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Ausgabe:

1957 Nr. 11

Spalte:

839-841

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kahle, Paul

Titel/Untertitel:

Opera minora 1957

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 11

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genüber, wobei er allerdings in der Hauptsache sich gegen Ansichten
wendet, von denen Schoeps selbst inzwischen abgekommen
ist31. Ich halte es für richtig, daß Fitzmyer die ebionitische Syzy-
gienlehre32 für gnostisch hält33. Stellenweise läßt die Darstellung
an Akribie wünschen; Fitzmyer sagt z.B.: „We know from the

träges, in dem der Frage nach den Beziehungen zwischen den
Männern der Qumrän-Gemeinde und den Vertretern des rabbi-
nischen Judentums nachgegangen wird. In seinem Aufsatz „Hillel
the Eider in the Light of the Dead Sea Scrolls"34 begibt 6ich
Glatzer auf ein bisher unbegangenes Gebiet. Während die litera-

New Testament that certain early Christians were referred to as I rischen und theologischen Beziehungen zwischen Werken, die

,the poor' ... it is po6sible that the name Ebionaioi grew out aus der Qumrän-Gmeinde hervorgegangen sein mögen, und sol-

of a practice of referring to the first Christians in Jerusalem as I chen des quaraitischen Judentums zahlreiche Untersuchungen ge-

,the poor', especially after ... A. D. 70. . . . It seems likely that j funden haben, stellt Glatzer die Frage nach den historischen Be-

the original use of the ward was in no way connected with a I Ziehungen um die Zeit des Jahres 30 ante. Er fragt, ob Hillel

heretical sect" (S. 210). So einfach liegen die Dinge denn doch
nicht. Anschauungen, die vor dem Jahr 70 in einem palästinensischen
Umkreis nicht als ungewöhnlich, um so weniger häretisch,
gegolten hätten, würden im zweiten Jahrhundert in einem heidenchristlichen
Umkreis mit dem Stigma der Häresie belastet worden
sein — selbst wenn es unverändert dieselben Anschauungen waren
. Dabei ist natürlich andererseits nicht außer acht zu lassen,
daß die Judenchristen des nachapostolischen Zeitalters zu einer
verschärften Beobachtung der mosaischen Gesetzesvorschriften
zurückgekehrt sein mögen, um das ihre zu ihrer Unterscheidung
von den in die Großkirche eingedrungenen Glaubenssätzen und
kultischen Gepflogenheiten zu tun. Ebensowenig darf geleugnet
werden, daß der Diaspora-Ebionitismus (vielleicht schon in transjordanischer
Umgebung im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts
) in sich Elemente aufnahm, die ihm nicht von der Ur-
gemeinde der Jesu-Jünger vermittelt worden waren.

Nahum N. G 1 a t z e r (Brandeis University) ist der Verfasser
des einzigen in dem vorliegenden Band enthaltenen Bei-

31) H. J. Schoeps: „Das gnostische Judentum in den Dead Sea
Scrolls", Zeitschr. f. Religion«- und Geistesgeschichte 6 (1954), S. 276
bis 279. Schoeps' Buch Urgemeinde — Judenchristentum — Gnosis war
noch nicht erschienen, als Fitzmyer seinen Aufsatz verfaßte.

32) Pseudo-Clementinen: Horn II xv 1—5, xvi 1—7, xvii 1—2
(GCS 42, 40-42; MPG 2, 85—88), II xxxiii 1—5 (GCS 42, 49; MPG
2, 100), III xxii 1—3, xxiii 1—4 (GCS 42, 64—65; MPG 2, 125),
XIX XX 5—9, xxii 2—9 (GCS 42, 263—265; MPG 2, 441—444); Ree III
xvi 1—8, xvii 2—5, xix 2—6 (Tüll 48/3, 174—177; MPG 1, 1290
bis 1291) etc.

Schoeps hat sich sehr scharf gegen „die Begriffsverwirrung" ausgesprochen
, die darin bestünde, „daß jemand an dem antignostischen
Charakter der Pseudoklementinen zweifeln könne" (Urgemeinde — Ju-
denchristentum — Gnosis, S. 39). Dabei gibt Sdioeps zu, daß sich bereits
im Neuen Testament „Anklänge bis zur Übernahme der Terminologie
aus der Begriffswelt der Gnosis zeigen" (S. 40) und konzediert,
daß es auch „innerhalb des ludentums eine homologe Begriffsbildung
gibt, die der Gnosis entgegenzukommen . . . scheint, in Wirklichkeit
aber mit ihr überhaupt nichts zu tun hat" (ebenda). Die Abgrenzung
der Geistesweltcn ist in diesen Sätzen wohl nicht mit endgültiger Klarheit
vollzogen worden.

Bereits im Dritten Evangelium, das in seinen Hauptzügen auf
palästinensische Quellen zurückgeht, finden wir gelegentlich Formulierungen
(wahrscheinlich vom Evangelisten geprägt), in denen ein an
gnostische Vorstellungen anklingender Unterton mitschwingt; z. B.
Lk. 11, 52: rjoare xrjv xf.cTäa rfji yvcöaecog. Dies ist ein gnostisches
Bild. Die Parallelstelle in Mt. 23, 13 sagt nichts vom „Schlüssel der Erkenntnis
". Die Vorstellung sdieint durch den Evangelisten in ein Wort
schüchteren Inhalts hineingetragen worden zu sein. Im Johannesevangelium
sind die Anklänge noch stärker. Audi das rabbinische Judentum
war gegenüber dem Eindringen fremder Gedankenprägungen nicht
immun.

