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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

694-695

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kremer, Jacob

Titel/Untertitel:

Was an den Leiden Christi noch mangelt 1957

Rezensent:

Käsemann, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9

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Nur zu einer Einzelfrage sei eine kritische Bemerkung gestattet
. Es ist bekanntlich umstritten, ob der Heilige
Felsen den Brandopferaltar oder das Aller-
heiligste trug. Parrot vertritt die erstere Anschauung,
die, erstmals 1849 von G. Williams vorgetragen, besonders durch
Dalmans Zustimmung allgemeine Anerkennung fand, bis sie von
H. Schmidt (Der Heilige Fels in Jerusalem, Tübingen 193 3) energisch
bestritten wurde. Mit Recht! Ich möchte hier nur auf eine
von vielen Schwierigkeiten hinweisen, in die man gerät, wenn
man den Brandopferaltar auf dem Heiligen Felsen ansetzt. Schick
fand 40 m westlich vom Heiligen Felsen den gewachsenen Fels
erst in ca. s'^m Tiefe (G. Dalman, Neue Petra-Forschungen und
der Heilige Felsen von Jerusalem, Leipzig 1912, S. 133), und ich
selbst konnte im Sommer 1931 feststellen, daß in dem gewöhnlich
nicht zugänglichen Untergeschoß der kubbet en-nebi der gewachsene
Fels 3—4 m unter der Plattform des Tempelplatzes
liegt und rasch nach Westen abfällt. Trägt man diese Messungen
in die Karte ein, so sieht man: wenn man den Brandopferaltar
auf den Heiligen Felsen ansetzt, muß man annehmen, daß das
ganze Tempelhaus nicht auf gewachsenem Fels geruht hat. Setzt
man dagegen das Allerheiligste über dem Heiligen Felsen an,
wie es die Überlieferung einhellig bis zum Jahre 1849 tat, so
ergibt sich — und das ist eine entscheidende Bestätigung —, daß
der Anstieg vom Frauenvorhof zum Israelitenvorhof ziemlich
genau mit dem östlichen Abfall der Plattform des Tempelplatzes
zusammenfällt (vgl. ThLZ 59, 1934, Sp. 83-85).

Parrot erleichtert dem Leser die nicht immer ganz leichte
Lektüre durch eine große Fülle von Abbildungen, Kartenskizzen
und vorzüglichen eigenen Photographien. Er gibt dem gebildeten
Laien eine ausgezeichnete Einführung in die Probleme und Ergebnisse
der biblischen Archäologie, dem Fachmann eine willkommene
gediegene Zusammenfassung des Standes der Forschung,
verbunden mit einer alles Wesentliche, auch Entlegenes, erfassenden
glänzenden Literaturübersicht.

Göttingen Joachim Je re m i as

M u n c k, Johannes, Prof. Dr. theol.: Christus und Israel. Eine Auslegung
von Rom. 9—11. Kobenhavn: Munksgaard 1956. 115 S. 8° =
Acta Jutlandica. Aarsskrift for Aarhus Universitet XXVIII 3 (Teo-
logisk Serie 7).

M. legt mit diesem stattlichen Heft der Acta Jutlandica nachträglich
Teile der Vorarbeit zu seinem vielbeachteten Buche „Paulus
und die Heilsgeschichte" (ebenda XXVI 1, Teol. S. 6)1 vor
Auch hier steht im Vordergrunde sein Bemühen um ein Verständnis
der Paulus-Schriften und der sonstigen Paulus-Zeugnisse des
NT, das sich von dem immer noch nachwirkenden Schema der Tübinger
Schule freimacht. Er setzt ein mit der von T. W. Manson
erneut unterstrichenen2 Feststellung, daß der Römerbrief nicht im
gleichen Sinne ein Brief sei wie die übrigen Paulinen, sondern
eine Art apostolischer Enzyclica darstelle, ein Manifest, aus den
Erfahrungen besonders der 3. Missionsreise erwachsen, für dessen
weiteste Verbreitung Paulus selbst Sorge trägt: Die Brüder in
Ephesus (Rom. 16!) — der Haupt-„Missionsstation" der dritten
Reise — und in Rom, wohin seine Pläne für später sich richten,
bekommen seine Darlegungen schriftlich. In Korinth, wo der Römerbrief
geschrieben ist, wird die Gemeinde mündlich von seinen
Gedanken unterrichtet sein, wenn sie nicht sogar eine Kopie erhielt
, und in Jerusalem mußte dies alles ja als eigentliches Grundthema
mit den Brüdern besprochen und ihnen nahegebracht werden
. Denn — und das rechtfertigt es, Rom. 9—11 in einer gesonderten
Studie zu behandeln — Israels Unglaube ist „das größte

Problem gewesen----womit das Urchristentum zu kämpfen hatte"

(23). In der Tat bekommt der so oft als Exkurs empfundene Abschnitt
Rom. 9—11 ein neues Gewicht und eine neue Stelle im
Ganzen der Gedanken des Paulus, wenn er nicht mehr ganz oder
auch nur teilweise von den besonderen Gemeindeverhältnissen in
Rom her gedeutet werden darf. Diese Stelle und dieses Gewicht
zu bestimmen, unternimmt M. nun in sorgfältiger, eindringender
Exegese der drei Kapitel. Darüber kann hier nicht ausführlich be-

') Vgl. New Testament Studies 2, 1955/56, S. 60—72
5) „St. Paul's Letter to the Romans and Öthers", Bulletin of the
John Rylands Library, Vol. 31, 1948, S. 224—240.

