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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

625-627

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Glaube und Handeln 1957

Rezensent:

Wendland, Heinz-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

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ihre sekundäre Mittlerschaft; das Zusammenwirken von Gnade und
menschlicher Freiheit beim Heilswerk, die Möglichkeit und Notwendigkeit
einer Vorbereitung auf die Rechtfertigung, die strikte Gratuität
der Heilsgnade für den Menschen, die Ungleichheit in der Gnadenzuteilung
, die Prädefinition. Andere Artikel sind ergänzt und neugefaßt,
und auch sonst wurden an zahlreichen Stellen Änderungen, Berichtigungen
und Ergänzungen vorgenommen. Sehr wichtig für den Benutzer
ist auch die Neuordnung und Vervollständigung der Literaturangaben.

Aus der Fülle der Einzelheiten, die dem evangelischen Leser auffallen
, sei nur folgendes hervorgehoben: Anselms juridische Satisfaktionstheorie
wird zwar bejaht (2 57), aber seina^Meinung, die Menschwerdung
habe als einziges mögliches Mittel zur Bewerkstelligung der
Erlösung zu gelten (Cur Deus homo), scharf zurückgewiesen (234). In
der Mariologie trägt Verf. nicht nur die alten und neuen Dogmen vor,
sondern setzt sich auch für die Titel „Mittlerin aller Gnaden", „Mit-
erlöserin" (corredemit, commeruit, consatisfeeit etc. 441), „Mitverdie-
nerin" (442), „Mitsühncrin" (444), „Mitopfernde" (445), „Depositarin
" („Schatzmeisterin der Gnade" 449) ein. Der hyperdulische Marienkult
ist nicht nur erlaubt und nützlich (wie bei den andern Heiligen
samt ihren Bildern und Reliquien), sondern auch Pflicht (459). Das
Reich der Königin Maria ist „soweit wie das ihres Sohnes" (460).

Wie schwer die Verständigung zwischen evangelischen und
katholischen Theologen ist, tritt besonders deutlich in der Gnadenlehre
hervor. Verf. sagt im Blick auf einen Satz aus REJ über
die katholische Verdienstlehre: „So kann nur schreiben, wer die
katholische Lehre nicht kennt!" (801). Wir wollen uns das gern
gesagt sein lassen, müssen aber unsererseits auch mehrfach beim
Verf. LInkenntnis des evangelischen Standpunktes feststellen.
So etwa, wenn er schreibt: „Der Protestant schreibt sich in seiner
Heilsgewißheit eine persönliche Unfehlbarkeit zu, der gegenüber
die Infallibilität des obersten kirchlichen Lehramtes in den Schatten
tritt, wie er auch eine unwiderrufliche Heiligsprechung mit
sidi vornimmt, gegen die die Kirche bei einem noch lebenden
Heiligen Einspruch erhöbe"!! (775). Jeder Kenner weiß, daß sich
die evangelische Heilsgewißheit weder auf persönliche Unfehlbarkeit
noch auf eine unwiderrufliche Heiligsprechung gründet, sondern
auf die Unverbrüchlichkeit der Gnadenzusage Gottes in
Christus. Auch dürfte das Luthersche „Gerecht und Sünder zugleich
" kaum richtig wiedergegeben sein mit dem Satz: „Nach
Luther kann die schwerste Sünde mit der Gerechtigkeit zusam-
menbestehn; letztere geht nur durch den Mangel des Fiduzial-
glaubens verloren" (782). Denn der Glaube ist nach Luther mit
der Absage an die Sünde untrennbar verbunden; „der heilige
Geist läßt die Sünde nicht walten und überhand gewinnen, daß
sie vollbracht werde, sondern steuret und wehret, daß sie nicht
muß tun, was sie will. Tut sie aber, was sie will, so ist der heilige
Geist und Glaube nicht dabei" (Schmalk. Artikel 3, 3). Auch
wirkt der alte Vorwurf befremdlich, daß Luther „durch Ein-
schwärzung des Wörtchens .allein' " Rom. 3, 28 gefälscht habe
(691). Nicht nur daß Luther im „Sendbrief vom Dolmetschen"
6eine Übersetzung hinreichend begründet hat, — auch Verf. selber
kommt in seiner Interpretation der Paulusstelle einem „sola fide"
ziemlich nahe (692). Seit wann hätte aber eine freie sinngemäße
Übersetzung als „Fälschung" oder „Einschwärzung" gegolten?

Doch wir wollen hier nicht polemisieren. Pohles Dogmatik
bietet nicht in erster Linie Kontroverstheologie, sondern eine
thetische Darstellung des katholischen Glaubens, zwar in einer
bestimmten Schultradition, aber auf breiter Grundlage. Darin
liegt ihre große Bedeutung für den evangelischen Forscher.
Halle/Saale E.Schott

ETHIK

Schrey, Heinz-Horst: Glaube und Handeln. Grundprobleme evangelischer
Ethik. Texte aus der evangelischen Ethik der Gegenwart ausgewählt
. Mit einer Einleitung von H. T h i e 1 i c k e. Bremen: Schü-
nemann [1956], LVIII, 470 S. kl. 8° = Sammlung Dieterich Bd. 130.
Lw. DM 11.80.

