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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

688-689

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Mowinckel, Sigmund

Titel/Untertitel:

Offersang og sangoffer 1957

Rezensent:

Rost, Leonhard

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687 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9 688

Der Mensch kann aber auch die Wirkung seiner Schmerzäußerungen
durch bewußtes Verhalten und Tun erhöhen. Symbolische
Handlungen, Gebärden und Haltungen spielen im Orient eine
große Rolle, das gilt vor allem bei der Trauer um einen Toten;
das Verhalten bei der Trauer ist durch Brauch und Sitte streng
geregelt. Was man von einem Trauernden aus Pietät gegenüber
dem Toten und wegen der sozialen Bindungen erwarten kann,
schildert treffend Sir. 38, 16 f.

Der Schmerz hat im allgemeinen den Sinn, den Menschen
auf etwas aufmerksam zu machen; er ist ein Zeichen von einer
ganz besonderen Bedeutung. Darüber hinaus spielt der Schmerz
eine wichtige Rolle in der immanenten Sanktion des Sittengesetzes
. Die sittliche Ordnung ist so eingerichtet, daß ihre Verletzung
dem Frevler durch Schmerz und Kummer spürbar werden
kann. Im Pentateuch wird Gott als Urheber allen Schmerzes angesehen
(vgl. Gen. 3, 16 ff.-J-), ER bringt ihn dem Menschen
als Prüfungsmittel (Gen. 22-E-) oder veranlaßt durch schmerzliche
Strafgerichte die Reue (Num. 21, 6 ff.). So wird Schmerz
auch dem Volk als einer sozialen Einheit in ähnlichen Zusammenhängen
wie dem Einzelnen zugeschrieben. Auch kann ein Einzelner
durch das Volk Schmerz erleiden (Ex. 3, 11; 4, 10. 13). Das
deuteronomistische Geschichtswerk enthält folgende Theologie
des Schmerzes: Wenn Israel JHWH untreu wird und das Gesetz
übertritt, wird es durch schmerzliche Heimsuchungen empfindlich
gestraft, vor allem durch Niederlagen oder Auslieferung an die
Feinde (Jos. 7, 1 ff.; 1. Sam. 4). Freilich gewinnt hier der Begriff
„Schmerz" eine erhebliche Erweiterung, und man kann fragen,
inwieweit diese Vorstellungen sich noch unter den Begriff
„Schmerz" einordnen lassen.

Eine dem deuteronomistischen Werke ähnliche Theorie entwickeln
auch die Propheten: Schmerz (allerdings auch hier in
erheblicher Erweiterung seines eigentlichen Sinnes!) soll zur Umkehr
führen, drohende Verwerfung ankündigen. Doch erfahren
die Propheten in besonderem Maße Seelenqualen mit und vor
allem auch um ihr Volk (Jes. 22, 4; Am. 5, 1 ff.; Jer. 8, 13 ff.).
Schmerz spielt schließlich auch beim Knechte JHWH's (Jes. 42,1 ff.;
49, 1 ff.; 50,4 — 9; 52,13 - 53, 12) ein Rolle. Der Knecht
JHWH's leistet durch seine Schmerzen stellvertretend für andere
Sühne.

In den Weisheitsbüchern werden gegen Schmerz gute Ratschläge
erteilt: Man solle Freude suchen und den Kummer beim
Wein vergessen (Spr. 31,6), doch stellt der Weise auf Grund
seiner Lebenserfahrung fest, daß Schmerz oft nicht von ungefähr
kommt, und seine Ursache im Tun der Menschen hat (Spr. 20.
24. 27). Der Fromme weiß, daß Gott den Menschen durch Schmerz
erziehen will (Sap. 11, 10; 12, 2. 21).

Komplizierter ist das Problem des Schmerzes im Buche Hiob.
Seine Freunde vertreten die Meinung, Schmerz sei Strafe für
begangene Sünden (Hi. 8, 12 ff.). Auch Elihu weiß nichts wesentlich
anderes über das Schmerzproblem zu sagen (Hi. 3 3, 19ff.;
34, 7 f.). Gleichwohl enthält das Hiobbuch die Auffassung, daß
der von Gott kommende Schmerz auch den Frommen trifft und
daher nicht nur Strafe ist. Schmerz soll dem Frommen die Illusion
einer falschen Sicherheit und Selbstgerechtigkeit nehmen.
Dem Menschen ist es daher aufgegeben, alle qualvollen Situationen
in Demut zu ertragen, Macht und Weisheit Gottes bieten
Gewähr für den Sinn des Leides.

Das AT kennt schließlich nicht nur einen Schmerz des Menschen
, sondern auch den Schmerz Gottes, der über das Verhalten
seines Volkes gekränkt sein kann. Auch wird von JHWH angenommen
, er unterliege selbst Gefühlsäußerungen, empfinde
Mitleid (Ps. 6, 2; 22, 20 ff.; 31, 10 ff.) oder Schmerz über den
Verlust eines Beters (Ps. 6, 6; 30, 10).

Es ist für die Arbeit am Alten Testament charakteristisch,
daß man anhand der Untersuchung eines einzigen Begriffes, zumal
wenn man diesen entsprechend ausweitet, einen wesentlichen
Einblick in die alttestamentliche Theologie erhält. So ist denn
auch Scharberts Monographie wegen der sorgfältigen Klärung
der entsprechenden Termini und der theologischen Schlußfolgerungen
ein wesentlicher Beitrag für die alttestamentliche Wissenschaft
.

