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Ausgabe:

1957 Nr. 11

Spalte:

809-826

Autor/Hrsg.:

Hempel, Johannes

Titel/Untertitel:

ʺIch bin der Herr, dein Arztʺ 1957

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809

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 11

810

„Ich bin der Herr, dein Arzt"

(Ex. 15,26)

Von Joh. H e m p e 1, Göttingen

W. Baumgartner zum 70. Geburtstag

Wenn ich die vorliegende Studie W. Baumgartner widme, so
tue ich es, um den Lexikografen ebenso zu ehren wie den Erforscher
der altorientalischen Religionsgeschichte und der Beziehungen
zwischen Orient und Griechentum. Eine Auseinandersetzung
mit der Literatur muß ich einer größeren Publikation im Rahmen
der Nachrichten der Göttinger Akademie unter dem Thema
„Heilung als Symbol und Wirklichkeit im biblischen Schrifttum"
vorbehalten, da sie den Rahmen der ThLZ sprengen würde1.

1. Der Stand der altisraelitischen Medizin

Die Tätigkeit des Arztes wird im Hebräischen vor allem
durch zwei Verben bezeichnet, die gelegentlich im Parallelismus
der Glieder einer dichterischen Aussage nebeneinanderstehen.
Seine zunächst ins Auge fallende Aufgabe ist die Wundbehandlung
. Durch brutale Schläge kann ein Körper gar übel zugerichtet
sein:

Wohin wollt ihr noch geschlagen werden,

daß ihr im Abfall verharrt?
Das ganze Haupt ist siech (loh°li)

und das ganze Herz ist krank.
Von der Sohle bis zum Haupt

ist nichts mehr heil,
nur Wunde und Strieme

und frischer Schlag,
nimmer ausgedrückt, auch nimmer verbunden {häbas)

und nie mit dem Öle erweicht (Jes. 1, 5 f.).
Ein gebrochenes oder durch einen „Schlag" verletztes Glied
wird also „umwickelt" und mit Öl behandelt (vgl. Luk. 10, 34),
damit es heilen kann:

Den Arm des Pharao, des Ägypterkönigs, zerbrach ich,
und siehe, nicht wird verbunden (habas)

gelegt, gehören seit alters zu den begehrten Artikeln des arabischen
Fernhandels (Gen. 37, 25). Der Sprachstamm räiä', meist
mit „heilen" übersetzt, bedeutet wohl von Haus aus „vereinigen
"3, wie der Kesselflicker die Scherben eines zerbrochenen Kruges
wieder zusammenfügt (Jer. 19, 11) oder ein zerstörter Altar
aus seinen Trümmern neu errichtet wird (I. Reg. 18,30)*. Der
altisraelitische Arzt ist also gleich seinen Kollegen Machaon und
Podaleirios (Ilias II, 731 f.) in erster Linie „Verbinder" (hobes
Jes. 3, 7), Wundarzt, dessen Ziel es ist, den Verletzten wieder
zu Kräften zu bringen, und das Gleiche gilt für die Behandlung
kranker Tiere (Ez. 34, 16; Sach. 11, 15). Seine Tätigkeit ist damit
vor allem praktisch orientiert, während das „Nachdenken",
das im indoeuropäischen Stamm med- im Vordergrund steht",
im hebräischen Terminus nicht zum Ausdruck kommt. Solche
„technische" Kunst bezeugt bereits die älteste israelitische Rechtsquelle
, das sog. Bundesbuch: Wer einen anderen zum Krüppel
geschlagen hat, muß ihm den Verdienstausfall ersetzen und
rappo' prappa „für die Heilung sorgen" (Ex. 21,19). Die hier
gebrauchte Intensivform des Verbum wird in Ez. 34, 4, also in
sehr viel späterer Zeit, zu dem „zu Kräften bringen" in Parallele
gesetzt:

Die Schwachen habt ihr nicht zu Kräften gbradit (häzaq)

bei Krankheit nicht für Heilung gesorgt {lo' rippe'täm),
was zerbrochen war, nicht verbunden (lo' h.*bastäm)
was verirrt war, nidit heimgeholt.
Die ebengenannte Vorschrift wird ebenso mit Recht zu dem
§215 des Cod. Harn, in Beziehung gesetzt:

Wenn ein Arzt (asu™ — sum. A.ZU „Wasserkundiger") bei
jemandem mit einem bronzenen Messer einen tiefen Einschnitt
macht und ihn heilt, so soll er zehn Silberschäqäl erhalten,

und nicht minder zu einer Bestimmung in beiden Fassungen des

Heilmittel (r^lü'ot) darzureichen. Binden anzulegen, j hetitischen Reformgesetzes, daß, wer einen anderen (durch Be-

ihn zu kräftigen (hazaq) < das Schwert ergreifen möchte.

(Ez. 30,21; vgl. 34,4; Hos. 6,1; Jes. 30,26. 61,1;
Hi. 5, 18.)

