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Ausgabe:

1957 Nr. 9

Spalte:

649-654

Autor/Hrsg.:

Mowinckel, Sigmund

Titel/Untertitel:

Zu Psalm 16, 2 - 4 1957

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649

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 9

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finden müssen, daß der Text kurz vor oder kurz nach dem Beginn ! 1956), S. 113-127 gezeigt. Ich verweise noch auf meinen Artikel
unser Zeitrechnung geschrieben ist. Wie das zu geschehen hat, Problems of the Septuagintin Studia Patristica I (Berlin 1957),
habe ich in ThLZ 79, 1954, Sp. 81— 94, = Opera Minora (Leiden I S. 328—338.

Zu Psalm

Von Sigmund M o

1. Schon bei der Bestimmung der Gattung dieses Psalms
kann man schwanken. Nach G u n k e 1 ein „Vertrauenspsalm".
Das ist aber keine „kultfunktionelle" Bestimmung, wie man sie
bei einer prinzipiell kultischen Deutung der Psalmen suchen muß.
Mit Recht hat B i r k e 1 a n d zwischen den eigentlichen „Klagepsalmen
" und den von ihm „Schutzpsalmen" genannten unterschieden1
. In den letzteren fehlt die eigentliche Klage mit der
Leidensbeschreibung, weil sie eine kultische Situation voraussetzen
, in der die Not und das direkte Leiden noch nicht akut
geworden sind, sondern nur erst als drohende Gefahr vor den
Augen stehen; man wird etwa an einen Gebetstag vor dem Kriege
oder, nachdem der König infolge „falscher" Beschuldigungen
von seinem (assyrischen usw.) Oberherrn vor dessen Gericht einberufen
worden ist und sich dort zu verteidigen hat, wie es etwa
von Necho von Sais direkt bezeugt2, von Manasse von Juda sehr
wahrscheinlich ist3, zu denken haben. Zu dieser wirklich kult-
funktionellen „Gattung" gehören tatsächlich die meisten der von
Gunkel mit dem wenig besagenden Namen „Vertrauenspsalm"
bezeichneten Psalmen. — Es liegt in der Natur der Sache, daß in
einem solchen Psalm das Vertrauen das am stärksten betonte
Motiv — eben als „Gebetserhörungsmotiv" — wird. Dieses Vertrauen
kann sowohl auf frühere geschichtliche oder persönliche
Erfahrungen, auf Jahwes bisher erprobte Bundestreue ODfi), als

auf das Verhältnis des Beters zu Jahwe, seine Frömmigkeit usw.
begründet sein. Bekanntlich spielt das „VeTtrauensmotiv" auch
in den eigentlichen Klagepsalmen eine bedeutende Rolle.

Das Vertrauen hat aber auch in den Dankpsalmen einen
hervortretenden Platz. Es ist diesmal auf die eben erlebte Rettung
aus Not begründet; in seinem dankbaren „Zeugnis" sagt
daher der Beter manchmal, daß er von jetzt an immerdar sein
Vertrauen auf Jahwe setzt, ein Motiv in der ehrenden Danksagung
.

Wenn man nun mit einem Psalm zu tun hat, der nicht eindeutig
einem der konventionellen Kompositionsschemata folgt,
so kann man schwanken: ist er als Schutzpsalm oder als Dankpsalm
zu verstehen? Das ist eine Frage, die sich sowohl angesichts
Ps. 23 als auch Ps. 16 erhebt. Die Gefühle, die diese beiden
Pss. durchströmen, können recht wohl als Ausdruck der
Dankbarkeit aufgefaßt werden. Welche Entscheidungskriterien
haben wir?

Die Verbalformen geben bekanntlich keine.

Nun ist es leicht festzustellen, daß der Dankpsalm unter
denen ist, die am klarsten und längsten die Kompositionsregeln
der Gattung, trotz der auch hier im Laufe der Zeit einsetzenden
Disintegrierung, aufrecht erhalten haben. Noch in den Hodajoth
von Qumran sind der Aufbau und die traditionellen Motive des
Dankpsalms leicht zu erkennen. Vor allem fehlen hier nie, oder
fast nie, das -pis „ich danke dir" oder andere traditionelle
Ausdrücke der preisenden Danksagung. Der Klage- und Gebetspsalm
dagegen hat mehrere und freiere Variationen erlebt. Es
genügt, Psalmen wie 90. 137. 139 zu nennen.

In Ps. 16, wie in 23, fehlen eben die charakteristischen
stilistischen und phraseologischen Einzelheiten des Dankpsalms';
die einzige Phrase, auf die man in Ps. 16 hinweisen kann, ist

') H- B i r k e 1 a n d, Die Feinde des Individuums in der israelitischen
Psalmenliteratur, Oslo 1933, S. 103 ff. Vgl. S. Mowinckel.
Offersang og sangoffer, Oslo 1951, S. 221 f., 239 f.

*) S. M. Streck, Assurbanipal I (VAB 7,1) Leiozie 1916,
S. CLXXVII. P g

3) S. C. F. Lehmann-Haupt, Israel. Seine Entwicklung im
Rahmen der Weltgeschichte. Tübingen 1911, S. 135 f.

