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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

52-53

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Glazik, Josef

Titel/Untertitel:

Die russisch-orthodoxe Heidenmission seit Peter dem Grossen 1957

Rezensent:

Müller, Ludolf

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

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oder gar ein realer Zusammenschluß aller christlichen Konfessionen
zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft erfolgen" wird (S. 38).

Im 2. Kapitel: „Kirchlicher Glaube und Volksglaube
" wird, unter Heranziehung reicher Zeugnisse aus
der vorwiegend russischen Folklore das Verhältnis von kirchlichem
Dogma zum Volksglauben und Aberglauben behandelt.
Ganz offenbar geht es dem Verf. hier um die Verteidigung der
religiösen Eigenständigkeit des ostkirchlichen Volksglaubens (neben
der russischen, wird auch die griechische, bulgarische u. a. Folk-
loristik berücksichtigt). Das Problem hat K. m. E. zu sehr auf
das Verhältnis von Kirche als Institution mit ihren Anhängern
und dem Urteil des Volkes an diesen zugespitzt: Eine bestimmte,
auch sonst seine Ausführung charakterisierende eirenische Stimmung
hindert ihn daran, an ganz konkreten Beispielen den Kampf
der Kirche gegen die heidnische Superstition zu beleuchten. Aus
demselben Grunde vermißt man wohl auch ein detailliertes Eingehen
auf den „Zwieglauben", das dvoeverie. Hier wäre übrigens
in der Literatur nachzutragen: V. J. Mansikka: Die Religion der
Ostslaven, Helsinki 1922 (FF Communications. Vol. X. No. 43).

Das 3. Kapitel behandelt das Thema: „Aus der Umwelt
des Athos" und gibt eine Übersicht über die Geschichte
des Athos bis in die neueste Zeit hinein. Angesichts einer
heute wieder stark anwachsenden, durch oft schwer zu kontrollierende
emotionale Ursachen bedingte nichtfachliche Speziallite-
ratur wird man sich an diesem Kapitel gerne orientieren.

Mit besonderer Dankbarkeit aber sei auf das 4. Kapitel hingewiesen
: „Predigt und Homiletik". Um es noch einmal zu
betonen: immer anhand vor allem der russisch-sprachigen Spezial-
Iiteratur wird uns hier auf nicht ganz 60 Seiten ein geschichtlicher
Abriß der ostkirchlichen Predigt von Chrysostomos bis zur Neuzeit
gegeben. Auf die vor allem auch für den Protestantismus
wichtige ukrainische Predigtschule geht der Verf. ausführlich ein.
So bringt eine seitenlange Übersetzung Teile aus dem „Schlüssel
zum Verständnis" von Joannikij Galjatovskij v.J. 1659 mit seinen
drei Predigtteilen: Exordium oder Anfang, Narratio oder Erzählung
, Conclusio oder Schluß (S. 129-134). Dieses Kapitel sei
jedem empfohlen, der die Geschichte der Predigt studiert. Das
verdienstvolle, wenn auch nicht erschöpfende (die ukrainische
Predigerschule fehlt z.B.) Buch von Karl Rose: Predigt der russisch
-orthodoxen Kirche, Berlin 1952, wäre hier an Literatur
nachzutragen. Wie K. in diesem Kapitel das alte, aber anscheinend
unausrottbare Vorurteil wegräumt, es habe in der Ostkirche nie
eine Predigt, geschweige denn Predigtschulen gegeben, begegnet
er im 5. Kapitel: „Die Mission" jenem anderen, das der
Orthodoxie jegliche Mission abspricht. Auch hier kommt es unter
der Hand des Verf. auf über 50 Seiten zu einem Abriß der gesamten
ostkirchlichen Missionstätigkeit bis zur Gegenwart.
J. Glazik, MSC: Die russisch-orthodoxe Heidenmission seit Peter
dem Großen, Münster Westfalen 1954, eine sehr gründliche
Arbeit, konnte wahrscheinlich vom Verf. beim Druck nicht mehr
angegeben werden. Jedem Missionshistoriker sei dieses Kapitel
angelegentlichst empfohlen.

Das 6. Kapitel behandelt die „Sekte n" von den Bogomilen
über den Raskol bis zu den Stundisten. Zu einer allgemein gültigen
Erklärung kann man nach Ansicht des Verf. am ehesten vom
soziologischen Standpunkt kommen (S. 257—258). Bei der Erörterung
des Raskol S. 222 ff. hätte erwähnt werden müssen: P. Pascal
: Awakum et les debuts du raskol, Paris 193 8.

Im 7. Kapitel: „Philosophie und Religion,
Religionsphilosophie" — wiederum eine gründliche
Einführung von 101 Seiten! — behandelt zunächst die Prinzipienfrage
des Verhältnisses von Religion und Philosophie überhaupt,
um auf das Besondere der russischen Philosophie einzugehen (Zurücktreten
des abstrakten Denkens zugunsten der Soziologie,
Ethik und Religionsphilosophie, S. 263). Sodann werden folgende
russische Philosophen behandelt: Skovoroda (S. 265), Caadaev
(S. 265), Kireevskij (S. 268), Chomjakov (S. 274), Leont'ev (S.
280). Der Abschnitt über VI. Solov'ev von S. 286—330 ist alleine
eine gründliche Einführung in das Werk dieses Philosophen. Es
folgen: Florovskij (S. 330), Bulgakov (S. 331) und N. Berdjaev,
dessen „zwar unsystematische, aber überaus lebendig vorgetragene
Religionsphilosophie" (S. 235), er von 335—360 abhandelt.

