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Ausgabe:

1957

Spalte:

759-760

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fülling, Erich

Titel/Untertitel:

Geschichte als Offenbarung 1957

Rezensent:

Pältz, Eberhard Hermann

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759

Theologisdie Literaturzeitung 1957 Nr. 10

760

tionen (z.B. S. 129 Z. 11). Bei den Graeca merkt man mitunter, daß
sie erst nachträglich im Handsatz eingefügt worden sind.

Es ist sehr erfreulich, daß die Abkürzungen in kath. und prot.
Werken einander mehr und mehr angeglichen werden und der Einfluß
der für das ThW üblichen Abkürzungen zunimmt (die ThLZ — so
S. XXIV im Verzeichnis — ist S. 107 Anm. 22 dann aber doch Theol.
Lz. abgekürzt). Statt „a. a. O." schreibt Verf. stets „a. O.", offenbar
= „angeführten Ortes". Das ist immer noch besser als das neuerdings
beliebte „a. A. 15 a. O." = „an dem in Anm. 15 angeführten Ort".
Wer mag das erfunden und auf dem Gewissen haben? Die verwandte,
im ThW üblich gewordene Art ist, wenn auch fast ebenso kompliziert,
doch vorzuziehen.

Bern Wilhelm Michaelis

GESCHICHTSPHILOSOPHIE

F ü 11 i n g, Erich: Geschichte als Offenbarung. Studien zur Frage Historismus
und Glaube von Herder bis Troeltsch. Berlin: Töpelmann
19 56. 88 S. gr. 8° = Studien der Luther-Akademie, hrsg. im Auftr.
d. Vorstandes v. Carl Stange, Göttingen. N. F. H. 4. DM 7.80.
Nach der Lektüre dieses gehaltvollen Buches wird man bemüht
sein, eine unkontrollierte Verwendung des Begriffes „Geschichtlichkeit
" zu vermeiden. Wo liegen die Wurzeln unseres
modernen, vom Historismus geprägten Geschichtsverständnisses?
Die nachchristliche Geschichtsbetrachtung hat die biblische Te-
leologie übernommen, doch entscheidend umgeprägt. Ist dies nun
noch die durch das Christusereignis ermöglichte „Geschichte",
ist im Phänomen des „Historismus" gar ein sichtbarer Hinweis
auf das durch das Skandalon des Kreuzes bezeichnete Koordinatensystem
von Geschichte und Offenbarung vorhanden? Wie
steht es mit dem Ergebnis der Analysen des Verfassers, der
Historismus sei „eine christliche Haeresie, also eine auf christlichem
Boden erwachsene Anschauung, die von ihm genährt
wurde, aber bestimmte Züge überbetont und eigenmächtig vorwärtstreibt
" (84)? Die durch die Last der Geschichte verursachte
Krankheit versuche der Historismus durch die Kräfte der Geschichte
selbst zu heilen (8 5). Denn Historismus bedeute ja, daß
die Geschichte dominierend geworden sei und andere Triebkräfte
— religiöse, ästhetische, ethische — verdrängt habe. Der Historismus
stelle die Geschichte als fließende und fortschreitende Zeit
in den Mittelpunkt und suche ihre Gesichtspunkte: Veränderung,
Entwicklung verbunden mit Individualität, überall hineinzutragen
(10).

Es geht nun dem Verf. darum, bei „solchen Denkern, die für die
Frage des Historismus von Bedeutung sind, das hervorzuheben und zu
prüfen, was die letzte Gewißheit oder Ungewißheit ihrer Anschauungen
ausmacht, wieweit christlicher Glaube als säkularisiertes Christentum
im Hintergrund steht" (ll). Der Verf. versucht, unter der Fragestellung
, ob der Historismus ein moderner Mythos, eine Ideologie, sei
(10), dem vielverhandelten Thema neue Aspekte abzugewinnen. Sein
Einsatzpunkt ist Herder. Mit diesem und mit Hegel ist der Beginn des
älteren Historismus gegeben, während Dilthey und Troeltsch als Vertreter
des neueren gelten. In vier Abschnitten wird das Problem strukturiert
: I. Herders Idee der Geschichte. IL Hegels absolute Geschichte.
III. Diltheys geisteswissenschaftliche Philosophie des Lebens und die
Frage der geschichtlichen Relativität. IV. Die Frage des Historismus
bei Troeltsch.

