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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

533-534

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Mayer, Gerhart

Titel/Untertitel:

Die Begegnung des Christentums mit den asiatischen Religionen im Werk Hermann Hesses 1957

Rezensent:

Lanczkowski, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

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der Christenheit". Natürlich bleiben manche Wünsche offen, besonders
bei den deutschen Dichtern dieser Auswahl: das Wessobrunner
Gebet sollte vollständig abgedruckt sein, ebenso verdiente
Hildegard von Bingen eine größere Dichtung, etwa die
Sequenz auf den heiligen Maximin anstelle der drei gebrachten
Zeilen. Auffällig ist, daß die größte deutsche Dichterin Annette
von Droste-Hülshoff ganz fehlt, obwohl nicht nur „Das geistliche
Jahr", sondern fast ihre ganze Lyrik christlich geprägt ist; ebenso
ist es ein ausgesprochener Mangel, daß Luther nur mit einem,
Paul Gerhardt mit zwei Gedichten erscheint, wie überhaupt das
evangelische Kirchenlied des 16. und 17. Jahrhunderts zu kurz
kommt neben der Fülle an katholischer Dichtung. Gleichfalls vermissen
wir völlig die evangelischen Dichter unserer Tage: Rudolf
Alexander Schröder, Jochen Klepper und Siegbert Stehmann. Auch
von Reinhold Schneider hätte unbedingt ein Sonett aufgenommen
sein müssen.

Für den deutschen Leser besonders willkommen ist das wenig
bekannte Liedgut griechischer und lateinischer Sprache der frühen
Christenheit, das wir gern um das Doppelte erweitert sehen würden
, etwa mit Diditungen des Prudentius, Gregors des Großen
oder des Paulus Diakonus. Die Italiener sind mit ihren großen
klassischen Namen gut vertreten, unter denen befremdlicherweise
nur Manzoni fehlt, dessen herrliche „Inni sacri" sogar Goethes
hohen Beifall fanden, während Papst Leo XIII. als Dichter mit
einem demütigen Gebet an Christus zu Worte kommt. Ergreifend
in ihrer leidenschaftlichen Unmittelbarkeit, mit der sie sich an
Christus oder an die Madonna wenden, wirken die spanischen
Dichter, unter denen hier überraschend selbst ein Unamuno erscheint
; nur das ganz zarte Weihnachtsgedicht des neusten Nobel-
Preisträgers Jimenez schlägt einen völlig andern Ton an. Bei den
Franzosen fallen vier Gedichte des Francois Villon, des wilden
Genies, durch ihre packende Kraft auf; Francis Jammes' Esel-
gedicht bezeichnet in franziskanischer Einfalt den entgegengesetzten
Pol. Es folgen nun slavische und englische Dichtungen, die in
ihrer außerordentlichen Gegensätzlichkeit überzeugend den weitgespannten
Bogen dartun, der in christlicher Dichtung möglich
ist; die schöne Sammlung wäre eventuell durch Tennyson und
Puschkin zu ergänzen. Uneingeschränkter Anerkennung wert ist
die Aufnahme der Negerdichtung am Schluß, die vielen Europäern
die Augen öffnen kann über die tiefe und unmittelbare Wirkung
der christlichen Botschaft auf diese schwerleidende und verkannte
schwarze Rasse: so kunstlos und manchmal befremdend die
„Spirituals" sich geben, auch ihre Stimmen gehören zum nie verstummenden
Chor der Christen in aller Welt, die Anbetung, Jubel
und Klage vor Gott bringen.

Tulzing/Obb. Friedrich Seeba Ii

Mayer, Gerhart: Die Begegnung des Christentums mit den asiatischen
Religionen im Werk Hermann Hesses. Bonn: Röhrscheid 1956.
181 S. gr. 8° = Untersuch, z. Allgemeinen Religionsgeschichte, N F.
hrsg. v. G. Mensching, H. 1. DM 16.50.

Der Erforschung von Begegnungen und Auseinandersetzungen
der abendländischen Kultur mit dem Geiste Asiens eignet
nicht nur ein faszinierender intellektueller Reiz, sondern die
tiefere Notwendigkeit der eigenen Standortbestimmung, sei es
im historischen Rückblick auf das geistige Werden Europas, sei
es in der Analyse der gegenwärtigen Situation. Für die zweite
Aufgabe ist eine Betrachtung des Werkes des Dichters Hermann
Hesse in besonderer Weise geeignet; ist es doch einerseits als
eine Darstellung der Geschichte des Zeitgeistes gewürdigt worden
(H. Kliemann), während es andererseits gerade für den Einfluß
asiatischer Religionen, insbesondere der indischen und in den
späteren Werken zunehmend der chinesischen ausgesprochen
starke Beispiele liefert. Es ist darum zu begrüßen, daß nach einer
bereits reichen Literatur über Hermann Hesse — die Bibliographie
der vorliegenden Arbeit nennt 26 Titel, darunter mehrere Dissertationen
— die vorliegende theologische Dissertation die Religiosität
Hermann Hesses unter dem Gesichtspunkt der Begegnung
des christlichen Erbes mit den indischen und chinesischen
Hochreligionen zu erarbeiten sich bemüht.

