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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

784-785

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Franz, Erich

Titel/Untertitel:

Mensch und Dämon 1957

Rezensent:

Emmel, Hildegard

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

784

Mit dem 7. Band des Kommentarwerks, „Golgatha
und Sdieblimini" liegt zugleich schon ein Probeband vor.

Die Einrichtung der Bände soll gleichmäßig auf jeder Seite oben ein
Stück des Hamanntextes (nach Nadler), in der Mitte Wort- und Sacherklärungen
, unten den Text einer in sich fortlaufenden Gesamtinterpretation
enthalten. Oben zeigt der Hamanntext immerfort Sperrungen, dazu Hamanns
eigene Anmerkungen, fast immer genaue Gleichheit mit den Zeilen
der Nadlerausgabe, die auf jeder Seite oben angegeben sind. Der
fortlaufende Interpretationstext unten ist im Gegensatz zum Nadlertext
oben durch starke Abschnittsetzungen mit Überschriften gegliedert und
hat auch seinerseits neben den mittseits gegebenen Anmerkungen noch
eigene Verweise auf längere Anmerkungen am Budischluß. Das Seitenbild
wird so formal unruhig. Bei „Golgatha und Sdieblimini", als einer
Kampfschrift auf Mendelssohns „Jerusalem" oder „Über religiöse Macht
und Judentum", 1783, muß zudem der Text die vielfachen stillschweigenden
Mendelssohnzitate Hamanns deutlich machen; die Wort- und Sacherklärungen
in der Mitte müssen oft auf Mendelssohn zurückgreifen
und schließlich auch der Interpretationstext öfter Rücksicht darauf nehmen
. Man braucht infolgedessen geraume Zeit, sich nur äußerlich voll
einzulesen; die Allgemeinverständlichkeit ist nicht allzu eingängig;
vielleicht könnte bei den weiteren Bänden hier noch etwas vereinfacht
werden.

Schreiner orientiert einführend über die Entstehung dieser
vorletzten Schrift Hamanns im Zusammenhang des letzten Jahrzehnts
seiner Autorschaft, in neuer und wertvoller Untersuchung
zur Genius- und Geistlehre Hamanns über sein Verständnis des
Wortes Sdieblimini im Verhältnis zu Luther, endlich mit gutem
Referat über Mendelssohns „Jerusalem". Bei allem wissenschaftlichen
Werte werden die vielen damit gegebenen Voraussetzungen
den einfacheren Leser leicht noch weiter belasten. Ein zweites
Einführungskapitel legt die Aufnahme speziell unserer Schrift
bis gegen 1900 mit zum Teil neuen und interessanten Einzelheiten
dar; zur neuen Deutungsgeschichte wird auf Gründer und Seils
verwiesen.

Die Interpretation selbst beschäftigt sich auf den ersten 10
Seiten breit unter Beiziehung des „Fliegenden Briefes" mit dem
originaltreu gegebenen Titelblatt und seinen einzelnen Momenten
. Die eindringende und erleuchtende Aufgliederung des Textes
wirkt sodann als sehr große Verständnishilfe, die noch durch die
Hinweise auf der Seitenmitte gut gestützt wird. Sonst bewegt
sich der Kommentar manchmal ziemlich frei, auf eigenen Wegen,
mit dem Bestreben, auch in die Gegenwart umzudenken; er faßt
aber dann stets ausgezeichnet zusammen. Den Deutungen wird
man im ganzen und im einzelnen meist beistimmen.

S. 128, Anm. 7, ist Nadlers Erklärung der Entstehung des Wortes
„seminiverbius" übernommen; sie ist aber durch die Erkenntnis, daß
das Wort aus der Vulgata stammt (Seils), überholt. Zur Zeitauffassung
Hamanns (S. 169, Anm. 26) wird man die ausgezeichneten Ausführungen
Metzkes höher schätzen, wenn man jetzt noch die Existenzialismus-
partie im „Fliegenden Brief" erster Fassung hinzuzieht.

Das Unternehmen des Kommentarwerks ist schwierig und
groß. Man ist dem Mut, der es in Angriff nahm, und zunächst
Lothar Schreiner, der mit am schwierigsten Excmpcl sich sogleich
so erfolgreich versuchte, ebenso Karlfried Gründer für seine
geistige Einführung großen Dank schuldig. Die Hamannforschung
wird ohne dies Werk, wenn es vollendet ist, nicht mehr existieren
können. Ganz gelegentlich ist von Schreiner auf den „Fliegenden
Brief" vorgegriffen. Bei der Sachlage, die Nadlers Herstellung
seiner ersten Fassung und die Existenzialismuspartic
darin schufen, möchte man ihn noch weniger in diesem Kommentarwerk
vermissen, das sich erst mit der Auslegung dieser großen
letzten Selbstredienschaft Hamanns krönte. Möge die nun,
zunächst zumal im zweiten Teil von Golgatha und Sdieblimini,
sich entziffernde und öffnende Gedankenwelt Hamanns neben
Collenbusch, Menken, Cremer und anderen über Kierkegaard
hinaus auf unserm Wege zu einer Theologie des neuen Bekennens
sich mächtig erweisen!

