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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

788-790

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Söhngen, Gottlieb

Titel/Untertitel:

Philosophische Einübung in die Theologie 1957

Rezensent:

Paulus, Rudolf

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787

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

788

Mensch verehrt die Mächte, die sein Leben schaffen, erhalten und
fördern als Götter, „weil ihm ihre .Objektivität' im Hinblick auf
ihr alle menschliche Existenz bedingendes Handeln feststeht"
(S. 68—69). Die Verehrung des Sonnengottes hat als objektiven
Kern das wirkliche Vorhandensein der Sonne und die Abhängigkeit
des Menschen von ihr. Der Religion liegt ein transsubjektiver
Wirklichkeitseindruck zugrunde, sie ist Beziehung zu etwas
Bewußtseins - Transzendentem (S. 61 u. 71).

Ich glaube kaum, daß Feuerbach mit diesen Gedankengängen
erschüttert wird. Im religiösen Beziehungsverhältnis, das etwa
mit der Anbetung des Sonnengottes gegeben ist, übersieht Feuerbach
durchaus nicht den realen Kern (Existenz der Sonne und ihr
Einfluß auf das Leben der Menschen). Entscheidend ist aber für
ihn, daß dieses Beziehungsverhältnis ein religiöses ist. Im ersten
Kapitel der Einleitung zum „Wesen des Christentums" begründet
Feuerbach ja erkenntnistheoretisch den Satz, daß der Gegenstand,
auf welchen sich ein Subjekt wesentlich, notwendig bezieht,
nichts anderes ist, als das eigene aber gegenständliche Wesen des
Subjekts — ohne also die „Objektivität" des Gegenstandes zu
leugnen. Nicht in der Objektivität des Gegenstandes und der
Objektivität der Abhängigkeit, sondern in der Beziehung zwischen
Mensch und Gegenstand steckt das Problem. Wenn Schilling
meint, das Wesen des religiösen Beziehungsverhältnisses
wurzele in dem Ergriffenwerden von objektiven Mächten, die den
Menschen zu jener „Enträtselung" nötigten, die zur Ehrfurcht
und Anbetung führe, daß hier der objektive Grund der Religion
liege, und daß mit der Tatsache, daß diese schicksalhaften Mächte
keine Illusion seien, das Illusionsargument durchstoßen sei
(S. 105 und 103), dann würde Feuerbach darauf nur erwidern,
daß gerade in dieser Enträtselung, welche die wirkende Macht
als Gott oder Götter deute, die Illusion enthalten sei.

Der Verfasser macht sich erfreulicherweise diesen Einwand
selber und fragt nach dem objektiven Recht der Personifizierung
anonymer Macht. Die Begründung der sich an einem objektiven
Grund entzündenden Gottesgewißheit liege im religiösen a priori
. Die Gottesgewißheit „entspringt aus einer Veranlagtheit des
Menschen, einem inneren, a priori vorhandenen Eingestelltsein
des Menschen auf Deutung und Bewertung der Daseinsmächte,
einer Anlage des menschlichen Geistes, einem Trieb, dessen objektive
' Realität nicht geleugnet werden kann, wie die Religionsgeschichte
ausweist" (S. 107). Damit wird freilich die Gottesgewißheit
gut feuerbachisch wieder im Menschen begründet.
Wenn nun weiter gesagt wird, daß im Ich-Erleben die Ich-Bestimmtheit
und damit die Beziehung auf eine transzendente Ur-
realität enthalten sei, daß wir Gott verspüren „im Wege denkender
Selbstbesinnung als präsent in unserer Existenz", sein lebendiges
Wirken vernehmen in den Zusammenbrüchen der Geschichte
(193 3 vernahm man es in den „Aufbrüchen der Geschichte
"), in der schlechthinigen Gewirktheit und Beschenkt-
heit unserer Existenz, im „metaphysischen Heimweh" und den
Wundern der Natur (S. 109—110) — so wird die Sympathie des
Autors für die Theologie des 19. Jahrhunderts und für Schleiermacher
, dessen Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit der
„Nerv der Religion und auch des christlichen Glaubens" (S. 149)
sei, sowie seine Abneigung gegen Karl Barth begreiflich. Daß man
hier aber letztlich auf gemeinsamem Boden mit Feuerbach steht,
zeigt sich an der Umschreibung des religiösen Urerlebnisscs als
„Beziehung des individuellen Bewußtseins zum Unbedingten".
Sie ist lediglich eine Spielart der hegelisch - feuerbachschen Fassung
der Religion als Beziehung des Endlichen zum Unendlichen.

Der Schlußteil des Buches, wo unter anderem Aussagen
Luthers der Illusionstheorie Feuerbachs entgegengestellt werden,
erregt im Leser die (von Schilling nicht ausdrücklich aufgeworfene
) Frage, wie sich das Phänomen des von R. Seeberg so genannten
religiösen Transzendentalismus im Glaubensbegriff Luthers
zu dem Anspruch Feuerbachs, Luther der Zweite zu sein,
verhalte.

Dem Autor sei dafür gedankt, die Notwendigkeit der Auseinandersetzung
mit Feuerbach erneut eindrücklich gemacht zu
haben.

Naumburg/Saale Rudolf Lorenz

S 5 h n g e n, Gottlieb, Prof. D. Dr.: Philosophische Einübung in die
Theologie, Erkennen - Wissen - Glauben. Freiburg - München: Alber
1955. XIV, 142 S. 8° = Studium universale. Lw. DM 7.80.

