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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

612

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Kirchenmusikalisches Jahrbuch; 39 1957

Rezensent:

Söhngen, Oskar

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

612

das EKG selbst sein Entstehen im wesentlichen den verdienstvollen
Trägern liturgischer, hymnologisdier und kirchenmusikalischer
Arbeit in der Evangelischen Kirche Deutschlands, Christ-
hard Mahrenholz und Oskar Söhngen. Wenn es in den vorgesehenen
fünf Bänden mit insgesamt neun Teilen fertig vorliegen
wird, wird es nicht nur geeignet sein, dem praktischen Dienst
der Kirche am Lied und mit ihrem Lied wertvollste Förderung zu
geben, sondern zugleich ein wissenschaftliches Standardwerk
darstellen, das den Ergebnissen der hymnologischen Forschung
der Gegenwart entspricht. Es würde in dieser Besprechung zu
weit führen, den umfassenden Gesamtplan des Handbuchs zu
entwickeln, das in seinem fünften Band auch den Liedern der
Anhänge zum EKG Rechnung tragen soll. Jeweils nach Erscheinen
eines neuen Teiles wird die Möglichkeit bestehen, an dieser
Stelle darüber zu berichten.

Der vorliegende erste Teil bietet das wie immer entsagungsvolle
Unternehmen verschiedener Konkordanzen, und doch sind
gerade sie in besonderer Weise geeignet, zu einem wirklichen
Eindringen in den Liedbestand zu verhelfen. Natürlich muß dabei
vorausgesetzt werden, daß das Aufsuchen der angegebenen
Stellen stets mit der Kenntnisnahme des gesamten Liedzusammenhanges
verbunden wird. Zunächst geben F. J. Arnold und
O. Schlißke eine Wort- und Sachkonkordanz für den Liedkanon,
d. h. den ersten Teil des EKG. Von ganz speziellem Wert ist
hier die der Wortkonkordanz eingearbeitete Sachkonkordanz,
die zu einer Fülle wichtiger Begriffe und häufig anzutreffender
Aussagen in systematischer Unterteilung das Material darbietet.
Dabei wird man in der Plazierung mancher Einzelwendung
anders als der Herausgeber urteilen können; denn es handelt
sich ja um dichterische Aussagen, die der Prägnanz systematischer
Begrifflichkeit entbehren. Andererseits wird gerade das
Nachdenken über die Unterbringung mancher Aussage innerhalb
der Sachkonkordanz gewohnte Liedwendungen in einem
neuen Lichte aufleuchten lassen. Es hängt mit der Natur der Sache
zusammen, daß man bei manchen Wendungen sich fragen wird,
ob ihre Beziehung auf Gott Vater oder den Sohn richtig ist. Natürlich
wird man auch gelegentlich eine Wendung, die einem
selbst wichtig erscheint, vermissen (z. B. S. 18 zu „Blut" b) den
ersten Vers des Liedes 273).

Von F. J. Arnold stammt auch das nachfolgende Verzeichnis
der Strophenanfänge, das es ermöglicht, von jedem einzelnen
Strophenanfang her sofort zu bestimmen, um welches Lied es sich
handelt.

Rudolf Utermöhlen hat ein Verzeichnis von Vorschlägen
für die gottesdienstliche Verwendung der Lieder beigesteuert. Es
richtet sich für die Lieder zum Hauptgottesdienst nach dem Lied-
gebrauch der neuen lutherischen Agende und bietet deshalb Vorschläge
für Eingangslieder, die für das Kirchenjahr feststehende
Reihe der Graduallieder, Verse für den Gebrauch zwischen Credo
und Predigt und Predigtnachlieder unter Bezug auf die altkirchlichen
Textreihen, ebenso Lieder während der Einsammlung des
Dankopfers und Lieder zum Abendmahl. Ein zweiter Teil bietet
Liedvorschläge für Amtshandlungen. Es kann sich natürlich in
allen Fällen, abgesehen von den Gradualliedern, nur um eine
Anleitung handeln, die aber dem Benutzer sehr wohl helfen kann,
ein Verständnis für den Charakter der Lieder zu gewinnen, wie
er an der jeweiligen Stelle der Liturgie wesensgemäß ist. Am ehesten
erlaubt das Predigtnachlied eine völlig freie Wahl, die sich
durch den Gang der Predigt bestimmen lassen 6oll.

Am Schluß des Buches gibt Chr. Mahrenholz eine Übersicht
über den Strophenbau der Lieder, und zwar unter textlichem
und musikalischem Gesichtspunkt. An dieser Übersicht wird
erst deutlich, in welchem Maße im EKG mit der Unsitte
gebrochen ist, auf eine einzige Melodie und sehr oft ohne Rücksicht
auf deren Charakter die verschiedensten Lieder singen zu
lassen.

Jedenfalls ist der vorliegende Band als ein zweckdienlicher
und verheißungsvoller Auftakt für das ganze Unternehmen zu
beurteilen.

