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Ausgabe:

1957 Nr. 8

Spalte:

579-580

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Marks, John H.

Titel/Untertitel:

Der textkritische Wert des Psalterium Hieronymi juxta Hebraeos 1957

Rezensent:

Fischer, Bonifatius

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 8

580

gewiß weithin berechtigte Zurückhaltung (die gelegentlich mit
einem probabiliter oder vel simile auch auf den einzelnen
Ausdruck angewendet wird). Denn wenn der armenische Übersetzer8
sich auch weithin nahezu sklavisch an den Text hält (so
vor allem im Satzbau), so ist sein Vokabular doch z.T. beschränkter
als das griechische10. In diesen Anmerkungen zeigt sich, in
welchem Umfang M. in der Terminologie Philons zu Hause ist.

Im Apparat gibt M. außerdem Verweise auf Bibelstellen und
griechische Literatur sowie auf verwandte Zusammenhänge in
anderen philonischen Schriften (die sich meist mit Hilfe des von
M. im Apparat gegebenen Vokabulars noch vermehren lassen),
sowie sonstige sachliche Hinweise. Gegebenenfalls vergleicht er
den Text der LXX und der Masora. Nicht zuletzt zieht er immer
wieder die lateinische Wiedergabe Auchers zum Vergleich heran,
meist nur referierend. Ein großer Teil der Ungenauigkeiten A.s
geht nach M. auf den armenischen Übersetzer zurück, andere auf
A.s mangelnde Fähigkeit, den griechischen Urtext zu erschließen
(I S. VI). Mitunter gibt M. selbst verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten
an oder läßt das Verständnis der Stelle offen.

In einer kurzen Einleitung zu Bd. I behandelt M. literarische
Fragen zu Quaest. (vor allem die nach der ursprünglichen Einteilung
der Bücher und deren Verhältnis zur Parascheneinteilung
des jüdischen Gottesdienstes). Bd. II S. 179—263 gibt die griechisch
erhaltenen Textstücke, S. 267—275 Ergänzungen aus einer
alten11 lateinischen Übersetzung zu Quaest. Gen., beides im antiken
Text — auf die Frage der von Lewy (1932) S. 30—63 aus
Ambrosius de Abr. erschlossenen Stücke der Quaest. zu Gen.
12, 1 — 15, 6; 21 f. (das sind den armenischen Quaest. fehlende
Abschnitte) und anderer aus Ambrosius erhobener Fragmente
(Lewy 64—69) geht M. nicht ein — und schließt mit einem Index
der Namen (auch der sekundären Literatur) und Sachen (in englischen
Stichwörtern).

Trotz der nicht voll zureichenden Textgrundlage wird die
instruktive Arbeit M.s, nicht zuletzt durch ihren wissenschaftlichen
Apparat, dazu beitragen, daß die Quaest., die ja eine uns
sonst gar nicht zugängliche Literaturgattung des Diasporajudentums
vertreten, für dessen Verständnis im allgemeinen und für
das Verständnis gerade des Exegeten Philon im besonderen noch
stärker herangezogen werden — etwa für die Fragen nach dem
Verhältnis von buchstäblicher und allegorischer Exegese bei Philon
und damit nach seinem Verhältnis zum Alten Testament
überhaupt, nach seiner formalen und stofflichen Abhängigkeit
von vorphilonischer heidnischer und jüdischer Literatur, nach den
literarischen GeneTa seiner Produktion (und ihren eventuellen
rhetorischen Vorstufen), nicht zuletzt nach dem Verhältnis von
Judentum und Hellenismus bei Philon schlechthin, schließlich aber
auch für die Frage nach der Vorbereitung der christlichen Exegese
des Alten Testaments durch die hellenistisch-jüdische usw.

Hallc/Saala Gerhard Delling

•) Es ist nach Lewy e i n Übersetzer, der Philon ins Armenische
übertrug (de Jona S. 16); so auch Conybeare, Fastschr. S. 193 f.

