Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

544-545

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Forel, Oscar

Titel/Untertitel:

Einklang der Geschlechter 1957

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

543

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

544

das Recht und die Notwendigkeit der Todesstrafe ausgesprochen
hat (18). Mit der Darstellung der hauptsächlichen Entwicklungslinien
verbindet A. eine knappe Darstellung der in der ev. Ethik
hervorgetretenen und behandelten, sachlichen Hauptprobleme,
wobei seine Aufmerksamkeit insbesondere dem Begriff der Strafe
und der Sühne in ihrem Zusammenhange mit der theologischen
Gesetzeslehre gilt. Ebenso wird selbstverständlich immer wieder
der Einflüsse seitens der Philosophie (Aufklärung, Kant, Hegel)
und der Rechtswissenschaften Erwähnung getan. Der Verf. hat
in seiner bekannten, klaren Diktion einen auf knappem Raum
durchsichtigen Überblick gegeben, ohne dessen Kenntnis niemand
mehr zu diesem Problem Stellung nehmen sollte.

Auffällig ist, daß die ev. Ethiker zwar meistens zu dem Problem
der Todesstrafe bzw. der Strafe überhaupt Stellung nehmen,
daß aber ihre Beschäftigung mit den Fundamenten der Rechtsbegriffe
und der Rechtsordnung überhaupt als unzureichend bezeichnet
werden muß, so daß auch hier die von H. Dombois mit
Recht aufgewiesene und beklagte Entfremdung des ev.-theolo-
gischen Denkens vom juristischen Denken zu konstatieren ist,
obwohl doch nun gerade das Problem der Todesstrafe nur von
einer theologischen Grundlegung des Rechtes, der Rechtsordnung,
der rechtlichen Staatsvollmacht und Richtervollmacht her angegangen
und gelöst werden kann. So sind auch in diesem Stücke die
verhängnisvollen Folgen des Rückzuges des theologischen Denkens
aus den angeblich autonomen Weltsphären sichtbar. Damit
hängt aufs engste die Aporie zusammen, in welche nun die ev.
Ethik hineingerät: Sie hält zwar überwiegend an der Todesstrafe
fest, im wesentlichen auf der Grundlage der lutherischen Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium, muß aber andererseits
6elbst feststellen, daß die verweltlichte Gesellschaft keine Vollmacht
zur Todesstrafe hat, und daß die säkularisierte Staats- und
Rechtslehre nichts mehr von der unbedingten Heiligkeit von Gerechtigkeit
und Sühne weiß, so daß — in diesem System — die
Todesstrafe „grundsätzlich unmöglich geworden" ist (so Althaus
23). Also sollte doch eine Isolierung des Problems der Todesstrafe
und eine isolierte Argumentation für ihre Beibehaltung,
die nicht die Strukturen der verschiedenen Rechtssysteme und deren
theologische bzw. pseudo-theologischen Grundlagen erörtert,
gleichfalls unmöglich sein.

Althaus selbst argumentiert entschieden für die Todesstrafe,
indem er hauptsächlich auf dem gegen jede schwärmerische Theologie
gewendeten Gedanken fußt, daß das irdische Gesetz, mit
dem Gott das Böse strafe, in der irdischen Sphäre erhalten bleibe
(vgl. Rom. 13, 4), nicht aber durch die Sühnetat Christi aufgehoben
sei (27). Von hier aus setzt er sich im Schlußteil sehr lebhaft
mit K. Barth auseinander, wobei A. 1. Barths Lehre von Gesetz
und Evangelium als Einebnung ihres Unterschiedes kritisiert,
2. Barths Zulassung der Todesstrafe in bestimmten Ausnahme-
und Grenzfällen (Landesverrat im Kriegsfall, Verderbensherrschaft
eines Tyrannen) angreift, wobei Barth seine vorhergegangene
Argumentation wieder aufhebe und die Begründung der Todesstrafe
als Sühne ablehne. Hier bleiben zweifellos noch bedeutende,
unerledigte theologische Probleme stehen, doch wäre andererseits
auch zu fragen, wie in einem verweltlichten Staate denn dem
dämonisierten, massenhaften Mißbrauch der Todesstrafe Einhalt
geboten werden soll (wie wir ihn erlebt haben), und ob nicht in
der Tat der eine Vollmacht über Leben und Tod in Anspruch
nehmende Staat heute auf wenige alleräußerste Grenzfälle eingeengt
werden muß, wenn eine Tat durch den Tod des Rechtsbrechers
gestraft werden soll. Übrigens pflegt doch in den sog.
Grenzfällen immer ein sonst geltender ethischer Grundsatz außer
Kraft gesetzt zu werden; in dieser Hinsicht scheint uns die Kritik
des Verf.s an Barth nicht zum Ziele zu führen. Auch hier zeigt
sich wieder, daß das Problem Staatsvollmacht, Rechtsordnung und
Gottesgesetz uns in seinem ganzen Umfange neu gestellt ist!
Althaus' Kritik der humanitär-individualistischen Staats- und
Rechtslehren kann uns davor bewahren, bei der Inangriffnahme
dieser Aufgabe die Argumente der lutherischen Tradition zu leicht
zu nehmen. — Inzwischen ist die Diskussion durch den wichtigen
Aufsatz von Hans Dombois, Der Tod im Recht, Hochland
48. Jahrg. Heft 3, Februar 1956, S. 247 ff. wieder aufgenommen
und gefördert worden.