Greifswald William Nagel

Jahrbuch, Kirchenmusikalisches. Im Auftr. des Allgemeinen Cäci-
lien-Verbandes für Deutschland, Österreich und die Schweiz in Verbindung
mit der Görres-Gesellschaft hrsg. von K. G. Feilerer.
39. Jahrg. 1955. Köln: Bachem. 112 S. 8°. Kart. DM 9.—.

Der musikwissenschaftliche Charakter, jenseits der Beziehung
auf die kirchenmusikalische Praxis, prägt die immer gediegenen
und instruktiven Bände des Kirchenmusikalischen Jahrbuches
von Jahr zu Jahr stärker. Der neue Band enthält keinen
Beitrag, der nicht auch in der „Musikforschung", dem zentralen
Organ der deutschen Musikwissenschaft, stehen könnte. Interessant
ist der Versuch des Benediktinerpaters Lucas Kunz aus
Gerleve, aus der Exegese des Schlußabschnitts des Traktats des
Beda Venerabiiis (f 735) „Ars metrica" neue Erkenntnisse hinsichtlich
der rhythmischen Poesie und der noch ungelösten Fragen
des gregorianischen Choralrhythmus zu gewinnen; angesichts der
schmalen Basis und der nicht sehr präzisen Ausführungen Bedas
bleibt das Ergebnis allerdings vage und blaß. Rudolf Quoika,
der soeben im Verlag Carl Merseburger-Berlin ein zusammenfassendes
Werk „Die Musik der Deutschen in Böhmen und Mähren
" (1956) herausgebracht hat, gibt eine aufschlußreiche Schilderung
des Orgelbaues der Jesuiten in Böhmen in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts. Stärkere Beachtung verdient auch
der Beitrag von Johannes Klassen, der anhand einer Strukturanalyse
der 41 Parodiemessen Palestrinas wichtige Einblicke in
dessen kompositorische Werkstatt vermittelt.

Berlin Oskar Söh n gc n

Blankenburg, Walter: Luther und die Musik.

Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 1957 S. 14—27.

CHRISTLICHE DICHTUNG

Ihlenfeld, Kurt: Huldigung für Paul Gerhardt. Berlin: Merseburger
1956. 183 S. 8° = Edition Merseburger 1119. Lw. DM 8.50.

Die historische Forschung wird diesem Buch keine neuen
Ergebnisse entnehmen können. Dagegen ist die literarische Betrachtung
Paul Gerhardts von Kurt Ihlenfeld erheblich gefördert
worden. Dies nun freilich auch nicht im historischen Sinne. Gewiß
wird auf die Vorlesungen von Augustus Buchner in Wittenberg
hingewiesen, „dessen Poetik außer Gerhardt auch Dichter
wie Buchholtz, Claj, Schirmer, Schottl, Thomasius und Zescn
gehört haben" (S. 94). Die Entlehnungen aus Zesen und Löwenstern
werden genannt. Bei Löwenstern beginnt 1663 eine Strophe
: „Da Freude die Fülle / Da liebliche Stille, / Da Segen und
Ruh..." Drei Jahre später erscheint Gerhardts Lied „Die güldne
Sonne..." (S. 94f.). Von der Metrik heißt es: „Den daktylischen
Bestrebungen seiner Zeit gegenüber verhielt er sich abwartend"
(S. 91). Aber die Einordnung in die Literaturgeschichte der Zeit
ist durchaus nicht der Gegenstand des Buches. Gewiß wird die
Geschichte der Frömmigkeit und der Theologie ins Blickfeld genommen
: „In der Schule Arndts, . . . dessen Schriften übrigens
(wie auch die Spenerschen) von Calov geschätzt und ausdrücklich
empfohlen wurden, hat Gerhardt gefunden, was er in der Schule
Luthers und Wittenbergs entbehrt hatte" (S. 168). Es wird auch
nach der Beziehung zu Jakob Böhme gefragt (S. 171): „Genaue
Untersuchung von Gerhardts Bilderwelt und Zeichensprache würde
möglicherweise diesen Zusammenhang deutlicher machen, als
man zu vermuten wagt" (S. 172). Aber die Absicht des Buches,
wenn es überhaupt eine andere hat als den der .Huldigung', ist
auch nicht nach der theologiegeschichtlichen Seite gerichtet. Aus
dem letzten der drei Kapitel des Buches (Lehre S. 136—182) ließe
sich wohl für die systematisch-theologische Arbeit an Gerhardts
Dichtungen viel lernen. In ihnen liegt der Ton „auf dem göttlichen
Ja, auf Gottes Güte, Liebe, Gnade, Barmherzigkeit".
Aber: „Es sind seine drei großen Passronslieder, mit welchen
Gerhardt für immer zum strengen Zeugen des göttlichen Nein
vor uns steht, und die es unmöglich machen, ihn des naiven
Optimismus zu zeihen" (S. 156). Karl Barth wird zitiert (S. 154),
dort, wo er in dem Abschnitt über das Nichtige den Heidelberger
Katechismus und Paul Gerhardt in einem Atem nennt (Die
Kirchliche Dogmatik III, 3. 1950, S. 329-330, nicht: III, 329).
Die Anfechtung durch den Teufel, auf die Jutta Zimmermann in