Der Verfasser versucht mit Recht, in einem einleitenden
Abschnitt über „Die geistigen Beziehungen zwischen Deutschland
und dem Osten seit der Goethezeit" Hesses Verhältnis zu Asien
in eine Traditionskette einzuordnen, die bis zum Zeitalter der
Aufklärung zurückverfolgt wird; damals richtete sich ja gleichzeitig
mit der rationalen Kritik am Christentum erstmals der
Blick des neuzeitlichen Abendlandes auf die Religionen der
außereuropäischen Völker. Natürlich konnte es sich bei diesem
einleitenden Überblick nur um knappe Charakterisierungen handeln
, die bei Herder, Goethe, den Brüdern Schlegel, Wilhelm von
Humboldt, Friedrich Majer, Schopenhauer und Richard Wagner
wohl das Wesentliche getroffen haben. Bei Nietzsche erscheint
dies fraglich. Verf. zitiert eine der positiven Äußerungen
Nietzsches über das indische Gesetzbuch des Manu, die „dies absolut
arische Erzeugnis" als eine Art Antizipation der eigenen
religiösen Vorstellungen des Philosophen preisen. Es hätte beachtet
werden müssen, daß sich Nietzsche im „Wille zur Macht"
(Par. 142 u. 143) über das Gesetzbuch des Manu durchaus entgegengesetzt
äußerte: „Semitismus, das heißt Priestergeist,
schlimmer als irgendwo"! (Vgl. auch die Überschau bei: Albert
Schweitzer, Die Weltanschauung der indischen Denker, München
1935, S. 135).

Der Hauptteil des Buches ist einer sorgfältigen Analyse der
Religiosität Hesses gewidmet. Das Ergebnis ist die Feststellung
einer theopanistischen All-Einheitsmystik indischer Prägung, die
der Seele den Aufstieg auf einem vierstufigen Weg ermöglicht.
Obwohl Hesse aus christlichem Erbe den Gedanken der Agape
aufnimmt und stark betont, trennt ihn die östliche Anschauung
eines zur Vergottung führenden Heilsweges der Seele, der auf
das für das Christentum zentrale Mittlertum Christi verzichtet,
vom religiösen Erbe des Abendlandes.

Die Zielsetzung der Arbeit erforderte es, das Werk Hesses
ständig unter zwei Gesichtspunkten zu befragen, dem des östlichen
Einflusses und dem christlichen. Es wäre wünschenswert,
wenn nicht gar notwendig gewesen, hierbei auf die Bedeutung
Dostojewskis für Hesse einzugehen, zumal einige der wörtlichen
Anführungen Hesses die geistigen Beziehungen zu dem großen
Russen in erstaunlicher Weise aufdecken; auch der bedeutsame
Aufsatz Hesses über „Die Brüder Karamasoff oder der Untergang
Europas" (Deutsche Beiträge 1947, S. 333 ff.) blieb unerwähnt.

Die religionsgeschichtlichen Bezugnahmen sind zuverlässig.
Verf. arbeitet dabei vorwiegend mit wörtlichen Zitaten aus den
grundlegenden Untersuchungen, besonders von Friedrich Heiler
und Rudolf Otto. Wo diese sichere Basis verlassen wird, verliert
die religionswissenschaftliche Arbeit an Tiefe; in dem Abschnitt
U % ^unk^on der Magie beim Übergang vön der niederen
zur höheren Wirklichkeit" (S. 71 ff.) hätte mehr gesagt und eine
gründlichere Erfassung des Phänomens „Magie", dessen Klärung
'm Hinblick auf seine Verwendung bei Hesse notwendig ist, gegeben
werden können. Der Schlußabschnitt des Buches „Über die
Möglichkeit einer Synthese von asiatischer Mystik und christlicher
Offenbarungsreligion" konnte natürlich nur verhältnismäßig
kurz gehalten sein; der Verf. arbeitet dabei einseitig stark
mit den zweifellos sehr beachtlichen Gedanken des heutigen indischen
Philosophen Radhakrishnan. Dabei werden erfreulicherweise
Fragen aufgeworfen, deren Behandlung in einer religionswissenschaftlich
selbständigeren und dann notwendigerweise
stärker auf den primären Quellen aufbauenden Arbeit wünschenswert
wäre; auch hätten die Äußerungen Albert Schweitzers zu
dem Thema Indien und das Christentum nicht mit einem Satz
abgetan werden sollen.

Im Rahmen der Arbeit wäre es angängig gewesen, die wenigen
Zitate englischer und französischer Autoren in deutscher
Übersetzung zu bieten. Bei der Transkription des Indischen hätte
man eine größere Einheitlichkeit bei der Verwendung diakritischer
Zeichen begrüßt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Arbeit einen
begrüßenswerten Beitrag zum Thema der religiösen Auseinandersetzung
Europas mit Asien darstellt.

Wabern, Bez. Kassel Günter La n c z k o ws k i