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Ausgabe:

1957

Spalte:

585-586

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Marxsen, Willi

Titel/Untertitel:

Der Evangelist Markus 1957

Rezensent:

Conzelmann, Hans

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Seite 1

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585 Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8_ 586

6tand den beiden Herausgebern zur Seite, und weitere Fachgelehrte
(H. Greeven, E. Nestle, P. Katz u. a.) gewährten ihre Hilfe. Zugrundegelegt
wurde die 4. Auflage des Bauerschen Wörterbuches,
die 1949 zu erscheinen begonnen hatte und 1952 abgeschlossen
vorlag (vgl. die Besprechung durch H. v. Campenhausen in dieser
Zeitschrift 1950 Sp. 349 f. und 1953 Sp. 102 f.). Im Januar 1955
war die Arbeit beendet. Den Druck des Bandes (Lexikonformat,
etwas kleiner als die deutsche Ausgabe; zweispaltig) besorgte in
bekannt vorzüglicher Weise die University Press in Cambridge.

Die Übersetzung hält sich eng an das deutsche Original. Nur selten
finden sich Kürzungen, die nach Umfang und Inhalt jedoch nidit ins
Gewicht fallen. Gelegentlich lassen sich kleine Umstellungen beobachten,
die stets gut begründet erscheinen. Ein äußerer Vorzug ist es, daß, sobald
bei einer Vokabel mehrere Bedeutungen getrennt zu behandeln
sind, die Unterteile 1, 2a, 2b usw. der besseren Übersichtlichkeit halber
immer eingerückt sind (im fortlaufenden Druck der deutschen Ausgaben
hebt sich die Unterteilung, besonders bei längeren Artikeln, mitunter
nicht deutlich genug heraus). Gleichzeitig enthält die englische Ausgabe
aber auch Erweiterungen gegenüber der 4. deutschen Auflage. Diese beziehen
sich in der Hauptsadie auf die Beifügung von neuerer Literatur
(bis 1954). Dodi ist gelegentlich auch ältere, meist englische Literatur
nachgetragen, wie auch bei Werken, die auch in englischer Übersetzung
vorliegen (wie z. B. die wichtigeren Schriften von Deißmann), diese englischen
Ausgaben stets notiert sind und die englischen Standardwerke
wie Moulton-Milligan regelmäßig angeführt werden. Alle diese Angaben
stammen nicht etwa aus den Vorarbeiten von Bauer für seine 5. Auflage
, sondern sind von den Herausgebern selbst beigesteuert worden.
In wenigen Fällen sind Vokabeln, die sich bei Bauer nicht finden, eingearbeitet
(es betrifft dies vor allem den Wortschatz der Papias-Frag-
mente). Die Anführung unregelmäßiger Verbformen an den entsprechenden
Stellen ist gegenüber der deutschen Ausgabe vermehrt, wofür sicher
viele Benutzer dankbar sein werden. — Die in dieser Zeitschr. 1957
Sp. 77 als Neuerscheinung genannte Schrift von Walter Bauer, Zur Einführung
in das Wörterbuch zum NT 1955 ist auf S. IX—XXV in englischer
Übersetzung beigegeben, ohne Zweifel eine wertvolle Hilfe für
alle Benutzer des Wörterbuchs (es war lebhaft zu bedauern, daß die der
2- deutschen Auflage vorangestellten einleitenden Seiten „Zur Einführung
" in den späteren Auflagen hatten in Wegfall kommen müssen).

Man mag es in gewisser Hinsicht bedauern, daß diese englische
Ausgabe in einem Zeitpunkt erscheint, in dem bereits die
neue 5. deutsche Auflage, wenigstens mit ihrer ersten Lieferung,
auf den Plan getreten ist. Allerdings wäre es in keiner Weise berechtigt
, zu urteilen, die englische Augabe habe schon bei ihrem
Erscheinen als veraltet zu gelten. Aber es ist doch schade, daß sie
von der in der 5. Auflage gebotenen und noch zu erwartenden
wesentlichen Bereicherung keinen Nutzen mehr hat ziehen können
. Doch ist es durchaus begreiflich, daß ihre Veröffentlichung
nicht länger hat verzögert werden sollen. So freuen wir uns einerseits
, daß dieses so bedeutsame Hilfsmittel jetzt auch der englisch
sprechenden Welt in ihrer Sprache zugänglich ist, und hoffen andererseits
, daß die englische Ausgabe eine solche Verbreitung
finden möge, daß bald eine neue Auflage nötig wird, der dann die
5. deutsche Ausgabe als Vorlage dienen kann. Es ist zudem klar,
daß, bis diese 5. Auflage vollständig vorliegen wird, die englische
Ausgabe um ihrer zahlreichen Zusätze willen auch für den deutschen
Leser (nicht für den normalen Benutzer dieses Lexikons,
wohl aber für den Fachgelehrten) ihre große Bedeutung haben
wird.

Bern Wilhelm Michaelis

M a r x s e n, Willi: Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte
des Evangeliums. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1956. 1 51 S. gr. 8° = Forschungen zur Religion u, Literatur des Alten
und Neuen Testaments, hrsg. von R. Bultmann, N. F. H. 49.
DM 10.80.

In der Einleitung zu dieser Kieler Habilitationsschrift gibt
Verf. Rechenschaft über Fragestellung und Methode, insbeson-
j,-Über daS Vernältnis der „Redaktionsgeschichte" zur Formgeschichte
. Gegenüber der soziologischen Betrachtungsweise der
letzteren rückt z. Z. ja das Interesse für den einzelnen Evangelisten
in der Synoptikerforschung wieder stärker in den Vordergrund
. Das hat mit psychologischen Interessen nichts zu tun. Es
handelt sich um einen methodologischen „Fortschritt", der seinerseits
Literarkritik und Formgeschichte voraussetzt.