Das Ergebnis lautet: „Das .Geschichtliche' als Lebens- und Weltanschauung
im Sinne des Historismus ist ... ein Ausdrude nachchristlicher
Apostasie und hat in einer christlichen Geschichtsbetrachtung
keinen legitimen Ort" (88). Der Verf. sagt dies als einer, der durchaus
„Sinn für Geschichte" hat, dessen Untersuchung geschichtliche
Strukturen zum Ausgangspunkt nimmt; es versteht sich von selbst,
daß damit die Frage nach der Geschichte erst eigentlich beginnt, daß
zum anderen unserer gegenwärtigen Generation weder hinsichtlich der
strukturphänomenologischen Betrachtung noch in der systematischen
Wertung das letzte Wort zum Thema des Historismus gegeben sein
kann. Und: ist die Fragestellung so ohne weiteres häretisch? Wäre
nicht eine Auseinandersetzung mit den gewichtigen Untersuchungen
von Lis. Richter in „Immanenz und Transzendenz im nachreforma-
torischen Gottesbild" (1954) gerade für das hier verhandelte Thema
äußerst fruchtbar? Wenn sich bei Herder das Ringen um die Geschichte
aus dem Bestreben ergibt, den starren Zwang der Aufklärung
abzuschütteln, wenn Troeltsch den geschichtlichen Relativismus, untei
dem die Besten seiner Zeit leiden, überwinden möchte, während bei
Dilthey das Problem der Befreiung des geschichtlichen Bewußtseins von
der Last der Vergangenheit durch die Herausarbeitung eben dieses Bewußtseins
den Hintergrund seines Denkens bildet (82), dann liegen

anscheinend in der Intention dieser Bewegung unverkennbar gestaltende
Kräfte beschlossen, die theologische Bedeutung haben und z. T.
unveräußerliche Inhalte des christlichen Offenbarungsverständnisses neu
entdecken und geltend machen.

Daß bei H e r d e r die Geschichte selbst zur Offenbarung geworden
ist, ist gewiß eine Verkürzung des christlichen Geschichtsverständnisses
(doch sollte man mit S t e p h a n und D o e r n e den Bückeburger
Herder stärker berücksichtigen, seine „Ideen" sind wohl die reifste
Darstellung, aber die Sprachphilosophie und die Linie des Verhältnisses
Herder-Hamann-Luther sind ein deutliches Korrektiv dazu). —Die Weltgeschichte
, die zum Schauplatz der Beförderung der Humanität, zur
Heilsgeschichte, wird, wird mit der Offenbarung gleichgesetzt. „Trotz
aller irrationalistischen Grundhaltung entfernt Herder aus der Welt das
Geheimnis (Mysterium), von dem jene lebt" (27).

Von Hegels Geschichtsbegriff blieb, als die Metaphysik noch
fragwürdiger wurde, nur noch der Glaube an den Sinn der Geschichte
ganz allgemein zurück als Religions- und Philosophie-Ersatz. Es fehle
im Hegelianismus jeder echte Abstand zu Gott und jede lebendige
Offenbarung (35). (Es ist dem Rez. fraglich, ob die neuere Hegelforschung
diese Aussage akzeptieren könnte!) „Im Unterschied zu Herder
bemüht sich aber Hegel, die Offenbarung, die im zweiten und dritten
Artikel uns gegeben ist, mehr zu sichern, als es bei jenem der Fall ist.
Gerade weil ihm die Absolutheit des Christentums wesentlich ist, läßt
er den Geschichtsverlauf in ihm gipfeln" (36). Der Offenbarungsbegriff
Hegels bedarf wohl noch einer eingehenden Untersuchung (die Basis
der „Geschichtsphilosophie" ist dabei zu schmal; neben der „Religionsphilosophie
" vgl. vor allem: O.Kühler, Sinn, Bedeutung und Auslegung
der Hl. Schrift in Hegels Philosophie [1934]; die Teleologie
bzw. Eschatologie wäre auch in diesem Zusammenhang ausführlich zu
behandeln).

