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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

685-686

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Janssen, Enno

Titel/Untertitel:

Juda in der Exilszeit 1957

Rezensent:

Maass, Fritz

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685

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9

686

Janssen, Enno: Juda in der Exilszeit. Ein Beitrag zur Frage der Entstehung
des Judentums. Göttingen: Vandenhoeck Sc Ruprecht 1956.
124 S. gr. 8° = Forsdhungen zur Religion und Literatur des Alten
und Neuen Testaments, hrsg. v. R. Bultmann, N. F. H. 51. DM 8.—

Das Schwergewicht der jüdischen Geschichte lag auch nadi
587 in Jerusalem, nicht bei den Deportierten in Babel, die nur
einen kleinen Bruchteil der jüdischen Bevölkerung ausmachten.

Durch den Untergang des Staatswesens hatte 6ich der von
Josia beschrittene Weg als falsch erwiesen; er wurde aufgegeben,
und es kam einerseits zu einem völligen Abfall von Jahwe, andererseits
zu einem Wiederaufleben des Synkretismus, nicht nur
„am Rande des Volkslebens" (S. 67).

Das sind die am stärksten hervorgehobenen Konturen des
Geschichtsbildes, das Janssen entwirft; der umfangreichste, die
theologischen Fragen behandelnde Teil des Buches (Kap III
„Glaube und Zweifel", S. 57—118) hat diese Sicht der judäischen
Geschichte der Exilszeit zur Voraussetzung.

In einem ersten Kapitel (S. 9—23) werden die Quellen sondiert
, die dem Verfasser Aufschlüsse über die Verhältnisse in
Judäa geben: Threni, Jesaja 21, das deuteronomistische Geschichtswerk
, Obadja, die Psalmen 44. 74. 79. 89. 102, Jeremia und die
nachexilischen Schriften Esra-Nchemia, Sacharja 1—8, Haggai,
Tritojesaja.

Kap. II (S. 24—56) skizziert das politische Geschehen im
6. Jhdt., wobei außerbiblische Quellen umsichtig herangezogen
werden. Die niedrigste der in der Bibel angegebenen und überhaupt
möglichen Zahlen von Exulanten wird für richtig gehalten:
Bei den drei Deportationen von 598, 587 und 582 seien im ganzen
weniger als 5000 Menschen (so! nicht „Männer") weggeführt
worden (Jeremia 52, 28—30). Die wenigen Notizen (bes. aus den
Klageliedern), die auf städtisches Leben in Jerusalem schließen
lassen, werden stark herausgestrichen; Aussagen wie Threni 5, 18
bagatellisiert (S. 44). Ansprechend ist die Hypothese, daß die von
den Babyloniern bevorzugten Besitzlosen, die dallath ha'arez,
in die Rechte und den Landbesitz des vernichteten oder deportierten
'am ha'arez eingetreten sei (S. 48—54).

Kap. III (s. o.) entfaltet den Satz: „Die Einbuße, die der
Jahweglaube erlitt, machte das Wesen der Katastrophe aus"
(S. 58). Das Geschick des Landes, des Tempels, des Königtums,
des Priester- und Prophetentums hat Zweifel, Skepsis und Abwendung
von Jahwe im Gefolge (S. 63—68). Dennoch ist das
deuteronomistische Geschichtswerk „das eindrücklichste Glaubensdokument
der Exilzeit" aus Juda (S. 73). Von der Zukunft
hat der Deuteronomist nicht geredet, weil der Tempel in Trümmern
lag (!? S. 75). Als Gesetz Jahwes gilt weiterhin das Deu-
teronomium. Die Propheten gewinnen nunmehr (in Juda!)
kanonisches Ansehen; in dem — auch in der Tempelruine geübten
— Kult steht die Klagefeier im Mittelpunkt. Janssens kluge
Argumentation für die frühe Ansetzung des synagogalen Gottesdienstes
ist hervorzuheben. Die Reden des deuteronomistischen
Geschichtswerks lassen erkennen, daß es in der Exilszeit in Juda
„organisierte und regelmäßig stattfindende Versammlungen"
mit Predigt und kultlosem Gottesdienst gegeben hat (S. 107 f.).

In einem kurzen vierten Kap. (S. 118—121) wird die chronistische
Darstellung, nach der die Restauration ein Werk der
Gola war, für ungcschichtlich erklärt.

Die Bedenken gegen diese Schau der Dinge melden sich
rasch und nachdrücklich an. Ist der Annahme, daß die Gola die
Hauptträgerin des Glaubens, der Hoffnung und Zukunft Israels
•war, der Boden entzogen worden? Wie soll es erklärt werden, daß
unter den Exulierten zwei der größten Prophetenbücher entstanden
und in Juda nichts Vergleichbares? Warum haben die Zurückgebliebenen
kein Zukunftsprogramm geschaffen? Warum wurde
während des Exils in Juda kein Versuch gemacht, den Tempel
aufzubauen? Und wenn Jerusalem die volkreiche Metropole
blieb: warum nahm Gedalja seinen Sitz in Mizpa? Auf diese und
viele ähnliche Fragen weiß der Verfasser im Grunde keine befriedigende
Antwort zu geben.

