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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

540

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Steck, Karl Gerhard

Titel/Untertitel:

Undogmatisches Christentum ? 1957

Rezensent:

Philipp, W.

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539

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

540

tingenten) Seins hinaus, sondern das autoritative (heteronome)
Element liegt dem Einzelsein und -sollen voraus. Der Mensch ist
zwar innerer, absolut verpflichtender Gesetzgeber, aber er ist es
„unter der absolut verpflichtenden (naturgegeben promulgierten
und interpretierten) Gesetzgebung Gottes" (S. 68).

Im dritten Teil über die Verwirklichung des sittlich Guten
entfaltet der Verf. kurz die herkömmliche Tugendlehre, deren
Auseinanderfallen er durch ihre Zurückfuhrung auf das Gesetz
der Liebe zu verhüten trachtet. Bemerkenswert ist seine deutliche
Abgrenzung, um nicht zu sagen Polemik gegen das Gegenein-
anderausspielen des Prinzips der Gerechtigkeit und der Liebe
(S. 139), wie überhaupt die Ausführungen über den inneren Zusammenhang
der (ursprünglich heidnisch-aristotelischen) Kardinaltugenden
. Dabei werden die Bestrebungen der heutigen katholischen
Moraltheologie, sich auf den Grundgedanken der Nachfolge
Christi und der Liebe (ohne Zuhilfenahme ontologischer
Begründungen) aufzubauen, mit etwas leichter Hand abgetan
(S. 115 Anm. 24).

Man wird den Entwurf des Verf.s nicht sofort an theologischen
Kategorien messen dürfen, gewiß nicht ohne zuerst wenigstens
die systematische Leistung des Entwurfs gebührend zu würdigen
. Die Einheitlichkeit des Denkens ist eindrucksvoll genug.
Und bei der im katholischen Bereich herkömmlichen strengen
Unterscheidung zwischen (philosophischer) Ethik und (theologischer
) Moral hat sich diese Einheit vor allem philosophisch zu
bewähren. Aber gerade dort wird die Problematik einer solchen
Ableitung der Normen des Sollens aus dem Sein und seiner Struktur
besonders deutlich. Kants und Nietzsches Beiträge zur philosophischen
Ethik sind in dem Entwurf außer Sicht geraten (Nietzsche
wird zweimal, Kant überhaupt nicht genannt; N. Hartmann ist
fast der einzige neuere Philosoph nicht-katholischer Provenienz,
der beachtet und zitiert wird). Es bleibt aber dann doch nicht beim
Philosophischen; der Verf. kommt ohne erhebliche Lehnsätzc
aus der Theologie nicht aus, bei der Explikation zumal des Gesetzesbegriffs
, aber auch in der vorausgesetzten und angedeuteten
Gotteslehre. Und so erweckt gerade diese scheinbar säuberliche
Trennung von Philosophie und Theologie Bedenken, weil
6ie keine ist. Und der Entwurf muß sich so doch auch theologisch
beurteilen lassen, wie denn überhaupt gerade die Ethik jede all-
■zu absolutistische Trennung (oder auch nur Unterscheidung) von
Philosophie und Theologie Verbietet und unmöglich macht. Theologisch
aber wäre an einen solchen ontologischen Entwurf der
Sittenlehre die Frage zu stellen, ob man wirklich in dieser Weise
.remoto Christo' argumentieren — wenn er auch dreimal im Buch
genannt wird, so doch nur höchst beiläufig — und dabei doch den
Anspruch machen darf, eine Metaphysik des sittlich Guten zu bieten
, d. h. dem Menschen aufzuzeigen, „was gut ist und was der
Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben
und demütig sein vor deinem Gott" (Micha 6, 6).

Frankfurt a. M. K. G. Steck

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Spörri, Theophil, Lic. theol., D. D. f: Der Mensch und die frohe
Botschaft. Christliche Glaubenslehre. III. Teil (Fragment). Frankfurt
/M.: Anker-Verlag 1956. 128 S. 8°. Kart. DM 7.70.

Dieser posthum veröffentlichte dritte Teil der „Christlichen
Glaubenslehre" S.s ist leider Fragment geblieben. Er enthält nur
die beiden Kapitel: „Das Urrecht des Schöpfers" und „Die Sünde
" (bereits unvollständig). Nach dem Plan S.s waren noch folgende
Kapitel, die nun fehlen, vorgesehen: „Die heilsschaffende
Gottesgerechtigkeit", „Die neue Gemeinschaft unter den Menschen
", „Die Zerstörungsmächte", „Das Kommen der Gottesherrschaft
", „Erlösung in der Gegenwart", „Schicksal und Vorsehung
".

