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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

689-691

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ben-Ḥorin, Shalom

Titel/Untertitel:

Die Antwort des Jona 1957

Rezensent:

Schubert, Kurt

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689

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9

690

Ganzen. Auf dieses Ganze hinzuweisen und zur Durcharbeitung
anzuregen, das ist die Aufgabe dieser Zeilen. Der aufrichtige
Dank, der dem Verfasser geschuldet wird, kann nur durch eine
dringend notwendige Auseinandersetzung mit diesem Werk erstattet
werden, um so mehr als eingehende Sach-, Bibelstellen-
und Verfasserregister die Benutzung erleichtern.

Erlangen Leonhard Rost

Schalom Ben-Chorin: Die Antwort des Jona. Zum Gestaltwandel
Israels — ein geschichts-theologischer Versuch. Hamburg:
Reich 1956. 117 S. gr. 8°. DM 8.-.

Das vorliegende eine Einleitung und sieben Kapitel umfassende
Buch ist ein tief schürfender und gelungener Versuch,
der Existenz des Staates Israel von den Voraussetzungen der jüdischen
Tradition und des jüdischen Heils-Geschichtsverständ-
nisses her gerecht zu werden. Den Einstieg zu seinem Thema
findet der Verfasser in Jona 1,9, da der Prophet Jona bekennt:
„Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels
, der das Meer und das Festland geschaffen hat."

In der programmatischen Einleitung (S. 12—21), die der Verfasser
„Die Antwort des Jona nennt", konfrontiert er dieses
völkisch-religiöse Doppelbekenntnis des Propheten Jona mit dem
Fluchtversuch des modernen Judentums aus seiner eigenen Existenz
. Das Assimilationsjudentum antwortet bestenfalls mit der
zweiten Antwort des Jona, mit dem religiösen Bekenntnis,
der Zionismus meistens nur mit dem ersten Teil, dem nationalen
Bekenntnis. Dadurch steht der Zionismus unter dem Zeichen der
Krise von 1. Sam. 8, 5. Somit „hat die nationale Regeneration
im Kern eine tiefere Assimilation erzeugt, als die individuelle
Assimilation im 19. Jahrhundert vermocht hatte". Dennoch aber
sind auch im Zionismus Kräfte vorhanden, die durch die Krise
zum Ziel hinführen können, Rab Kuk, Aharon David Gordon,
Achad Haam, u. a.

Im ersten Kapitel, „Gericht und Gnade", (S. 22—45) erhebt
der Verfasser die Forderung nach einer heilsgeschichtlichen Deutung
des Faktums, daß das Judentum gerade nach der großen
Verfolgung der Hitlerzeit die Gnade der Gründung eines eigenen
Staates erfuhr. Dabei stellt er mit Recht fest, daß alle innerweltliche
Geschichtsschreibung am Erfassen des Phänomens der jüdischen
Geschichte scheitert. Verfolgungen schwächen Israel nicht,
sondern stärken es nur; sie werden theologisch verwertet. Das
Geschichtsverständnis Israels kennt Gottes Strafe für die Sündhaftigkeit
und Gottes Erbarmen mit dem „Rest Israels". Dabei
berührt der Verfasser auch das Theodizeeproblem, das er an
Hiobs Position jüdisch zu begreifen versucht. Gott ist Zuflucht
auch für den sündigen Menschen; „Und suchst Du meine Sünde,
flieh ich von Dir — zu Dir", formulierte diese Haltung der mittelalterliche
Philosoph und Dichter Ibn Gabirol (1020-1052 (?)).

Seit dem Sieg der Alliierten über Rommel in Nordafrika
erfährt das Judentum wieder die Gnade Gottes. Von Hitlers
Niederlage bis zur Gründung des Staates Israel führt für den
Verfasser ein gerader Weg. Israels Befreiungskrieg, in dem eine
kleine, nur unzureichend gerüstete Minorität eine überwältigende
, bis an die Zähne bewaffnete, Mehrheit bezwang, ist für
ihn nur als ein Wunder Gottes begreifbar. „Mit atemberaubender
Präzision wiederholte sich die Geschichte des Buches Josua"
(S. 39). Aber Israel hat dieses Geschichtswunder als solches noch
nicht begriffen. Die offiziellen Beamten der Synagoge sind zu sehr
eingefangen und befangen in Formeln und Gesetzen, als daß sie
es deuten könnten.

Das zweite Kapitel behandelt „Israel und die Diaspora"
(S. 46—60). Durch Israel ist die Diasporafrage noch nicht gelöst;
trotz dem Staat besteht die Diaspora weiter. Nur kleinste Teile
des Judentums sind antiisraelisch und sehen auch noch heute in
der Diaspora allein die Sinngebung der jüdischen Existenz; die
meisten sowohl in Israel als auch in den Wirtsländern wissen,
daß Israel und Diaspora einander ergänzen und aufeinander angewiesen
sind. Aber Israel müßte kulturell und vor allem religiös
noch Leistungen setzen, die die Diaspora zur Erhaltung ihres
jüdischen Bewußtseins braucht. Auch hier hat nach des Verfassers
Meinung die offizielle Synagoge bisher noch nichts geleistet
. „Die Synagoge betet um die Rückkehr nach Zion, als ob
nichts geschehen wäre" (S. 64).