Das letzte und 8. Kapitel: „Die Bibel in Rußland"
gehört wie Kapitel 4 und 5 zu denen, die die besondere Aufmerksamkeit
der Theologen beanspruchen dürfen. Das Ende des
Kapitels beschäftigt sich mit der Stellung L. Tolstojs und O. D
Durnovos zur Bibel. —

Es läßt sich natürlich darüber streiten, wo und wie man die
Probleme ansetzt. K. hat sie fast ausnahmslos auf die Neuzeit
konzentriert, auf „lebensnahe Probleme, die man nur mit einem
festen theologischen, philologischen und historischen Rüstzeug,
meist erst nach einem ausfürlicheren (sie! Die deutsche Orthographie
könnte bei einer wünschenswerten Neuauflage etwas
durchgesehen werden!) Studium der Originalquellen behandeln
kann" (S. 11—12). Manches vermißt der Kirchenhistoriker. So
etwa die häretischen Hintergründe des Hesychasmus auf dem
Athos. Ich glaube auch nicht, daß man mit dem Verf., der sich vor
allem auf Golubinskij stützt, in den Strigol'niki nur eine innerrussische
Reformbewegung sehen darf (S. 220—221). Ebenso wie
bei den „Judaisierenden" (S. 221—222) weisen hier viele Züge
nach dem Westen. Aber wie gesagt, darüber läßt sich streiten.
Der Fachforscher jedenfalls nimmt diese wissenschaftlich gediegene
und gründliche, oft sich zu Einführungen ausweitende Problemdarstellung
mit aufrichtiger Dankbarkeit entgegen. Vielleicht
wird es manche Leser geben, die fragen, warum der Verf. bei seinen
Kenntnissen nicht sogleich eine Konfessionskunde der Orthodoxie
aus protestantischer Sicht vorgelegt hat.

Halle/Saale Konrad Onasch

Glazik, Josef, P. Dr. M.S.C.: Die russisch-orthodoxe Heidenmission
seit Peter dem Großen. Ein missionsgeschichtlicher Versuch nach
russischen Quellen und Darstellungen. Münster: Aschendorff 1954.
XXXVI, 270 S., 3 Ktn. gr. 8° = Missionswiss. Abhandl. u. Texte 19.
Kart. DM 19.80.

Uber die missionarische Tätigkeit der russischen orthodoxen
Kirche kann man sehr widersprechende Urteile hören; die einen
preisen sie als eine gewaltige Leistung, die anderen sprechen ihr
wahren Ernst und wirkliche Erfolge ab. Es war bisher schwer, sich
in diesem Streit eine eigene Meinung zu bilden, da eine fundierte
Gesamtdarstellung fehlte.

Das vorliegende Buch gibt nun zwar auch keine Gesamt-
darstellung, aber es stellt doch ein umfangreiches Teilgebiet nach
den in Westeuropa verfügbaren Quellen eingehend und anschaulich
dar.

Die vor 1700 liegende Missionstätigkeit der russischen Kirche wird
nur kurz skizziert, da nach den Worten des Vf. für eine genauere Darstellung
dieser Zeit „eingehendere Kenntnisse der Gesamtgeschichte des
Landes" notwendig wären (S. IV). In der Tat spürt man in diesem Abschnitt
, daß der Vf. hier vielfach aus zweiter Hand schöpft und sowohl
in der Darbietung der Tatsachen wie in seinen Urteilen unsicher und
von früheren Darstellungen abhängig ist. Fragwürdig scheint mir auch
die Behauptung, die Großrussen wiesen „nicht nur äußerlich, sondern
auch in ihrem Charakter die auffallende Vermischung slawischer und
finnischer Züge" auf (S. 10). Sind der finnische und der slawische Charakter
so feststehende Größen, daß deren Züge noch in dem Mischprodukt
auffällig in Erscheinung treten? Ebenso werden die Folgen der
Tatarenherrschaft für Rußland mit traditionellen, aber doch wenig zutreffenden
Gemeinplätzen dargestellt (S, 13 f.). Wenn über die alte
Zeit zusammenfassend gesagt wird, die „Gründe für das Versagen der
russischen Missionsarbeit" in dieser Zeit seien „zweifellos in der heillosen
Vermengung kirchlicher und staatlicher Mittel" zu suchen (S. 29),
so ist das ein sehr abstraktes, unhistorisches Urteil, das die konkreten
Verhältnisse des Mittelalters verkennt, wo überall, auch im Westen,
kirchliche und staatliche Mittel „heillos" vermengt waren, wie sie das
übrigens in manchen bewußt katholischen Ländern bis zum heutigen
Tage sind.

Der eigentliche Gegenstand des Buches, die Heidenmission
seit der Zeit Peters des Großen, wird demgegenüber in wohlfundierter
Weise dargestellt. Diese Darstellung zeigt einerseits,
daß in der russischen orthodoxen Kirche eine zielstrebige, organisierte
Missionstätigkeit mit einem langen Atem gefehlt hat;
in dem riesigen Missionsgebiet wurden zwar immer wieder Versuche
unternommen; aber die Initiative ging oft vom Staat aus,
der dabei vielfach von Nebenabsichten geleitet war (Seßhaft-Ma-
chen von Nomaden, Russifizierung und dgl.) und das Interesse an
der Mission verlor, wenn diese seinen Zielen nicht mehr diente;
die Mission arbeitete deswegen oft mit falschen und schlechten