, nie existierte
, daß die Commendatio animae weder im 2. Jhdt. noch von St.
Cyprian von Antiochia (S. 127 und 394) redigiert wurde (Cyprian
lebte im späten 3. Jhdt. und soll Märtyrer der diocletianischen Verfolgung
gewesen sein, unter seinem Namen gehen Gebete, die ähnliches
enthalten wie die Commendatio animae, aber viel weitschweifiger
sind, die sog. Pseudo-cyprianischen Gebete; wann die Commendatio
animae redigiert wurde, ist eine offene Frage), daß bei Jcsaja doch wohl
ein Wort über den Gottesknecht und bei Jeremia etwas über den Neuen
Bund zu sagen wäre (zu S. 366 und 370) und daß schließlich Sem nicht
der einzige war, der einer Rasse seinen Namen gegeben hat (S. 115),
sondern auch die Bezeichnungen Hamiten und Japhetiten üblich sind.

Ein Letztes noch: Ist in einem Handbuch der Ikonographie
eigentlich eine Mythenkritik am Platze? Sie wirkt hier oft peinlich
rationalistisch! Was soll bei der Behandlung des Sechstage-
Werkes (S. 66) die Anführung von Erklärungsversuchen, wie sie
auf dem Boden der Zeugen Jehovas gewachsen sind? Wie soll
man die Sintflut als außerordentliche Überschwemmung Mesopotamiens
verstehen, wenn Sinflutsagen überall in der Welt vorkommen
(S. 106)? Grotesk aber ist die Frage auf S. 130, wo
Gottes Ehrlichkeit in Frage gestellt wird, weil er Abraham Nachkommen
so zahlreich wie die Sterne des Himmels und der Sand
am Meer verheißen und ihm doch nur einen legitimen und einen
illegitimen Sohn geschenkt habe! Sieht R. nicht, daß es sich hier
um eine Sage über den Ursprung des Volkes Israel handelt, für
das die Bezeichnungen wohl übertrieben, aber doch kaum allzu
falsch sind? Was R. hier als christlichen Erklärungsversuch anführt
(Nachkommen Abrahams im Geiste), geht doch erst über
die Auffassung von den Christen als dem wahren Israel auf die
jüdische Stammessage zurück. Diese drei Beispiele mögen genügen
.

Die Listen der Ausstellungen sind 6ehr lang geworden. Wir
hätten sie uns sparen können, handelte es sich nicht um ein Werk,
das sicher auf lange Zeit hinaus nicht ersetzt werden wird und
kann. Deshalb wünschten wir uns einwandfreiere Behandlung.
Vielleicht kann dem Gesamtwerk am Schluß ein berichtigender
und ergänzender Nachtrag beigefügt werden, in dem wenigstens
das Wichtigste berücksichtigt wird, was zu monieren war. Außerdem
sollen diese Hinweise dem Benutzer helfen — denn trotz der
Kritik muß das Werk auch in dem nunmehr vorliegenden ersten
Halbbande des zweiten Bandes warm empfohlen werden. Hier
konnte nur das Mangelnde erwähnt werden — in einer Rezension
kommen nur zu leicht die positiven Seiten eines Werkes zu
kurz. Wer zum Reau greift, wird kaum je im Stich gelassen werden
. Als Arbeitsmaterial ist das Buch ausgezeichnet, vor allem
auch wieder durch seine reichen Literaturhinweise. Jeder, der
sich überhaupt mit Ikonographie beschäftigt, wird den Reau
immer wieder mit Vorteil benutzen müssen und können.

Greifswald-Berlin Klaus Wessel

Putscher, Marielene: Raphaels Sixtinische Madonna, Das Werk und
seine Wirkung. Tübingen: Hopfer [1955]. VII, 347 S., 12 Textabb.,
72 Abb. a. Taf. gr. 8°. Lw. DM 3 5.-.

Der Laie, der heute in der Dresdener Galerie vor Raphaels
Sixtinischer Madonna steht, weiß von dem legendären Ruhm
dieses Bildes, das nun auch er pflichtschuldigst bewundert. Bestenfalls
ist er von der feierlichen Hoheit des Werkes in einer unbestimmten
V/eise ergriffen, Form und Gehalt aber vermag er
ohne Vorbereitung in einem tieferen Sinn nicht zu begreifen. Er
ahnt nichts von den Voraussetzungen der Entstehung, den allgemeinen
der italienischen Malerei und den besonderen, im Entwicklungsgang
und im Künstlerrum Raphaels begründeten. Nur
solche Kenntnis würde ihm die Augen wirklich öffnen. Aus dem
vorliegenden Buch vermag er sie in der umfassendsten Weise zu
gewinnen, das darüber hinaus noch auf eine Fülle weiterer Fragen
eingeht, die zwar für das Verständnis des Werkes ohne Belang
6ind, die aber seinen gewaltigen Widerhall erkennen lassen.

