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Ausgabe:

1957 Nr. 11

Spalte:

844-845

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pettazzoni, Raffaele

Titel/Untertitel:

Essays on the history of religions 1957

Rezensent:

Edsman, Carl-Martin

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 11

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Darstellung habe Beziehungen zum Götterkomos, der aus dem
agonitischen Komos abzuleiten sei. Die gefesselten Kentauren
späterer Darstellungen seien wohl auf ein Bild des Apelles zurückzuführen
, das Alexander d. Gr. als Herakles und Kallinikos
auf einem Wagen zeigte, der von gefesselten Kentauren gezogen
wurde. Die Fülle der herangezogenen Kunstwerke, die sorgfältige
Interpretation literarischer Quellen und die überaus sorgsame
Durcharbeitung des Problems machen die kleine Studie zu einem
vorbildlichen ikonographischen Meisterwerk.

W.-H. Schuchhardt steuerte einen Beitrag über
„Köpfe des strengen Stiles" bei (S. 59—73). Von dem Kopf
Nr. 388A des Museo Chiaramonti ausgehend, ordnet er auf
Grund der eigenartigen Frisur andere Köpfe zusammen und zieht
auch Bronzestatuetten heran, um den Kopf Chiaramonti und die
anderen Werke als Kopien nach Arbeiten eineö frühklassischen
Meisters herauszustellen. Was S. an Hand seiner Stücke bietet,
klingt überzeugend — man wird sich aber der Frage nicht erwehren
können, ob die alte und anscheinend so bewährte Methode,
aus römischen „Kopien" auf griechische Originale rückzuschließen
und diese Originale dann dem Gange der griechischen Kunstgeschichte
einzuordnen — von den daraus gezogenen Folgerungen
hier einmal ganz abzusehen —, wirklich tragfähige Ergebnisse
zeitigen kann. Dürfen wir angesichts der unbestreitbar großen
Eigenleistungen römischer Plastik wirklich so freiweg von Kopien
reden und sie als mehr oder weniger treue Nachbildungen —
meist weniger qualitätvoll als das vermutete Original — und
nicht vielmehr als freie Nachschöpfungen ansprechen? Wie weit
können wir wirklich Hellas noch aus der römischen Nach- oder
Umgestaltung erspüren? Sicherlich ist die römische Kunst ohne
Hellas so nicht denkbar, wie sie sich entwickelt hat; ebenso
sicher ist, daß berühmte Kunstwerke der Griechen von Römern
oder für Römer kopiert wurden; aber gilt das für jedes irgendwie
griechisch anmutende oder von Griechischem angeregt scheinende
Kunstwerk? Hiermit soll keinesfalls von einem Vertreter
eines Randgebietes der Archäologie die Methode der klassischen
Archäologie angezweifelt werden, aber der vom Rande her Sehende
erkennt vielleicht manchmal leichter als der im Zentrum
Stehende die Gefahr der Überspitzung bzw. Überforderung und
darf darum vielleicht auch warnen oder doch fragen. Eines noch
zum Aufsatz Schuchhardts: was heißt folgendes: „Hinter der
großartigen Einfachheit des Gesichtes entwickelt sich das reiche
Geschehen am Haupt und Hinterkopf, das seinerseits kompliziert
, gegensätzlich, spannungsreich ist"? S. spricht von der Frisur
! Solchen Wortschwulst, der, genau genommen, unmögliche
Vorstellungen erweckt, sollte die Wissenschaft doch wohl lieber
vermeiden! Eine Frisur ist nun mal kein Geschehen.

E. Buschor behandelt ein grundsätzliches Problem: „Die
Natürlichkeit der Griechenplastik" (S. 75—80). Von verschiedenen
Äußerungen Goethes, die er sauber interpretiert, kommt er
zu dem Schluß, die Natürlichkeit der Griechenplastik beruhe auf
„einer gänzlich neuen Begegnung mit dem Tode", die sich bei
Phidias am klarsten zeige. Der kleine Beitrag ist zugleich ein
Hymnus auf Goethes Begegnung mit der Antike und sein tiefes
Verständnis für sie und von ihr sowie eine meisterlich knappe
Darlegung des Besonderen griechischer Kunst.

Skizzenhaft umreißt W. Andraef „Das Werden der Bauformen
" (S. 81—86). Aus seiner reichen Kenntnis altorientalischen
Materials und der Geschichte der Menschheit zeigt er die
Entstehung der heute noch grundsätzlich gültigen Raumformen,
sie zugleich deutend. Hier wünschte man sich, daß es dem Forscher
noch vergönnt gewesen wäre, diese Gedanken aus der Fülle
seiner Erfahrung heraus ausführlicher darzulegen.

Der folgende Beitrag von M. G e 1 z e r führt in andere Bereiche
der Altertumswissenschaft: „Die pragmatische Geschichtsschreibung
des Polybios" (S. 87—91). G. zeigt, daß Polybios Geschichte
nicht um ihrer selbst willen, sondern als „Lehrbuch der
Politik" schreibt und als Voraussetzung pragmatischer Geschichtsschreibung
6taatsmännische Betätigung fordert. Man darf nach
dieser klaren und überzeugenden Darstellung auf die angekündigte
Einordnung des Polybios in die nadi-thukydideische Historiographie
gespannt sein.

