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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

776-777

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Paracelsus, Auslegung des Psalters Davids 1957

Rezensent:

Peuckert, Will-Erich

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

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Setzung der Sprache des 16. Jahrhunderts in unser eigenes Sprachidiom
werden zuweilen speziell dem Lutherkenner Zweifel kommen
, und er wird in diesen Fällen gern die philologisch genaue
Weimarer Ausgabe über den Originaltext befragen wollen. Dem
ist von den Herausgebern Rechnung getragen worden: am Rande
sind (nach dem Vorbild von „Luther Deutsch") die Seitenzahlen
der Weimarer Ausgabe vermerkt, so daß man die analogen Stücke
an der Kritischen Gesamtausgabe nachprüfen kann. Eine weitere
Zahl am Rande gibt die entsprechende Stelle der zweiten Autlage
der „Münchener Ausgabe" an. Es ist erfreulich, daß bei dieser
Edition auch an solche kleinen technischen Erleichterungen
gedacht ist.

Die Kommentierung ist breiter angelegt und führt bei aller
Kürze den Leser doch an das Wesentliche heran bzw. gibt die
nötigen sachlichen wie sprachlichen Einführungen. Auf diese
Weise ist der Zugang zu den Schriften L.s selbst sehr erleichtert.
Erfreulich und hilfreich sind die für die einzelnen Abschnitte
zusammengestellten reichlichen und auf den modernsten Stand
gebrachten Literaturangaben. Eindringende Exkurse zu Sonderproblemen
(so z. B. die Einführung in Luthers Schriften zur Sozialethik
[5, 371—393]) geben eine gute Anleitung zum Verständnis
Luthers. Dies wird man alles freudig begrüßen, ohne
daß im Rahmen der Besprechung einer Neuauflage alle Einzelheiten
verfolgt werden könnten.

Zu den Einzelheiten: Eine geringfügige Kürzung gegenüber der
zweiten Auflage ist — soweit ich sehe — nur dadurch eingetreten, daß
Georg Merz sein „Nachwort" nicht durch ein Begleitwort zur nun vorliegenden
dritten Auflage erneuert hat; leider ist auch das „Chronologische
Verzeichnis der... Schriften Luthers" (Bändel, 568—580) nicht
übernommen worden. Beides kann gleichwohl noch in einem der ausstehenden
Bände nachgeholt werden.

Dagegen ist eine ganze Liste von sehr wesentlichen Erweiterungen
gegenüber der zweiten Auflage zu verzeichnen. Bisher war
nur die „Vorrede Luthers zum ersten Bande seiner lateinischen Schriften
" aus der Wittenberger Ausgabe [Hilfsbudi Nr. 753] abgedruckt
worden; jetzt ist auch die „Vorrede Luthers zum ersten Bande seiner
deutschen Schriften" der gleichen Ausgabe (1,15—19 [Hilfsbuch Nr. 3 5])
hinzugekommen. Im 3. Bande wurde noch zusätzlich „Luthers Rede auf
dem Reichstag zu Worms, 18. April 1521" (3,11—15 [Hilfsbuch
Nr. 775]) und „Eine Weise. Christliche Messe zu halten und zum Tische
Gottes zu gehen" 1524 (3, 111—127 [Hilfsbuch Nr. 510]) aufgenommen.
Die größten Erweiterungen hat der 4. Band erfahren, ohne daß bei den
bereits in zweiter Auflage abgedruckten Schriften Kürzungen hätten
vorgenommen werden müssen. Neu hinzugekommen sind Luthers Schritt
„Wider die Antinomer" 1539 (4,192—201 [Hilfsbuch Nr. 30]), der
letzte Teil von Luthers Predigt am dritten Sonntag nach Epiphanias
über Matth. 8, 1 ff. aus der Fastenpostille 1525 „Von dem fremden
Glauben und seiner Macht" (4, 275—284 [Hilfsbuch Po. 40]) und das
„Kurze Bekenntnis vom heiligen Sakrament" 1544 (4,294—315 [Hilfsbuch
Nr. 661]).

