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Ausgabe:

1957 Nr. 11

Spalte:

825-834

Autor/Hrsg.:

Leipoldt, Johannes

Titel/Untertitel:

Das ʺEvangelium der Wahrheitʺ 1957

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 11

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merkenswert, daß diese drei negativen Aussagen sich ausgerechnet
in dem Evangelium finden, das die Tradition auf den Arzt
Lukas zurückführen möchte (Kol. 4, 14)!10e Bei solcher Grundhaltung
kann es nicht wundernehmen, daß weder im NT noch
in der gesamten urchristlichen Literatur vor Ignatius und dem
Diognetbrief Jesus oder Gott als Arzt bezeichnet wird107. Der Terminus
erschien anrüchig! Dem entspricht auch das praktische Verhalten
. Wider den Pfahl im Fleisch nimmt Paulus ärztliche—gegen
den Satansengel108 ohnehin aussichtslose! — Hilfe nicht in Anspruch
(II. Kor. 12, 8), aber daß sein HerT ihn von diesem Quäler
befreien könnte, wenn er nur wollte, das ist sein unerschütterlicher
Glaube. Auch der Jakobusbrief weiß bei seinen Anordnungen
für den Krankheitsfall von keiner Heranziehung anderer Personen
als der Ältesten der Gemeinde, deren gläubiges Beten die
Heilung und Vergebung durch den Herrn erwirken wird (5, 14 ff.).
Sind im AT die Heilungsgabe bis hin zur Erweckung von Toten
(DL Reg. 4, 18 ff.)109 und mit ihr die Kenntnis des Krankheits-
ausganges — auch des ungünstigen (I. Reg. 14, 12; II. Chron.
21, 15) — den von Jahve berufenen Gottesmännern so sehr zu
eigen, daß 6elbst heidnische Herrscher sie anerkennen (II. Reg.
5, 3 ff.; 8, 8 ff.), und sind es neben solchen Persönlichkeiten überall
in der Welt bis ins 19. Jahrhundert hinein die „königlichen
Wundermänner"110, denen man sie zuerkennt, so daß etwa Philo-

1M) Zur Bezeichnung Lukas als Arzt vgl. zuletzt J. Dupont,
RB 64, 1957, S. 106, Anm. 1 gegen E. Haenchen, Die Apostelgeschichte
, Göttingen 1956, S. 71.

I07) Vgl. Jos. Ott, Der Katholik 90, 1, 1910, S. 454 flf.: Ign. ad
Eph. VII, 2 et; largo; eaxiv .... 'Itjaovs Xgioxdg 6 xvgiog r}(iä>v.
Diognet IX 6 eßovXrj&rj fj^iäg aixov fiysla&at xgo<pca naxega SiSäaxaXov
ov/jßovXov laxgöv vovv cnöic xififjv io'fav la%vv fco^v. Sollte laxgiv
in dieser Reihe ein älteres ocozijga, das auffallenderweise fehlt, ersetzt
haben?

10") Vgl. die ml'kj hbl lsht 'wlmjm b'p 'brt '1 nqmt in der Dis-
:iplinrolle von Qumrän IV 12 (M. B u r r o w s). Für Jesus sind die
Engel „stets Gottesboten, für Paulus stehen sie eher auf der entgegen
gesetzten Seite" (O. P f i s t e r, a. a. O. S. 206).

1M) Da selbst die Gebeine des Propheten einen Toten lebendig machen
können (II Reg. 13,21), will der Text doch wohl eine Erweckung,
nicht nur die Heilung eines „am Sonnenstich oder Hitzschlag erkrankten
Knaben" malen (anders L. Köhler, a. a. O. S. 41.) Die Auffassung
von Joh. 11,41 ff. als Polemik gegen den von Zeus um seiner
Totenerweckungen willen getöteten Asklepios (vgl. Dölger S. 248ff.
und vor allem Test. 109 bei Edelstein I. S. 54 auf Grund der Klage des
Hades, fieri regni iura minora sui Ovid, Fast. VI 758 Ewald-Lenz III.
2, 228; Edelst. Test. 75, S. 42, vgl. auch Aesch. Agam. 1019 ff. Weil
205, Test. 66, S. 37, behandelt II S. 46 ff.) erscheint von da aus nicht
zwingend; Jesus überbietet den Profeten des AT. Anders R e n g s -
t o r f, a. a. O. S. 18.

Zur Handauflegung als Heilungsmittel im allgemeinen vgl. O.
W e i n re i c h, a. a. O. S. 14 ff., zur Handauflegung speziell des Königs
J. B e h m, Die Handauflegung im Urchristentum nach Verwendung,
Herkunft und Bedeutung, Leipzig 1911, S. 109 ff. und M. Bloch, Les
rois thaumaturges, Straßburg 1924. Mit dem König erneuert sich ja die
Welt (vgl. M. E1 i a d e. Der Mythus der ewigen Wiederkehr, Düsseldorf
1953, S. 186 f.) und zur „neuen" Welt gehört die Überwindung
von Krankheit (und Tod).