Wissen doch auch die Qumräntexte, daß bei schwerer Oberarmfraktur
die Hand nicht „geschwungen" werden kann (I Q H
VIII, 33 vgl. Hi. 31, 21 f.), während es geschehen mag, daß ein
leichter Schlag nicht zur Erkrankung führt (I Q H IX, 22)2. Das
soeben mit „Binden" wiedergegebene Wort wird auch von den
Windeln gebraucht, in die das Neugeborene gewickelt wird
(Ez. 16, 14), und die „Heilmittel", als Balsam auf die Wunden

l) Die ältere Literatur zum AT und NT bringt das gänzlich veraltete
Werk von W. Ebstein, Die Medizin im AT, Stuttgart 1901,
und Die Medizin im NT und im Talmud, Stuttgart 1903. Auch die Zusammenstellung
bei A. Oepke. ThWB III, 1938, S. 194 ff. läßt Wich-

j tiges vermissen. Darüber hinaus verweise ich für den antiken Orient
auf H. ErS i g e r i s t, A History of Medicine I, New York 1951 (Ägyp-

. | ten S. 217 ff., Mesopotamien S. 377 ff.) und auf die Bände der Sammlung
La Medecine ä travers le Temps et l'Espace: II. G. C o n t e n a u,
La Medecine en Assyrie et en Babylonie, Paris 1938; IV. M.°k i a d,
La Medecine au temps des Pharaons, Paris 1955, aber dazu auf die Besprechung
durch J. H. S. S m i t. Bibl. Orient. 13 (1956) S. 219 ff. Füi
Ägypten vgl. vor allem H. G r a p o w, Grundriß der Medizin der alten
Ägypter, Berlin. I—III, 1954-1956, spez. zur Chirurgie B. E b b e 11, Die
altägyptische Chirurgie, Oslo 1939; für Babylonien B. Meißner,
Babylonien und Assyrien II. Heidelberg 1925, S. 283 ff., auch G. C o n -
tenau, La Magie chez les Assyriens et Babyloniens, Paris 1947; zur
Antike im allgemeinen: W. A. (aync, The Healing Gods in ancienc
civilizations, New Hawen 1925; für Israel: A. Lods, Les idees des Israe-
lites sur la maladie, ses causes et ses remedes, BZAW 41 (1925),
S. 181 ff.

!) Zur Ausfüllung der Lücke in IQH VIII3 3 (E L S u k e n i k,
Osar Taf.42) vgl. H. B a r d t k e, ThLZ 81 (1956), Sp. 717, auch Th.
H. G a s t e r, The Dead Sea Scriptures, Garden City (NY) 1956, S. 168.—
Darum stehen auch in Deut. 28.59 die makkot g"dolot wenä'ümänlm
parallel den /i°/ä/i"m rä'im wenä'ämänlm, die Jahve als Wunderzeichen
(w^hiflä') über das Volk bringen wird (LXX jcagaöo^äöei
vgl. dazu Kl. Schilder, Zur Begriffsgeschichte des Paradoxon,
Kampen 1933 (Diss. phil. Erlangen) S. 84.

hexung) krank macht, neben sonstigen Leistungen dem Arzt ein
m seiner Höhe nicht festgelegtes Honorar zahlen muß. Aber
wehe, wenn dem babylonischen Chirurgen die Operation mißlingt
:

Wenn ein Arzt bei jemandem mit einem bronzenen Messer
einen tiefen Einschnitt macht und ihn tötet, ... so soll man
ihm den Unterarm abhauen (§218).

Von da aus ist die an ihn ergehende Warnung verständlich,
an einen sicher dem Tode Verfallenen ja nicht „seine Hand zu
bringen", vor allem nicht an einem ungünstigen Tage, sondern
den Patienten lieber sterben zu lassen oder ihn einem Beschwörer
anzuvertrauen. Erscheint doch der Arzt gelegentlich zwischen
barü (Seher) und masmasu (Beschwörer) auf der einen, den
Auguren auf der anderen Seite6, so daß ein solches Überlassen des
Kranken sich im Rahmen des „Kollegialen" halten würde. Nur
bei einem nicht Vollfreien oder bei einem Sklaven verringert
sich mit dem Honorar auch das Risiko (§ 216 f., 219), und ist
vollends ein vierbeiniger Patient der Leidtragende, so muß der
Veterinär ein Fünftel des Tierwertes ersetzen, erhält aber dafür
bei günstigem Ausgang auch nur ein Sechstel Silberstück (§ 224),
wie auch bei unblutiger Behandlung eines Knochenbruches oder
einer Muskelerkrankung das Honorar nur die Hälfte des obengenannten
beträgt (§221)7. Honorar und Risiko spiegeln die
Hochwertung der blutigen Chirurgie! Auch wenn also Ex. 21, 19
von diesen Parallelen aus zu verstehen ist, so ist dies rappo'
jerappa doch für die von dieser Stelle aus beliebte Frühanset-

") Vgl. H. L. G i n s b e r g, BASOR, Suppl. 2-3, S. 23 f.
*) Vgl. L. Köhler, Der Hebräische Mensch, Tübingen 1953,
S. 40.

r>) Zum indo-europäischen Sprachtum med-; vgl. E. B e n v e n i s t e,
RHR 130 (1945), S. 11 ff., zu Homer O. Körner. Die ärztlichen
Kenntnisse in llias und Odyssee. München 1929, auch K. K e r e n y l.
Der Göttliche Arzt, Basel 1948, S. 79 ff.

6) Vgl. Contcnau, Magie S. 209.

7) Babylonisches Gesetz nach ANET S. 175 (M e e k), Hetitisches
Gesetz nach ANET 189 (G o e t z e) zitiert.