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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

587-590

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barrett, Charles K.

Titel/Untertitel:

The Gospel according to St. John 1957

Rezensent:

Delling, Gerhard

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587

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

588

Barrett, C. K.: The Gospel according to St. John. An Introduction
with Commentary and Notes in the Greek Text. London: S. P. C. K.
1955. xii, 531 S. gr. 8°. 63 s.

B.s Kommentar ist ein Arbeitsbuch (bei dem jedenfalls auch
an den Studenten gedacht ist, 120), ein Arbeitsbuch, möchte ich
meinen, auch deshalb, weil die ausdrückliche Auseinandersetzung
mit der Literatur auf das unbedingt notwendige bzw. in einiger
Kürze durchführbare Maß beschränkt ist (vgl. vii); tatsächlich
begleitet sie unausgesprochen jede Seite. Angeführt wird die Literatur
vor allem dann, wenn sie dem Benutzer seines Kommentars
nach Meinung B.s wirklich weiterhelfen kann.

Natürlich kann man noch mancherlei vermissen, außer Zahns Kommentar
etwa Windisch, Jesus und die Synoptiker (1926), Lothar Schmid,
Johannesevangelium und Religionsgeschichte (Diss. Tübingen 1933),
E. Percy, Untersuchungen über den Ursprung der johanneischen Theologie
(Lund 1939), von Abgelegenerem wie Grill, Kundsin, Hirsch (vgl.
ThLZ 73 [1948] 28—30) zu schweigen.

Zu Dank verpflichtet weiß sich B. besonders E. Hoskyns und
C. H. Dodd, beiden mehr durch das viva voce Vermittelte, und
Bultmann, dem er nie ohne Zögern und Zweifel widersprochen
habe, was er freilich an einer Anzahl wichtiger Punkte habe tun
müssen (vii).

So betont B. die literarische Geschlossenheit des J(oh.-Ev.s).
Die Unterscheidung einer Zeichen- und einer Redenquelle lehnt
er völlig ab; die entsprechenden Stücke gehören sprachlich und
sachlich aufs engste zusammen (17. 11). Als einzige sicher nachweisbare
Quelle des Verf.6 vermag B. das Mark.-Ev. zu erkennen
(sein Stoff ist sogar in der gleichen Reihenfolge verwendet,
34—36); er verwendet sein Material wie anderes vermutbar synoptische
(am ehesten aus Luk. stammende) völlig frei (14 f.).
Das gilt dann offenbar auch für Stoffe, die aus anderer Überlieferung
übernommen sein könnten (17 f.). Eigenes Erzählgut hat
der Verf. nicht frei geschaffen (117, vgl. 226; 294 zu J 9; 323
zu J 11; 461 f. zu J 19, 34 f.; für J 13, 1 ff. hält B. wenigstens
für möglich, daß eine vorjohanneische Tradition zugrunde liegt,
363). Auch in nicht rein erzählenden Stücken weist B. öfters synoptische
Grundlagen nach (z.B. 350 zu J 12, 20-36). Alles Übernommene
wurde jedoch durch den Verf. einheitlich geprägt (20).
Mancherlei Material kann ursprünglich in Predigten überliefert
worden sein (20). — Alle Umstellungen lehnt B. ab (die Unstimmigkeiten
in der jetzigen Ordnung von J 5—7 lassen sich
z. B. aus dem Anschluß des Verf.s an die Mark.-Tradition erklären
, 227; J 14 und 15—17 sind wahrscheinlich verschiedene Fassungen
der Abschiedsrede, 379). Ebenso ist die Annahme eines
Redaktors durch die stilistische und inhaltliche Einheit des J unmöglich
(19 f.).

Nach kritischer Erörterung der altkirchlichen Aussagen über
den Zebedaiden und den „Ältesten" Johannes (8 3—92), der
(relativ späten) Bezeugung des J im 2. Jhdt. (92—97) und des Befundes
im J. selbst (97 ff.) stellt B. fest, daß es unmöglich ist,
alle inneren und äußeren Daten zur Verfasserfrage (die er als
tantalizing bezeichnet, 3) zu einer einleuchtenden Hypothese zusammenzupassen
(lll); wie jede Hypothese dazu sei auch seine
eigene unbeweisbar (113). Nach dieser verfaßte der Zebedaide
in Ephesus apokalyptische Schriften; diese fügte einer seiner
Schüler zur kanonischen Apc. zusammen, ein anderer (vielleicht
auch zwei) schrieb(en) die Briefe; ein weiterer ist der Urheber
von J 1—20, des Evangeliums, das später mit c. 21 zusammen
herausgegeben wurde; die Beziehungen auf den geliebten Jünger
(den Zebedaiden, vgl. 100. 372 f.) wurden dabei z.T. mißverstanden
, so nämlich, als sei er der VeTf. des Evangeliums (113 f.).
Der zeitliche Ansatz des J ist zwischen 90 und 140 möglich (den
Papyrus Rylands 457 datiert B. um 150; praktisch arbeitet er
dann mit dem Ansatz der Niederschrift des Evangeliums um 100).

Die hauptsächlich auf vermeintlichen Übersetzungsfehlern
basierende Hypothese einer aramäischen Urschrift weist B. zurück
(8—11. 102 und immer wieder in der Einzelexegese); wahrscheinlich
war der Verf. jedoch gewohnt, ebenso aramäisch wie
griechisch zu denken und zu sprechen (! 11), ohne daß seine Ausdrucksweise
im besonderen semitisch ist (102). Rhythmische
Prosa findet B. nicht einmal im Prolog, der formal und inhaltlich
eine Einheit darstellt (10 f. 126; vgl. ferner zu 8,23).