Ein brauchbarer und handlicher Band, und man begrüßt es
dankbar, daß dieses Quellenwerk evangelischer Ethik Aufnahme
in die wieder erneuerte und fortgesetzte Sammlung Dieterich gefunden
hat. Obwohl die Schwierigkeiten, die einer solchen Auswahl
bei dem Umfang und der Kompliziertheit der ev. ethischen
Literatur der Gegenwart entgegenstehen, außerordentlich groß
sind, muß die Auswahl von H.-H. Schrey als sehr glücklich

und sorgfältig abgewogen bezeichnet werden. Es kommen folgende
Autoren zu Worte: Althaus, Barth, Bonhoeffer, E. Brunner,
Bultmann, Eiert, Gogarten, Joest, Künneth, de Quervain, Schrey,
Steubing, Thielicke, Tillich, Wehrung, E. Wolf, dazu von Ausländern
R. Bring, N. H. See und Reinh. Niebuhr; aus der älteren
Generation lediglich Troeltsch mit einem Abschnitt über die Rezeption
des antiken Naturrechts. Angesichts dieser Namenliste
kann der Auswahl irgendeine Art von Einseitigkeit nicht zum
Vorwurf gemadit werden. Bei dem Umfange und der Zahl der
Werke, die bei dieser Zusammenstellung berücksichtigt werden
mußten, wäre es natürlich leidit möglich gewesen, noch zahllose
andere Abschnitte aus diesen Autoren ins Auge zu fassen oder
audi ein paar andere Autoren hinzuzufügen; trotzdem kann unter
den gewählten Hauptgesichtspunkten für die Gliederung des
Stoffes nur wiederholt werden, daß die Auswahl sehr gut gelungen
ist. Diese Gesichtspunkte aber sind die folgenden: A. Das
Thema der Ethik, B. Das Gebot Gottes und die Verantwortung
des Mensdien, C. Menschliche Existenz unter Gericht und Gnade,
D. Die Freiheit des Christen von der Welt (Eschatologie und
Ethik), E. Die Freiheit des Christen für die Welt (Diesseitigkeit
des Christentums), F. Die Frage nach den normativen Instanzen
der Ethik (Gewissen, Naturrecht, die Ordnungen), G. Die Grenzen
als Ort ethischer Neubesinnung. Der Herausgeber leitet jeden
Abschnitt mit einigen knappen erläuternden und hinführenden
Sätzen ein, die dem Verständnis de6 Laien-Lesers angepaßt sind.
Die reformatorisdien Quellen kommen nur in einem Anhange
selbst zu Worte, wo Ausführungen Melanchthons und Calvin
zum Problem des tertius usus legis wiedergegeben sind. Sie dienen
als Grundlage für die heutige, neue Erörterung dieses Problems
(R. Bring, W. Joest in diesem Bande).

Die Einleitung von H. Thielicke will nicht nur die
Frage nach den Aufgaben und Grenzen dieses Quellenwerkes beantworten
, sondern audi den nicht-theologischen Leser in die Arbeitsweise
und die wichtigsten Fragestellungen der evangelischen
Ethik einführen; er stellt also sadigemäß Fragen in den Mittelpunkt
, die von einem solchen zu erwarten sind: So die Frage nadi
den normativen Instanzen der evangelischen Ethik, nach dem Verhältnis
christlidier und autonomer Ethik, nach der Bedeutung des
Säkularismus und andere, besonders audi solche, die seit 1945
aus dem Räume der Welt laut geworden sind, — wobei man es
verständlich finden wird, daß der Verf. sich dabei von seiner
eigenen Grundlegung der evangelischen Ethik leiten läßt. Die
Fragen selbst und ihre Darlegung können hier nicht im einzelnen
diskutiert werden, jedenfalls aber hat der Verf. den Leser in
leicht verständlicher Form, behutsam und sicher zugleich, in
einige der Entscheidungsfragen eingeführt und auch auf ältere
Werke einen Blick geworfen, die wie z. B. Schlatters Ethik hier
nicht mehr berücksichtigt worden sind, oder wie K. Barths und
j* Brunners große Arbeiten doch nur in kleinen Fragmenten zu
Worte kommen konnten.

So wenig an diesem Orte die ethischen Thesen der zahlreichen
, hier zusammengestellten Autoren kritisch untersucht werden
können, so muß doch Eines vermerkt werden: Nicht nur die
„Einheit des Themas", von der Schrey spricht, sondern auch die
allen Unterschieden, ja Gegensätzen zugrundeliegende, einheitliche
Art zu fragen und zu argumentieren, Ieuditet aus dem ganzen
Bande hervor. Insofern ist er auch für den Theologen lehrreich
, weil er hier die verschiedensten Stimmen nacheinander
hört und die Texte bequem miteinander vergleichen kann. Wenn
man sich aber nun an die Stelle eines christlidien Laien versetzt,
der diesen Band zur Hand nimmt, so drängen sich vor allem folgende
Fragen auf: Sind die „Grundfragen" evangelischer Ethik
wirklich immer nur Grund 1 e g u n g s fragen? Gibt es nicht
eine Fülle von Fragen, die den Rang und die Bedeutung von
Grundfragen haben, aber unmittelbar aus der ethischen Praxis
des Alltags, aus der Begegnung des Christen mit Mächten und
Maßstäben in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft emporsteigen?
Woher rührt es eigentlich, daß diese ganze Art, systematisch-
theologische Ethik zu betreiben, mit der Praxis ethischer Verkündigung
auf der Kanzel und in der Unterweisung der Kirdie
trotz der Neuansätze noch wenig zu tun hat?! Obwohl doch jeder
Pfarrer, jeder andere Diener der Kirche, der Diakon, der Sozialsekretär
, der Jugendleiter täglich mit ihnen zu ringen hat? Wie