Die Kapitel über Dilthey und Troeltsch sind Glanzstücke in der
Auswahl des Wesentlichen auf relativ begrenztem Raum. Diltheys
Haltung ist nicht ohne Luther und christliche Hintergründe denkbar
(58). Aber an die Stelle des Kommens des Gottesreiches und der entsprechenden
Entsdieidung des Menschen ist die eigenmächtige Freiheit
des Menschen auf dem Hintergrunde des .Lebens' getreten (59). Es
blieb seinem Gesprächspartner Yorck vorbehalten, zu erkennen, daß
echte Geschichtlichkeit mit der realen Offenbarung des Christentums
steht und fällt: Ohne den Sühnetod Christi und die dadurch gegebene
„virtuelle Zurechnung und Kraftübertragung gibt es überhaupt keine
Geschichte" (57). In Diltheys Lebensbegriff sind gewiß das Geschichtliche
und die Besinnung auf die eigene Existenz (die er beide auf die
christliche Religion zurückführt) wichtige Bestandteile, aber der Gottesgedanke
ist verweltlicht im Sinne des .Lebens'. „An die Stelle des
christlichen Glaubens und der Vernunft Hegels traten das .Leben in
seiner Totalität', die .Macht des Irrationalen', auch ,der historische Lebenszusammenhang
' " (40).

Troeltschs Rückgriff auf Leibniz und Malebranche, um trotz
der Immanenz zu einer Anschauung von der Geschichte zu gelangen,
die über diese hinausführt, auf metaphysische Wurzeln und Hintergründe
weist (66), versucht den Relativismus zu überwinden. Hinter
der Synthese Troeltschs steht der Glaube an die Möglichkeit einer
sinnvollen Verbindung von christlichem Theismus und Geschichte (71).
Seit der göttliche Sinngehalt der Geschichte zutiefst fraglich geworden
ist, ist es unmöglich, die Relativität des Geschichtlichen mit den Kräften
der Geschichte selbst zu überwinden. — Unbeschadet dessen, daß
eine Neuentdeckung des „Geistesmenschen" (Meinecke) Troeltsch — und
dessen kraftvollen Wollens der Behauptung der christlichen Religion
in der modernen Welt — noch eigentlich bevorstehen könnte, sei die
Feststellung von W.Köhler (Ernst Troeltsch, 1941, 390) angeführt.
,,So seltsam es bei einem so eminent historischen Geist klingen mag,
Troeltsch hatte im Grunde wie der Humanismus eine geschichtslose
Religion. Christus und seine Kirche waren lebendige Symbole, Anschauungsformen
für ein Letztes, das nur in solchen Formen unterkommen
konnte, aber sie immer wieder sprengte."

Mit Troeltschs Lebenswerk ist die Aufgabe der Überwindung
und Bewältigung des Historismus gestellt. Es ist unbestritten
, daß die Theologie nicht nur um der historischen Verwurzelung
willen durch die Nöte, die der Historismus bereitet,
hindurchgehen muß, sondern ihre Aufmerksamkeit deshalb, weil
der Glaube sich auf geschichtliche Offenbarung gründet, der Geschichte
(und den philosophischen Hintergründen der Geschichtsbetrachtung
) widmen muß; vor dem „distinktlosen Gebrauch"
des Begriffes der Geschichte ist von berufener Seite gewarnt worden
. Da man aber ohne ihn nicht auskommt, wird man sich gern
dem Verf. anvertrauen, in seiner an Einsichten und Deutungen
reichen, durch klare thematische Leitlinien ausgezeichneten Darstellung
dem Thema „Geschichte als Offenbarung" nachzugehen.

Jena Eberhard H. P ä Hz