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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

55-57

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Behling, Lottlisa

Titel/Untertitel:

Die Handzeichnungen des Mathis Gothart Nithart genannt Grünewald 1957

Rezensent:

Ladendorf, Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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dürfte der Untergang des Maxentius im Tiber der Ausgangspunkt, die
Mosestypologie Konstantins erst dessen Folge gewesen sein. Sp. 5 57 f.:
Woher ist bei „Dreizack" der christl. Ursprung der Lampe von Cabrol-
Leclercq bekannt?

Heidelberg H. v. Campenhausen

Behling, Lottlisa, Prof. Dr.: Die Handzeichnungen des Mathis Gotha
« Nithart genannt Grünewald. Weimar: Böhlau 195 5. 128 S. mit

30 Textabb., 41 Taf. gr. 8°. Lw. DM 18.-.

Eine Schrift zu den Zeichnungen Grünewalds muß zu den
bedeutenden Aufgaben der deutschen Kunstgeschichte gerechnet
werden. Sie hat hier eine Lösung gefunden, die der Kunstliebhaber
und der Fachangehörige gleich dankbar begrüßen werden.
Der Gestalt und dem Werk des in so vielem rätselhaften Mannes
gelten Einführung und Lebensabriß, denen eine ausführliche Betrachtung
der Zeichnungen folgt, die sie in das Werk und in die
Kunst der Zeit vorzüglich einordnet. Eine zusammenfassende
Schlußbemerkung gibt einen guten Überblick über die stilgeschichtlichen
Beziehungen zur älteren Kunst und zu Leonardo
wie zu Dürer, Cranach und anderen zeitgenössischen Meistern.

In einem besonderen Teil der Veröffentlichung wird ein Katalog
aller Zeichnungen geboten; das Literaturverzeichnis weist
die bisherigen Studien zu der der Zahl nach so kleinen, der Bedeutung
nach so großen Werkgruppe übersichtlich nach.

Der Besitzstand der Nachkriegszeit bietet ein seltsames Abbild
der auch in früherer Zeit sehr bewegten Besitzgeschichte.
Die vier Dresdener Zeichnungen sind verschollen, auch das Blatt
in Lützschena mit zwei Zeichnungen. Von den im Katalog ebenfalls
mit der Bezeichnung „vormals" für das Berliner Kupferstichkabinett
angegebenen 16 Blättern ist die Zeichnung des Antonius
für den Isenheimer Altar verschollen, sonst aber mindestens
11 erhalten geblieben wie ein von Fr. Winkler bearbeiteter Katalog
ausweist1. Zu dem Fund, der bei Marburg2 in der Nachkriegszeit
gemacht wurde, verhält sich die Verf. wohl mit Recht
sehr zurückhaltend. Es ist wahrscheinlicher, daß man es hier nicht
mit Originalen Grünewalds, sondern mit Studien nach ihm aus
der Barockzeit zu tun hat, für die das Werk des Künstlers eine
größere Bedeutung gehabt hat, als zur Zeit der Entdeckung schon
zu übersehen war3. Sehr wichtig sind die drei bis 1952 völlig unbekannten
, in einer Bibel des Märkischen Museums Berlin eingeklebten
Zeichnungen, die W. Stengel aufgefunden und veröffentlicht
hat'. In einer soeben erschienenen Studie hat Fr. Winkler6
versucht, eine Anzahl der bekannten Zeichnungen bis zu

') Fr. Winkler, Meisterwerke aus den Berliner Museen, Deutsche
Zeichnungen der Dürerzeit, Berlin 1952.