„Nemo theologus nisi philosophus" — die Losung des
kleinen, doch gewichtigen Buches erinnert an Max Reischle's
(18 58/1905 „Ceterum censeo, philosophiam a theologis esse
tractandam". Im Unterschied vom ersten Satz von Kants Pro-
legomena erklärt das Vorwort mit musikgeschichtlichem Anklang
, das „Werkchen" sei nicht für Berufsmusiker und Virtuosen
, sondern für „werdende Kenner und Liebhaber" gedacht.

Wenn nach einem Döllingerwort als „die beiden wissenschaftlichen
Augen" der Theologie, Geschichte und Philosophie
bezeichnet werden (S. 1. 62. 89. 96), so bedeutet das für einen
Lehrgang durch die „Vorfragen" der Theologie die Untermauerung
einer gestrafften, doch immer wieder ausgeweiteten
Systematik durch Grundaussagen aristotelisch - thomasischer, in
zweiter Linie platonisch - augustinischer Begriffsbestimmungen
und Problemformulierungen. Die allgemeine Frage nach dem
Verhältnis von Systematik und Historik, freier Problematik
und kirchlicher Bindung ist damit von vornherein in eine bestimmte
Bahn geleitet. Schritt für Schritt wird der Lehrling
durch die praeambula fidei, weltliche Philosopheme und „natürliche
" Theologeme der Pforte einer aus der Höhe herableuchtenden
Gralsburg entgegengeführt — um das hohe Ethos und
wanne Pathos anzudeuten, das aus dem Büchlein unaufdringlich
anspricht — zur Seite des Wegs das Wächteramt nach Möglichkeit
weltanschauungsfreier, reiner Philosophie (37 f. 60. 122 H
als Hüterin der Methode, „Verfassungsgerichtshof" der Wissenschaft
.

Dem entspricht die lehrtechnische Apparatur, ein Netz genauer
Verweisungen, augenfälliger Schemata, durchgehender
Hinweise auf die 1952 vorangegangene, das bisherige Lebenswerk
des Verfassers zusammenfassende, sein großes Anliegen
„Die Einheit in der Theologie" vielseitig beleuchtende Sammlung
von Abhandlungen und Reden.

Der Lehrgang gliedert sich einfach in fünf Kapitel, streng zusammengehalten
durch den Skopus der erst allgemeinen, dann theologischen
Wissenschaftsgründung — formal bleibt er philosophisch). Der
Erkenntnis- wie der Wahrheitsbegriff wird vor allem nach dem Modell
von De veritate qu. 1.8. im sich kreuzenden Schematismus der WechscI-
bezüge zwischen res und anima (intellectus) nach den realen und idealen
, empfangenden und spontanen Momenten durchreflektiert und gegen
kantisch-neukantische (vgl. dazu 66 f.) wie gegen rein geltung-'-
theoretische Bestimmungen, aber auch gegen neuplatonisch-augusti-
nisdie Illuminationslehren im Sinn eines „gemäßigten Objektivismus"
auf der Grundlage der Simplex apprehensio behauptet. — Das 3. Kapitel
(Vom Gefüge der Wissenschaft) drängt auf 32 Seiten einen Grundriß
der Wissenschaftstheorie zusammen. Der „Philosophus" des Abendlandes
wird als der klassische Meister der Vereinigung von Aporetik
und Systematik, Theoretik und Praktik (jenes mit und gegen N. Hartmann
, dieses in wirkungsvoller Gegenüberstellung von ethischer Metaphysik
und metaphysischer Ethik zwischen dem Königsberger und dem
Stagiriten (67 f.) auf den Schild erhoben. Des Thomas Aquinas fünf
Wissenschaftspfeiler (46 u. ö.) stehen festgerammt, samt seinen con-
stitutiva entis und entia constituta als Grundlagen auch für eine theo-
logia fundamentalis (Apologetik) vorgesehen. Kant (doch sachlich vorausgenommen
durch Thomas' Kreuzungsverhältnis der primären und
begleitenden Geltungssphären in Philosophie und Theologie) kommt
hier und weiterhin zu Ehren mit seiner Unterscheidung konstitutiver
(NB) Prinzipien und regulativen (NB) Ideen (46. 60.75 f. 123), als
magna charta gegen jede Vermengung oder Zertrennung von Theoretik
und Praktik, Wissen und Glauben, dank des strengen Unterscheidens
und lebendigen Verklammerns beider Wahrheitsdurchblicke.

Aus der gedrängten Fülle kann nur noch kurz herausgehoben
werden:

Kant wie Thomas stehen auf dem: scientia non est singularium;
daher die „Geschichte als Wissenschaft" als 4. Grundfrage der theoretischen
Kritik übergangen — dem Geschichtsdenker Hegel, der bei dem
Verf. einen Stein im Brett hat, wird eine Locke geopfert. „Philosophü
perennis"? Ja, als regulative Idee, nein — als Gräberstadt (41). Eine
ietzte Klingenkreuzung, Thomas - Kant, als Probe für den Schüler, ob
er beide verstanden habe (mit und gegen KdrV B 75) läßt m. E. beide
als Marksteine, doch beide bei allem Gegensatz in ihren Geschichtsgrenzen
im Rückblick sich wieder näher rücken I

Einen starken Schritt in die Nähe der Theologie bedeutet
das vierte Kapitel: Vom Akt des Glaubens, hier unter dem Sko-