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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

781-783

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Die Hamann-Forschung 1957

Rezensent:

Koepp, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

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Er müht sich andererseits, den Anliegen der Pfingstler gerecht zu
werden, wodurch sich auch diese Schrift des Verfassers erfreulich
von apologetischen Werken früherer Zeiten unterscheidet. Doch
ist er vielleicht etwas zu zurückhaltend bei der Beantwortung der
Frage, ob die Pfingstbewegung eine Sekte ist oder nicht. Da heißt
es: „Ein allgemeines, alle Gruppen umfassendes Urteil, ob Sekte
oder nicht, läßt sich im Blick auf die ganze Pfingstbewegung nicht
festsetzen. Man müßte dazu jede Gruppe einzeln beurteilen."
An dieser Stelle wäre gegenüber dem schlichten Gemeindeglied,
für welches die Schrift doch wohl in erster Linie geschrieben ist,
eine eindeutige Warnung am Platze. Was zur Pfingstbewegung
gehört, ist u. E. immer der Sektiererei verdächtig.

Für eine weitere Verbreitung im gesamtdeutschen Sprachgebiet
wäre außerdem eine Lösung von der an manchen Stellen
sehr spürbaren schweizerischen Diktion begrüßenswert.

Quakenbrück Günther Siedenschnu r

LITERATURGESCHICHTE

[Hamann, J. G.:] Johann Georg Hamanns Hauptsdiriften erklärt v
F. Blanke, E. Büchsei, K. Gründer, E. J. Schoonhoven, E. Metzke,
L. Schreiner, M. Seils. Hrsg. v. Fritz Blanke u. Lothar Schreiner
. Bd. 1: Die Hamannforschung. Bd. 7: Golgatha und Sdieblimini,
erklärt v. L.Schreiner. Gütersloh: Bertelsmann 1956. 184 S. u. 176 S.
8°. DM 23.- und DM 22.-.
Die Bände 2—6 und 8 erscheinen später.

Dieses Kommentarwerk der Hauptschriften Hamanns (ohne
Hamanns Selbstrechenschaft „Entkleidung und Verklärung. Ein
fliegender Brief") will nach der „Einführung" mit einer „ersten
gründlichen Entschlüsselung Hamannscher Schriften eine umfassende
Erschließung des Magus durch die Wissenschaft. .. fördern
und darüber hinaus endlich breiteren Kreisen die Begegnung"
mit ihm ermöglichen. Eine Verbindung von Wissenschaftlichkeit
und Allgemeinverständlichkeit ist also die Absicht. Sie dürfte
schwierig sein. Und vielleicht ist es dafür noch ein wenig zu früh.

Als Text ist einfach die für Zitate sehr handliche „historisch
-kritische" Hamannausgabe Josef Nadlers zu Grunde gelegt
. Nach dem Forschungsbericht Walter Boehlichs über diese
(Euphorion, Bd. 50/1956, S. 341-356) wird man zumindest bei
Texten aus Originalmanuskripten auf eine Nachprüfung, sofern
möglich, heute nicht verzichten mögen (das Material liegt in der
UB Münster). Der Text müßte dann sogar gegebenenfalls verschiedene
Entzifferungsmöglichkeiten erwägen.

Der Text des vorliegenden Bandes 7, Golgatha und Schebli-
mini, ist bei Nadler auf Grund von Originaldrucken geboten,
nicht ohne gewisse Eigenwilligkeiten, und konnte von Schreiner
auf Grund eines neugefundenen Exemplars der Urausgabe, weitgehend
erwähnungslos, richtiggestellt werden, wobei man nun
freilich nicht weiß, ob im einzelnen Fall ein technisches Versehen
Nadlers gebessert oder etwa ein neues Versehen im Schreinertext
eingeschlichen ist. Schreiner begründet nur die Beibehaltung
von „Golgatha" statt des neuen „Golgotha" Nadlers im
Titel ausführlich; selbst das im Nadlertext (III, 319 f., vgl. 472)
angehängte Kommentarblatt Nadlers läßt er ohne ein Wort fort.

Da es sich bei den Differenzen vielfach um Sperrungen handelt,
sind sie zuweilen nicht ganz unwichtig. Deswegen und bei der durch
Boehlich geschaffenen Lage gebe ich hier ihre genaue Liste. Differenz
der Buchstabenfolge, oder der Sperrung, oder der Zeichensetzung gibt
es bei folgenden Zeilen der Nadlerausgabe: S. 293,27; 294, 30,34,3 5;
295, 5, 17, 19, 31; 296, 5, 20. 23; 297, 23, 23, 31 32; 298, 22, 35;
299, 28; 300. 4, 18, 25, 32; 301, 14, 24 Anm; 302. 8, 15, 26, 26;
303, 22, 31; 304. 39; 305, 23, 29, 34; 306,29,29, 30; 307 2, 25,
26, 32; 309. 25. 26, 36; 310, 11; 311, 7; 313, 10, 28- 314, 22,
28, 37; 315 8,9; 317, 10,24; 318, 5. Die sehr hohe Verdienstlich-
ii iY Lebensarbeit Nadlers an Hamann: seine restlose Sammlung
allen Materials und dessen erleuchtende Einstellung in die Einzelheiten
der Hamannbiographie können es nicht ändern, daß die weiteren Bände
des Kommentarwerkes gut täten, in der Textdarbietung der Lage Rechnung
zu tragen. Soviel zur Textfrage.

