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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

671-673

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kees, Hermann

Titel/Untertitel:

Der Götterglaube im alten Ägypten 1957

Rezensent:

Lanczkowski, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9

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In diese Gedankengänge fügt sich nun auch der zweite Anhang
ein, diese Sammlung von Gebets- oder richtiger Segensformularen
. Leider sind die fünf oder sechs Spalten sehr verstümmelt
auf uns gekommen. Aber es steht in den erhaltenen
Resten nichts, was nicht zu dem vorgetragenen Bilde paßt. Ja der
Umstand, daß einer der Segenssprüche für den 501133 vorgesehen
ist, macht die Bezugnahme auf den Verfassungsentwurf des
Ezechiel, der ja ebenfalls für die Heilszeit gelten will, noch deutlicher
. Die Bewegung scheint starke liturgische Interessen gehabt
zu haben und für alle vorkommenden Fälle Entwürfe bereitgestellt
zu haben. Man denke etwa auch an die letzten Spalten
des Buches der Kriege, wo ja ebenfalls liturgische Formulare aneinandergereiht
sind, die für den Übergang in die Heilszeit bestimmt
gewesen sind. Im Neuen Testament läßt sich eine ähnliche
Vorliebe für liturgische Stücke in der Apokalypse feststellen
, die ebenfalls den Einbruch der Heilszeit darstellen
möchte.

Natürlich bleiben nun einige offene Fragen bestehen. Wie
denkt z. B. die Gruppe über den Tempelkult? Gedenkt sie ihn
wieder aufzunehmen? Oder verzichtet sie in der Heilszeit auf
ihn, wie sie schon in der Weltzeit darauf verzichtet hat, weil sie
gegen die Art seiner Ausübung den Vorwurf der Fälschung und
des Irrens erhob. Wollen diese beiden Anhänge nur eine Ergänzung
etwa des Verfassungsentwurfs des Ezechiel sein? Oder
wollen sie auch diesen ersetzen? Soweit ich sehe, gibt das ganze
Schrifttum der Gruppe auf diese Frage keine eindeutige Antwort.
Vielleicht bescheren uns noch nicht veröffentlichte Texte einmal
hier Klarheit. Jedenfalls aber wird man schon jetzt feststellen
können, daß die beiden Anhänge der Ordensregel wertvolle Einblicke
in die Zukunftserwartung der Gruppe geben, deren Auffassung
auch in diesem Punkte nicht die Jesu ist.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Rees, Hermann: Der Götterglaube im alten Ägypten. 2., ergänzte
Aufl. Berlin: Akademie-Verlag 1956. (Lizenzausgabe des J. C. Hin-
richs Verlags Leipzig). XII, 501 S., lOTaf. gr. 8°. DM 40.—.

Kees' „Götterglaube" erschien erstmals 1941 in Leipzig als
45. Band der „Mitteilungen der Vorderasiatisch - Ägyptischen
Gesellschaft" und ist seitdem zu einem festen Begriff für alle
diejenigen geworden, die sich mit Ägyptologie und ägyptischer
Religionsgeschichte, mit der Umwelt des Alten Testaments und
mit der Alten Geschichte wissenschaftlich beschäftigen. Das
Werk war seit langem vergriffen. So kann es im höchsten Maße
begrüßt werden, daß jetzt eine zweite Auflage vorliegt. Sie bietet
den unveränderten Abdruck der ersten Auflage unter Hinzufügung
von 21 Seiten, die „Nachträge und Verbesserungen"
enthalten.

Daß das Werk im wesentlichen unverändert in zweiter Auflage
hinausgehen konnte, spricht hinsichtlich seiner Materialerfassung
für, die großartige Darstellung dessen, was die altägyptischen
Zeugnisse zum Götterglauben aussagen, und für die Tatsache,
daß eine neue Auflage im Grunde keiner erneuten Empfehlung
bedarf. Kees' „Götterglaube" ist längst zu einem Standardwerk
der ägyptologischen Religionsgeschichtsschreibung geworden und
zu einem wirklich unentbehrlichen Arbeitsbuch für alle, die auf
diesem Gebiete Aufschluß suchen und weiter arbeiten wollen.