Hinsichtlich des religionsgeschichtlichen Hintergrundes des
J stellt B. immer wieder die Bedeutung des Alten Testaments
heraus (auf dessen hebräischen Text der Verf. des J. gelegentlich
zurückgeht! 23 f.). Es wird zwar nicht häufig ausdrücklich
zitiert, durchdringt aber als Ganzes bedeutsam das Denken des
Verf.s (24 f.). Seine Sprache ist auch sachlich vom Alten Testament
geprägt (107, z. B. in der Soteriologie, 66), aber er wählt
(und dieses Zugleich ist für B. öfters wichtig) sorgfältig Wörter
mit nichtbiblischen Assoziationen (z. B. oriptTov, 64). Die Terminologie
zeigt Vertrautheit des Verf.s mit der jüdischen Apo-
kalyptik; zahlreiche Aussagen berühren sich mit denen des rab-
binischen Judentums (z. B. über den Logos; 26—28). Die Qum-
ranleute werden nur anmerkungsweise erwähnt (das Manuskript
B.s ist 1951 abgeschlossen, viii A. 1). Zur Stoa hat das J keine
positive Beziehung, dagegen zum Piatonismus (28 f.). Im Verhältnis
zu den Mysterienreligionen sind die Differenzen weit
stärker betont als die (terminologischen) Berührungen (30 f.;
immerhin s. 157 zu J 2, 1 ff., während zu J 15, 1 ff. bewußt nur
alttestamentliches und jüdisches Material angezogen wird, 393 f.).
Bedeutsamer erscheinen B. gewisse Gemeinsamkeiten mit der
hermetischen Gnosis (in deren Verständnis durch Dodd [The
Bible and the Greeks 1935]; das Werk von Jonas nennt B. gar
nicht. Die Mandäer schaltet er völlig aus, 31 f.; damit entfällt
natürlich umfängliches Material von Bauer und Bultmann). Nicht
zuletzt sieht B. bestimmte Parallelen (nicht Abhängigkeiten) gegenüber
dem Diasporajudentum, besonders Philon: auch hier
gehe es darum, Aussagen einer alttestamentlich bestimmten
Frömmigkeit in eine dem hellenistischen Vorstellen zugängliche
Form zu fassen (32 f., vgl. 107 f.; 157 zu J 2, 1 ff.; dazu wäre
immerhin darauf hinzuweisen, daß Philon offenbar vom Hebräischen
und also wohl auch vom Aramäischen kaum ernsthafte
Kenntnis hatte).

Der Abschnitt, den B. mit Recht dem .christlichen Hintergrund
des Evangeliums' widmet — die johanneische Theologie
prägt dem urchristlichen Denken wesentlich nicht fremde Formen
und Ausdrücke auf, sie entfaltet es vielmehr mit innerer Notwendigkeit
(57, vgl. 107) -, behandelt nicht nur wie üblich das
Verhältnis zur synoptischen Tradition, deren Aussagen der Verf.
des J. theologisch präzisiert (43—45), sondern auch das zu Paulus
(45—49). Hier geht die Übereinstimmung noch weiter ins
Besondere (Bedeutsamkeit der Geistvorstellung; Sophia-Spekulation
), wobei J und Paulus auch dieselbe Sache in verschiedener
Terminologie beschreiben können (Geburt aus Gott).

An den Anfang seiner Skizze der .Theologie des Evangeliums
' setzt B., nota bene, die Eschatologie. Sie ist — als futurische
— im J nicht Beiwerk, sondern grundlegend (5 8). Wo
Jesus ist, ist das Neue; aber diese Möglichkeit ist notwendig
qualifiziert durch die Zukunft (im üblichen Sinn des Wortes), so
wie Jesus der Messias ist und sein wird, gekommen ist und kommen
wird (56). Der Verf. des J hat die gemein neutestament-
liche Eschatologie nicht aufgegeben, sondern in neuer Weise die
grundlegende Glaubensüberzeugung ausgedrückt, daß in Jesus
der neue Äon zugleich da ist und noch erscheinen wird, so daß
die Christen in beiden leben (57). — In der Christologie spielt
die spezifisch messianische Terminologie und die Frage nach der
Messianität Jesu eine größere Rolle als in den Synoptikern; Jesus
ist der zugleich verborgene und offenbare Messias (59). Die
Christologie des J hat keine ernsthaften Beziehungen zur hermetischen
Gnosis (60) und zu östlichen Erlösungsreligionen (62;
auch für die Soteriologie ist B. gegenüber der Annahme sachlicher
außerpalästinischer, etwa gnostischer, Einflüsse, trotz terminologischer
Gemeinsamkeiten, sehr zurückhaltend, 66—68).
Die Wunder des J, die für dessen Verf. reale und wunderbare
Geschehnisse waren (226), sind eine Funktion seiner Christologie
(in Fortsetzung der impliziten christologischen Interpretation
der Wunder bei den Synoptikern; 62).

Die Sakramente gründen nach dem J im historischen Gehorsamsakt
des Sterbens Jesu (69 f.); sie fügen dem Rettungswerk
Christi ein (vgl. Paulus; 71). Das geistige Geschehen wurzelt im
materialen, und dieses im vollen Menschsein des Gottessohnes —
die Fleischwerdung selbst ist sakramentales Ereignis (69). In beiden
Sakramenten werden durch den Geist eschatologische Gaben