Anschließend behandelt G. Klaffenbach einige paläo-
graphische Probleme: „Bemerkungen zu griechischen Inschriften

(S. 93—98). Diese Fragen entziehen 6ich völlig dem Beurteilungsvermögen
des Rezensenten.

Es folgt der Beitrag von F. K r a u ß „Paestum, Basilika
Der Entwurf des Grundrisses" (S. 99—109). Es handelt sich dabei
um die Feststellung der dem Bau zugrunde liegenden Maße,
die auf kompliziertem, dem Laien in diesen Fragen keineswegs
immer zugänglichen Wegen errechnet werden anhand der Ergebnisse
der Ausgrabungen von 1951.

H. Diepolder behandelt „Eine Frauenkopfamphora von
der Agora" (S. 111—120), ein Fragment im Athener Agoramuse-
um, das neues Licht auf die Münchener Bauchamphora mit einem
Frauenkopf wirft. Mit bewährter Akribie ordnet der bedeutende
Kenner griechischer Vasen das Fragment und mit ihm die Münchener
Amphora in die Geschichte der attischen Vasenmalerei
ein.

Von besonderer Wichtigkeit erscheint der Beitrag von
H. Lenzen: „Architektur der Partherzeit in Mesopotamien
und ihre Brückenstellung zwischen der Architektur des Westens
und des Ostens" (S. 121—136). Der Überblick über das Bekanntgewordene
dieser zu Unrecht viel zu wenig beachteten
Epoche persischer Entwicklung ist höchst dankenswert, zumal er
sich nicht auf die Formgeschichte beschränkt, sondern auch di;
Bautechnik berücksichtigt. Nur zu kurz wird abschließend die
Bedeutung dieser aus einer Kulturmischung resultierenden Architektur
für die sasanidisch-islamische wie für die spätantik-abend-
ländische Welt angedeutet. Auch hier möchte man eine umfassendere
Darstellung dringend wünschen.

Den Abschluß bildet die Untersuchung von G. Bruns, die
sich auch der Arbeit der Herausgabe unterzogen hat: „Zur Frage
der Richtungsbezogenheit in den Grundrissen griechischer Kultbauten
" (S. 137—152). Sie arbeitet „zwei Arten von Richtungs-
bezogenheiten im Viereckbau" heraus, die sie beide vom Me-
garon ausgehend ansieht. Dabei wird, gleichsam am Rande als
Ergebnis gewonnen, auch neues Licht auf Fragen frühchristlicher
Architektur geworfen. Auch dieser Beitrag wird sich als überaus
wichtig und bedeutungsvoll bewähren.

Ein sehr sorgfältig erarbeitetes Register schließt sich an.
Damit rundet sich das Bild einer zwar nur im LImfange bescheidenen
, im Inhalt aber doch sehr wertvollen und dankenswerten
Festschrift, die nicht nur dem durch sie Geehrten zur Freude gereichen
wird. Die Fülle der in oft sehr kurzen, manchmal nur zu
sehr andeutenden Beiträgen enthaltenen Anregungen wird die
Archäologie und ihre Nachbargebiete noch intensiv beschäftigen
müssen. Dem Jubilar ist damit ein würdiges Denkmal gesetzt.

Hervorgehoben werden muß noch, wie außerordentlich gut
die Ausstattung des Bandes ist, angefangen von dem geschmackvollen
Einband über den ungewöhnlich schönen Druckspiegel bis
hin zu der überaus sorgfältigen und guten Bebilderung (jede Reproduktion
nach Photographie ist gesondert eingeklebt, die
Klischees sind hervorragend; nicht weniger klar und sauber sind
die dem Text eingefügten Ätzungen). Dem Verleger, der seinerseits
ein Grußwort nach dem letzten Beitrag eingefügt hat, das
von der ehrlichen Verbundenheit mit Carl Weickert zeugt, gebührt
dafür unser besonderer Dank.

Greifswald-Berlin Klaus Wessel

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Pettazzoni, Raffaele, Prof. Dr.: Essays on the History of Religi-
ons. Transl. by H.J.Rose. Leiden: Brill 1954. VII, 225 S. gr. 8° =
Studies in the History of Religions (Supplements to Numen) I. Lw.
hfl. 26.50.

Der unermüdliche Altmeister der vergleichenden Religionswissenschaft
auf italienischem Boden, R. Pettazzoni, ist einer der
wenigen jetzt lebenden Religionsforscher, der noch das ungeheuer
ausgedehnte Feld dieser Wissenschaft einigermaßen überblicken
kann. In der hier vorliegenden Arbeit hat er eine Reihe von in
verschiedenen Sprachen und Zeitschriften oder anderen Publikationen
zerstreuten Aufsätzen in verdienstlicher Weise zusammengestellt
und durch den früheren Professor der griechischen Sprache