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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

613-615

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Klepper, Jochen

Titel/Untertitel:

Unter dem Schatten deiner Flügel 1957

Rezensent:

Fresenius, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

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der Arbeit „Lutherischer Vorsehungsglaube in Paul Gerhardts
geistlicher Dichtung" (Theol. Diss. Halle 1955, vgl. ThLZ 82,
1957, 73 f.) besonders achtet, wird im Gegensatz zu Klopstocks
unglücklichen Gerhardtbearbeitungen nicht übergangen (S. 114).

Dies aber ist, wenn ich recht sehe, die eigentliche Absicht
des Buches: die Stellung Paul Gerhardts im Gesamtraum der
deutschen Dichtung zu bestimmen. Es ist auch das Neue gegenüber
Ihlenfelds früherem Aufsatz „Paul Gerhardt und der große
Krieg" (Eckart 19, 1943, 82—92 mit einer ausgezeichneten Reproduktion
des Lübbener Bildnisses), obwohl auch dort schon
Goethe und Hans Carossa zitiert werden. Hier sind es nun nicht
weniger als vierzig deutsche Dichternamen, die auf dem verhältnismäßig
geringen Raum begegnen: von Gottfried Benn über
Goethe und Klopstock bis zu Rudolf Alexander Schröder. Der
„treue Umgang" mit Gerhardts Liedern, den Jochen Kleppers
Tagebücher erkennen lassen (S. 130), ist nicht vergessen. Die
„fast unbegreifliche Tiefenwirkung von Gerhardts Poesie" (S.
134) wird an Versen Gottfried Benns gezeigt. Hans Egon Holthusen
hatte schon in seinem Berliner Festvortrag zu Benns
70. Geburtstag „Paul Gerhardt zu den rechtmäßigen, 6ei es bewußten
, sei es unbewußten Vorbildern seiner Kunstübung" gezählt
(S. 132).

Die Fülle der Bezüge kann hier nicht entfaltet werden. Ihlenfeld
hält Umschau im Garten der Dichtung, ohne doch — um nur
geistreich zu erscheinen — Verbindungen herzustellen, die einer
sinnvollen, vergleichenden Literaturbetrachtung spotten. Mit bloßen
Wortanalogien ist es dabei nicht getan. Die Sprachmelodie
wird gehört, die leise Tönung mitempfunden.

Um das Wesen der Gerhardtschen Dichtungen in ein einziges
Wort zu fassen, übernimmt Ihlenfeld von Kierkegaard den
Begriff „Ewigkeitsgesundheit" (S. 109). Er zitiert nicht nur
Schröder: „Paul Gerhardt — es ist mir immer, als ginge die Sonne
auf, wenn der Name in mein Gedächtnis tritt" (S. 127). Er zeigt
sich überhaupt in seinem Buch dem großen Essayisten tief verwandt
.

Halle/Saale Hans Urner

Klepper, Jochen: Unter dem Schatten Deiner Flügel. Aus den Tagebüchern
der Jahre 1932—1942. Hrsg. von Hildegard Klepper. Die
Auswahl und Redaktion besorgte Benno Mascher. Stuttgart: Deutsche
Verlagsanstalt 1956. 1172 S., 1 Titelbild. 8°. Lw. DM 19.80.

Das ist ein Buch, das uns alle angeht und auf das auch in
der „Theologischen Literaturzeitung" hingewiesen werden muß.
Ich bin 6ehr dankbar dafür, daß der Herausgeber meine Anfrage
mit „Ja" beantwortet hat. Nicht nur, daß das Buch unter dem
Leitwort des 2. Verses des 57. Psalm steht:

„Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig;
denn auf dich traut meine Seele,

und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht,
bis daß das LInglück vorübergehe."

Dieser Vers und dieser Psalm findet sich in dem Tagebuch
immer wieder, und bald setzt der Schreiber über jeden Tag
seines Tagebuches ein Bibelwort, das er entweder den „Losungen
" der Brüdergemeine entnimmt oder selber auswählt. Je länger
man in dem Buch liest, um so deutlicher wird es einem, daß
hier ein Mensch schreibt und sich an das Wort Gottes hält, das
er in seinem harten und beschwerten Leben als solches findet und
bewährt empfindet. Ja, es handelt sich bei Jochen Klepper um
ein hartes und beschwertes Menschenleben; denn es steht hier
ein Mensch vor uns, der außerordentlich sensibel und von Haus
aus unsicher ist, ein stets ringender und suchender Mensch, der
seinen Weg durch lange Zeit nicht finden kann. Er studiert als
Pfarrerssohn zunächst Theologie, gibt aber dann dieses Studium
auf. Welches der Grund für diesen Verzicht ist, geht aus dem
Tagebuch nicht hervor. Aus diesem Hin und Her-schwanken und
der inneren Ungewißheit über seine Lebensaufgabe wird er erst
befreit, als ihm eine Frau begegnet, die ihn versteht und an der
er einen Halt hat. Sie ist über ein Jahrzehnt älter als er, die jüdische
Witwe eines jüdischen Rechtsanwalts mit 2 jüdischen Töchtern
. Als er diese Frau heiratet, kommt es zum Bruch mit seinem
Elternhaus. Daran hat er bis zu seinem Ende schwer getragen,

auch wenn es schließlich nach dem Tode des Vaters mit der kranken
Mutter zu einer Aussöhnung kommt.

