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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

679-681

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ott, Heinrich

Titel/Untertitel:

Geschichte und Heilsgeschichte in der Theologie Rudolf Bultmanns 1957

Rezensent:

Conzelmann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9

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und Bestimmungsgrund der Mensch als solcher sei und in der
Jesus Christus lediglich zu einem Glied, allerdings zum entscheidenden
Glied, werde.

Das inhaltsreiche IV. Kapitel: Die anthropologi-
6tische H e i 1 s g e s c h i c h t e (96—135) kann nur thematisch
skizziert werden: 1. Die Struktur der Heilsgeschichte; 2. Der
Inhalt der Heilsgeschichte.

Der Verf. kann sich, — nach der eindringlichen Darstellung der
heilsgeschichtlichen Theologie bei G. W e t h (Die Heilsgeschichte, 1931)
und in der Untersuchung von G. Flechsenhaar (Das Geschichtsproblem
in der Theologie J. v. Hofmanns, Diss. Theol. Gießen, 1935) —,
darauf beschränken, die Grundstruktur herauszuarbeiten.

1. — Die Darstellung von Hofmanns Geschichtsbegriff (98 ff.)
möchte man um ihrer Prägnanz willen wörtlich anführen, zur Definition
und Erörterung der „anthropologistischen Tendenz vgl. man die Ausführungen
(101 ff.). Zum Thema „Weissagung und Erfüllung" heißt

es: .....Das biblische Begriffspaar W. u. E. wird zum Prinzip einer

Entwicklungsgeschichte, die so primär auf den christlichen Menschen hinzielt
, daß hinter ihm die von Hofmann eigentlich gemeinte Mitte, Jesus
Christus, bedrohlich verschwindet . . . Damit wird aber gerade das, was
die Begriffe W. u. E. ausdrücken wollen, nämlich, daß nach neutesta-
mentlichem Verständnis Jesus Christus die Mitte der Geschichte im vollen
Sinn des Wortes ist, und daß nach alttestamentlichem Verständnis
Gott der in der Geschichte handelnde Herr der Geschidite ist, der über
sein Wort wie über sein Handeln allein verfügt, verfälscht" (107).

2. — In den Abschnitten „Der Mensch zwischen Schöpfung und Erlösung
", ,,Der Erlöser", „Der erlöste Mensch", erhebt H. die wesentlichen
anthropologischen und christologisdien Aussagen Hofmanns, die
u. E. in der Christologie deutlich auf Schleiermadier zurückweisen.
„Jesus ist der ideale Mensch, und zwar ist er das durchaus vom Standort
des sündigen Soseins des Menschen aus gesehen. Hier findet das
Verständnis des Erlösungswerkes Christi als Erfüllung des menschlichen
Heilsbedürfnisses seinen präzisen und umfassenden Ausdruck" (126).
Bei Hofmann ist allerdings das Kreuz derjenige Ort, an dem Jesus, der
Wirklichkeit gewordene ideale Mensch, sich „zu Ende bewährt hat" (130).
Verstanden wird aber der Weg Jesu als Verwirklichung des Heilsbedürfnisses
des Menschen, wie er es aus seinem Selbstverständnis erschließt
(131). Die Erlösung werde ausschließlich unter dem Aspekt des „heiligen
" Menschen bei gleichzeitiger Verdrängung der Rechtfertigung durch
das stellvertretende Leiden Christi gesehen. „Die Heilsgeschichte wird
zur einlinigen Heiligungsgeschichte des Menschen, in der Christus lediglich
das entscheidende Glied ist" (132). „Die Dialektik des simul iustus
et peccator findet durch die Verdrängung der Rechtfertigung zugunsten
einer einseitigen Heiligungstheologie keinen rechten Raum, sie muß
einem christlichen Perfektionismus weichen, der den Schwerpunkt der
Frage des .noch nicht' allein auf die heilsgeschichtlich zukünftige, physische
Naturverklärung verlegt" (133).

