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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

630-632

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Molnár, Amedeo

Titel/Untertitel:

Die Erziehung in der Brüderunität vor Comenius 1957

Rezensent:

Jeschke, Josef B.

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

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durch den die schwerwiegenden Fehler der Vergangenheit endlich
überwunden werden und ein neues Vertrauensverhältnis zwischen
Kirche und Schule entsteht" (S. 3). Daß, abgesehen von einer
dokumentarischen Auswahl kirchlicher Worte zur Frage von
Schule und Erziehung, die drei andern Beiträge Vorträge der Verfasser
wiedergeben, die auf Tagungen der Ev. Akademien, vor
Schulaufsichtsbeamten und Lehrern tatsächlich gehalten worden
sind, zeigt besonders deutlich, wie lebendig und intensiv diese
Begegnung zwischen Kirche und Schule heute ist.

,,Die Voraussetzungen des Gesprächs zwischen Theologie
und Pädagogik" (S. 5 ff.) kennzeichnet Uhsadel sehr besonnen
nach beiden Seiten hin und in guter Kenntnis der Problematik.
Er fordert von den Theologen, daß sie „die Pädagogik als eigenständige
Wissenschaft" anerkennen und zu verstehen suchen,
,,was mit pädagogischer Autonomie gemeint ist" (S. 7); die Pädagogen
aber sollen sich mühen, „die Probleme der Pädagogik
von der Bibel als Offenbarungsurkunde her zu durchdenken" (S. 9)
und ihrerseits zu respektieren, „daß die Offenbarung für den
Theologen der nicht mehr zu diskutierende Ansatz des Denkens
ist" (S. 10). Nur so kann gemeinsam die zentrale Frage beantwortet
werden, was der Glaube mit der Erziehung zu tun hat.
Dabei wird für den theologischen Leser gerade in diesem Aufsatz
sehr deutlich, daß führende moderne Pädagogen wie Flitner,
Weniger u. a. heute für die Fragen einer kirchlichen Erziehung
und evangelischen Unterweisung aufgeschlossen sind, weil sie
selbst den Menschen „in der Krisis" sehen und 6ich von einer
idealisierenden Verharmlosung des Menschen distanzieren.

Wie fern heute eine Erziehung aus Glauben einem „galligen,
verkrampften Christentum" (S. 100) ist, das zum mindesten in der
Vergangenheit großen Schaden angerichtet hat, beweist Uhsadels
zweiter Beitrag „Erziehung — ein fröhlicher Dienst" (S. 93 ff.)-
Hier scheint mir in einer sehr schlichten, auch dem Laien leicht
verständlichen Sprache mit viel Humor ein Ton angeschlagen, der
den Lehrern besser als allzu grundsätzliche und problemgeladene
theologisierende Erörterungen zeigt, daß in aller Mühsal und
Überlastung des Schulalltags das Erziehen nur aus christlichem
Glauben ein „fröhlicher Dienst" werden kann. Dann kann das
berühmte Wort des Rhabanus Maurus „Laeti diseipuli, laetiores
magistri, laetissimus rector" umgekehrt werden. „Das Kind erwartet
von uns die Freude, die aus einem im Glauben getrosten
Herzen kommt" (S. 119). Vermag der Erzieher, dem Kinde diesen
Dienst zu tun, dann bereitet er ihm in Schule, Elternhaus
und Gemeinde den „von Freude erfüllten Raum" (S. 107), den
das Kind zu seinem Gedeihen nötig braucht. So wagt es Uhsadel,
das Amt des Erziehers „vom dreifachen Amt Christi" (S. 103) her
zu deuten: als Zeugendienst, als Seelsorge und als fürsorgende
Liebe.

Theologisch grundsätzlicher und gewichtiger, aber doch durch
seinen klaren Gedankengang und mitreißendes Temperament für
den Pädagogen überzeugend sind Niemeiers Ausführungen „Von
der notwendigen Partnerschaft zwischen Kirche und Schule"
(S. 25 ff.). N. begründet diese Partnerschaft vom „ureigensten
Wesen und ureigensten Auftrag deT Kirche her" (S. 29): 1. Es
gibt kein Lebensgebiet, das für die Kirche als „Treuhänderin des
Evangeliums" „exterritorial" wäre und dem sie die Verkündigung
des Wortes Gottes nicht schuldet; 2. damit erhebt aber die Kirche
keinen Herrscliaftsansprudi und für keine Schulform ein „ideologisches
Absolutuni", sondern leistet vielmehr der Schule in
ihrer eigenen Erziehungs- und Bildungskrisis heilsamen Dienst;
3. denn vor allem sind Kirche und Schule Partner „durch die ihnen
gemeinsame Frage nach dem Menschwerden und Menschsein des
Menschen" (S. 49). Gerade deshalb laufen die tiefsten pädagogischen
Fragen letzten Endes auf die theologische Frage zu und mündet
auch das theologische Fragen zwangsläufig in die pädagogische
Frage; denn „in der Frage nach dem Mensch-werden und Menschsein
des Menschen begegnen das Amt, das die Erlösung verkündet
, und das Amt des Erziehens einander in sozusagen chemisch
reiner Form" (S. 47).