S. verschreibt sich keiner Schule, sondern hält sich für das
Anliegen der verschiedensten Theologen offen (Althaus, Barth
u. a. werden häufig zitiert). Dabei ist S. kein verwaschener Eklektiker
; vielmehr ist in allem, was er sagt, eine eigene Linie reformatorischer
Theologie zu verspüren. Die Sprache ist flüssig und
auch für gebildete Laien verständlich, an die wohl auch als Leser

mitgedacht ist. Die irenische Haltung S.s kann uns zur Besinnung
auf das wichtige Gemeinsame rufen, in welchem sich die evangelische
Theologie der Gegenwart bei aller Gegensätzlichkeit in
vielen Fragen schließlich doch findet.

Halle/Saale E. Schott

Steck, Karl Gerhard: Undogmatisches Christentum? München: Kaiser
1955. 45 S. 8° = Theologische Existenz heute. Eine Schriftenreihe,
hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. Nr. 48. DM 2.3 5.

Die übersichtlich gegliederte Schrift möchte zur gegenwärtigen
Diskussion darüber Stellung nehmen, ob die Kontinuität
zur älteren historisch-kritischen Theologie wieder herzustellen
sei; sie setzt sich insbesondere kontinuierlich mit dem Gedenkartikel
W. v. Loewenichs über A. v. Harnack (ELKZ IX (195 5)
268 ff.) auseinander. Verf. erhofft keine Verheißung von einer
Rückwendung und ist geneigt, die Forderung einer sog. echten
Überwindung der Problematik von 1900 als geschichtsphiloso-
phisches Phantom zu betrachten. Eine Kontinuität nach rückwärts
kann es s. E. nicht mehr geben. In den beiden Hauptabschnitten
(Dogma und Evangelium - Das Dogma im Lehrdenken der Reformation
) präzisiert Verf. die eigene Position: Während Harnack
das altkirchlich- griechische Denken mehr als mangelhaft
verstand, darf vielleicht schon wegen der zeitlichen Nähe ein
sachlich zutreffendes Evangeliumsverständnis der frühen Kirche
vermutet werden. Der biblische Text muß — und sei es um den
Preis einer doppelten Wahrheit — von seinen Voraussetzungen
her recht verstanden werden. Die neuere TÖm.-kath. Definition
des Dogmas entspricht möglicherweise einer modernen Wissenschaftlichkeit
noch eher als der Dogmatismus Luthers. Luther hat
mit der Reformation das Dogma mobilisiert wie intensiviert, jedoch
ist ihm das Dogma jenseits dieser Dialektik durch die Auferstehung
in ein unwiderstehliches Licht gestellt. Der dogmatische
Charakter der Lehre scheint dort zwangsläufig zugrunde zu gehen
, wo ein verantwortliches Lehrurteil des Einzelnen oder der
Gemeinde um des verantwortlichen Glaubens willen zugelassen
wird. Die zur Geltung gebrachte Kategorie des Dogmatischen
stellt die spezifische Autorität der christlichen Glaubenserkenntnis
heraus, die im Evangelium gründet und sich im Wort der
Kirche gegenwärtig ereignet.

Von der unmittelbaren Antithese ZU V. Loewenich abgesehen
, wird man die Auffassung Harnacks („Es geht ja um mehr
als um bloße wissenschaftliche Repertorien; dann würde die treffliche
alte Realenzyklopädie . . . auch genügen" — das „mehr"
wird offenbar als kulturprotestantische Faszination empfunden)
wohl mit dem Urteil Bonhoeffers wie mit den Veröffentlichungen
des Jahres 1951 (K.Aland, R. Bultmann, W. Elliger, W. Trill-
haas u. v. a.) zusammenstellen müssen, unter denen aus geschichtlicher
Distanz und selbst unter Voraussetzung grundsätzlicher
Differenz der Wege gesagt werden konnte, daß v. Harnack „die
Probleme so eindringlich wie kaum einer sonst in der neueren
Zeit gesehen und aufgezeigt hat, und daß auch wir unseren Weg
nur unter genauester Berücksichtigung des großen Meisters der
Vergangenheit gehen können" (W. Schneemelcher ZThK 48
(1951) 89). Verf. läßt die Frage unerörtert, in welchem Verhältnis
für ihn das Dogma „an und für sich" (E. Kinder), das sub-
stanzielle konkrete Dogma und die „Kategorie des Dogmatischen
", die an wichtiger Stelle unvermittelt genannt wird, zueinander
stehen. Eben deshalb wäre man dankbar dafür gewesen,
wenn neben der Definition des Bekenntnisses (FC Ep. III. 8) die —
an sich genannten — Arbeiten von G. Ebeling, G. Gloege und
E. Kinder zum Thema in den Kreis der Betrachtung gezogen worden
wären. Nicht zuletzt scheint das wohl reifste Werk J. Hessens
(Piatonismus und Prophetismus a1955), das im röm.-kath. Bereich
(vgl. hier u. a. auch K. Oedingen) auf seine Weise einer
Differentialdiagnose von biblisch-prophetischem Verkündigungswillen
und griechisch-ontischer Denkstruktur dienen möchte, für
eine eigenständige theologische Aktualität der damit zusammenhängenden
Problemkreise zu sprechen.

Marburg/L. W. Philipp