Rostock Wilhelm Koepp

Gründer, Karlfried: Hamann in seinen Briefen. Zu den ersten beiden
Bänden der kritischen Gesamtausgabe.
„Wirkendes Wort", Jahrg. 7, Heft 3 (1956/7).

Seils, Martin: Archiv und Zeugnis. Zum Erscheinen des ersten Bandes
der Hamann-Briefausgabe.

„Die Sammlung", Jahrg. 11, Heft 2, S. 97—107. 1956.

B o e h 1 i c h, Walter: Die historisch-kritische Hamann-Ausgabe. Forschungsbericht
.

„Euphorion" Band 50/1956. S. 341—356.

Merlan, Philip: Johann Georg Hamann (1730—1788).
„Claremont Quarterly". Vol. 3, Nos. 3, 4. April 1955.

Koepp, Wilhelm: I. G. Hamanns Absage an den Existenzialismus
(„Fliegender Brief" erster Fassung) nebst Anbahnung einer Gesamtsicht
.

Wiss. Ztschr. d. Univ. Rostock 5. 1955/6. Gesellsch. u. sprachwiss.
Reihe H. 1, S. 109—116.

Seils, Martin: Theologische Aspekte zur gegenwärtigen Hamann-
Deutung. Berlin, Evang. Verlagsanstalt. Göttingen, Vandenhoedc &
Ruprecht. 1957. 120 S.

Franz, Erich: Mensch und Dämon. Goethes Faust als menschliche
Tragödie, ironische Weltschau und religiöses Mysterienspiel. Tübingen
: Niemeyer 1953. 246 S. gr. 8°. DM 11.60; Lw. DM 13.80.

Das Buch wendet sidi, wie der Verfasser betont, „an weitere
Kreise". Es ist in Stil und Aufbau so angelegt, daß dem „Laien"
die Wege geebnet sind, und verzichtet auf wissenschaftlichen
Apparat, obwohl die Faustforschung berücksichtigt wurde. „Zu
einem tieferen Verständnis und zu einem reineren Genuß zu
gelangen", bezeichnet Franz als seine Absicht.

Die These, die er mit seiner Faustdeutung zu beweisen
unternimmt, zielt auf das Ganze der Dichtung. Goethe habe es
gewagt, so lautet sie, in seinem Werk drei an sich wesensverschiedene
Dichtungsarten, nämlich: Tragödie, Komödie und
Mysterienspiel zu vereinen. Jede der drei Dichtungsarten müsse,
um zur Geltung zu kommen, innerhalb des Ganzen ihre Eigenart
wahren; erst nadi Herausformung der Gegensätze könnten
sich Beziehungen ergeben und fruchtbar auswirken. Analog sei
es mit den drei Mythenkreisen, die der Dichtung zugrunde lägen
: dem christlichen, dem antik-humanistischen und dem naturphilosophischen
; genau genommen habe jeder sein eigenes Faustproblem
und seine eigene Lösung. Erst nach strenger Sonderung
seien die verschiedenen Sphären zu verbinden und auf höherer
Ebene als Einheit in der Geschlossenheit der Dichtung zu erfassen
. Gleichzeitig wären noch die von der Forschung herausgearbeiteten
Grundkonzeptionen der Dichtung zu berücksichtigen
: die Jugenddichtung, die der klassischen Zeit und die Altersdichtung
. Wie der Dichter hier mit „jenem lässigen, sorglosen
Verfahren" die Unterschiede nachträglich verschleierte, so habe
er auch bei den religiös mythischen Grundlagen der Dichtung
und bei dem Verhältnis von Tragödie, Mysterienspiel und ironischer
Weltschau in seinem universalen Werk an sich Unvereinbares
zu vereinen gewußt. Die Aufgabe, die Franz sich stellt,
ergibt sich aus seiner These, die zugleich die Voraussetzung seiner
Faustdeutung ist. Seine Bemühung geht dahin, nicht lediglich
von einer der Mythengrundlagen oder einer der Dichtungsarten
her das Werk zu interpretieren, sondern in bezug auf die
Synthese aller und unter Berücksichtigung der verschiedenen
Gesichtspunkte, die durch seine These geboten sind.

Durch diese Zielsetzung werden die Beobachtungen fruchtbar
, die Franz im Hinblick auf „die Mehrdeutigkeit der Grundbegriffe
" der Faustdichtung machte. Daß gewisse Grundbegriffe
der Dichtung merkwürdig schillern und gerade Worte, die wesentliche
Inhalte der Dichtung bezeichnen, mehrdeutig sind und
auch innerhalb des Werkes in verschiedenem Sinne gebraucht
werden, erklärt Franz aus der Vielschichtigkeit des Faustwerkes,
die sich ihm im Nebeneinander der drei Dichtungsarten, der
drei Mythenkreise und der drei Grundkonzeptionen darstellt.
So wird das Wort „Magie" sowohl im ursprünglichen Sinne von
Zauberei wie im übertragenen Sinne von höchstem Schöpfertum
verwandt; und ein Doppelsinn ist bei „Streben" festzustellen,
das den hemmungslosen Lebensrausch im Bereich der Jugenddichtung
aber auch die das menschliche Dasein auszeichnende
Unruhe des Herzens, wie sie der reifen Konzeption der Dichtung