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Ausgabe:

1957 Nr. 10

Spalte:

769-771

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Frickel, Michael

Titel/Untertitel:

Deus totus ubique simul 1957

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 10

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welches dem intelligere vorausgeht und durch Autorität bewirkt
wird. Es ist Überzeugtheit auf Grund von Feststellung. Glauben
ist eben nicht Erkennen, und Wissen ist nicht eine Art des Glaubens
(gegen S. 130 ff.). Der Verfasser ist hier ein Opfer der
Vokabel credere, geworden. Dasselbe gilt für seine Ausführungen
über fides temporalis und fides spiritualis et aeterna. Zu De ver.
rel. 50, 99: Distinguamus ergo quam fidem debeamus historiae,
(d. i. die fides temporalis), quam fidem debeamus intelligentiae
(d. i. die fides spiritualis et aeterna) usw., deutet Löhrer die
fides spiritualis im Sinne des intellectus fidei. Augustin kenne
eine gewisse Schau der Wahrheit, aber innerhalb des Glaubens
(S. 195, 213). Es verhält sich gerade umgekehrt. Die fides ist
keine intelligentia, sondern die intelligentia ist von fides, d. h.
von Zustimmung und Überzeugtheit, begleitet. Die fides hat
dabei schlechterdings keine Erkenntnisfunktion. Die fortschreitende
Stufenfolge, die der Verfasser innerhalb der fides konstruieren
möchte, von der temporalis zur spiritualis, ist vielmehr
ein qualitativer Unterschied von historia und intelligentia. Es
gibt zwar bei Augustin ein Auge des Glaubens (ep. 120 S. 711
Goldbacher). Dieses überschreitet jedoch nicht den Bereich des
Glaubens, sondern ist lediglich das Bewußtsein des Glaubens von
6ich selbst und seinem Inhalt als geglaubtem, nicht erkanntem.

In der Deutung des augustinischen Glaubensbegriffes spiegeln
sich die theologischen Kategorien des Verfassers. Er gehe
von vornherein von dem Schema objektiv-subjektiv aus, und betrachtet
die Autorität als objektives, das credere als subjektives
Element des Glaubensaktes. Damit rückt credere von vornherein
unter den Aspekt einer menschlichen Tätigkeit. Das führt zu
der Deutung des beim intelligere vorhandenen credere als Erkenntnisaktes
im Sinne eines intellectus fidei. Es liegt aber auch
hinsichtlich des Ganzen des augustinischen Schrifttums eine Gefahr
in dieser Sicht. Betrachtet man das credere als subjektive
Seite des Glaubensaktes, so erhält es als Tätigkeit, die beim
Zustandekommen des Glaubens unumgänglich ist, ein Schwergewicht
, das in Richtung auf eine anthropozentrische und synergistische
Deutung des Glaubensvorgangs wirkt. Diese Gefahr
wird für den größten Teil des von Löhrer behandelten Zeitraums
noch nicht sichtbar, da Augustin anfangs .hinsichtlich des
Verhältnisses von Gnade und Glaube durchaus synergistisch gedacht
hat. Sie taucht aber am Horizonte auf, wenn nach einer
Darstellung der Gnadenlehre in der Schrift De div. quaest. ad.
Simplicianum gesagt wird: „Der Glaube ist also gleichzeitig
Werk der inspirierenden Gnade (vocatio) und des freien Willens
." Das klingt semipelagianisch, obwohl es vielleicht nicht so
gemeint ist. Die Kategorien objektiv-subjektiv sind jedenfalls
nicht geeignet, das schwierige Verhältnis zwischen Gnade und
Willen bei Augustin zu erhellen. Für dieses Problem sei auf die
in die Tiefe dringenden Ausführungen Gotthard Nygrens (Das
Prädestinationsproblem in der Theologie Augustins, Göttingen
1956) hingewiesen. — Sprachlich stört in Löhrers Arbeit, daß
„wegen" beharrlich mit dem Dativ konstruiert wird.

Diese kritischen Bemerkungen sollen den Wert der sorgfältigen
und fleißigen Arbeit des Verfassers, die auch die Literatur
umsichtig verwendet, nicht herabsetzen. Sie beabsichtigen,
auf die Grenzen des chronologischen Verfahrens in der Deutung
Augustins aufmerksam zu machen und vor dem Schwergewicht
der Denkschemata zu warnen, welche der Interpret verwendet.
Es wäre zu begrüßen, wenn der Verfasser seine Forschungen über
das Phänomen des Glaubens bei Augustin über die zeitliche
Grenze der Confessiones hinaus weiterführen würde.

Naumburg/Saale Rudolf Lorenz

F t i c k e 1, Michael, O.S.B.: Deus totus ubique simul. Untersuchungen
zur allgemeinen Gottgegenwart im Rahmen der Gotteslehre Gregors
des Großen. Freiburg: Herder 1956. XVI, 148 S. gr. 8° = Freiburger
Theol. Studien, hrsg. v. J. Vincke, H. 69. DM 7.40.

Die Theologie Gregors des Großen, die Harnack als „depotenzierten
Augustinismus" charakterisierte, findet im allgemeinen
keine allzu günstige Beurteilung. Die Forschung hat vor
allem seine Bedeutung auf dem Gebiet der Moral und der Mystik
herausgearbeitet. Die Untersuchung Frickels stellt sich die Aufgabe
, an einem begrenzten Thema, der Gotteslehre, zu zeigen.

daß Gregor auch der theologisch - metaphysischen Spekulation
fähig war, und will so eine positive Ergänzung zu der üblichen
Wertung der Theologie des Mönchspapstes geben.

