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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

531-532

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Blanchard, Pierre

Titel/Untertitel:

Heiligkeit - heute? 1957

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

532

J. Leclercq (Clervaux) veröffentlicht eine neue Serie von
34 Benediktionen zu den Brevierlesungen — aus einem Hymnen-
Manuskript des 12. Jh. im Archiv der Kathedrale von Pistoja,
das nach Leclercq aus der Gemeinschaft der Regular-Kanoniker
von Lucca stammt. —

J. H o f (Egmond) gibt reichen Einblick in ein „Directorium"
(er nennt es „Ordo divini Officii"), das noch für die Zeit vor
dem Anschluß der Abtei Egmond an die Bursfelder Kongregation
(1491) bezeichnend ist. Verfaßt hat es Heinrich van Son als Ar-
marius und Cantor der Abtei Egmond nach 1480, der als Cantor
das Chorgebet und die Meßfeier wie die übrigen liturgischen
Akte zu leisten hatte. So erfahren wir eine Menge interessanter
Klostergebräuche, und J. Hof verpflichtet uns besonders dadurch,
daß er zahlreiche von dem Autor van Son bloß angedeutete Hymnen
in extenso druckt oder doch die Stellen angibt, wo man sie
finden kann.

So ist Sacris Erudiri VIII, 1 <1956> ein Halb-Band, der
hauptsächlich der Liturgik dient, und zwar sowohl mit gewichtigen
Hypothesen als mit der Edition entlegener Texte. Es fällt
wohltuend auf, daß Sacris Erudiri den Einwand „Platzmangel"
nicht kennt.

Augsburg Leonhard Fendt t

CHRISTLICHE DICHTUNG

Blancharc?, Pierre: Heiligkeit — Heute? Eine Analyse der religiösen
Situation im Schrifttum unserer Zeit. Freiburg: Herder [1956].
279 S. 8°.

Die auffallende Lebendigkeit im französischen Katholizismus
der Gegenwart müßte die protestantische Theologie wohl mehr
beschäftigen. Ein neuer Ansatzpunkt könnte das Buch Blanchards
werden. In der französischen Konvertitenliteiratur der Gegenwart
fällt die Bedeutung von Priestern als Seelenführern auf, ähnlich
wie einst bei den Nazarenern in Rom. Obgleich Blanchard das
Konvertitenproblem nur vorsichtig berührt, dürfte er der Typus
des hochgebildeten, fest im Geistesleben seiner Zeit stehenden
seelsorgerlich hochbefähigten Theologen sein, der in unserer Zeit
bedeutende Dichter, Philosophen, Naturwissenschaftler der katholischen
Kirche zurückgewonnen hat.

Das Buch erschien 1954 in Frankreich in den „Etudes Car-
melitaines", was uns zwiefach beachtlich erscheint, — einmal wegen
der zentralen mystischen Orientiertheit an den typischen
Heiligen der Karmeliter (Theresa von Avila, Johannes von Kreuz,
Franz von Sales), sodann um die Anziehungskraft karmelitischer
Geistigkeit auf geistige Menschen der Gegenwart verstehen zu
lernen. So trat Edith Stein, die in Auschwitz ermorderte Breslauer
Jüdin, die als Husserlschülerin und Thomasinterpretin bekannt
geworden ist, nach ihrer Konversion in einen holländischen
Karmeliterinnenkonvent ein (Hilda Graef, Leben unter dem
Kreuz; Studie über Edith Stein).

Unter Heiligkeit versteht Blanchard die vollkommene Liebe
zu Gott und den Menschen, in die der Fromme bewußt eintritt
und in der er fortschreitet. In grundlegenden Kapiteln wird die
Begriffsbestimmung erarbeitet und positiv in der Ausdeutung der
mystischen Psychologie und ihrer Hilfen auf dem Heilswege gesichert
, negativ in der Polemik gegen Mißdeutungen, unter denen
die ästhetische und die erotische hervorstechen. Der katholische
Standpunkt wird nicht verdeckt (die Heiligkeit ist angelegt
auf die „ergänzende Bemühung des Menschen"), tritt aber
nicht aufdringlich hervor. Konfessionelle Polemik fehlt, Luther
wird leidenschaftslos zitiert.

Ein wichtiger Nebenerfolg ist eine Diagnose der geistlichen
Krankheit der Zeit, in der Gutes in Fülle gesagt wird: Auseinanderfall
von Kontemplation und Aktion, Tiefstand des dogmatischen
Wissens, Skandal der mystischen Zirkel in schöngeistigen
Salons, Phrasen statt Leben, Erotisierung, Verachtung bewährter
geistlicher Methoden und vieles andere.