Ein erstes Kapitel ist der Klärung der Entstehung der Six-
tina gewidmet, die höchstwahrscheinlich im Auftrag Papst Julius
II. 1512/13 gemalt wurde. Sie wird als Teil eines großen
Ganzen, der Kirche des hl. Sixtus in Piacenza, erwiesen. Sodann
wird die Frage der Datierung im Zusammenhang mit den übrigen
Werken aus Raphaels erster römischer Periode sowie die Technik
des Bildes genau geprüft, deren Besonderheit darin besteht, die
Wirkungsmöglichkeiten des Freskos mit den Eigenschaften des
Tafelbildes zu verbinden. Im zweiten Kapitel sind von großem
Wert die Bemerkungen über die Ikonographie der Sixtina. Sie
ist an ihrem Ort in der Kirche als Ganzes eine Vision, kein Madonnenbild
im üblichen Sinn, sondern eine Epiphanie Christi,
entsprechend der dem Text der Meßliturgie des Epiphaniasfestes
zugrunde gelegten Jesaias-Stelle. Ein drittes Kapitel beschäftigt
sich mit den Vorzeichnungen zur Sixtina und ihrer Chronologie,
eine Untersuchung, die erkennen läßt, welche Vorstufen künstlerischer
Mühen von Raphael überwunden werden mußten, bis
das scheinbar so mühelos geschaffene Meisterwerk dastand. Ein
viertes Kapitel berichtet von den Schicksalen der Sixtina und ihrer
Wirkung im Bereiche der bildenden Kunst (Runges „Morgen"
als Übersetzung der Sixtina), ein fünftes von ihrer Wirkung im
Bereiche der Literatur (Schlußszene von Goethes „Faust", R. A.
Schröders Sonette). Es folgt der Abbildungsteil. In einem Exkurs
sind zur Entlastung des Textes Einzelfragen mit entsprechenden
Belegen genauer ausgeführt, und ein Anhang enthält u. a. eine
Übersicht der Literatur zur Sixtina in chronologischer und alphabetischer
Folge.

Während der Entstehung des Buches war die Rückkehr der
Sixtina nach Dresden noch nicht vorauszusehen. Die inzwischen
erfolgte Rückkehr hat ihm eine besondere Aktualität verliehen
als erstaunlich vielseitige Zusammenfassung alles derzeitigen
Wissens um das berühmte Bild zu Beginn eines neuen Abschnittes
seiner Geschichte. Naturgemäß hat die Verfasserin die Erkenntnisse
namentlich der deutschen Kunstwissenschaft weitgehend
verarbeitet, aber sie hat auch manche eigenen Forschungsergebnisse
beitragen können, die besonders in den Anmerkungen enthalten
sind. Ein starkes Licht fällt auf die Künstlerpersönlichkeit Raphaels
überhaupt und auf die Situation der italienischen Malerei seiner
Zeit. Höchst aufschlußreich ist auch der kritische Vergleich
sehr verschiedener Meinungen, die den ästhetischen Eindruck der
Sixtina wiedergeben oder ihr ästhetisches Verhältnis zum Kirchenraum
betreffen; wird dabei doch deutlich, ein wie geringes
Maß objektiver Gültigkeit sie oft besitzen. Allerdings kann man
sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, als ob hier mitunter des
Guten etwas zuviel getan sei. Der Text ist nicht immer leicht
lesbar und man merkt ihm an, daß die ursprüngliche Konzeption
im Laufe der Jahre ständig erweitert und bereichert worden ist.

Der Laie wird dankbar sein, daß ihm hier ein neuer Schlüssel
für da6 Verständnis der Sixtina in die Hand gegeben wurde, so
daß er den einzelnen Strahlen nachgehen kann, die in diesem
Brennpunkt zusammenlaufen, und der Fachmann wird die aufgewandte
Mühe hoch anerkennen, die ihm hier gesammelt bietet
, was er sich sonst aus vielen Publikationen umständlich zusammensuchen
müßte. Fügen wir hinzu, daß, über alle spezielle
Thematik hinaus, diese umfassende Untersuchung ein Stück
europäischer Geistesgeschichte widerspiegelt.

Leipzig Johannes Ja h n

RELIGIONSSOZIOLOGIE

Wendland, Heinz-Dietrich, Prof. D.: Die Kirche in der modernen
Gesellschaft. Entscheidungsfragen für das kirchliche Handeln im Zeitalter
der Massenwelt. Hamburg: Furche-Verlag [1956]. 247 S. 8° =-
Soziale Wirklichkeit. Soziologische und sozialethische Studien zur
Gegenwart Bd. 2. Lw. DM 14.80.

Im ganzen stellt sich dieses Buch dar als ein Appell an die
evangelische Theologie und Kirche, ihre Sozialethik den Gegebenheiten
der heutigen veränderten Sozialstruktur anzupassen.
Bis zuletzt hält das Buch in einem stellenweise geradezu paräne-
tischen Stil die Entscheidungsfragen durch, „ob sie (die christliche
Gemeinde unserer Zeit) sich an und in der Masse als Gemeinde
des Herrn, als Leib Christi, als Bruderschaft im Heiligen
Geist und der Liebe bewähren wird oder nicht; ob 6ie endgültig
zum Konventikel bürgerlicher Mittelschichten absinken wird ohne