Beweisen diese Beiträge eindeutig, daß „die Kirche von heute
nicht einfach die Kirche von gestern und vorgestern" ist und
neue theologische Erkenntnisse wie auch der Kirchenkampf sie
anders werden ließ, „als sie bis etwa zum 1. Weltkrieg gewesen

war" (S. 31), so belegt das auch „Das Wort der Kirche zu Fragen
der Schule und Erziehung" (S. 5 5 ff.), das Niemeier als eine Dokumentation
in Auswahl zusammengestellt und kurz eingeleitet
hat. Die Auswahl umfaßt verschiedene Beschlüsse und Erklärungen
von Synoden, Bruderräten, Erziehungsausschüssen und Kir-
chenführerkonferenzen, wie auch Bestimmungen aus Gesetzen
und Grundordnungen verschiedener deutscher Landeskirchen aus
der Zeit von 1945 bis 1954. Auch nur alle einzeln zu nennen,
ist hier nicht möglich. Doch dreierlei sei als Gesamteindruck vermerkt
: 1.) Im Unterschied zu dem festen und geschlossenen, vom
Naturrecht her begründeten Schulprogramm der katholischen
Kirche mit der Ideologie des „Elternrechts" im Kampf um die
„katholische Schule" ist den kirchenamtlichen Äußerungen auf
evangelischer Seite gerade in der Frage der Schulform eine große
Weite und Offenheit eigen; 2.) auch diese Dokumente sind Ausdruck
der schmerzlichen Trennung unseres Volkes und Landes in
zwei Staaten, deren politische Verschiedenheit sich auch im Verhältnis
von Kirche und Schule sehr deutlich spiegelt; 3.) trotz
aller Mannigfaltigkeit der Kundgebungen und „bei unterschiedlichen
Stellungnahmen in Einzelfragen aber ist und bleibt es das
gemeinsame Anliegen aller kirchlichen Verlautbarungen zu Schul-
und Erziehungsfragen, daß überall, wo Erziehung und Unterricht
geschieht, die ebene Bahn und eine offene Tür für das Evangelium
da sei" (S. 57).

S° erscheint die kleine, aber gedanken- und materialreiche
Schrift sehr geeignet, den Stand des Gesprädies zwischen Theologie
und Pädagogik deutlich zu machen und zu einer förderlichen
Begegnung zwischen Kirche und Schule, Pfarrern und Lehrern
beizutragen.

Berlin Gerhardt Giese

Ml-0

M 0 1 n a f, Amedeo: Die Erziehung in der Brüdemnität vor Comenius.

Prag: Pädagogischer Staatsverlag 19 56. 309 S. = Ceskobratrskä
vychova pfed Komenskym. Stätni pedagogicke nakladateistvi.
Kcs. 25.80.

Im Vorwort zu diesem Buche sagt der Akademiker Otakar
Chlup, daß die tschechische pädagogische Literatur und die Geschichte
der tschechischen Erziehung und des tschechischen Schulwesens
des unumgänglichen Behelfes, den kritische Quellenausgaben
bieten können, entbehren. Weil die deutsche Erziehungsgeschichte
und die Geschichte des deutschen Schulwesens ihre Mo-
numenta Germaniae paedagogica besitzen, konnten in Deutschland
auf dem Gebiete der Erziehungsgeschichte monumentale
Werke entstehen. Das Buch von Amedeo Molnär, Dozent an der
evangelischen theologischen Comenius-Fakultät in Prag, bedeutet
den Anfang des Weges, auf dem die Schuld der tschechischen pädagogischen
Tradition rückbezahlt werden kann.

In seiner übersichtlichen Einleitung weist Molnär zuerst auf
die reidie Literatur hin, welche sich bereits früher mit den Er-
ziehungsfragen der Brüderunität befaßte, wobei er neben älteren
Studien von H. Ball, Das Schulwesen der Böhmisdren Brüder,
Berlin 1898 und J. Th. Müller, Die deutschen Katechismen der
Böhmischen Brüder in MGP IV, Berlin 1887, auch die Schrift
R- Alts, Der fortschrittliche Charakter der Pädagogik Komenskys,
Berlin 1953, erwähnt. Im weiteren behandelt der Verfasser den
Erziehungszweck der dreifadien Mitgliederschaft in der Brüderunität
(ineipientes, proficientes, perfecti). Vielleicht hätte er klarer
hervorheben können, daß diese Dreiteilung zur Autonomie
der Brüderunität neben der gleidizeitigen Gesellschaft und zur
Umwertung ihrer feudalen Struktur führen wollte. Wertvoll ist
dann das Kapitel über die Ordnung und Zucht, die der Unität
ihr diarakteristisches Gepräge verleihen. Sie dienten der Erziehung
und Bildung ihrer Glieder und gestalteten ausdrucksvoll
ihre Glaubens- und Lebenshaltung. Hand in Hand ging damit das
Bestreben um die Bildung selbst, welche ihren Ausdruck in der
Gründung der Brüder-Schulen niederer und höherer Stufen fand.
Molnär gibt weiter eine gute Übersicht über die Schulen, welche
die Unität in Böhmen, Mähren, ja sogar während ihrer Emigration
in der Slovakei, in Polen und Preußen besaß. Abschließend nennt
er Bildungsmittel, deren sich die Brüder bedienten, seien es in
eigenen Budidruckereien gedruckte Lehrbücher, Katechismen, Gesangbücher
, seien es Predigten und andere Anweisungen, welche