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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

602

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Dukker, Chrysostomus

Titel/Untertitel:

Umkehr des Herzens 1957

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

602

deutschen Dichter des Hochmittelalters: Hartmann von Aue,
Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und Walther
von der Vogelweide um seine Bewältigung gerungen haben.
Kraft und Größe ihrer Leistung in der — jeweils anderen — Überbrückung
oder gar Vereinigung der Gegensätze, die vorher wie
nachher schroff auseinanderfallen, in der concordantia discordan-
tium, tritt besonders eindrucksvoll an dem Gegenbild heraus,
das Ranke in dem eigenständigsten Vortrag, dem schönen dritten
,,Vom Kulturzerfall und Wiederaufbau in der deutschen Dichtung
des Spätmittelalters" entwirft. Mit ebenso energisch kühnen wie
sicher und zart hingesetzten Strichen arbeitet er in ihm heraus,
wie die beiden Jahrhunderte des Spätmittelalters (das 14. und 15.)
angesichts des unaufhaltsamen Zerfalls der großartigen Einheit,
zu der jene hochmittelalterlichen Wortmeister für die Spanne von
zwei Menschenaltcrn den lebhaft von ihnen empfundenen Gegensatz
Gott - Welt zusammengezwungen hatten, von einem tiefen
Pessimismus ergriffen werden, der sich in der Dichtung „vom lustigen
Spott über Erbitterung und Verachtung bis zur Verzweiflung
" (S. 87) steigert. Die Zeit selbst hat nicht zu sehen vermocht.
Was an Zukunftsträchtigem aus diesem Zerfall empordrängt. Es
gelingt Rankes besonderer Kunst, die vereinzelten tröstlichen
Stimmen dieser neuen Welt im „lauten Chor der Verfallsklage"
(S. 99) hörbar zu machen.

Wert, Bedeutung, Reiz dieser drei Vorträge besteht, selbst
für den germanistischen Fachmann, in Rankes unübertroffener
Methode. Aus dem vielfädig verschlungenen Geflecht der zum
Ende des Mittelalters stark anschwellenden literarischen Produktion
in deutscher Sprache löst er, scheinbar mühelos, mit kundiger
Hand jeweils ein oder zwei durchlaufende Fäden heraus. Auf
diese Weise erreicht er eine Bändigung des kaum übersehbaren
Stoffs, eine Klarheit des Durchblicks und eine bildhafte Anschaulichkeit
der Darstellung, wie sie in einer derartigen wissenschaftlichen
Höhenlage ihresgleichen suchen. Das Aufkommen
echter Humanität entwickelt er am Verhalten der christlichen
Ritter gegenüber ihren heidnischen Gegnern, wie es die großen
hochhöfischen Romane darstellen. Ohne einen Augenblick in der
Sicherheit ihrer Überzeugung von der Überlegenheit des Christentums
über alle anderen Religionen zu schwanken, schlagen
diese Ritter den überwundenen Heiden nicht tot — im Gegensatz
zu allen früheren und späteren Werken des Mittelalters, wo
dieser Totschlag aus blindem Glaubenseifer als religiös verdienstliches
Werk angesehen wird. Nur diese zwei Generationen entdecken
für den knappen Augenblick kaum eines halben Jahrhunderts
im Nichtchristen den Menschen; höchst charakteristisch
für die Auffassungsweise des Mittelalters erkennen sie ihn als
gotes hantgetät, als Geschöpf Gottes (unwicderholbarer Höhepunkt
: die große Rede der getauften Königin Gyburg in Wolframs
„Willehalm").

Entsprechend scheidet die Stellung zur Frau diese kurze
Spanne hochhönscher Kultur und Frömmigkeit von dem langen
Alltag des Spätmittelalters. In allen ritterlichen Werken der Zeit
um 1210 wird die Frau als Gipfel edelsten Menschentums gezeichnet
: sie erst und allein sie kann den Ritter zu echtem Menschentum
entbinden, zu voller Ritterschaft erziehen. In der Literatur
des Spätmittelalters ist 6ie Gefäß alles Bösen, Häßlichen,
Lasterhaften. Die Wendung in die Zukunft aber verrät sich darin,
daß die konventionelle Minnelyrik jener Hochzeit, in der Ritter
und angebetete Dame sich höchstens aus der Ferne heimlich grüßen
, sich niemals finden dürfen, im Spätmittelalter zum Preis der
mit allen Sinnen geliebten Ehefrau wird, wie ihn Oswald von
Wolkenstein oder, in der Klage über die durch den Tod Entrissene
, Hugo von Montfort und Johann von Saaz angestimmt haben
, oder sich zum Volkslied wandelt, das dem echten, unreflek-
tiertcn Liebesgefühl zwischen dem Jüngling und seinem Mädchen
gilt. Dazu gesellt sich bei den Vorläufern der viel geschmähten
Meistersinger das Lob der fleißigen handwerklichen Arbeit und
der Stolz auf das eigene Gemeinwesen, Nürnbergs vorab. „Familie
, Beruf und Stadt — sie sind die sittlichen Grundlagen, von
denen aus die Verzweiflung an der rettungslos verkommenden,
zusammenstürzenden Welt überwunden wird, und auf denen ein
neues positives Kulturbewußtsein erwachsen kann" (S. 107). Ohne
daß Ranke es sagte, erkennen Historiker und Theologe, wie diese
Entwicklungslinie geradenwegs auf Luther zielt: er hat dieser im

Spätmittelalter sich ausbildenden Wertwelt als der vom Evangelium
her gültig gesetzten und geforderten im Bereich der protestantischen
Auffassung vom praktischen Verhalten des Christen
in der Welt als Folge seiner Stellung zu Gott unbedingte
Anerkennung verschafft.

Jena Fritz Tschirch

Dukker, Chrysostomus, OFM: Umkehr des Herzens. Der Bußgedanke
des heiligen Franziskus von Assisi. Werl/Westf.: Coelde-
Verlag 1956. 172 S. kl, 8° = Bücher franziskanischer Geistlichkeit
Bd. l, DM 4.80.

Das Bändchen, das die neue Schriftenreihe einleitet, zeigt, in
welchem Maße die franziskanische Frömmigkeit, vom Geiste des
Evangeliums bestimmt ist. Der Verf. sucht das Bußverständnis
des hl. Franz aus seinen Schriften herauszuarbeiten. Nicht umsonst
greift er dabei am stärksten auf die nichtbestätigte Regel und die
bestimmt echten Schriften zurück. Der Verf. ist sich des Zwiespalts
zwischen der ursprünglichen Botschaft des Poverello und ihrer
späteren Übermalung durchaus bewußt, wenn er im Vorwort
schreibt: „Man hat ihn zum Künder einer Botschaft gemacht, die
er selbst nicht als die seine wiedererkennen würde" (S. 9). Gemessen
wird die Verkündigung des hl. Franz am Evangelium;
dieser Vergleich muß erklärlicherweise sehr schwer sein, auch wenn
es den Anschein hat, daß er bei Franziskus noch am ehesten durchführbar
ist. Wie bei jeder imitatio Christi muß auch hier die
grundsätzliche Frage gestellt werden, ob das Evangelium nicht in
mancher Beziehung mißverstanden wird. Andererseits muß anerkannt
werden, daß Franziskus nicht nur der Kirche seiner Zeit
einen Spiegel vorgehalten hat, den sie dringend brauchte, sondern
die evangelischen Motive innerhalb der römischen Kirche wach zu
erhalten berufen ist.

Münster/Weslf. R.Stupperich

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