10) Lewy, de Jona S. 20 f.; Marcus Bd. I S. Vf.; das erste betont
Marcus, JBL (1930) S. 63 f.

") 4. Jahrhdt.: Conybeare Vit. Cont. S. 144 f. Vollständig bei A.,
Paralipomena (erhalten zu Qu. Gen. IV 154—24 5).

Marks, John H.: Der textkritische Wert des Psalterium Hieronyrai
Juxta Hebraeos. Winterthur: Keller 1956. 155 S. 8°.

Diese Arbeit kann man nur mit Bedauern aus der Hand legen
, da der Verfasser viel Mühe an seine Dissertation gewandt
hat, das Ergebnis aber dem Aufwand in keiner Weise entspricht.
Nur zum Teil ist er selber dafür verantwortlich; an der Tatsache
ändert das nichts.

In den Jahren 1953 und 1954 erschienen neue kritische Ausgaben
des Psalterium Gallicanum, Juxta Hebraeos, Romanum und der anderen
in Hss überlieferten altlateinischen Psalterien; das war in Fachkreisen
mindestens seit 1950 kein Geheimnis. Die vorliegende Arbeit ist
1954/55 abgeschlossen und stützt sich auf die alten unzulänglichen
Texte; die neuen Ausgaben werden nur in der Bibliographie und in
einer Anmerkung erwähnt. Für die altlateinischen Psalterien legt M.
die Variantensammlung von Allgeier zugrunde, obwohl ihm die allgemein
bekannte Tatsache nicht entgangen ist, daß Allgeier ungenau und
unzuverlässig ist; warum hat M. die früheren Textausgaben nicht wenigstens
zur Kontrolle herangezogen? Textkritik aus zweiter Hand hat
nicht viel Sinn.

Der zweite große Mangel ist darin begründet, daß M. von dilet-
tantisdien Fragestellungen ausgeht. Dabei muß ihm zugute gehalten
werden, daß in diesen naiven Vorstellungen nur allzu viele Alttesta-
mentlcr befangen sind, da sie in ihrer Beschränkung auf den hebräischen
Text und den alten Orient die Probleme der griechischen und lateinischen
Bibel nicht kennen; die Biblia Hebraica gibt fast auf jeder Seite
Beweise davon. Ist es nicht naiv, wenn seitenlang dargetan wird, daß
die Differenzen zwischen Gallicanum und Iuxta Hebr. dadurch verursacht
sind, daß das Gallic. der LXX, das Hebr. dem MT folgt? Aber
naiv ist auch die Interpretation der Selbstzeugnisse des Hieronymus über
sein Werk (19—29); nach den Untersuchungen von De Bruyne darf man
den geistreichen Polemiker Hieronymus nicht mehr so hausbacken und
plump interpretieren wollen. Naiv, aber weit verbreitet ist die Art,
vom modernen Stand des Wissens aus über Richtigkeit und Unriditig-
keit von alten Transkriptionen und Wiedergaben von Wörtern zu urteilen
, ohne hinreichende Kenntnisse des Spätlateins, der christlichen
Sondersprache, des biblischen Übersetzungsstils und des persönlichen
Sprachgebraudis des Hieronymus.