Münster/W. Heinz-Dietrich Wendland

Forel, Oscar: Einklang der Geschlechter. Sexuelle Fragen in unserer
Zeit. Zürich: Rascher [1955]. 395 S. 8°. Lw. DM 19.—.

Das Ziel dieses Buches ist es, das sexuelle Verhalten der Geschlechter
darauf auszurichten, daß es sich harmonisch, d. h. also
im Gleichklang entfaltet. Um dieses Ziel zu erreichen, ist nach
Ansicht des Verfassers, der damit das Anliegen des bekannten
Buches von August Forel über die sexuelle Frage aufnehmen und
weiterführen will, Orientierung über die verschiedenen Formen
der Sexualität nötig, die den Zweck hat, einerseits aufzuklären,
andererseits aber das sexuelle Leben gesund zu erhalten, bzw.
das, was gesund, normal und sozial richtig im Verhalten der Geschlechter
zueinander ist, stärkend zu beeinflussen. Das Buch hat
in dieser Hinsicht erziehlichen Charakter. Zu diesem Zweck wird
auch ausgiebig über die Unnormalitäten, die Perversionen auf
diesem Gebiet gesprochen, über Geschlechtskrankheiten, über
physische und psychische Störungen; es werden auch über die
Frage der Verschiedenheit, bzw. auch NichtVerschiedenheit der
Geschlechter Bemerkungen gemacht, weil auf dem Mißverständnis
der Geschlechter sidi vielfach auch ein Mißverhalten gründet. Es
sucht aber gleichzeitig die Erkenntnisse der Psychoanalyse auszuwerten
. Denn es ist der Meinung, daß schließlich die wirkliche
Harmonisierung doch nur durch psychotherapeutische Behandlung
gelingen kann, der der Verfasser zutraut, daß ihr auch in schwierigen
Fällen die Herstellung normaler Sexualität gelingt.

Die Atmosphäre des Buches wird vielleicht am deutlichsten
dadurch gekennzeichnet, daß — der Tendenz der Freudschen Konzeption
entsprechend — die Anomalien auf sexuellem Gebiet begründet
gesehen werden in einer zu unfruchtbarem Schuldbewußtsein
, evtl. auch zu Heuchelei verführenden „Sexualmoral", für
die das uneheliche Kind als Schande, die Homosexualität als Verbrechen
, die Abtreibung als Sünde gegen das fünfte Gebot, die
Prostitution aber als den Männern zugestandener „Ausweg" erscheint
. Demgegenüber wird im wesentlichen sexuelle Freiheit
propagiert, geleitet und begrenzt allein von einem „Gesundheitsgewissen
", zu dem durch Aufklärung über das, was „ungesund"
ist, erzogen werden soll. Insbesondere wird dabei — an dieser
Stelle setzt doch so etwas wie ein Ethos ein — gegen den Alkoholismus
und die Prostitution scharf Front gemacht. Es wird einer
Art „geistiger Hygiene" das Wort geredet und dabei manches
durchaus zu Beachtende gesagt.

Man fragt sich, für wen dies Buch eigentlich bestimmt ist.
Es ist mit Fachausdrücken überladen, die vom durchschnittlichen
Leser kaum verstanden werden können, kommt also nach meiner
Ansicht als allgemein hilfreiche Beratung, wie sie etwa Bovet versucht
, nicht in Frage. Es ist zudem unerhört unkonzentriert geschrieben
; die Lektüre ermüdet den Leser durch sich häufende
Wiederholungen, die vermutlich darin begründet sind, daß zuviel
Material zusammengetragen ist, das vielfach zudem auch nicht
einmal ohne Widersprüchlichkeit ist. Es baut sich zudem fast ausschließlich
auf französischer Literatur auf und scheint auch im wesentlichen
auf französischem Erfahrungsgebiet zu basieren.

Was aber besonders an ihm zu kritisieren ist, ist die innere
Richtungslosigkeit des Buches. Scharf ausgedrückt: es sucht dadurch
zur Harmonie des geschlechtlichen Lebens zu führen, daß
es alle inneren Spannungsmomente religiöser oder ethischer Natur
ausschaltet und abgesehen von dem etwas nebulosen Begriff
des Gesundheitsgewissens das Rezept mancher Psychotherapeuten
verschreibt: folgt eurem Instinkt, gebt den Trieben freien Raum,
plagt euch nicht mit Schuldgefühlen, dann ist das Glück da. Dabei
wird verkannt, daß damit eben doch schließlich der Mensch
zum reinen Triebwesen degradiert wird. Daß den Menschen zum
Menschen Machende ist in Wirklichkeit dies, daß er an den inneren
Spannungen innerlich wächst und reift. Von solchen Erkenntnissen
ist nur ganz selten in diesem Buch eine Spur zu finden. Es
ist für seinen inneren Gehalt bezeichnend, daß die Frage nach
dem über das rein Sexuelle hinausweisenden Sinn des Geschlechtstriebs
überhaupt kaum gestellt wird.

Natürlich steht auch manches Gute in dem Buch, selbst in
den problematischen Partien, die über Ehescheidung, Geburtenkontrolle
, Abtreibung und Sterilisation handeln. Aber auch hier
fehlt jede vertiefende Behandlung der Probleme, vermutlich einfach
deshalb, weil der Ausgangspunkt falsch gewählt ist. Indem