33) Vgl. Wilhelm Bousset: Hauptprobleme der Gnosis (FRI.ANT
Bd. 10). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1907, S. 151—154; siehe
auch S. 197—202, 338—350.

o ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

<n> —-1-

/-K a h 1 eV^Paul: Opera Minora. Festgabe zum 21. lanuar 1956. Leiden:
Brill 1956. XVIII, 372 S., 5Taf. gr. 8°. Lw. hfl. 65.-.

Diese mit einem vorzüglichen Bilde Paul Kahles geschmückte
Festgabe zu seinem 81. Geburtstag wird eröffnet durch ein von
Matthew Black, Johannes Fück, Perez Castro und Otto Spies
unterzeichnetes Vorwort (S. VII—X), das in knapper Form einen
guten Überblick über Kahles wissenschaftliche Leistung gibt und
dabei nur Kahles Beiträge zum Verständnis der seit 1947 in der

der Ältere von den Qumränleuten gewußt haben konnte und von
ihnen beeinflußt gewesen 6ein könnte. Glatzers Argumentführung
ist der Kurt Schuberts ähnlich, wenn auch nach anderer Richtung
hin argumentiert wird.

Sämtliche Mitarbeiter dieser Anthologie nehmen Dupont-
Sommers Identifizierung der Gemeinschaft von Qumrän mit den
Essenern mehr oder weniger an35. (Schubert macht hierbei die
leise Einschränkung, daß die beiden Gruppen nicht „restlos identisch
" sein mögen.) Einige der Verfasser, einschließlich des
Herausgebers, akzeptieren auch die Ansicht, daß die Sekte sich
zum Glauben an die Wiederkunft des Lehrers der Gerechtigkeit
als Messias bekannt habe. In ihrer Stellung zu Einzelfragen gehen
die Ansichten der Mitarbeiter weit auseinander. Cullmann z. B.
nennt die Mandäer „a pre-Christian baptist movement" (S. 20,
24), während Brown zustimmend die Worte W. F. Albrights zitiert
, daß „a fifth Century date for the Mandaean sect probable"
sei (S. 284). Die Beiträge sind ausnahmslos interessant und anregend
, aber doch von verschiedenartigem Wert. Bei manchen
Autoren muß ein Mangel an Unterscheidungssinn festgestellt
werden zwischen dem „was nicht als unmöglich ausgeschlossen
werden kann" und dem „was als erwiesen gelten darf". Dies ist
im einzelnen oben hervorgehoben worden. Alle Mitarbeiter —
die vier Katholiken mit etwas größerer Zurückhaltung als die
übrigen — geben den Einfluß der Qumrän-Gemeinschaft auf die
Jesu-Jünger zu. Diesen Einfluß genau zu umschreiben, war der
Zweck der Herausgabe des Sammelbandes. Ob dies im einzelnen
gelungen ist, wird die Nachprüfung der Ergebnisse erweisen, zu
denen die Autoren gelangt sind. Eine solche Nachprüfung ist erforderlich
. So unbestreitbar die Gefolgschaft Jesu von Nazareth
in ihren Glaubensanschauungen, in ihrer Auslegung des Alten
Testaments, in ihrem Ritual und in ihrer Gemeindeordnung von
Lehrsätzen und Grundsätzen beherrscht war, die denen der
Qumrän-Sekte zumindest nahestanden, wird man wohl tun, sich
die Warnungsworte Yigael Yadins anzumerken, die in seinem
neuesten Buch36 zu lesen sind: „There is . .. a danger of misguid-
ing the lay reader if one seeks at this stage to reach dogmatic
conclusions on the exaet influence on Christianity exercised by
the teachings of the Dead Sea sect."

Eine europäische Ausgabe des Buches „The Scrolls and the
New Testament" ist in Vorbereitung37.

M) Vgl. Nahum N. Glatzer: Hillel the Eider. The Emergence of
Classical Judaism. New York: B'nai B'rith Hillel Foundation 1956.

35) Wenn ich mir im Obigen diese Terminologie nicht angeeignet
habe, soll damit nicht gesagt sein, daß ich die Theorie für unrichtig
halte. Von allen bisher vorgenommenen Versuchen einer Identifizierung
halte ich die mit den Essenern für die wahrscheinlichste. Die .Zeloten-
Theorie', von der neuerdings viel Aufheben gemacht wird, ist haltlos.

3e) Yigael Yadin: The Message of the Scrolls. London: Weidenfeld
and Nicolson 1957, auf S. 12.

37) Sie wird 19 58 im Verlag Students Christian Movement Press
in London erscheinen; der Preis wird voraussichtlich 3 5 sh. betragen.

Wüste Juda gemachten Textfunde nicht zu ihrem Recht kommen
läßt, und durch ein bei Fortlassung der Rezensionen gerade 100
Nummern umfassendes Verzeichnis der Schriften von Paul Kahle
(S. XI—XVIII). Dann folgt die Auswahl unter den „Minora"
dieser „Opera", der Art von Kahles Hauptarbeitsgebieten entsprechend
sachgemäß eingeteilt in „Hebraica" (S. 1—212) und
„Islamica" (S. 213—361). Ein von Tore Nyberg, Martin Molineuv;
und Hedwig Herold zusammengestelltes Namen-Register (S. 363
bis 372), das die Auswertung der in dem Buche beschlossenen
Stoff-Fülle wesentlich erleichtert, bildet den Beschluß.