Das eigentlich befeuernde Element der meist mitreißenden
Gedankenführung aber ist die die größten Partien bestimmende
Auseinandersetzung mit führenden Persönlichkeiten aus dem
geistigen Frankreich der Gegenwart. Aus der Fülle der Namen

können nur die wichtigsten hervorgehoben werden: Charles du
Bos, der in schweren Kämpfen das Ja zur Heiligkeit findet;
Saint-Exupery, der wenigstens bis an die Tore der Heiligkeit gelangt
; Simone Weil, die — Katholikin nur im Geist — Heiligkeit
ohne Kirche sucht; Jaques Riviere, der aus Furcht vor bindender
Verpflichtung auf letzter Strecke liegen bleibt (.Mein Gott, halte
fern von mir die Anfechtung der Heiligkeit'); Georges Bataille,
der im Gefolge Nietzsches einen atheistischen Mystizismus sucht;
Sartre, der das schneidende Nein zur Nächstenliebe spricht
(.Schenken heißt versklaven'). In der Polemik gegen Sartre
dürfte es das erstemal geschehen sein, daß sich Blanchard verstieg
, — Sartre diene „bewußt der Sache Satans" (37). Solche
verletzende Übertreibung gereicht dem Buch nicht zur Zier. Den
Hauptgegner aber 6ieht Blanchard erst in Andre Gide, der die
Gnade von sich 6tieß, obwohl sie ihm nahetrat. Die Heftigkeit
der Polemik hier steht u. E. wieder in keinem guten Verhältnis
zum übrigen Buch. Über Gides Entwicklung bis 1926 und noch
darüber hinaus ist der deutsche Leser unterrichtet (Paul Claudel —
Andre Gide, Briefwechsel, Stuttgart 1952). Der protestantische
Leser wird Gide ablehnen, ihm aber nicht den Respekt versagen
(so auch Kurt Ihlenfeld in „Zeichen der Zeit" 195 3 S. 428 ff.).
Das katholische Frankreich scheint mit Gide nicht fertig zu werden
, denn Blanchards Polemik ist noch heftiger als die Claudels.
Doch abgesehen davon kann der Rezensent nur bekennen, der
Begegnung mit dem geistigen Frankreich der Gegenwart in Blanchards
Buch viel zu verdanken. Die Wirkung, die von ihm auch
in Deutschland ausgehen wird, dürfte nicht gering bleiben.
Rostock G. Holtz

C o u b 1 e r, Heinz, und Langewiesche, Marianne: Psalter und

Harfe. Lyrik der Christenheit (hrsg.). Ebenhausen b. München: Lange-
wiesche-Brandt [1955]. 259 S. kl. 8°. Kart. DM 6.80; Lw. DM 9.80.

Neben der Bibel war fast vierhundert Jahre hindurch das
Gesangbuch der einzelnen evangelischen Kirchen das meistgelesene
Volksbuch; wenn es in weitesten Kreisen Deutschlands nicht mehr
den Rang einnimmt, der ihm seinem Werte nach gebührt, so liegt
es daran, daß es als schwarzgebundenes Konfirmationsgeschenk
bald für immer beiseite gelegt wurde. Unglücklicherweise waren
zudem darin zwei Drittel an Liedern mitgeschleppt, die, nach
Sprache und Inhalt so unzeitgemäß wie möglich, abstoßend oder
gar lächerlich auf die heranwachsende Jugend wirkten, die höchstens
noch ein halbes Dutzend Choräle von Luther und Paul Gerhardt
im Gedächtnis behielt. Das neue Einheitsgesangbuch hat
viel Überflüssiges endgültig beseitigt, bringt andererseits eine:
Fülle wertvollen alten Gutes, das aber nur schwer Eingang bei den
konservativ gesinnten Gemeinden findet. Desto mehr ist der Versuch
zu begrüßen, die Lyrik der Christenheit einer breiten Öffentlichkeit
im schmucken säkularen Gewände eines vorzüglich gedruckten
Bandes vorzulegen, der ohne Rücksicht auf Konfessionen»
und Nationen aus allen Jahrhunderten das Würdigste und Schönste
zu bringen verspricht.

Mit Recht werden die Psalmen 103, 121 und 150 vorangestellt
, da sie in Luthers Umdichtung zu Perlen deutscher christlicher
Dichtung geworden sind; hingegen blieben die Ansätze
christlicher Hymnik im Neuen Testament fort, mit Ausnahme de&
Hymnus des Paulus auf die Agape, die den Schluß bildet. Gegenüber
den eigentlich kirchlichen Gesangbüchern liegt in dieser
Sammlung das Hauptgewicht auf dem subjektiven Ausdruck der
Frömmigkeit eines individuellen Dichters, während z.B. im ersten
christlichen Jahrtausend die objektiven Heilstatsachen, die Feste
der Kirche oder die Feier der Märtyrer das eigentliche Thema bilden
. Der eingenommene Standpunkt der Herausgeber ist von großer
Weitherzigkeit; so wird auch die christliche und pantheistische
mystische Dichtung stark herangezogen — Giordano Bruno, Angelus
Silesius, Rilke und ein lettisches Lied — das an Luthers kühne
Aussage im Galater-Brief-Kommentar erinnert: „Der Glaube vervollkommnet
die Gottheit und ist sozusagen Schöpfer der Gottheit
, nicht bei Gott in seiner Substanz, aber bei uns." Manchmal
überschreitet diese Weitherzigkeit den durch den Titel gegebenen
Rahmen, wenn z. B. ein tiefreligiöses Gedicht der Else Lasker-
Schüler aufgenommen wird; andererseits gehört „Das Memorial"
Pascals und Kierkegaards erschütterndes Gebet nicht zur „Lyrik