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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

595-597

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Chaix-Ruy, Jules

Titel/Untertitel:

Saint Augustin 1957

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

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f Simonetti, Manlius: Pseudoathanasii De Trinitate Libri X—XII:
Expositio fidei catholicae, Professio arriana et confessio catholica, De
Trinitate et de Spiritu Sancto, recognovit brevique adnotatione cri-
tica instruxit. Bologna: Cappelli [1956]. 147 S. 8° = yScriptores la-
tini Nr. 10, Hanc editionem, moderatoribus negotium mandantibus,
perpenderunt probaverunt H. Funaioli, H. Paratore.

Die 12 pseudo-athanasianischen Bücher De Trinitate sind bei
Migne, PL 62, 237—334 ganz zu Unrecht unter die Schriften des
in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts lebenden afrikanischen Bischofs
Vigilius von Thapsus eingereiht worden. Seit mehr als
50 Jahren hat sich die Forschung mit diesem Mixtum compositum,
an dem mehrere Autoren in einer nicht genau zu datierenden
Zeit (2. Hälfte des 4.15. Jahrhunderts) gearbeitet haben, nicht
mehr beschäftigt. Erst der durch zahlreiche Studien bekannt gewordene
italienische Patrologe Simonetti hat diesem willkürlich
zusammengestellten Konglomerat von trinitarischen Abhandlungen
seine Aufmerksamkeit zugewandt und Fragen der Überlieferungsgeschichte
, Textkritik und Verteilung der Traktate auf
mehrere Verfasser zu klären und einer Lösung entgegenzuführen
versucht. Ich nenne hier nur seine Studi sul De Trinitate pseudo-
atanasiano in: Nuovo Didaskaleion 3, 1949, 57—72 und Intro-
duzione all' edizione critica dei presunti libri X—XII del De Trinitate
pseudoatanasiano in: Maia, N. S. 6, 1953, 301—323. Jetzt
vermag der rastlos schaffende Gelehrte erstmals eine den heutigen
Ansprüchen genügende Edition der 3 letzten Bücher vorzulegen
.

Es handelt sich um voneinander unabhängige, verschiedenen
Autoren zuzuweisende Abhandlungen, die in den Hss. als Expositio
fidei catholicae (S. 19—39), Professio arriana et confessio
catholica (S. 41—68) und De Trinitate et De Spiritu Sancto
(S. 69—145) überliefert sind. Der Herausgeber hat für seine Ausgabe
5 bzw. 4 und für die 3. Schrift 18 Mss. benützen können.
Für die 2 ersten Schriften darf wegen ihrer Benützung durch Augustinus
, Ep. 148 n. 10 um 413/14 dieses Datum als terminus
ante quem angenommen werden. Vgl. Simonetti, Nuovo Didaskaleion
3, 1949, 69 f. und Altaner, Revue Benedictine 1949,
84—86. Die inhaltlich bedeutendste 3. Schrift, die für die Lehre
vom Heiligen Geist wichtig ist, scheint schon vor 381 verfaßt
worden zu sein, da Ambrosius, De Spiritu Sancto diesen Traktat
kennt, wie Simonetti, Maia 4, 1951, 9 f. nachweist.

S. hat die Prolegomena zu seiner Edition (S. 7—14) leider
viel zu kurz gehalten. Wer seine verschiedenen Abhandlungen zu
den hier einschlägigen Fragen kennt, auf die er S. 8 A. 1 und 2
ohne Angabe der genauen Titel und des Umfanges dieser Arbeiten
hinweist, kann sich ein Urteil darüber bilden und bestätigen,
daß die Darstellung und die dargebotenen Texte eine solide, den
modernen Ansprüchen genügende editorische Leistung sind.
Der Verf. hat dem Rezensenten dankenswerter Weise früher die
Separata seiner Vorstudien zur Verfügung gestellt. Hier darf ich
den dringenden Wunsch und die Hoffnung aussprechen, daß S.
auch die übrigen Bücher des Corpus pseudoathanasianum in gleich
gründlicher kritischer Bearbeitung herausgeben möchte, und dies
um so mehr als diese Schriftensammlung in absehbarer Zeit in
keiner der großen Editionsreihen lateinischer Väter erscheinen
wird.

Abgesehen von der Herausgabe einer textkritisch brauchbaren
Ausgabe dieser 12 Bücher wäre es eine dankenswerte
Aufgabe, diese Dokumente des antiarianischen Kampfes der
westlichen Kirche im 4./5. Jahrhundert im Hinblick auf ihre
Abhängigkeit von den griechischen Vätern des 4. Jahrhunderts zu
untersuchen und ihre Nachwirkung in der folgenden Zeit (Ambrosius
, Augustinus u. a.) quellenkritisch und dogmengeschichtlich
gründlich festzustellen.