Sachlich betont die Einführung Blankes zum Kommentarwerk
sehr umsichtig sowohl das enge Zentrum des „Magus
im Norden": „Die Herablassung Gottes in Jesus Christus" wie

auch die außerordentliche Spannweite seines Geistes, sowohl den
Funkenregen der Einfälle dieses „Predigers in der Wüste" als
auch die geheime Einheit in dieser kaum glaublich bunten und
eigenwilligen Mannigfaltigkeit, ebenso die einsame und doch verborgen
sehr wirksame Stellung Hamanns in seiner Zeit wie
seine neue Bedeutsamkeit und Zeitnähe in der Gegenwart, die
Art seiner „affektiven Logik" und die Schwierigkeiten ihrer Entzifferung
. Alles wird kurz und drängend gesehen. Sehr erfreulich
wird ein Gesamtregister am Schluß versprochen.

Die „Geschichte der Deutungen" von Karlfried
Gründer will kritisch in die sehr verschiedenen Aspekte
und Fragen, die bei Hamann und seinem Werk möglich sind, einführen
, zugleich über die Hamannliteratur und -forschung orientieren
, endlich auch Hamann als Schlüsselfigur der Geistesgeschichte
der letzten beiden Jahrhunderte zeigen. Zum Schluß
scheint die Deutungsgeschichte Hamanns noch immer nicht zu
ihrem Ende ausgelaufen. Neuerdings scheinen gegenüber gewissen
Aporien der bisherigen Deutungen theologische Deutungsversuche
vorzudrängen. Das scheint die heutige Problematik. Bei
ihr wird die als Arbeitseingrenzung klare und berechtigte Unterscheidung
von Deutungsgeschichte und Wirkungsgeschichte, die
Gründer vornimmt, doch wieder sich auflösen. Schon Gründer
selbst empfindet das stark und wiederholt bei seiner Schilderung
der Aufnahme Hamanns in den christlichen Kreisen des XIX.
Jahrhunderts (Kap. III). Und jeder würde gern Hamanns Bild
in den Augen der Zeitgenossen und Freunde des Magus als Fundament
der ganzen Deutungsgeschichte vorweg gelegt sehen.

.wir<* gespannt sein, wie weit die verwandten Forschungen
von Martin Seils über die theologischen Aspekte Hamanns hier
weiter führen.

E>es nähern behandelt Gründer (nach kurzen Seiten über die
Jl- 'onsSeschichte Hamanns) seine Deutungsgeschichte
in folgenden Phasen: zuerst das literarisch - philosophische
Hamannbild des 19. Jahrhunderts (zumal Goethe und
Hegel), weiter die schon erwähnte Aufnahme Hamanns in den
christlichen Kreisen bis 1900 (Erweckung und Folgeerscheinungen;
Kierkegaard), dann die literargeschichtliche Hamannforschung
seit 1900 (zumal Unger und Nadler), endlich die heutige philosophische
und theologische Interpretation. Alles ist gründlich
und umsichtig. Manches Unbekannte wird ausgegraben. Einiges:
negel, Unger ist glänzend. Die sehr ausführliche Würdigung Nadlers
hält doch in manchem auch zurück. Bei der heutigen philosophischen
und theologischen Hamanndeutung tritt die Frage
"Hamann und der Existenzialismus" in den Vordergrund, ohne
schon eine Lösung zu finden; Erwin Metzke dort und das „dichte
kleine Buch" Helmuth Schreiners hier bilden die Abschlüsse. Die
Wiedergabe der zahlreichen heutigen theologischen Hamann-
nteratur ist ausgezeichnet; die neuerdings wachsende Beteiligung
3!j? ^£S Alandes ist voll aufgenommen. Diese Deutungsgeschichte
ist in ihrer Totalität etwas Neues, eine gute Einführung
in das Kommentarwerk und des großen Dankes der Hamann-
rorschung sicher.

Die Bibliographie der Hamannforschung
von Lothar Schreiner wird hinfort als Hilfsmittel aller Hamannforschung
unersetzlich sein. In mühseligster Arbeit sind Hamanns
Schriften und Briefe in Ausgaben, Einzeldrucken und Auswahlen,
die selbständigen Veröffentlichungen über Hamann, die Aufsätze
in Zeitungen, Zeitschriften, Festschriften, Jahrbüchern u. dgl.,
Hamannabschnitte in umfassenderen Darstellungen, Literaturberichte
und Rezensionen, endlich allerlei bemerkenswerte Erwähnungen
abteilungsweise zusammengestellt; ein ausführliches
Namenregister erleichtert die Benutzung.

Einige Errata in den Angaben mindern nicht den Wert (so I, 15
auch: 1874; I, 38 „neuentdecktes"; I, 50 Erich statt Ernst; II, 22 Auflage
2 in Halle; 11,43 urspr. Diss; IV, 40 Diss; VI, 3 lies „Königl.
P^uß- Geheimenkriegsrates", dazu falsche Seitenzahl. I, 2 erschien auch
schon 1816, Nürnberg bei I. L. S. Lechner, vor einem Auswahlband ..Die
Weisheit Martin Luthers" von F. I. L. Niethammer (Beleg für die frühe
Verbindung Hamann-Luther in der Erweckung).

Sachlich, soweit man nur sehen kann, fehlt nichts. Die Fortführung
auch weiterhin ist ein dringender Wunsch. Zur Zeit
sind die zweimal jährlich erscheinenden Hamann - News - Letters
von James C. OTlaherty gut auf dem Plan (Bibliographie Va, 9).