Durch seine Frau wird ihm sein eigentlicher Beruf deutlich,
der Beruf des Schriftstellers. Aber die Frage bleibt und quält ihn
immer aufs neue, ob er wirklich ein „Berufener" ist, der nicht
schreibt, um damit seinen Lebensunterhalt zu gewinnen. Die Arbeit
für den Film und in dem Literaturbetrieb, in den er zunächst
hineingezogen wird, kann ihn nicht befriedigen. Seine Arbeit
wird durch ständige Kopfschmerzen und häufige Schlaflosigkeit
erschwert. Und dann kommt zu der Bedrohung von innen die
Bedrohung von außen: die Vernichtung des Judentums in
Deutschland und die Verkehrung deutscher und christlicher Art,
wie sie der Dichter versteht, durch den Nationalsozialismus. Das
Leben Kleppers mit der jüdischen Frau und zwei jüdischen Kindern
wird je länger, um so mehr ein gehetztes und unruhiges Leben
, das ihm seine Arbeit immer mehr erschwert. Trotzdem widmet
er sich mit aller Kraft, die er aufbringen kann, der Arbeit
an seinem großen Buch „Der Vater" und darf wenigstens die
große Freude erleben, daß es eine große Verbreitung findet und
viele Hände dankbar danach greifen. Durch den Erfolg dieses
Buches wird seine wirtschaftliche Existenz gesichert. Aber er
kommt nicht zur Ruhe. Die Belastungen und Schwierigkeiten
wachsen und ein großer Plan, der um den Gedanken kreist, den
er mit den Worten „Das ewige Haus" beschreibt, quält ihn mehr,
als daß er ihn tröstet. Er zwingt sich zu umfangreichen Studien
und Vorarbeiten, aber er kommt nicht recht weiter. Wa6 von dieser
Arbeit geblieben ist, findet sich in dem Bändchen „Kathanna
von Bora". In alledem ist es ihm eine Freude, die ihm immer
wieder ein Stück weiterhilft, daß ihm geistliche Lieder gelingen
, die vor allem in dem im Eckart-Verlag erschienenen Bändchen
„Kyrie" herausgekommen sind (Dem Tagebuch ist dankenswerterweise
eine Bibliographie über Kleppers Bücher, Zeitschriften
, Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken beigefügt).

Was uns hier besonders beschäftigen muß und die Berechtigung
zu der Besprechung der Tagebücher Kleppers erweist, i6t
die Tatsache, daß der Dichter, — der sich in diesem Buch als Dichter
und nicht nur als Schriftsteller erweist —, sein Wirken, je
länger, um so mehr als Verkündigung erkennt: er muß
und will als Dichter mitten in all seinen Anfechtungen von innen
und außen Gottes Wort verkündigen, so, wie es ihm in der Bibel
begegnet ist. Die kirchlichen und theologischen Fragen beschäftigen
ihn dauernd, und er nimmt regelmäßig an seinem jeweiligen
Wohnort am Gottesdienst der Gemeinde teil. Ihn beschäftigt
jedes Schriftwort, das im Gottesdienst verlesen oder gesagt wird,
die Art und der Inhalt der Predigt, die Form und Gestaltung der
Liturgie, die Gestaltung und Ausschmückung des Kirchengebäudes
, das Orgelspiel, der Gemeindegesang und die Darbietung von
Thören und Instrumentalwerken im Gottesdienst oder in besonderen
kirchenmusikalischen Feiern. Hier ist für den Theologen
und vor allem für jeden Pfarrer sehr viel aus den Tagebüchern
zu lernen, da Klepper über alles sich selbständige Gedanken gemacht
hat und seine Urteile, sie seien nun positiv oder negativ,
stets ihre Bedeutung haben. Es spielt dabei keine Rolle, ob man
seinen Urteilen in allen Fällen beipflichten kann oder nicht, wie
man denn auch über seine politischen Lirteile verschieden denken
kann. Jedenfalls geben die Tagebücher eine ernste und eindrucksvolle
Darstellung dieser 10 Jahre, wie sie nur ein deutscher und
evangelischer Christ geben kann, der zugleich ein Dichter ist.
Darüber sagt das Geleitwort seines Freundes Reinhold Schneider
wesentliches, das dem Werk vorangestellt ist.

Die Lektüre des Werkes ist keine leichte Lektüre, wie gut
zu verstehen ist. Aber wer mit dem Lesen angefangen hat, der
kommt von dem Buch nicht mehr los und den stört es auch nicht,
daß sich viele Gedanken und Mitteilungen öfters wiederholen.
Die oft in die Tagebücher eingestreuten wunderschönen Naturschilderungen
und -Beobachtungen erleichtern das Lesen des Buches
, das sonst von so viel Schwerem und Dunklem berichten
muß. Die letzten Jahre des Dichters sind besonders von dem
Selbstvorwurf erfüllt, der ihn ständig quält, daß er nicht zeitig,
wie für die Emigration der älteren Stieftochter, so auch für die
der jüngeren gesorgt hat, die trotz aller Bemühungen und Hilfe
nicht mehr gelingt. Der Dichter ist bekanntlich am 11. Dezember