Zu diesen Mängeln kommt noch, daß die Arbeit auch sonst nicht
die Genauigkeit in den Einzelheiten und sogenannten Kleinigkeiten
aufweist, die nun einmal auf dem Gebiet der Textkritik unerläßlich ist.
Mängel im Ausdruck mögen dem Verfasser nachgesehen sein, obwohl
sie Unklarheiten verursachen können, z.B. 17 Anm. 1 letzter Satz.
Allzu zahlreich sind aber die Druckfehler, besonders in griechischen
Texten. Im Literaturverzeichnis sind eine ganze Anzahl von Titeln ungenau
, unvollständig oder falsch, z.B. Rahlfs, Amelli, Capelle usw.;
stammen sie aus zweiter Hand? In der Tabelle der Abweichungen zwischen
Gallic. und Hebr. (32 f.) sind von 3 8 Fällen nach den neuen Textausgaben
11 falsch; in der Liste zur Erklärung dieser Differenzen (3 5)
stimmt der angegebene Grund in der Hälfte der Fälle nicht. Selbst die
Tabellen, die den Hauptteil der Arbeit ausmachen und die aufzeigen
sollen, worin Hebr. dem Aquila oder Symmachus oder Theodotion oder
zweien oder dreien von ihnen folgt, weisen einen zu hohen Prozentsatz
an Fehlern und Ungenauigkeiten auf. In der Aquila-Tabelle müssen
als unklar und nicht beweiskräftig ausgeschieden werden 4,9; 7,5;
8,6; 11,5; 12,6; 13,2; 15,1 usw. Weil auch Symmachus die Vorlage
sein kann, gehören aus Tabelle A in Tabelle D Stellen wie 7, 13; 16, 3;
18, 9 usw.

Viel zu wenig wird bei alledem der Sprachgebrauch des Hieronymus
in seinen Bibelübersetzungen beachtet; das geht so weit, daß die
von der römischen Vulgata-Ausgabe erschienenen Bände nirgends benützt
, ja nicht einmal in der Bibliographie genannt werden. Da M. sich
in einer Menge von Einzelbemerkungen als intelligent ausweist, ist um
so mehr zu bedauern, daß er die Probleme vom Standpunkt Allgeiers
aus angeht, ohne selbständige und gründliche Kenntnis der Arbeiten
von Capelle, De Bruyne und Vaccari, um nur die wichtigsten Forscher
zu nennen. Umständlich macht er sich dann gewöhnlich von Allgeiers
Voraussetzungen frei; das spricht zwar für seine Intelligenz, doch hätte
er es billiger haben können, wenn er sich mehr mit der einschlägigen
Literatur vertraut gemacht hätte.

Der wissenschaftliche Ertrag der Arbeit besteht in der Bestätigung
der bisherigen, eigentlich selbstverständlichen Ansichten
gegenüber einigen Außenseitern: Hieronymus gab im Gallicanum
auf der Grundlage der altlateinischen Texte des europäischen
Typs eine Übersetzung des hexaplarischen Psalters, wodurch
er sich indirekt auch dem hebräischen Text und den jüngeren
griechischen Übersetzern näherte. Später übersetzte er die
Psalmen neu aus dem Hebräischen unter Schonung der lateinischen
Bibelsprache (Übereinstimmungen mit den Altlateinern, speziell
mit dem Romanum), in seinem persönlichen Stil (Übereinstimmungen
mit Gallicanum). Seine hebräische Vorlage war bis auf
wenige Kleinigkeiten identisch mit dem uns vorliegenden MT;
als Hilfsmittel zu ihrem Verständnis diente Aquila und Symmachus
, und als mehr unbewußte Voraussetzung die LXX. Jedoch
folgt Hieronymus öfters unbewußt, manchmal bei schwierigen
Stellen auch bewußt der kirchlichen lateinischen und über 6ie der
griechischen Tradition gegen den hebräischen Text. Der Textkritiker
hat daraus den Schluß zu ziehen, daß das Zeugnis des
Hieronymus überall dort für das Hebräische ausscheiden muß, wo
es mit LXX oder den jüngeren griechischen Übersetzungen oder
mit den Lateinern übereinstimmt. Die dafür zusammengestellten
Belege bei M. dürfen allerdings nicht unbesehen verwendet werden
; man muß sich in jedem einzelnen Fall über die Angaben
vergewissern. Eine Reihe von Bemerkungen zu Einzelstellen sind
gut und treffend; leider werden sie unbeachtet bleiben, weil ein
Register fehlt.

Beuron Bonifatius Fischer