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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

785-787

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schilling, Werner

Titel/Untertitel:

Feuerbach und die Religion 1957

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

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zugehört, bezeichnen kann. Begriffe wie Liebe, Erlösung, Dämon
verstehen sich von jedem der drei Mythenkreise anders, was der
Dichter ausnutzt, indem er 6ie zu den verschiedensten Aussagen
verwendet, je nachdem er sie braucht. Einseitige Interpretation,
d. h. eine solche, die jene Begriffe nur von einem der drei
Mythenkreise fassen wollte, ginge am Wesen von Goethes umgreifenden
Werk vorbei. Mit Recht hebt Franz hervor, daß
Goethe selbstverständlich als Denker „scharf und genau zu überlegen
und sauber zu unterscheiden weiß", als Dichter aber seinen
„Vorteil" darin sieht, „die Logik zu vernachlässigen, die
bekannten Begriffe unscharf und mehrdeutig zu verwenden"
(S. 64). Ein zentrales Problem moderner Literaturforschung berührt
Franz, wenn er betont: „Der Dichter will Anschauungen
geben, Symbole, Bilder, Analogien, nicht einwandfreie Logik"
(S. 63).

Anregend und gehaltvoll sind vor allem die Ausführungen
im 1. Hauptteil des Buches, der „Tragik" überschrieben ist. Es
bewährt sich hier der Reichtum der Gesichtspunkte. Während
der Verfasser im Sinne seiner These vielfach den Standort wechselt
, behält er den Gegenstand ständig fest im Auge, und die
gesamte Dichtung schwingt in seinen Darlegungen mit, obwohl
er verhältnismäßig wenig Zitate bringt. Eine Reihe sehr schöner
Interpretationen, die von konkreten, menschlich warm erfaßten
Situationen des Werkes ausgehen, vermitteln aufschlußreiche
Durchblicke durch die verschiedenen Bezirke der Dichtung.

Der 2. Hauptteil der Untersuchung, „Ironie", weniger umfangreich
als die beiden anderen, stellt heraus, daß Ironie „das
alles durchdringende feine Medium der Faustdichtung" ist, „die
eigentliche Wurzel jener .Mehrdeutigkeit der Grundbegriffe' "
(S. 147). Man hätte sich vielleicht gerade diesen im ganzen
überzeugenden Teil etwas reicher gewünscht, und zwar auf Kosten
des 3. Hauptteils „Religion", der im Gegensatz zu den
beiden anderen verschwommen wirkt, ins Allgemeine führt und
die Faustdichtung streckenweise ganz aus den Augen verliert.
Daß dieser 3. Teil enttäuscht, ergibt sich aus der Natur der
Sache, die Franz selbst an anderer Stelle richtig erkannt hat. Wie
es Goethe nicht darum geht, als Dichter „einwandfreie Logik"
zu geben und das Faustwerk nicht nach logischen Begriffen zu
befragen ist, so sind auch keine klar zu umschreibenden religiösen
Vorstellungen aus ihm abzulesen, und das Kapitel „Goethes
Glaubensbekenntnis im Faust" (S. 224—230) kann nicht befriedigen
.

Aus den gleichen Gründen ist die „Schlußbetrachtung" des
Buches unergiebig. Sie wird nicht mehr der Absicht des Verfassers
, die eingangs umschrieben wurde, nämlich „zu einem tieferen
Verständnis und zu einem reineren Genuß zu gelangen",
gerecht. Um Beziehungen „Faust und die Gegenwart. Goethe und
Kierkegaard" herzustellen, sieht sie von den Ausdrucksmitteln,
deren Goethe sich als Dichter im Faust bedient, von Bildern und
Symbolen, ab und versteigt 6ich in weltanschaulich-geistesgeschichtliche
Fragen, die im Zusammenhang einer Faustdeutung
nicht mehr zu beantworten sind. Es ist, als ob am Ende der Beschäftigung
mit einem großen Musikwerk die Musik schon vergessen
sei.

Alles in allem wird das kenntnisreiche, warm und lebendig
geschriebene Buch von vielen gern gelesen werden.

Greifswald Hildegard Emmel

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Schilling, Werner: Feuerbach und die Religion. München: Evang.
Presseverband für Bayern o. J. 188 S. 8°. Hlw. DM 11.80.

Schillings Monographie möchte die bisher fehlende kritisch-
religionswissenschaftlichc Auseinandersetzung mit Feuerbachs
Zentralgedanken führen (S. 10). So ist sie weniger an einer Darstellung
Feuerbachs interessiert als an seiner Widerlegung. In
einem 1. Teil „Das Wesen der Religion" wird Feuerbachs Theorie
an Hand der „Vorlesungen über das Wesen der Religion" von
1848r49 kurz umrissen und nach Vorführung der bisherigen philosophischen
und religionswissenschaftlichen Kritik ein Versuch
zur Widerlegung der „Vorlesungen" und der Religionsauffassung

Feuerbachs unternommen. Ein zweiter, kürzerer, Teil beschäftigt
sich mit Feuerbachs „Wesen des Christentums" und der von theologischer
Seite an Feuerbach geübten Kritik. Zwei Abschnitte
„Feuerbach im Lichte der biblischen Lehre von der allgemeinen
Selbstbezeugung Gottes" und „Feuerbach im Lichte Martin Luthers
und der Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche", sowie
eine Erörterung über „Die Anthropomorphismen der christlichen
Gotteserkenntnis" beschließen das Buch.