Die Untersuchung, die Hübner vorgelegt hat, ist in einem
klaren, flüssigen Stil verfaßt; der Verf. verfügt über eine umfassende
Quellenkenntnis und hat die Gabe, die bezeichnendsten
Zitate in die Darstellung einzubeziehen. Der Leser wird ihm für
die prägnanten Definitionen Dank wissen. Ganz besonders ist dem
Verf. dafür zu danken, daß er deutlich werden läßt, in welch eindrucksvoller
Weise die Hofmannsche Theologie von ihrer Mitte,
der Schriftauslegung, her, ihre ständige Korrektur und Sachlichkeit
empfängt. Daß Hofmann ein vorbildlich konzentrierter Hörer
des Wortes ist, daß er unbedingt daran festhält, die Theologie
habe von der durch Gottes Offenbarung in Christus qualifizierten,
in der Schrift bezeugten Geschichte zu reden, wird in der
Untersuchung klar herausgestellt.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Hofmanns Reaktion auf
Strauß (vgl. Wapler, J. v. Hofmann, 1914, 52). Zur gegenwärtigen
Auseinandersetzung mit Hofmanns Hermeneutik vgl. man neben dem
vom Verf. genannten Aufsatz R. Bultmanns (ZThK 47, 1950.
360 ff. = Glauben und Verstehen II (1952), 162 ff.) auch Fr. Baum-
gärtel, Verheißung (1954), 75 ff.

Jena Eberhard H. Pältz

Ott, Heinrich: Geschichte und Heilsgeschidite in der Theologie Rudolf
Bultmanns. Tübingen: Mohr 1955. VII, 211 S. gr, 8° = Beitr.
z. hist. Theologie, hrsg. v, G. Ebeling, 19. DM 21.—.

Das sorgfältig gearbeitete Buch erstrebt „eine Darstellung
der Grundstrukturen und nicht des Details Bultmannscher Theologie
" (S. 7). Es geht nicht von der Frage nach Abhängigkeiten
aus, sondern will das eigene Gefüge dieser Theologie verstehen.
,,Die Methode, welche solcher Freilegung dient, ist die quasi
kantische des transzendentalen Fragens nach den Bedingungen

der Möglichkeit, dem .Apriori'" (S. 6). Des Verfs. „Vermutung
geht dahin, daß die systematischen Voraussetzungen Bs . . . nicht
mannigfache und zerstreute sind, sondern letztlich ein zusammenhängendes
Ganzes, gleichsam ein einziges System bilden" (S. 134).
Die Struktur desselben wird zunächst im Geschichtsbegriff
entdeckt. Es „stehen zwei Weisen der Geschichtskenntnis nebeneinander
: eigentliche, primäre Geschichtskenntnis, die das wirkliche
geschichtliche Geschehen, und uneigentliche, sekundäre Geschichtskenntnis
, die das bloß historische Tatsachenmaterial
zum Thema hat" (S. 10), wobei charakteristisch ist, „daß der im
Bestand neuzeitlicher Wissenschaft empirisch gegebenen historisch
-objektiven Forschungsweise ein ontisches Fundament hypo-
stasiert wird" (S. 17). Eine solche Doppelheit wird nun als das
gesamte Denken B.s beherrschend festgestellt in der Hermeneutik
(S. 58 ff.), im Z e i t b e g r i f f (S. 110 ff.), im Begriff des
Selbst Verständnisses (S. 145 ff.). Und diese Doppelheit
im Geschichtsbegriff wird als die systematische Ermöglichung
der Entmythologisierung gesehen. Damit geht aber „die Einheit
der Geschichte, die Möglichkeit einer einheitlich-universalen, alle
geschichtliche, d. i. am Menschen geschehende Wirklichkeit in sich
begreifende Geschichtskonzeption verloren" (S. 17). Analyse und
Kritik wiederholen sich bei der Besprechung der Hermeneutik
usw.