Bei der natürlichen Gotteserkenntnis geht Gregor von der
Tatsache der Allgegenwart Gottes aus. Diese ermöglicht aber
kein direktes Erkennen Gottes, denn Gott ist unsichtbar und unbegreiflich
gegenwärtig. Er kann nur „gefühlt" werden (sentiri),
die Wesensschau Gottes ist jenseitig-eschatologisch. Wo sich bei
Gregor eine unmittelbare Erfahrung der Gottespräsenz findet,
handelt es sich um eine intellektuelle Einsicht, um ein rationales
Schlußverfahren, das auf dem Wege diskursiven Denkens zu
einem ratione conspicere führt, d. h. zu einem bildlosen, intellektuellen
Sehen der göttlichen Wesenheit. Diese Feststellung bedeutet
eine Korrektur der Ergebnisse von Butlers einflußreichem
Buch: Western Mysticism. Einen spekulativen Gottesbeweis hat
Gregor nicht geführt, ihm fehlt doch das lebendige metaphysische
Interesse Augustins. Von dem psychologisch - metaphysischen
Gottesbeweis Augustins, der von der Betrachtung der Außenwelt
in das Innere der eigenen Seele und von den in ihr enthaltenen
Wahrheiten zu Gott, der Wahrheit selbst, führt, bleibt bei Gregor
nur die psychologische Wegstrecke übrig. Der Beweis reduziert
sich auf einen Analogieschluß von der Geistseele auf die
Jjottnatur, ohne daß sich Gregor dabei der Lehre von der imago
Dei bedient.

Die Gottesvorstellung Gregors trägt weithin augustinische
£uge. Gott ist das höchste, unveränderliche, einfache Sein. Dabei
hat jedoch Gregor im Unterschied zu Augustin kein Verhältnis
zu den transzendentalen Begriffen des Wahren und Guten
O 36. Sagt der Verfasser absichtlich „transzendental"? Dann
sollte man sich aber im Hinblick auf die Prägung der Begriffe
„transzendent" und „transzendental" durch Kant über den
eigenen Sprachgebrauch äußern). Gott ist wesentlich Einheit und
oelbstidentität. Das unteilbare Ganzsein Gottes auf Grund
in."" ^e'bstidentität ist der metaphysische Kern der göttlichen
Ubiquität, welche Gregor in die Formel faßt: unus idemque totus
ubique (S. 38). Aus der Ewigkeit Gottes folgt das je Ganze und
^•"gleich des göttlichen Seins, das totum simul esse (vgl. dazu
Mor. 16, 43, 55). So ergibt sich als Zentrum der metaphysischen
^JOtteslehre Gregors das esse unum idemque totum ubique simul
(S. 43). Für die Unendlichkeit Gottes gebraucht Gregor statt in-
tinitus vorzugsweise das Prädikat incircumscriptus.

In der Bestimmung des Selbstseins Gottes übernimmt der
Papst die Aussagen Augustins von der Geistigkeit Gottes und
dem göttlichen Licht, ohne tiefer über Sinn und Gehalt der Formeln
zu reflektieren. Hinsichtlich des Verhältnisses von Gott und
Welt findet sich jedoch neben eben solchen formelhaft übernommenen
Bestimmungen wie causa causarum, vita viventium,
ratio rationabilium eine selbständige Formulierung Gregors, die
von dem oben berührten metaphysischen Kern seiner Lehre von
der Gottespräsenz ausgeht: Mor. 2, 12, 20 (Gott ist) unus idemque
totus ubique praesidendo sustinens, sustinendo praesidens,
circumdando penetrans, penetrando circumdans; unde superius
praesidens, inde inferius sustinens et unde exterius ambiens, inde
mterius replens usw. Für diese Präsenzformel findet sich keine vergleichbare
Parallele in der lateinischen Tradition. Sie muß also
Gregor zugeschrieben werden (S. 84). Der allgegenwärtige Gott
lst „umfangender" Gott und „inseiender" Gott, „regierender"
und „erhaltender" Gott. Die Herrschergegenwart Gottes äußert
sich gegenüber den Guten- als Gnadenhilfe, gegenüber den Bösen
als richterliche Vergeltung.

Durch Untersuchung einer Reihe von formelhaften Verdichtungen
der Gegenwartslehre will der Verfasser die praktische
Auswertung des Präsenzgedankens bei Gregor klarstellen. Er
kommt bei den sich findenden Formeln Deus spectator, iudex
internus, Deo auetore, zu dem Ergebnis, daß die Allgegenwart
Gottes, von der Gregor Wesentliches auszusagen wußte, ihm im
praktischen Leben „gleichsam fremd geworden ist" (S. 131). Besonders
aufschlußreich ist die Formel iudex internus, die einmal
die innermenschliche richtende ratio bezeichnet, zum andern den
eschatologischen Richter, der die Intention des Herzens beobachtet
. Sie besagt keine Einwohnung Gottes, obwohl dieser Gedanke
der Gesamtlehre Gregors nicht fremd ist, sondern meint