*) In 23:5 könnte jedoch eine Anspielung auf das fröhliche Dankopfermahl
vorliegen.

16,2-4

w i n c k e 1, Oslo

Otto Eißfeldt zum 70. Geburtstag

iTÜTTlN "p2iN v. 7; „Jahwe 6egnen", „gesegnet Jahwe" sind
tatsächlich Ausdrücke der Danksagung. Aber wie im Klagepsalm
so finden wir auch im Schutzpsalm nicht selten Ausdrücke des
vorgreifenden Dankes in Verbindung mit der „Gewißheit
der Erhörung". Entscheidend ist aber der typische Klage-,
in diesem Falle Schutzpsalm-Eingang 13*17210 „behüte mich, Gott";
die meisten Gattungen sind an den Eingangsworten erkennbar.
So wird man dabei bleiben müssen, auch Ps. 16 — und wohl auch
23 — als „Schutzpsalmen" aufzufassen.

2a. Bei der Textrekonstruktion in v. 2 f. argumentieren
B a e t h g e n5, Duhm1 u.a. mit dem Metrum. Das ist im Prinzip
berechtigt, wenn es auch meistens nicht das Hauptargument
sein darf. Wie steht es in Ps. 16 mit dem Metrum? Von
vv- 2—4a müssen wir zunächst absehen; denn hier ist weder Metrum
noch Sinn. Von v. 4b ab ist es aber ganz klar, daß wir es
mit dem von Sievers u. a. „Doppeldreier" genannten Metrum
und mit den von ihm angenommenen Varianten desselben: Siebener
usw., zu tun haben. Das ist eben das Metrum, das die
ganze Spruchdichtung nebst sehr vielen Psalmen beherrscht, das
ich daher Maschalmetrum genannt habe. Und wie gewöhnlich ist
die metrumbildende Einheit die Doppelzeile, der Stichus
(„bicolon"), der mit seinen beiden Hemistichen („cola") einen
Gedankenreim (parallelismus membrorum) bildet — dem die
ganze hebräische Dichtung beherrschenden Gesetz der Dualität
entsprechend. Die einzige Ausnahme ist v. 11 mit 3 statt 4 Hemistichen
. Es ist zugleich ganz klar, daß von v. 5 bis 10 je zwei
Stichen logisch näher zusammenhören: w. 5—6, 7—8, 9—10;
teilweise weisen auch die zwei zusammengehörenden Verse einen
gewissen Parallelismus untereinander auf: ipbrrn272, "b-m v. 5,
Qibsn, nbtl3 v. 6; mb, *T32, "HW21 V. 9, 110D2 v. 10. Wir haben
es somit hier mit Strophen von je 2 Stichen (bicola) zu tun. Das
läßt vermuten, daß diese Einteilung auch für den ganzen
Psalm vom Dichter beabsichtigt war. Die Abweichung in v. 11
kann dann auf zufälligem Verlust eines Hemistichs beruhen, gegebenenfalls
hinter v. a; denn b und c sind deutlich die parallelen
Glieder eines Gedankenreimes, eines Stichs; die Absetzung
der Druckzeilen in BHK3 ist falsch. — Die Unregelmäßigkeit mag
aber auch auf einer Absicht des Dichters beruhen, die Gunkel
oft eben in der Endstrophe finden will7.

2b. Der Grundcharakter des Metrums des Psalm6 ist somit
sicher. Eine andere Sache, die jedoch für das Folgende nicht wesentlich
ist, ist, daß wir hier vor einem der überaus zahlreichen
Falle stehen, wo es deutlich wird, daß der Sieverssche „Doppeldreier
" nebst Varianten eben kein Doppeldreier ist, sondern ein
4 + 4-hebiger Vers. Baethgen argumentiert hier sogar mit „regelmäßigen
Siebenern" (4 + 3). Von den 18 Hemistichen (cola) in
vv. 1,4b—11 müssen die folgenden 10 als Vierer skandiert werden
, einfach weil sie (mindestens) 4 „sinntragende" Worte enthalten
: vv. 1, 4b, 4c, 5a, 6a, 7a, 8a, 9a, 10a, lob"; dazu kommt
auch 8b, da die starke Negation ba nicht unbetont sein kann.
Nimmt man dazu auf die Tonregeln des Hebräischen, besonders
auf die Forderung des Nebentons, Rücksicht, nach denen etwa
ein 'al nah'läti, 'ai b*sdri nicht mit nur einer Hebung gele-

*) Fr. Baethgen, Die Psalmen' (Göttinger Handkommentar)
1904.

") B. Duhm, Die Psalmen (Marti's Hand-Commentar) 1899.

7) H. Gunkel, Die Psalmen (Göttinger Handkommentar) 1926,
S. 12 (ad 2:12). Die meisten der von ihm dort angegebenen Stellen
halten einer näheren Prüfung nicht Stand.

8) Im einzelnen ist zu bemerken: PN v. 4c kann als prosaische Ausfüllung
betrachtet werden; in v. 6b sprich: nah*läti; pb v. 9 kann als
außerhalb des Metrums stehender Auftakt (Anacrusis) betrachtet werden
; inrTNb ein Fuß v. 10.