In den Ausführungen zur Religionsgeschichte fällt eine gewisse
Widersprüchlichkeit auf, wenn einerseits die stärkste Re-
kanaanisierung (S. 64-68) und ein Aufgeben des Weges Josias
<S. 68) angenommen werden, andererseits das Deuteronomium

als Gesetz in uneingeschränkter Gültigkeit geblieben sein soll
(S. 81). Nach Josias Reform und der Einführung des Deuterono-
miums hatten die Bekämpfer der fremden Kulte einen ganz anderen
Rückhalt als im 8. Jhdt. Träfen Janssens Voraussetzungen
zu, 60 hätte im palästinensischen Judentum zwangsläufig ein
Kampf auf Sein und Nichtsein zwischen Verfechtern und Verächtern
des Deuteronomiums ausgekämpft werden müssen, und
dieser Kampf hätte der Epoche das Gepräge gegeben. Man sollte
dem normalen Israeliten dieser Zeit, sofern er seinem Volkstum
nicht schon verloren gegangen war, zugestehen, daß er zwischen
der Verehrung Jahwes und des Stiers oder Gestirns zu unterscheiden
wußte, wie es bei den Exulanten trotz aller Versuchungen
doch offensichtlich der Fall war.

An Einzelheiten soll wenigstens kurz erwähnt werden, daß Sacharja
5, 5—11 für die Behauptung des Verfassers nichts beweist (S. 67);
daß Eißfeldts Arbeit über „Molk..." (1935) übersehen wurde (S. 65,
Anm. l), daß der Gebrauch des Wortes „Rest" Jeremia 40, 11 42, 2. 19
für die Zurückgebliebenen viel zu allgemein ist, um die Rückschlüsse
Janssens zuzulassen (S. 40. 69) und daß Hesekiel 11, 14 f., 33, 23—33
die Anmaßung der in Juda Hausenden gerade ad absurdum führt; daß
die Erklärung für den „Schrecken" der Rückkehrer beim Altarbau
(Esra 3, 3) gekünstelt und wenig überzeugend erscheint (S. 102 f.) und
daß die Auslegung von Jesaja 66, 1—4 den allgemeinen und radikalen
Charakter der Worte (bes. nach V. la) ignoriert.

Mag man von Janssens Ergebnissen nicht überzeugt sein, —
er ist mit seinen Thesen ein nicht zu überhörender Vertreter der
Annahme geworden, daß die Gola für die Geschichte des Volkes
ohne wesentliche Bedeutung war, und er hat die Schwierigkeiten
der noch vorherrschenden, mehr an Deuterojesaja und am Chronisten
orientierten Beurteilung der Exilszeit recht überzeugend
dargetan.

Berün F. Maass

Scharbert, Josef, Dr.: Der Schmerz im Alten Testament. Bonn:
Hanstein 1955. 235 S. gr. 8° = Bonner Biblische Beiträge, hrsg. v.
Nötsdier u. K. Th. Schäfer, 8. DM 22.-.

Bei dieser außerordentlich sorgfältig gearbeiteten Studie
handelt es sich um eine an der Kath. Theol. Fakultät der Universität
Bonn angenomme Dissertation. Scharbert gliedert seine
Untersuchung über den Schmerz in drei Hauptteile: 1) Der
Schmerz in der Sprache des ATs, 2) Die Psychologie des Schmerzes
, 3) Der Schmerz als theologisches Problem. Der Autor berücksichtigt
jeweils nicht nur die entsprechenden Arbeiten der alt-
testamentlichen Wissenschaft, sondern zieht auch Werke aus dem
Bereiche der Philosophie und Psychologie heran, gerade auch
hier weist er eine erstaunliche Kenntnis auf; sogar der Frauenarzt
G. D. Read wird erwähnt, dessen Theorien über den Geburtsschmerz
in den letzten Jahren einiges Aufsehen erregt haben
.

Im Abschnitt über die einzelnen Begriffe für Schmerz unterscheidet
Scharbert zwischen Geburtsschmerz und Angst, Schmerz
durch Kränkung und Verletzung, Schmerz in Krankheit und
hoffnungsloser Lage, Schmerz bei der Trauer (im Unterschied zu
den physiologischen Auswirkungen leiblichen und seelischen
Schmerzes), Trost, Reueschmerz und Mitleid, schmerzliches Grübeln
. Der Verfasser kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß die
hebräische Sprache keinen Terminus besitzt, der dem deutschen
Wort „Schmerz" inhaltlich genau entspricht. Den alttestamenr-
lichen Autoren kommt es darauf an, in möglichst lebensvoller
Darstellung der objektiv wahrnehmbaren Phänomene die Situationen
leidgeprüfter Menschen zu schildern und dadurch Leser
oder Hörer in die äußere oder innere Lage der Betroffenen hineinzuversetzen
, damit auch sie Anteil an den Empfindungen und
Stimmungen anderer nehmen können. Dabei wird zwischen leiblichen
und seelischen Schmerzen nicht klar unterschieden, weil
das AT die leib-seelische Ganzheit des Menschen voraussetzt.
Schmerz steht im AT mit bestimmten Organen in Verbindung,
so mit den Gebeinen (Jes. 38, 13), den Nieren (Hi. 16, 13), Leber
und Galle (Kl. 2, 11; Hi. 16, 13), den Eingeweiden (Jes.
16, Ii), dem Herzen (Jer. 48, 36). Der Schmerz im Zusammenhang
mit entsprechenden Gefühlen und Stimmungen erzeugt
beim Menschen eine Spannung, die zu Äußerung und Mitteilung
drängt. Zu erwähnen sind hier Weinen und Naturlaute sowie
ferner das Schweigen (Lev. 10, 3; Ez. 24, 23; Hi. 2, 13; Kl. 2, 10).