, Würzburg Berthold Altaner

; K

_ Chaix-Ruy, Jules, Prof.: Saint Augustin. Temps et Histoire. Paris:
£tudes Augustiniennes 1956. XV, 126 S. gr. 8°. ffr. 760.—

Offenbar in Zusammenhang mit dem Krisengefühl in unserer
Kultur steht die steigende Aufmerksamkeit, deren sich die
Gedanken Augustins über Zeit und Geschichte erfreuen. Nach
J. Burleigh (The City of God. A Study of St. Augustine's Philo-
sophy, London 1949), H. I. Marrou (L'ambivalence du temps de

l'histoire diez S. Augustin, Montreal-Paris 1950) und G. Amari
(II concetto di Storia in Sant'Agostino, Rom 1951), um nur einige
neuere Arbeiten zu nennen, widmet J. Chaix-Ruy dem Zeitproblem
bei Augustin eine kenntnisreiche Monographie. Der Verfasser
erblickt in der Frage der Beziehungen von Zeit und Ewigkeit
das Zentrum der Philosophie Augustins (S. VII). Man ist
darum ein wenig erstaunt, daß er sich mit der großen Arbeit von
Guitton (Le Temps et l'Eternite chez Plotin et S. Augustin, Paris
193 3) nicht auseinandersetzt. Er erwähnt sie in Aug. Magister,
Paris 1954, S. 923.

Ewigkeit und Zeit sind die beiden Pole des augustinischen
Denkens. Der Ewigkeit gehört die Positivität des Seins zu, der
Zeitlichkeit die Negativität der Existenz, die in der Zeit vergeht
(S. 52). Vom Begriff der Ewigkeit her entwirft Augustin seine
Philosophie des Seins (Ontologie), von der Analyse der Zeitlichkeit
aus seine Philosophie der Existenz (Psychologie). An Hand
dieser Begriffspaare baut der Verfasser seine Arbeit auf und stellt,
offenbar von Sartre inspiriert, die Frage, ob die Philosophie Augustins
ein Essentialismus oder ein Existentialismus sei. In Buch 11
der Confessiones und Buch 11 der Civitas Dei findet er eine Parallele
. Das eine dieser Bücher gehe in der Betrachtung der Zeit
von der Ontologie zur Psychologie, das andere von der Psychologie
zur Ontologie. Man wird diese Bemerkung weniger als
Analyse des Aufbaus dieser Bücher, was zu gewissen Gewaltsamkeiten
führen würde, werten, sondern als fruchtbares heuristisches
Prinzip. Dementsprechend zerfällt die Arbeit in zwei Teile: „Von
der Ontologie zur Psychologie und Phänomenologie der Zeit"
(S. 1—52) — dieser Teil ist vorwiegend an den Confessiones orientiert
— und: „Von der Phänomenologie zur Ontologie der Zeit
und den ontologischen Bezügen der Geschichte" (S. 55—126).
Dieser Abschnitt beschäftigt sich vor allem mit De civitate Dei.

Der Verfasser zeigt, daß die Zeit bei Augustin trotz ihrer
Definition als distentio animi nicht bloß Anschauungsform des
Bewußtseins ist. Die Zeit ist auch jenseits ihres Ablaufs im Bewußtsein
, außerhalb unser, da sie uns ein Gesetz des Vergehens
auferlegt, dem nichts entrinnt. Andererseits könnten wir nichts
über die Zeit aussagen, ohne ihre „Verinnerlichung" im Bewußtsein
, welches durch Gedächtnis und Erwartung die drei Momente
der Zeit (Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft) entfaltet. Die
Verweisung von der psychologischen Instanz zur ontologischen
Grundlage und dann von der ontologischen Grundlage zur psychologischen
Erforschung ist das Originelle in der augustinischen
Betrachtung der Zeit (S. XII).

Es gibt bei Augustin zwei Ordnungen: das Sein, in dem es
weder Nebeneinander noch Nacheinander gibt, und die Existenz,
die sich in den Raum erstrecken und in der Zeit ablaufen muß
(S. 105). Wenn der Verf. für das Bemühen Augustins, Raum,
Bewegung und Zeit aus dem Sein an sich abzuleiten, den Au -
druck „transzendentale Deduktion" verwendet, so erscheint das
angesichts der kantischen Vorbelastung dieses Begriffs nicht ganz
glücklich. Dabei arbeitet Chaix-Ruy sehr deutlich den Gegensatz
Augustins zu Kant heTaus. Zeit, Raum, Bewegung sind für Augustin
nicht die Bedingungen, welche das Bewußtsein a priori der
Erfahrung auferlegt. Sie sind vielmehr die der Seinsweise der
Welt zugrundeliegenden Bedingungen, die Bedingungen des
Seins, nicht bloß des Erscheinens der Welt (S. 103). Die Zeit ist
mit der Welt geschaffen.

Der Verfasser verweist für die von Augustin festgestellte
gegenseitige Bedingung von Raum, Bewegung und Zeit auf Aristoteles
als Quelle (S. VIII u. S. 15). In der Tat findet sich bei
Augustin mehr Aristotelisches, als man auf den ersten Blick anzunehmen
geneigt ist. Eine Untersuchung über das Verhältnis
Augustins zu Aristoteles wäre dringend zu wünschen. Doch wird
man für das Aristotelische bei Augustin an Mittelquellen zu denken
haben, vor allem auch an Porphyrios.

Neben der vom Verf. sogenannten „transzendentalen Deduktion
" der Zeit finden sich bei Augustin phänomenologische
Beschreibungen der Zeit. Augustin entdeckt hier die Zeit der
Existenz, und ein weiterer origineller Zug seines Denkens liegt
in der Behauptung, daß die gelebte, existentielle Zeit nicht die
ursprüngliche Zeit ist (S. 38). Während das Gefälle der ursprünglichen
, geschaffenen Zeit mühelos dem Antrieb der „ewigen Har-