Die Kritik an Feuerbach, so meint der Verfasser, müsse sich
mit seinen einzelnen Gedanken beschäftigen, nicht ihn in allgemeiner
Argumentation überwinden wollen. Geistesgeschichtlich-
historische Essays genügten nicht zur Widerlegung Feuerbachs
(S. 43). Immerhin drängt sich dem Leser der Nutzen solcher
geistesgeschichtlichen Betrachtung auf, wenn er auf die Behauptung
stößt, Feuerbach sei nur im Rahmen des Materialismus seiner
Zeit zu verstehen. „Ursprünglich Schüler Hegels, verkehrte
er dessen Theorie in ihr Gegenteil" (S. 14, näher ausgeführt
S- 15 f.). Der diffizile Prozeß der persönlichen Entwicklung Feuerbachs
, die ein Paradigma der Wende im deutschen Geistesleben
ist, welche um 1840 eintrat, wird damit über Gebühr vereinfacht.
Auf keinen Fall ist der Materialismus die Quelle oder Grundlage
der Feuerbachschen Religionsanschauung, sondern die pan-
theistische Mystik seiner Jugendfrömmigkeit (vgl. dazu Ev. Theol.
}7: ,1957' S. 171—188). Man kommt daher auch Feuerbach nicht
bei, indem man auf die Wandlung des Weltbildes in der modernen
Naturwissenschaft (S. 46-51) und die dadurch bewirkte Außerkraftsetzung
der angeblichen Denkgrundlagen Feuerbachs hinweist
. Im Arsenal der Apologetik sind offenbar jetzt namhafte
Naturwissenschaftler dazu verurteilt, den „Choral von Leuthen"
zu ersetzen.

Aus der religionswissenschaftlichen Orientierung Schillings
erklärt sich der Einsatz seiner Feuerbachkritik an den „Vorlesungen
über das Wesen der Religion". Man kann daran zweifeln, ob
dieser Ansatz glücklich ist, denn gerade in den „Vorlesungen"
treten die spekulativ - philosophischen Erwägungen, mit denen
Feuerbach die Illusionstheorie begründet, zurück. Das naturwissenschaftlich
-empirische Verfahren, mit dem sich der spätere Feuerbach
gern brüstet, ist etwas Sekundäres, Ausfluß der grundsätzlichen
Verlegung der Wirklichkeit von der Seite Gottes auf die
Seite des Menschen, die bei Feuerbach eben nicht aus naturwissenschaftlichen
Gedankengängen oder religionswissenschaftlichen
Forschungen heraus erfolgt ist. Eine Auseinandersetzung, die
um die Argumente der „Vorlesungen" geführt wird, geht daher nur
um die Außenforts der Feuerbachschen Position. Unter diesem
grundsätzlichen Vorbehalt soll nun auszugsweise über Schillings
Feuerbachkritik referiert werden.

Wie in der Bestreitung Feuerbachs von Julius Müller (in
Theol. Studien und Kritiken 15, 1842, S. 171-269) bis zu Gregor
Nüdling (L. Feuerbachs Religionsphilosophie, Paderborn 1936)
die Methode Feuerbachs in der Bestimmung dessen, was Christentum
ist, getadelt wird, so macht Schilling Feuerbach den methodischen
Vorwurf, er beziehe nichtreligiöse Phänomene in seine
Deutung des Wesens der Religion ein. Feuerbach benutzt Mythen
als Belegmaterial. Dem Mythos komme aber nicht der spezifische
Charakter des Religiösen zu. Es gehe den Mythen um Erkenntnis
und Sinngebung, die Frage nach dem Ursprung der Welt sei keine
spezifisch religiöse, sondern eine mythologische Frage (S. 55).
Abgesehen davon, daß das mythologische Denken auch von religiösen
Vorstellungen bestimmt wird, muß man an den Verfasser
, der ein eifriger Anhänger der natürlichen Theologie ist,
die Frage richten, ob die von ihm verschiedentlich betonte Erkenntnis
Gottes in und an der Welt nicht auch „Sinngebung"
und „Erkenntnis", also etwas Mythologisches ist. Zu den anderen
der Religion wesensmäßig fremden Erscheinungen, die
Feuerbach unberechtigt heranziehe, gehören Magie, Animismus,
Traumerleben („auch der religionslose Mensch hat Träume"
S. 62), Ekstasen und Visionen.

Das Hauptargument, mit dem Schilling aber die Illusionstheorie
Feuerbachs durchstoßen will, ist der Nachweis objektiver
Elemente, die dem religiösen Leben innewohnen. Der Ausgangspunkt
religiöser Erfahrung ist immer eine transsubjektive Wirklichkeit
, die der Mensch als auf ihn selbst bezogen erfährt. Der