Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 11

Spalte:

856-858

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hollweg, Walter

Titel/Untertitel:

Heinrich Bullingers Hausbuch 1957

Rezensent:

Mülhaupt, Erwin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

855

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 11

856

der scholastischen Theologie befragt wird, so muß er hier nach
den loci der protestantischen orthodoxen Dogmatik Rede und
Antwort stehen. Augustin wird untersucht nach seinen Äußerungen
über das Verhältnis von Schrift und Wort Gottes, über Inspiration
, Autorität, Klarheit, Genügsamkeit und Notwendigkeit
der Schrift. Die Schrift als Wort von Christus ist für den reifen
Augustin der unentbehrliche Führer ins jenseitige Vaterland. Dieses
Wort Gottes wird wirksam als Verkündigung. Für Augustin
habe die Predigt den zentralen Platz im Gottesdienst. „Wir hoffen
im folgenden zu beweisen, daß Augustin diesem Platz des
Wortes Gottes als Predigt volle Aufmerksamkeit widmete, und so
zu Recht der Schöpfer der Lehre vom Worte Gottes genannt
werden kann" (S. 129). Gott selbst ist im Wort des Predigers
anwesend und spricht durch das verkündigte Wort. Der himmlische
Lehrer schenkt der mündigen Gemeinde, die scharf darauf
achten muß, ob das Evangelium wirklich verkündigt wird, das
geistliche Verstehen durch die geöffnete Bibel (S. 144. 163). In
der Predigt tritt die Instanz des Wortes Gottes auf, durch das
alle scheinbar neuplatonischen Begriffe verändert und verchrist-
licht werden. — Es folgen Untersuchungen über das Verhältnis
von Wort Gottes und Kirche. Das Kriterium der Kanonizität der
heiligen Schriften ist nicht das kirchliche Lehramt, sondern die
Autopistie der Schrift. Sie macht sich selbst zum Kanon. Die Kirche
ist creatura verbi und steht unter der Schrift (S. 187). In der
Besprechung der vielerörterten Stelle ep. fund. 5, 6: Ego vero
evangelio non crederem, nisi me catholicae ecclesiae commoveret
auctoritas kommt Polman zu demselben Ergebnis wie Warfield
(The Princeton Theol. Review 5, 1907, S. 537 und 539), daß die
Kirche lediglich Zeuge für die Schrift ist, analog der Bezeugung,
die auch bei profanen Autoren vorhanden ist. Lediglich in der
Annahme, daß die Kanonizität der Septuaginta durch den kirchlichen
Gebrauch seit apostolischer Zeit bestimmt sei, bereite Augustin
den späteren römischen Standpunkt vor (S. 206. 208 ff.).

Die exegetische Hauptregel Augustins 6ei die Erklärung der
dunklen Schriftstellen aus den klaren (S. 220). Die regula fidei,
nach der die Schriftauslegung 6ich zu richten hat, ruhe nicht im
Glaubensbewußtsein der Kirche, sondern sei nur eine Zusammenfassung
der klaren Schriftstellen, ein verbum abbreviatum.

Es ist nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick scheinen
mag, eine Darstellung der augustinischen Theologie mit der
Lehre vom Worte Gottes zu beginnen. Augustin hat ja von seinem
Berufe als Rhetor her von Anfang an dem Worte große Aufmerksamkeit
geschenkt und später als Bischof in und mit der
hl. Schrift gelebt. Aber der Verfasser berührt selbst die Schwierigkeiten
, die hier verborgen liegen, wenn er in der Stellung Augustins
zum Wort zwei Perioden unterscheidet — eine neuplatonische
, in der das Wort nur Anreiz und Ermahnung ist, dem
inneren Lehrer zu lauschen, und eine biblische, in der die Predigt
des Wortes als Offenbarung des Vaters einen lebenslangen Prozeß
der Rechtfertigung einleitet. Abgesehen davon, daß die
Sprachphilosophie Augustins nicht bloß vom Neuplatonismus her
zu begreifen ist, kann m. E. die Entgegensetzung einer sprachphilosophischen
und einer biblischen Auffassung des Wortes bei
Augustin nicht streng durchgeführt werden. Vielmehr bestimmt
die Sprachphilosophie auch die Deutung des biblischen Wortes
(dazu vergleiche ZKG 67, 1956, 239 ff.). Die Skepsis Augustins
gegenüber dem Wort, das eigentlich nur dazu da ist, sich um der
gemeinten Sache willen aufzuheben, bleibt. Der Verfasser deutet
das selbst im Schlußabschnitt seines Buches an, wo er sagt, daß
das Wort der Schrift in der Ewigkeit nicht mehr sein wird. Die
6prachphilosophische Grundlage unterscheidet bei allen formalen
Parallelen die Lehre Augustins vom Wort grundlegend von der
reformatorischen. Wenn Polman meint, der philosophische Bann
des Neuplatonismus werde durch die Anerkennung der Inspiration
der Schrift durchbrochen (S. 57 Anm. 126), so ist das Gegenteil
richtig. Die Inspiration ist ja gerade der direkte Kontakt mit
dem Intelligiblen, der ebenso auch im Verstehen der Schrift wieder
erfolgt. Das Verstehen als Inspiration ist mindestens ein für
Augustin ebenso wichtiges hermeneutisches Prinzip wie die Erklärung
der dunklen Schriftstellen aus den klaren. Die Gegenwart
Gottes im Worte des Predigers ist ebenfalls nicht im Sinne
des reformatorischen Wortrealismus zu deuten (S. 129), denn sie
ist ein Eingehen in die Hülle der Sinnlichkeit, die transzendiert