Verf. scheint mir in der Deskription Ausgezeichnetes zu leisten.
Aber ist damit die Intention B.s verstanden? Stimmt es, daß die Zeit
auf das Jetzt der Entscheidung reduziert wird, daß die Zukunft zugunsten
der „Zukünftigkeit" verloren geht? So gut Verf. das Besondere
der phänomenologischen Hermeneutik beschreiben kann, — da, wo er
nicht mehr B.s (und Heideggers) „Position" analysiert, sondern selbst
auf die von B. analysierten Phänomene stößt, da hat er die eigenen
phänomenologischen Einsichten vergessen. Er beschreibt den phänomenologischen
Ansatz zur Überwindung des Subjekt-Objekt-Schemas — und
behandelt B. als „Objekt", nicht als „Phänomen". Die Phänomenologie
scheint bei ihm das geworden zu sein, was sie ihrer Intention
nach gar nicht werden kann (und der Verf. weiß das sogar! S. 82 f.).
zu einem weltanschaulichen Standort, den man wählen kann. Wie kann
Verf. von seinem eigenen Einsatz her nach einer biblisch fundierten
Ontologie streben, von der „Leiblichkeit des Reiches Gottes" reden
(S. 200), die Schrift einfach als gegebene, normierende Größe nehmen?
Als ob hier nidit Problem und Lösung vertauscht würden! Von der
reformatorischen Problematik von norma normans und norma nonnata
wird nichts sichtbar. Er wirft B. vor, die Au6schließlichkeit seiner Anti-
thetik (eigentlich-uneigentlich, verfügbar-unverfügbar) bedeute eine Verengerung
. Aber das „Dritte", die Synthese, die er fordert, scheint mir
geradeswegs in eine neue, „biblische" Metaphysik (Barthschen Stils auf
einem Heideggerschen Fundament!) zu führen.

Es ist nicht mehr phänomenologische Analyse, sondern ein „weltanschauliches
" Mißverständnis, wenn Verf. das Festhalten an einer
„ontischen Sphäre von Tatsachen" als „Positivismus", also als durch
eine weltanschauliche Position bedingt abtut, wenn er die Feststellung,
jede Interpretation vollziehe sich unter geschichtlichen Voraussetzungen,
dahin versteht, sie sei also relativ. Faktisch versteht er die „Voraussetzungen
" eben nicht ontologisch, sondern als beliebig und wählbar. Daher
das — allgemein verbreitete — Mißverständnis, B. kenne die Möglichkeit
einer „Korrektur" des Vorverständnisses im Vollzug der Interpretation
. Nein.' sondern einer „Radikalisierung", wobei die ontolo-
gisdien Strukturen bleiben: sie sind ja neutral. Und daran hängt es, daß
die Botschaft jedermann verständlich ist und verkündigt werden kann,
ohne daß man erst im Voraus ein christlich-ontologisdies Fundament
legen muß. Wie soll eigentlich ein „Vorverständnis" „korrigiert" werden
können? Es ist nur konsequent, wenn schließlich doch wieder nach
den psychologischen Voraussetzungen des Bultmannschen Entwurfs gefragt
wird (S. 144!).

Es rächt sich, daß Verf. sowohl die Diskussion über Ontologie
und Theologie ignoriert, die in den dreißiger Jahren in der
ZThK und ThR geführt wurde (Löwith, W.Link!), als auch die
bisher einzige Auseinandersetzung mit B., welche die durchgängige
Bezogenheit des Bultmannschen Entwurfs auf den Text qua Text
konsequent im Auge behält, die von E. Fuchs in seiner „Hermeneutik
". Würde nicht die Analyse dieses Bezuges weiterführen als
die vom Verf. vorgeschlagene „produktive Bultmannkritik"?
„Bultmann" ist doch kein theologisches Phänomen. Sofern er aber
Objekt der Darstellung ist — das muß zum Schluß betont werden,
ist er hier mit einer beachtlichen Kraft der Darstellung und mit
hervorragender Klarheit geschildert. Da Verf. nicht bei der hoffnungslosen
Frage nach B.s Mythosbegriff einsetzt, sondern nach
der systematischen Möglichkeit der Entmythologisierung fragt