Basel E. L. Ehrlich

Mowinckcl, Sigmund: Offersang og sangoffcr. Salmediktningeri
i Bibelen. Oslo: Aschehoug 1951. XV, 664 S. gr. 8°.

Es ist nicht nur die freilich schwer lastende Schuld des Rezensenten
, wenn die Anzeige dieser retractio der „Psalmenstudien
" erst jetzt erfolgt. In einem wundervoll klaren und schlichten
Stil breitet der Verfasser, der einen wesentlichen Teil seiner
Lebensaufgaben in der Beschäftigung mit den Psalmenproblemen
gesehen hat, vor uns all das aus, was er an Lösungen für diese
Fragen gefunden hat. Daß er den Stoff beherrscht und aus einer
umfassenden Kenntnis der Zusammenhänge schöpft, zeigt jede
Seite: Ein klar aufgebauter Kosmos entsteht vor den Augen des
Lesers, in dem jedes Problem am rechten Ort in angemessener
Weise zur Geltung kommt.

In 25 Kapiteln wird über Psalmen und Gottesdienst, Psalmentypen
und ihren kultischen Ort, Königspsalmen, Loblieder
Thronbesteigungspsalmen, Volksklagelieder, Nationale Klagepsalmen
im Ich-Stil, Private Klagelieder, Öffentliche und private
Dankpsalmen, Segen und Fluch in den Psalmen, Prophetenworte
in Psalmen und prophetische Psalmen, Einzugsthora und Gelübdepsalmen
, Stilmischung und liturgische Kompositionen, Psalmengesang
und Sänger, Psalmendichter, gelehrte Psalmendichtung,
allgemeine und persönliche Traditionsbindungen, Versformen,
israelitischer oder vorderorientalischer Ursprung, Ältere Sammlungen
und die Sammlung des Psalmbuches, Absichten der Psalmensammlung
, Psalmen und christliche Kirche und technische
Audrücke in den Psalmenüberschriften abgehandelt.

Mowinckel tritt auch in diesem Werk für die kultische Gebundenheit
der Psalmendichtung ein: „Was bewiesen werden
muß, ist nicht, daß ein Psalm zum Kult gehört, sondern daß der
eine oder andere Psalm nicht dorthin gehört. Aus diesem Gesichtspunkte
ist dieses Buch geschrieben" (S. 33). So setzt er gegen
Gunkel — Begrichs formgeschichtlichen den kultgeschichtlichen
Standpunkt (S. 40). „Der Sitz im Leben ist bestimmt, wenn
das Fest erkannt ist, zu dessen Ritual der Psalm gehört" (S. 421-
So ist das Erfordernis eine form- und kultgeschichtliche Erklärung
der Psalmen (S. 43). Dabei denkt der Verf. vor allem an den
Jerusalemer Reichstempel (S. 410), und zwar sowohl in der vor-
exilischen wie nachexilischen Zeit, hält freilich für einzelne Psalmen
, z. B. Ps. 80, Entstehung in Israel für möglich und wahrscheinlich
. Eben damit, daß die Mehrzahl der Psalmen im Kult
des Jerusalemer Tempels ihren Sitz im Leben haben, hängt auch
die Bedeutung zusammen, die in vielen von ihnen dem König zukommt
, für den ja auch viele der privaten Psalmen bestimmt sein
dürften: „Der König ist von der einen Seite gesehen, eine Einzelperson
..., aber er ist gleichwohl noch etwas mehr: Es ist in
Wirklichkeit die Lage des Volkes, der Allgemeinheit, um die es
sich handelt, wenn der König „unser Schild" in Not und Gefahr
ist" (S. 86).

„Königspsalmen in diesem erweiterten Sinn sind zugleich
in Wirklichkeit Volks- und Gemeindepsalmen. Das ist der Wahrheitskern
in dem sog. kollektiven Ich" (S. 86). „Die Psalmen
und die großangelegten kultischen Begehungen waren ursprünglich
nicht für irgendjemand bestimmt, sondern geschaffen für die
Verwendung für Könige und Große" (S. 87).

Man könnte fortfahren im Zitieren dieser klar formulierten
Urteile, die zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung herausfordern
. Man nehme etwa den Satz „Die ältesten rituellen Lieder
sind eigentlich Gebete, die von einzelnen hymnischen Elementen
eingeleitet oder umrahmt oder durchwirkt sind." Damit wird das
Neben- und Ineinander von Lobpreis und Gebet nicht in allen
Fällen der Stufe der Gattungsauflösung zugewiesen werden dürfen
, sondern es kann auch als Überrest einer älteren Stufe verstanden
werden.

Daß auch von der metrischen Form geredet werden muß, ist
gewiß, und Mowinckel entfaltet hier seine Hölscher nahestehende
Meinung, daß Mehrhebigkeit von Wörtern viel häufiger angenommen
werden muß, als Sievers und seine Anhänger es wollen.
Angesichts der Lautverhältnisse in hebräischen Inschriften und
Ostraka-Texten und der Qumrän-Texte wird man sich fragen
müssen, ob solche sicheren, mehr oder minder an der massoreti-
schen Vokalisation orientierten Thesen möglich sind. Aber das
ist ja nur eine kleine Nebenfrage, gemessen an dem Reichtum des