Eine Reihe von Umstellungen wäre noch zu verzeichnen:
Die bisher im 6. Bande stehende „Auslegung deutsch des Vater Unser
für die einfältigen Laien" [Hilfsbuch Nr. 742] hat jetzt im 1. Bande
seinen Platz gefunden (1, 296—348). Ebenso steht es mit dem „Sermon
von dem Bann" (1,399—412 [Hilfsbudi Nr. 60]), der in der zweiten
Auflage im 3. Bande stand. „Warum des Papsts und seiner Jünger Bücher
von Doktor Martino Luther verbrannt sind" [Hilfsbuch Nr. 545] und
„Grund und Ursach aller Artikel, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt
sind" [Hilfsbuch Nr. 114] sind aus dem 3. jetzt in den 2. Band
(2,291—300 und 303—380) herübergenommen worden. Die „Unterweisung
, wie sich die Christen in Mosen sollen schicken, gepredigt durch
Martin Luther" [Hilfsbuch Nr. 520] ist aus dem 6. Bande der zweiten
Auflage nach dem 4. (S. 179—191) umgestellt worden.

Desideria: Bedauern muß ich, daß bisher keine der frühen
Vorlesungen (mit Ausnahme der des Römerbriefes) und der Disputationen
Luthers berücksichtigt wurde und wohl auch nicht vorgesehen
ist. — Uneinheitlich ist die Zitierung der Seitenangaben der WA am
Rande bei den lateinischen Schriften. Z. T. ist sie — wie bei der Schrift
„Vom Babylonischen Gefängnis der Kirche. Ein Vorspiel" überhaupt
weggelassen worden. — Völlig unverständlich ist es dem Rez., daß man
sich bei der Übersetzung der „Resolutiones" auf die Walchsche, bei „De
captivitate ecclesiae praeludium" auf die Altenburger Ausgabe (!) usw.
stützte. Bereits die Braunschweiger Ausgabe bietet z. B. in Band 2,
S. 379 ff. eine von Otto Clemen (vgl. Luthers Werke in Auswahl, Berlin
1950 Bd 1, 426) als „ausgezeichnet" charakterisierte Übersetzung durdi
Gustav Kawerau. Sollte die Sprache des 17. Jahrhunderts für unsere
Zeit wirklich so besonders geeignet sein? Diese Ausgaben des 17. bzw.
18. Jahrhunderts haben zu ihrer Zeit wohl auch ihre Aufgabe erfüllt,
doch dürften sie jetzt nur noch historischen Wert für uns und die Wissenschaft
haben. Daß es auch anders geht, beweisen die Bände „Vom
unfreien Willen" und „Wider Latomus", die ganz ausgezeichnete moderne
Übersetzungen bieten. Die Ellweinsche Übertragung der Römerbriefvorlesung
ins Deutsche braucht kaum erwähnt zu werden, sie ist
allen bestens bekannt. - Leider ist die Schrift „Wider die himmlischen
Propheten" 1525 (4, 71—122 und 205—274 [Hilfsbuch Nr. 588]) entgegen
der Anordnung in der zweiten Auflage nicht zusammenhängend
abgedruckt worden, so daß sich jetzt „Das ander Teil wider die himmlischen
Propheten vom Sakrament" erst nach den Bauernkriegsschriften
findet. Die auf S. 370 beigebrachte Begründung scheint mir
keine hinreichende Rechtfertigung für die gewaltsame Auseinander-
reißung einer von Luther einheitlidi gedachten und konzipierten Schrift
zu geben. Ist dieser Traktat auch wegen allzu großer Stoffülle in zwei
Teilen (allerdings unmittelbar aufeinander folgend: der erste Teil im
Dezember 1524, der andere im Januar 152 5 fertig ausgedruckt) erschienen
, so gehört er m. E. inhaltlich wie chronologisch doch unbedingt zusammen
. Diese Bemerkungen können und sollen natürlich den Wert
dieser Edition in keiner Weise herabsetzen.