*) Vgl. noch Fr. Winkler, Der Marburger Grünewaldfund. Sitzungs-
ber. d. Kunstgesch. Ges. Berlin 1952/1953, 18—20.

s) Vgl. die sich immer dichter schließende Kette von Belegen:
A. Naegele, Die alte Kopie einer Grünewaldischen Kreuzigung in der
Klosterkirche zu Marienberg in Südtirol und ihr Meister Jacob Pfeil aus
Dorf Tirol (1647) Zeitsdlr. f. d. Gesch. d. Oberrheines 56, 1943, 206
bis 231; C.A.Müller, Neues über Schloß Bottningen, Freiwillige Basler
Denkmalpflege 30/31, 1945/46, 17—37 (Kopie des Isenheimer Altares
um 1656) ferner D. A. Juiguez im Archivio espagiiol de Arte 1949,
255—258 und A. Feulner im Städeljahrbudi 7/8, 1932. 172.

*) Das auch an diesen Blättern festzustellende Ausschneiden in
der Silhouette ist übrigens eine so häufig festzustellende Barbarei, daß
der Vermutung, solche Zeichnungen seien vielleicht als Stickereivorlagen
benutzt worden, von der Verf. mit Recht keine Bedeutung beigemessen
wird.

6) Fr. Winkler, Anton Graffs Bildnis des Gottfried Windeier, Berliner
Museen N.F. 5, 1955, 24—26; der erste Entwurf für den Antonius
des Isenheimer Altares, ehem. Berlin stammt aus dessen Kabinett,
auch die Zeichnung Guersis in Weimar, die von Windeier Erben an die
Slg. Joh. Fr. Rochlitz kam, das Blatt ehem. in Lützenau ist ebenfalls im
Besitz Wincklers gewesen, vielleicht auch Blätter aus den Sammlungen
Nagler, Lepell und Radowitz. Die Studie von G. W. Schulz zum Kunstbesitz
Wincklers bei W. Teupser, Kunst und ihre Sammlung in Leipzig
1937 erbringt leider nichts über das von M. Lehrs Mitt. aus den Sächs.
Kunstslgen 1, 1910, 41—45 Veröffentlichte, wonach auch die vier ehem.
in Dresden befindlichen Blätter aus Wincklers Besitz stammen, nach
denen sich eine weitere Zeichnung, die aus der Slg. H. W. Campe Leipzig
nach 1862 in die ehem. Slg. Ehlers Göttingen und von da nach Berlin
gelangte, als alter Wincklerscher Besitz bestimmt.

dem Leipziger Kunstsammler G. Windeier zurüdczuverfolgen.
Anderen Angaben in alten Katalogen gegenüber wird man skeptisch
bleiben, solange sich die Zeichnungen selbst nicht finden*.
Zu den Einzelfragen der Chronologie der Zeichnungen sind der
Verf. nur wenige verstreute neuere Bemerkungen entgangen7.
An der Anordnung im Großen ändern sie nichts, einige Blätter
werden immer strittig bleiben, da sie nicht mit letzter Sicherheit
datiert werden können.