Die vier Studien des Buches sind formal selbständig, bilden
aber eine straffe sachliche Einheit. Die erste (Johannes der Täufer
, S. 17 ff.) geht dem Stil der Kompositionsarbeit des Mk. nach.
Lohmeyer verstand Mk. 1, 4—8 als Kommentar zum Zitat 1, 2 f.
Verf. kommt zum gegenteiligen Ergebnis: „Mk. komponiert rückwärts
" (S. 18); er interpretiert die vorgefundene Täuferüberlieferung
durch Voranstellung des Mischzitats und durch die Notiz
»iv xfj egrifiq)"; auch V. 1 erweist sich als Bestandteil der
Kompositionsarbeit (S. 24 vgl. 87 f.). In der zweiten Studie (Der
geographische Aufriß, S. 33 ff.) nimmt Verf. Lohmeyers Interpretation
von „Galiläa" als einer theologischen Größe
auf. Da er methodisch Tradition und Redaktion auseinanderlegt,
führt er die Analyse ein gutes Stüde weiter. Er sucht nach Indizien
für die Feststellung der Redaktion und zeigt in sorgfältigen
Analysen, daß der Name Galiläa durchweg von der Hand des
Evangelisten eingefügt ist; dieser übernimmt die Ortsangaben in
den einzelnen Traditionsstücken und breitet darüber die neue
Schicht „Galiläa". So kommt endlich Licht in die verworrenen
Angaben der „Auslandsreise". Worauf es dem Verf. abeT vor
allem ankommt, ist der theologische Sinn dieser Redaktion: Mk.
stellt die Sammlung der Gläubigen in Galiläa dar - und damit
will Mk. nicht Vergangenes darstellen, sondern Gegenwärtiges.
11 We„det sidl an die ..heutige" Kirche. Die Sammlung ist aktuelles
Programm. Der Herr ist nach seiner Auferstehung nach Galiläa
gezogen (Mk. 14,28; 16,7) und existiert dort verborgen.
Wort wird er sich in Bälde zeigen, dort muß ihn die Kirche er-
^•^"i jDieses Pr°gramm gehört in eine bestimmt kirchenge-
scnichtliche Situation, die des ausbrechenden jüdischen Krieges,
C- 16> 8 ist der sachgemäße Abschluß des Buches. (Ich gestehe
, daß mich auch dieses Buch nicht von dieser letzteren These
uberzeugt hat.)

Die „Gegenwärtigkeit" dieser Theologie wird weiter verfolgt
. Es zeigt sich ein historisches Ergebnis: aus Mk. ist
nicht, wie Lohmeyer wollte, die Existenz einer doppelten Urge-
meinde (einer galiläischen neben der Jerusalemer) zu erschließen.
Vielmehr wird die eine (Jerusalemer) jetzt nach Galiläa hin
orientiert. Damit entgeht Verf. auch dem Dilemma, eine doppelte
radition von Auferstehungserscheinungen postulieren zu müssen
und kann (m. E. mit R.) auf die Konstruktion einer Flucht der
Junger nach Galiläa verzichten.

Auch die Eschatologie fügt sich in das Bild: Mk. eliminiert
gleichsam den Zwischenraum zwischen Auferstehung und Parusie.
Wir fragen: wie ist das möglich, wenn schon eine stattliche Anzahl
von Jahren verfloß, ohne daß der Herr erschien? Und wir
bekommen Auskunft durch eine Analyse des Begriffs „Evangelium
" (S. 77 ff.) und des Kapitels 13 (S. 101 ff.): „Der Auferstandene
repräsentiert in seinem Evangelium und durch sein Evangelium
seinen eigenen Weg über diese Erde" (S. 87). Mk. 13 wird
energisch als (aus disparaten Stoffen gestaltete) sachliche Einheit
verstanden und in die vorausgesetzte historische Situation gestellt
. Mk. will mit seinen redaktionellen Einschüben „die Gegenwart
vom Ende abheben, aber zugleich als auf das Ende bezogen
kennzeichnen" (S. 119). Die Zwischenzeit zwischen Auferstehung
und Parusie ist — anders als bei Lukas — nicht als geschichtliche
„Epoche" verstanden, sondern gleichsam als eine Pause, die Zeit
der Verkündigung (13, 10), deren Wesen eben Repräsentation
ist —Verf. könnte ruhig von „Realpräsenz" reden, freilich (noch!)
nicht von „Ubiquität"; diese steht ja noch aus.

M. hat zweifellos eine Basis für die weitere Mk.-Interpreta-
tion gelegt. Der Rez. verzeichnet mit Freude die überraschende
Übereinstimmung in der Fragestellung, zu der wir unabhängig
voneinander gekommen sind. Aber: so geschlossen das erarbeitete
Mk.-Bild wirkt, so bleibt die Frage, ob nicht auch bei Mk. ein
Moment des Historischen zu beobachten ist, etwa in Mk. 13;
vgl. etwa Kümmels Analyse des Kapitels! Dann wäre aber die
Struktur der „Gegenwärtigkeit" anders zu bestimmen. Und Mk.
rückte doch wieder näher an Lk., als es bisher den Anschein hat.
Auf jeden Fall wird in der Diskussion darüber dieses Buch ein
gewichtiges Wort sprechen.

Pfuffhausen bei Zürich H. Conzelmann