Die fast unveränderte Gestalt des Werkes in zweiter Auflage
spricht aber auch für die Beibehaltung seines ursprünglichen
Charakters. Kees hat im Vorwort zur ersten Auflage und mehrfach
an anderer Stelle („Grundsätzliches zur Aufgabenstellung
der ägyptischen Religionsgeschichte", GGA Jg. 198 (1936), Nr. 2,
S. 49—61; „Grundfragen der ägyptischen Religionsgeschichte",
GGA Jg. 204 (1942), Nr. 1, S. 1—14) seinen geistigen Standort
im Hinblick auf die Darstellung der ägyptischen Religion umrissen
. Er unternimmt dabei eine Abgrenzung gegenüber mehreren
Vorgängern, die unter sich uneinheitliche Prinzipien verfolgt
hatten. Dabei wendet er sich zunächst gegen H. Brugsch, der 1884
bis 188 8 in seinem Werk „Religion und Mythologie der alten
Ägypter" mit einem damals gegenüber unseren heutigen Kenntnissen
notwendigerweise noch sehr unvollständigen Material eine
Art religionsphilosophischer Erfassung der ägyptischen Religion
versucht hatte, die vielfach gedanklich in einen geschichtslosen
Raum hineinkonstruiert war. Den Gegenpol zu dieser theoretischen
Methodik bildete Adolf Ermans „Religion der Ägypter"
(Berlin u. Leipzig 1934), die an die Stelle des spekulativen Systematisierens
den Willen zu einer rein positivistischen Darstellungsweise
setzte, die den Gehalten ägyptischen Glaubens, eigenem
Bekenntnis Ermans zufolge, indifferent und oft ablehnend gegenüberstand
, des inneren Verständnisses für das fremde Geistesleben
ermangelte und letztlich Ausdruck der eigenen Geisteshaltung
war; über Erman als Religionshistoriker schrieb daher Kees
(GGA 198, S. 58): „Bei ihm steht die egozentrische Wertung
am Wege, die sich nicht zur Denkweise eines andersgearteten
Volkes mit andersgearteter Logik bequemen will."

Aber auch gegenüber Kurt Sethe grenzt Kees, unbeschadet
der oft unübertrefflichen Textanalyse dieses Forschers, 6eine Arbeit
ab. In dem Buche „Urgeschichte und älteste Religion der
Ägypter" (Leipzig 1930) hatte Sethe den Versuch unternommen,
religionsgeschichtliche Erscheinungen Ägyptens in die Urzeit zu
projizieren und damit ein bewegtes Bild jener frühesten Entwicklungen
zu gewinnen. Demgegenüber war es das Bemühen von
Kees, „religiöse Wandlungen stets dort einzuordnen, wo sie in
das geschichtlich greifbare Bild Ägyptens ungezwungen hineinpaßten
" (S. IV). Zwanglos ergibt sich daraus eine im wesentlichen
topographische Methode der Darbietung des reichen Materials,
indem jene Kraftströme, in denen Sethe vorgeschichtliche Reiche
gesehen hatte, als lokale Zentren religiöser Ausstrahlung begriffen
werden. Damit sind die Systeme von Heliopolis und Memphis
und der thebanische Amunkult in den Mittelpunkt gerückt;
Amarna, die Reformation Echnatons, wird dagegen in ihren entscheidenden
Zügen als unägyptisch angesehen (S. 375). Überhaupt
treten das Neue Reich und das Epigonentum der Spätzeit
zurück gegenüber den früheren Bildungen, die in der Tat für
ägyptisches Wesen und ägyptische Religion formend und bestimmend
waren.

Der „Götterglaube" erhebt nicht den Anspruch, eine erschöpfende
Darstellung aller religiösen Erscheinungen Ägyptens
zu bieten. Seine Bedeutung liegt aber nicht zum wenigsten darin,
daß er auch für nachfolgende Untersuchungen entscheidende
Handreichung bietet. Hierbei kann sowohl an monographische
Behandlungen einzelner Themen wie auch an umgreifende Abhandlungen
unter neuen Gesichtspunkten gedacht sein. Das zweite
Anliegen ist gerade von Kees in seiner Berechtigung klar erkannt
und ausgesprochen worden („Wandlungen des ägyptischen Geschichtsbildes
", JNES XI (1952), S. 157): „Jede Zeit hat wohl als
ihr Recht und ihre Pflicht betrachtet, mit Fragestellungen, die aus
dem Zeiterleben geboren sind, auch an die Vergangenheit heranzutreten
." Tatsächlich handelt es sich hier, wenn anders nicht
die ägyptologische Religionsgeschichtsschreibung zu ihrem Teil
an dem harten Verdikt von Carl Heinz Ratschow („Magie und
Religion", Gütersloh 1947, S. 130): „Die ägyptische Religion
hat den Weg zur Religion eigentlich nie gefunden" Schuld tragen
will, um eine Notwendigkeit, um die Notwendigkeit nämlich,
das überkommene Material derart unter religionsgeschichtlichen
Gesichtspunkten zu befragen, wie es in der älteren Generation
der heutigen Ägyptologie nur von Hermann Junker in seinen
Grabungsberichten (Giza I—XII, Wien 1929 ff.), in seiner Interpretation
des Denkmals memphitischer Theologie („Die Götterlehre
von Memphis", Berlin 1939) und, für den Laien am zugänglichsten
, in „Pyramidenzeit. Das Werden der altägyptischen Religion
" (Einsiedeln 1949) vorgenommen wurde. Nur ein völliges
Mißverständnis könnte hierin einen Rückfall in die Methoden
von Brug6ch erblicken. Tatsächlich darf es sich nicht um eine
Oktroyierung fremder Denkschemata handeln, sondern um eine
Befragung der Fülle des uns von Kees in so glänzender Weise
dargebotenen Materials unter religionsgeschichtlichen, eben dem
Stoff in seiner Besonderheit als religiöse Aussage gebührenden
Gesichtspunkten. Die Legitimität einer solchen Forschungsweise,