werden muß. Zweifel erweckt auch die Behauptung, daß die Erleuchtung
durch Christus stets an das äußere Wort der Predigt
gebunden ist (S. 165). Richtiger würde man sagen, daß diese
Erleuchtung an die Kirche gebunden ist. Ja, Augustin spielt sogar
mit dem Gedanken, daß die Kirche über die Schrift hinaus
Offenbarung empfängt (De civ. 1,26, S. 41, 18 Dombart; De
bapt. 6, 39, 76 PL 43, 221). Auch ordnet Augustin (gegen S.
222 f.) weder die Schrift der Kirche noch die Kirche der Schrift
unter. Beide stützen sich gegenseitig (vgl. dazu ZKG 67, 1956,
220).

Es ist ein Verdienst des Buches von Polman, die starke Bindung
Augustins an die Schrift mit schönen Belegstellen in niederländischer
Übersetzung deutlich vor Augen zu stellen. Der von
ihm aus Hippo nach Genf versetzte Augustin ist ernst zu nehmen
— aber es ist nicht der ganze Augustin. Dem begonnenen
Werk wünschen wir eine baldige Weiterführung.

Naumburg/Saale Rudolf Lo ren z

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATION
VND GEGENREFORMATION

Holl weg, Walter: Heinrich Bullingers Hausbuch. Eine Untersuchung
über die Anfänge der reformierten Predigtliteratur. Neukirchen
Kr. Moers: Verlag d. Buchhandl. d. Erziehungsvereins 1956. X, 458 S.,
1 Bildnis. 8° = Beiträge zur Geschichte u. Lehre der Reformierten
Kirche Bd. VIII. Kart. DM 19.50; Lw. DM 22.50.

Heinrich Bullinger gehört wie Beza und Brenz zu den wenigen
Zeitgenossen der Reformatoren, die noch tief in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts lebten und wirkten, die aber bis
zum heutigen Tage ein wenig unter dem Goethewort 6tehen
„Weh dir, daß du ein Enkel bist!" d. h. darunter leiden müssen,
daß sie kein Luther, kein Melanchthon, kein Calvin und kein
Zwingli 6ind. Es ist daher sehr erfreulich, daß, nachdem uns vor
wenigen Jahren 1949 eine ausführliche Bezabiographie durch den
Genfer Archivar P. F. Geisendorf geschenkt wurde (1949), nunmehr
Walter Hollweg uns eine überaus fleißige Bullingermonographie
vorlegt, die sich keineswegs, wie man nach dem Untertitel
vermuten könnte, bloß auf „die Anfänge reformierter Predigtliteratur
" beschränkt, sondern den großen Bereich kirchenpolitischer
und theologischer Fragen mit einbezieht, in die das
Schicksal des späteren Bullinger verwoben ist.

Der eigentliche Gegenstand des Werks sind die 5 Dekaden,
also im ganzen 50 textlosen Predigten, die Bullinger von 1549 bis
1551 hat erscheinen lassen und denen erst Johannes Haller, der
sie 15 58 vom Lateinischen ins Deutsche übersetzte, den Namen
„Hausbuch" gegeben hat (S. 72). Bullinger selber wollte sein
Werk offenbar nicht in erster Linie als Predigtbuch, sondern, wie
er selber sagt (S. 24), als eine Art „loci communes", also als eine
Art Laiendogmatik, verstanden wissen. Mit diesem dogmatischen
Charakter des Buches hängt es zusammen, wenn es in den theologischen
Auseinandersetzungen der Folgezeit eine erhebliche Rolle
spielte, der W. Hollweg im einzelnen nachgeht.

Nach einer Einleitung über die bis 1549 im reformierten Bereich
erschienene Predigtliteratur und über Bullingers Persönlichkeit
und Predigt im allgemeinen handelt der erste Hauptteil des
Buchs (S. 24—191) von der Verbreitung des Buchs in den verschiedenen
Ländern Europas, insbesondere in Holland und England
. Jeder Kundige wird gerade in diesem Abschnitt den Fleiß
und die Findigkeit bewundern, mit der Hollweg von überall her
die Zeugnisse über die Nachdrucke und die Nachwirkungen des
„Hausbuchs" zusammengebracht hat. Es beleuchtet in der Tat die
Bedeutung des „Hausbuchs", wenn er z. B. nachweist, daß es im
16. und 17. Jahrhundert zum eisernen Bestand der Schiffsbibliotheken
der Ostindi6chen Kompanie gehörte (S. 99—110) oder
daß der energische sowohl puritaner- wie romfeindliche Erzbischof
Whitgift anno 1586 an alle anglikanischen Prediger die Weisung
ergehen ließ, sie sollten jede Woche eine Predigt aus Bullingers
„Hausbuch" für sich lesen und den Hauptinhalt derselben zu Papier
bringen, um sich im Predigen zu üben (S. 166 f.) oder daß
der „Consensus ministerii Bremensis ecclesiae" d. h. die grundlegende
reformierte Bekenntnisschrift Bremens von 1595 aus-