strat analoge Taten sowohl von Vespasian als seinem Apollonios
von Tyana berichtet111: Für den Glauben des NT ist das Heilen
Privileg Jesu und seiner Jünger, nun aber in folgerichtiger Auswirkung
des für das AT Geltenden nicht als Antastung des Hei-
lungsmonopols Jahves, sondern als seine Vollstreckung. Jesu
Heilungsvollmacht besteht auch dort, wo der Engel, der das Wasser
bewegt, dem einsamen Kranken, der da stets zu spät kommt,
nicht hat helfen können (Joh. 5, 2 ff.), und sie stellt ihn auch über
seine Jünger, die im konkreten Einzelfall trotz der ihnen grundsätzlich
verliehenen Vollmacht (Matth. 10, 8 par.) sowenig haben
heilen können wie Gehasi den Knaben lebendig zu machen vermochte
, den sein Meister unmittelbar darauf erweckt (II. Reg. 4,31
: 34 ff.; Matth. 17, 16 ff.). Aber auch sie gehört analog der Legitimierung
des Gottgesandtseins der Profeten in dem von ihnen
gewirkten Wunder selbst in ihrer höchsten Gestalt als Todesüberwindung
zum Erhört- und Verklärtwerden durch den Vater
(Joh. Ii, 41 ff.; 12, 28). In der Heilung des Besessenen hat Gott
(und nicht etwa der Beelzebub oder der Satan)112 Großes an ihm
getan, und wenn der Kranke darauf in der ganzen Stadt verkündet
, wie Großes Jesus an ihm getan hat, so bedeutet das für den
Glauben des Lukas ebensowenig einen sachlichen Unterschied
(8, 39a : b) wie für den Erzähler von Jes. 38 die Gebetserhörung
des Hizkia durch Jahve und die Heilung durch seinen Profeten:

Ich (Jahve) habe dein Gebet gehört
und deine Tränen gesehen.

Siehe, ich lege deinen Tagen

noch fünfundzwanzig Jahre zu! . . .

Geeilt ist Jahve, mir (Hizkia) zu helfen!____

Und Jesaja sprach;

„Bringet her ein Feigenpflaster!" (Jes. 38, 5 .. 20 . . 21).
. Die weitere Verfolgung dieses Grundverhältnisses von göttlichem
Privileg und Wunderwirken Jesu (und der Apostel) müssen
wir uns hier versagen, wie auch das Problem der Gebetsheilungen
neben der „technischen" Medizin unserer Tage hier
nicht angerührt werden kann. Das Gesagte muß genügen, um
Wucht und Grenzen des Glaubens an die heilende Macht Gottes
unter den „weltanschaulichen" und medizinischen Voraussetzungen
des alten Israel und der Zeit Jesu wenigstens anzudeuten.
Wollte es Gott gefallen, unsern Jubilar noch lange Jahre gesund
zu erhalten! Wäre es nicht gar zu unchristlich, würde ich ihn, den
bewährten Orientalisten, auch grüßen, wie die alten Briefschreiber
einander gegrüßt haben: nSamas u ilMarduk liballituka!
Aber vielleicht ists besser, es mit dem Briefschluß des Schreibens
des Papas von Hermupolis zu tun, das Adolf Dcißmann einen der
schönsten Papyrusbriefe genannt hat: eQQmn&w ae evxoftac
noÄXots XQ^voic:, xvqif. fiov adelrpL

m) Vgl. meine Untersuchungen zur Überlieferung von Apolloniu»
von Tyana, Stockholm 1921, S. 29; zu Vespasian: Tacit. Hist. IV 81
(Halm II 200). Allerdings fehlen bei Apollonius gerade die von Vespasian
berichteten Blindenheilungen (meine Untersuchungen S. 45).

m) S. o. Sp. 822; lukanische Fassung: 11, 14 ff.

Das „Evangeliu

Von Johannes L

Wir sind es seit langem gewohnt, daß der trockene Boden
Ägyptens uns wichtige Urkunden und andere Schriftdenkmäler
schenkt, die wir kaum erwarteten. Was wüßten wir von dem
Dichter Menandros, wenn wir nicht aus den Papyri die von ihm
geschilderten Handlungen und Charaktere erschließen könnten!
Welche Anschauung bieten uns die libelli aus der Zeit des De-
cius! Aber es gibt Sonderfälle, die uns ein ungewohnt reiches
Geschenk sind; ich denke etwa an die koptischen Schriften aus
der Welt der Manichäer. Eine solche Gabe brachte uns das Jahr
19461. In einem Kruge (ganz wie in Chirbet Qumrän) fanden

J) Puech/H. C, Quispel, G, Unnik. W. C. van: The
Jung Codex. A Newly Recovered Gnostic Papyrus, Three Studies,
Transl. and Ed. by F. L. Cross. London: Mowbray & Co. [1955].
136 S. 8°. 15 s. (Angeführt mit dem Namen des betr. Verfassers und
Seitenzahl.) Vgl. auch W. C. van Unnik, Het kortgeleden entdekte

n der Wahrheit"

»Poldt, Leipzig
sich dreizehn Handschriften (codices), die zusammen achtundvierzig
Schriften enthalten, teilweise im ursprünglichen Ledereinbande
. Der Fundort ist Nag Hammadi in Oberägypten, das
alte Chenoboskion, also eine Gegend, in der Pachom tätig war;
und zwar ein Friedhof. Die Bücher wurden also wohl einem Toten
ins Grab gelegt, der sie besonders schätzte. Zur Not wäre
auch die Annahme möglich, daß man das Grab als Versteck benutzte
, um die geistigen Schätze der Vernichtung zu entziehen.
Denn es handelt sich um christlich-gnostische Texte, zum Teil
auch um solche aus der Gemeinde des Hermes Trismegistos: mit

„Evangelie der Waarheid" en het Nieuwe Testament: Mededelingen der
Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Lettei-
kunde, Nieuwe Reeks, Deel 17, No. 3. Amsterdam 1954 N. V. Noard-
Hollandsche Uitgevers Maatschappij. Diese Schriften ergänzen, was
früher vor allem Togo Mina und J. Doresse mitteilten.