Im dritten Abschnitt, „Religion, Staat und Gesellschaft",
(S. 61—70) werden viele für Israel außerordentlich wichtige Probleme
angeschnitten, die bisher noch kaum mit solcher Deutlichkeit
behandelt wurden. Den Hintergrund der heutigen religiösen
Krise in Israel bildet die Frage, ob der Staat eine Theokratie
oder eine Demokratie sein solle. Der Verfasser hält für Israel
einen Trennungsversuch von Staat und Religion für unmöglich.
„Judentum ist a priori Staatsreligion" (S. 64). Das Schlagwort
„Religion ist Privatsache" kann für Israel nicht zutreffen, denn
„Zion ohne Gott" ist unmöglich. Nichtsdestoweniger kann aber
das rabbinische Recht in seiner versteinerten Form nicht das einzige
legitime Verständnis des Gottesrechtes sein. Die Halaka
steht jetzt vor neuen Fragen.

Im vierten Kapitel, „Gesetz und Freiheit", (S. 71—79) versucht
der Verfasser, seinerseits Folgen aus der in Abschnitt 3
behandelten Problematik zu ziehen. Dabei kommt er zu der einfachen
und einleuchtenden Feststellung: „Ein Judentum ohne Gesetz
ist nicht denkbar, aber der moderne Mensch ist dem Anspruch
des Gesetzes in seiner spät-jüdischen rabbinischen Verästelung
nicht mehr gewachsen" (S. 71). Der Verfasser selbst
sucht einen Weg „Jenseits von Orthodoxie und Liberalismus"
zu finden.

Das fünfte Kapitel „Bibel und Tradition" (S. 80-89) behandelt
die beiden Begriffe der schriftlichen und der mündlichen
I.ora. Der junge Israeli wird schon durch die Schule sehr intensiv
und ausführlich mit der Bibel vertraut gemacht. Während
aber der abendländische Mensch aus der Ferne die Bibel zu spiri-
tualisieren geneigt ist, läuft der Israeli aus der Nähe Gefahr, sie
zu banalisieren. Bei dieser Gelegenheit will der Rezensent noch
darauf hinweisen, daß auch die moderne, wissenschaftlich-historische
Betrachtungsweise der Bibel in Israel weit verbreitet ist.
rur die große, 5 bändig geplante, hebräische Bibelenzyklopädie
(tnziqlopedia miqrait), von der schon die ersten beiden Bände er-
ALnen sin<*' 8ibt es bereits die stattliche Zahl von 10.000
Abonnenten.

i( Das sechste Kapitel ist mit dem Titel „Das Licht der Völker
" (S. 90—106) überschrieben. Israels Aufgabe in der Welt ist
es nicht, durch Predigt andere Völker zum Ritual der Synagoge
zu bekehren, sondern die Existenz Israels soll ein Licht inmitten
der Dunkelheit der Welt sein. Daher ist die jüdische Botschaft
auch für alle jene Namenschristen gedacht, die ihren Gottesbegriff
60 sehr verloren haben, daß sie am Trinitätsdogma Anstoß neh-
™en- Judentum ist ethischer und daher auch sozial denkender
Realismus, denn der Jude nimmt die Welt wie sie nun einmal
ist Der Jude weiß zu tiefst um die Unerlöstheit der Welt, er er-
ranrt dies alle Tage seines Lebens, denn „Erlösung heißt, jüdisch
gesehen, Erlösung von allem Übel" (S. 99). Jüdisches Leben
bedeutet daher „aktives Leben in Hinblick auf die kommende
trlösung" (S. 100).

Das siebente und letzte Kapitel ist ein Ausblick auf das
"Ziel der Geschichte" (S. 107—116). Wie jeder im prophetischen
Geschichtsbewußtsein wurzelnde Jude sieht auch der Verfasser im
Reich Gottes das Ziel der Geschichte. Über das Verhältnis zur
christlichen Auffassung sagt er: „Während für das Judentum das
Reich den Messias überschattet, überschattet in der Kirche der
Christus das Reich" (S. 110). Die Gefahr für den Staat Israel, in
dem einige messianische Erwartungen politische Realität geworden
sind, besteht darin, daß das Erreichte mit dem Verkündigten,
ja selbst mit dem (eschatologischen) Reich (das für den säkular
denkenden Zionisten keine Realität mehr bedeutet) verwechselt
wird.

Obwohl ich mich schon 6eit mehr als 10 Jahren intensiv mit
politischen und kulturell - religiösen Problemen des Zionismus
befasse1, fand ich noch kein Buch, das die Probleme so klar und
—wenn man bedenkt, daß der Verfasser ein Israeli ist — so offen

*) Ein Buch über diese Probleme, „Israel, Staat der Hoffnung", erscheint
Herbst 1957 im Schwabenverlag in Stuttgart. Mein erster Aufsatz
über die hier behandelte Problematik, „Die wahre Krise Israels"
erschien Juli 1950 in der Zeitschrift Wort und Wahrheit, Wien und
Freiburg im Breisgau.