Ähnlich wie die zweite Auflage ist nun auch wieder die dritte
(in braunem Leinen) sehr schön ausgestattet. Das Format ist ein
wenig größer geworden. Jedem Bande ist ein Lutherbild beigegeben
(es sind bisher die gleichen wie in der zweiten Auflage).

Stand bei der ersten Auflage „der Klassiker der deutschen
Nationalliteratur des 16. Jahrhunderts" im Vordergrund, so hat
sich bei der zweiten Auflage der Akzent zugunsten des Theologischen
und Reformationshistorischen verschoben. Bei der Auswahl
der Schriften steht jetzt Luther der Prediger und Reformator
in der Mitte. Die Gestaltung der dritten Auflage verrät eine
konsequente Weiterführung auf dem bereits beschrittenen Wege.

Halle Saale « . E. O. Reichert

[Paracelsus:] Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus.
Sämtliche Werke. 2. Abt.: Theologische und religionsphilosophische
Schriften. Bd. IV: Auslegung des Psalters Davids. Teil I: Kommentar
zu den Psalmen 75 (76) bis 102 (103). Bearb. von Kurt Goldammer
. Wiesbaden: Steiner 1955. LV, 347 S. gr. 8°. DM 38.— :
Lw. DM 44.—.

Dem noch zu Anfang dieses Jahrhunderts als abstrus und
alchimistisches Schwindelgenie geltenden „Quacksalber" Paracelsus
hat der Leipziger Medizinhistoriker Karl Sudhoff eine glänzende
Auferstehung verschafft. Sudhoff hat seit den neunziger
Jahren sein gedrucktes Werk gesichtet und in dem „Versuch einer
Bibliographie II" eine kritische Übersicht des handschriftlich überlieferten
Materials gegeben. Auf Grund dieser Vorarbeit gab er
seit 1923 in vierzehn Bänden das medizinische und naturphilosophische
Werk Paracelsi neu heraus. Dieser Ausgabe verdanken
wir zum ersten Male ein einigermaßen genaues Bild des Begründers
der pansophischen Philosophie, deren Wirkung bis in die
Tage der Romantik angehalten hat, und ein Bild des Lehrmeisters
der Iatromedizin. Unediert blieb, von dem mißlungenen Ansatz
Matthießens abgesehen, das nicht minder umfangreiche religionsphilosophische
Werk; die Ansätze zu dessen Ausgabe habe ich in
der „Ztschr. f. dtsch. Philologie" 75, 1956, 202 ff. kurz skizziert.
Es ist bereits in den Tagen der ersten großen Ausgabe durch Hu-
ser 15 89 ff. beiseit gelegt worden, damals, im Zeitalter der Religionskriege
, aus berechtigten Ängsten; nur der seltsam zwielichtige
Johannes Staritius, der 1623 im Kreise der schlesischen
Böhme-Anhänger auftauchte, gab — neben Weigeltexten —
paracelsische theologica heraus (Neudruck 1944 Berlin). Jetzt
legt sie Goldammer in der Nachfolge Sudhoffs und auf dessen
Vorarbeiten fußend endlich vor.

Über die Bedeutsamkeit einer solchen Ausgabe ist kein
Wort zu verlieren. Nachdem sich die historische Erforschung des
Reformationszeitalters endlich vom Heroenkult entfernt hat, ist
die Frage nach den Vorläufern Luthers dringlicher als zu Ullmanns
Zeiten geworden, und die nach den Gestalten neben ihm unerläßlich
. Das Corpus Schwenckfeldianorum bedeutete einen guten Anfang
, (und es ist zu hoffen, daß sein dem Kriege zum Opfer gefallener
Schlußband endlich erneut werde); für Erasmus wie
Sebastian Franck bleibt fast noch alle« zu tun, den Täufern gelten
eine Reihe von Aktenpublikationen, und Paracelsus werden
wir, dank Goldammer, nun erhalten. Er gehört der Reihe der sog.
„freien Christen" an, stand eine Zeitlang (über Jud) Zwingli
nahe, schloß sich anscheinend täuferischen Kreisen an, und kehrte