Das Verhältnis Grünewalds zu der Kunst einer etwa hundert
Jahre älteren Stilstufe, zu dem L. Behling wertvolle Hinweise
gibt, findet in der zeitgenössischen italienischen Kunst eine Parallele
. Die Feststellungen von Beziehungen Nikolaus Gerhaerts
zu Grünewald ist wichtig, die Charakterisierung des Verhältnisses
von Grünewald und Cranach bringt ebenfalls neue Ergebnisse.
Die Vergleichlichkeit der Zeichnung Grünewalds, die die Mutter
des Hans Schönitz darstellt72 mit Dürers Zeichnung seiner Mutter
und Cranachs Gemälde von Luthers Mutter ist ein weiterer Beleg
für den inneren Zusammenhang der deutschen Kunst dieser Zeit.
Die Beobachtungen und Erwägungen zu Grünewalds Verbindung
mit Leonardo (vgl. u. a. auch die Ausdrudcssrudie des Schreienden
) und insbesondere mit Dürer hätten sich ergänzen lassen, wären
der Verf. nicht die wertvollen Ausführungen von A. Weixl-
gärtner8 unbekannt geblieben, — ein leider charakteristisches
Zeichen für die in dieser Nachkriegszeit noch immer sehr mangelhaften
Bibliotheksverhältnisse. Weixlgärtner hat nicht nur einige
Einzelbeobachtungen beizutragen, z. B. zu der auf zwei
Zeichnungen Grünewalds festzustellenden Armillarsphäre, deren
Bedeutung noch näher zu bestimmen bleibt oder zur Benutzung
einer großen (italienischen) Gliederpuppe, er weist auch auf weitere
Anhaltspunkte einer Verbindung zu Italien und stellt die
Beeinflussung von Dürer und Grünewald aus großer Übersicht
als eine wechselseitige dar. Die bei Grünewald zu beobachtende
Kenntnis der Werke Dürers ergibt kein Argument für künstlerische
Abhängigkeit, Bildniszeichnungen Dürers verraten umgekehrt
die suggestive Wirkung von Zeichnungen Grünewalds,
insbesondere die Zeichnung des toten Christus (Winkler 272).
Grünewalds lächelnder Frauenkopf ist im Ausdruck Dürers Windischen
Bäuerinnen sehr ähnlich. Die sachlich ruhigen Darlegungen
Weixlgärtners bestätigen klar die auch von der Verf. vorgetragene
Meinung, daß Grünewald unmöglich älter, eher gleichaltrig
, wahrscheinlich jünger ist als Dürer. Der Isenheimer Altar
kann nicht das Werk eines über fünfzig Jahre alten Künstlers
sein. Der Generationszwang der Stilbestimmtheit hätte dann zu
einer ganz anderen Formausprägung führen müssen. Die Frage
nach der künstlerischen Herkunft Grünewalds bleibt unbeantwortet
, gelegentliche Erinnerungen an Schongauer in seinen
Zeichnungen geben keinen Anhaltspunkt.

Zu kurz kommt bei L. Behling das leider sehr beschädigt
überlieferte, aber doch ungemein wichtige Selbstbildnis. Hartlaub
hat das Selbstbildnerische, das auch in allen Werken Grunewalds
durchscheint, in einem jetzt veröffentlichten Aufsatz
als einen Grundzug künstlerischen Schaffens aufschlußreich behandelt
*. Er hätte vielleicht Weixlgärtner davor bewahren können
, dieses Bildnis als sog. Selbstbildnis zu bezweifeln. Das
Blatt steht auch der berühmten, religionsgeschichtlich so hervorragend
wichtigen Trias romana nahe, die in den letzten Jahren

") Verzeichnis der von J. W. Meil hinterlassenen Sammlung, Aukt.
Sonnin Berlin 1805, S. 347, Nr. 383: Ein altdeutscher Soldat von M.
Grünewald mit der Feder.

7) Das Buch von G. Schoenberger, The drawings of Mathis Got-
hart Nithart called Gruenewald, New York 1948 ist mehrfach besprochen
worden: W. Arnes, Magazine of Art 41, 1948, 282; W. Friedländer,
Gazette des Beaux Arts 90, 1948, 373; O.Hagen, The Quarterly 12,
1949, 108—109; bes. E. Panofsky Art Bulletin 31, 1949, 63—65.

7a) Ein wichtiger Hinweis zu dieser Zeichnung als Totenbildnis findet
sich bei A. Pigler, Portraying the dead Acta historiae artium 4 1956
8, 9, 70.

B) Arpad Weixlgärtner, Dürer und Grünewald, Ein Versuch, die
beiden Künstler zusammen, in ihren Besonderheiten, ihrem Gegenspiel,
ihrer Zeitgebundenheit, zu verstehen. Göteborg 1949, 157 S. m. 16 Abb.
= Göteborgs Kungl. Vetenskaps — och Vitterhetssamhälles handlingar
6. F. Ser. A., Bd. 4, Nr. 1.

") G. F. Hartlaub, Das Selbstbildnerische in der Kunst, Zeitschr. f.
Kunstwiss. N. F. 9, 1955, 97—124, bes. 109—110.