richtet werden. Doch sei als kennzeichnend für die Deutung des
Stückes erwähnt, daß der Mittelabschnitt 9, 30 — 10, 21 als „Zwischenstück
prinzipiellen Charakters" angesehen wird, das ähnlich
wie l.Kor. 9 innerhalb 8—10 und 1. Kor. 13 innerhalb 12—14
„das Problem — ohne ausdrücklichen Hinweis hierauf — löst, während
9, 1—29 das Problem stellt und Kap. 11 die praktische Lösung
in Einzelheiten vermittelt" (62, vgl. 70). Ferner wird herausgestellt
, daß 9,30—10,4 das Verhalten der Juden z. Zt. des
Erdenwandels Christi im Auge haben, während 10, 5—21 auf die
Verkündigung durch die Apostel gehen (61). An vielen Stellen
greift M. auf die Auslegung des Katholiken F. W. Maier „Isnel
in der Heilsgeschichte" (1929) zurück, — trotz dem bleibenden
Dissensus in wesentlichen Stücken. Eindrucksvoll ist auch die Beleuchtung
, die Rom. 9—11 aus der Situation erfährt, in der der
Brief geschrieben ist (14-18). Der Abschluß der Kollekte, die
zahlreichen Abgesandten, die die Gabe mit Paulus nach Jerusalem
bringen, die Hoffnungen und Befürchtungen des Apostels im Blick
auf diese Reise (Rom. 15, 30—32) — all das ist der konkrete Hintergrund
für die feste und Rom. 9—11 aus der Schrift begründete
Erwartung, die Rettung der Heiden werde Israel eifersüchtig machen
und so zur Annahme des Evangeliums bewegen (Rom. 11,
11—14). Drei kurze Exkurse sind in den Gang der Auslegung
eingefügt: l. Israel als Verfolger. 2. Der Restgedanke im AT und
f j"Ur ^iteratur"Ubersicht; man vermißt jedoch einen Hinweis
auf den Aufsatz von J. Jeremias in ZNW 42, 1949, 184-194).
3- Der edle Ölbaum und der wilde Ölbaum.

„ ^uch diese Untersuchung spiegelt wie das obengenannte größere
Werk auf jeder Seite die Auffassung des Verf.s wieder, einen
«'^reifenden Gegensatz des Paulus zu Jerusalem habe es in
Wahrheit nicht gegeben; der Unterschied entstehe lediglich an
der Frage, welcher Teil der Missionsaufgabe vordringlich sei. Damit
wird ein Impuls verstärkt, für den — auch wenn man in minchen
Einzelheiten anderer Meinung sein und doch etwas weiter
Tuu" ^ubinSern gehen möchte — die Paulus-Forschung dem Vf.
aankDar sein muß. Denn M. nötigt sie, erneut das Bild zu überprüfen
, das vom Verhältnis des Paulus zur Urgemeinde gelten
soll. Der deutsche Leser wird dem Verf. außerdem Dank dafür
wissen, daß er ihm den Zugang zu seinen Gedanken sprachlich so
bequem gemacht hat.

Kie' Heinrich Greeven

K r e m e r, Jacob: Was an den Leiden Christi noch mangelt. Eine interpretationsgeschichtliche
und exegetische Untersuchung zu Kol. 1, 24b.
B°nn: Hanstein 19 56. XXII, 207 S. gr. 8° = Bonner Biblische Beiträge
, hrsg. v. F. Nötscher u. K. Th. Schäfer 12.

Die behandelte Stelle des Kolo6«erbriefes gehört zu den rätselhaftesten
Aussagen des Neuen Testamentes. Schon daß ihr eine
exegetische Monographie gewidmet wird, ist verdienstvoll. Der
Verf. tut mehr und gibt auf den ersten 154 Seiten eine Übersicht
über die Interpretation der Stelle im Verlauf der Kirchengeschichte,
die um ihrer Vollständigkeit, Präzision und klaren Gliederung
willen für ähnliche Versuche vorbildlich sein sollte. Zugleich enthebt
er damit die eigene Erklärung, die saubere begriffsgeschichtliche
Arbeit leistet und sich sorgfältig mit anderen Meinungen
auseinandersetzt, dem Verdacht der Willkürlichkeit. Auch der kritische
Leser wird sich schnell, willig und interessiert der kundigen
Führung anvertrauen und zum Schluß die überhaupt vorhandenen
Interpretationsmöglichkeiten wie die sich ergebenden Fehlerquellen
überschauen.

Dem Ergebnis möchte ich weithin zustimmen. Es scheint mir
nun gesichert zu sein, daß ävravaiiXriQovv auch an unserer Stelle
die Bedeutung „ersetzen eines Fehlenden durch etwas anderes"
zum Zwecke eines Summierens hat und infolgedessen unter den
„Bedrängnissen Christi" nicht die eigenen Leiden des Apostels
verstanden werden dürfen. Für richtig halte ich es auch, daß nicht
bloß auf die bereits erlittenen Bedrängnisse des irdischen Jesus
geblickt wird oder gar dessen Sühneleiden gemeint sei. Endlich
möchte ich dem Verf. darin beipflichten, daß der Genetiv in der
Formel „Leiden Christi" weder als gen. auet. oder obj. (Leiden
um Christi willen) noch mystisch (Leiden der Kirche als des
Christusleibes) verstanden werden darf. Kremer folgt der Interpretation
des Chrysostomus und spricht von den Leiden des Mes-