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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

523-524

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Blanke, Fritz

Titel/Untertitel:

Hamann-Studien 1957

Rezensent:

Urner, Hans

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523

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

52-1

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

BI a n k e, Fritz: Hamann-Studien. Zürich: Zwingli-Verlag 1956. 127 S.
8° = Studien zur Dogmengeschidite und systematischen Theologie
Bd. 10. DM 16.-.

Die Abhandlungen des Züricher Kirchenhistorikers, die sich
mit Hamann befassen, sind in diesem Bande zusammengestellt.
& sind dies nach Titel und Erstdruck: 1. J. G. Hamann als Theologe
(= Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften
aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte 130.
1928). 2. Hamann und Luther (In: Jahrbuch der Luther-Gesellschaft
Jg. 10. 1928). 3. Hamann und Lessing (In: Zeitschrift für
systematische Theologie 6. Jg. 1929). 4. Gottessprache und Men-
ßchensprache bei J. G. Hamann (In: Theologische Blätter 9. Jg.
1930). 5. Der junge Hamann (In: Die Furche 17. Jg. 1931).
6. Johann Georg Hamann und die Fürstin Gallitzin (In: Theologische
Literaturzeitung 77. Jg. 1952). In die 5. Abhandlung
sind einige Seiten aus einem sonst nicht wiedeT abgedruckten
Aufsatz eingefügt: „Hamanns erster Kampfesruf" (Beth-El 24. Jg.
1932, S. 334-338, es handelt sich um die Seiten 336-338 =
Hamann-Studien 1956, S. 109-112).

Diese Seiten geben die Einleitung zu den „Biblischen Betrachtungen
eines Christen" nach ihrem wesentlichen Inhalt wieder
(= Sämtliche Werke l.Bd. (1949), S. 7—13). „Ich nenne sie
Hamanns ersten Kampfesruf; denn in dieser Einleitung eröffnet
Hamann den Kampf, von dem sein Leben ausgefüllt war. Johann
Georg Hamann war der kraftvollste Vertreter biblischen Christentums
in der Aufklärungszeit" (Beth-El a. a. O. S. 336). Von
einem „Ruf" kann allerdings im präzisen Sinn deswegen kaum
die Rede sein, weil die Betrachtungen nicht zur Veröffentlichung
bestimmt waren. Eher wären die „Sokratischen Denkwürdigkeiten
" (1759) als „erster Kampfesruf" zu bezeichnen. In ihnen hat
Hamann selbst den Anfang seiner „Autorschaft" gesehen. Deren
Inhalt hat Fritz Blanke ebenfalls in einer erklärenden Paraphrase
wiedergegeben1. Blanke hat diesen Aufsatz in seine Hamann-
Studien vermutlich deshalb nicht aufgenommen, weil die „Sokratischen
Denkwürdigkeiten" von ihm in dem 2. Band der von ihm
und Lothar Schreiner herausgegebenen kommentierten Hamannausgabe
erklärt werden sollen2.

Soweit möglich hat Blanke die Hamannzitate auf die Ausgaben
der Sämtlichen Werke durch Josef Nadler (Wien 1949 ff.)
und des Briefwechsels durch Walther Ziesemer und Arthur
Henkel (Wiesbaden 1955 ff.) umgestellt, sonst aber den Text
seiner Abhandlungen unverändert gelassen. Auch die neuere Literatur
, die nach deren erstem Druck erschienen ist, wird nicht
zitiert. Das ist folgerichtig, da die Berücksichtigung in manchen
Fällen den Text selbst verändert hätte. Nur in zwei Fällen finde
ich Aufsätze erwähnt, die nach der Erstveröffentlichung Blankes
erschienen sind3.

Blankes Hamannstudien sind wenig mit Auseinandersetzung
belastet. Er erhebt mit viel Vorsicht und doch mit weiter Umsicht
den schwer zugänglichen Gedankengehalt der Hamannschen
Schriften und ordnet ihn in einer für den Leser erleuchtenden
Weise. Das gilt besonders von der grundlegenden Studie am Anfang
. Zwei Jahre zuvor war Fritz Lieb denselben Fragen nach
Hamanns Theologie nachgegangen (Glaube und Offenbarung bei
J. G. Hamann. In: Zwischen den Zeiten 4, 1926, 488—511).
Neuerdings hat Walter Leibrecht (Philologia crucis. In: Kerygma
und Dogma 1, 1955, 226-242 = Lizenzausgabe Berlin [1956],
231—247) Fritz Lieb vorgeworfen, er versuche Hamann „von

') J. G. Hamann und Sokrates. In: 'Avu'Scoqov Festschrift zur Feier
des 3 50jährigen Bestehens des Heinrich-Suso-Gymnasiums in Konstanz,
Konstanz 1954, S. 22—32. Die Anmerkungen zu den Sokratischen Denkwürdigkeiten
bei E[rnst] Kühn, J. G. Hamann. Gütersloh 1908, S. 10—45
scheinen mir immer noch eines Hinweises wert, ohne Blankes Arbeit
herabzusetzen.

2) Johann Georg Hamanns Hauptschriften erklärt. Bd. 1 und 7 sind
erschienen: Gütersloh 19 56, C.Bertelsmann.

•1) S. 49, Anm. 28: Gustav Krüger in der Festgabe für W. Diehl
1931. S. 64, Anm. 99: Josef Maria Müller - Blattau im Bärenreiter-
Jahrbuch 1929.

der dialektischen Theologie aus zu interpretieren" (230),
und das heißt für Leibrecht von einem „subjektivistischen
Standpunkt" aus (231). Aber wie deutlich wird von Lieb
ausgesprochen, daß Glaube „in keiner Weise identisch mit
einem nur subjektiven Erlebnis" sei (503). Dem Kirchenhistoriker
Blanke wird nicht nachzusagen sein, daß er die Mittel seiner
Interpretation einer sachfremden Sphäre entleihe. Er stimmt aber
im wesentlichen mit Liebs Darstellung überein, insofern beiden
die Wortoffenbarung im Zentrum der Hamannschen Theologie
steht und beide Hamanns Nähe zu Luther erkennen. Das bedeutet
weder für Blanke noch für Lieb, daß sie Hamanns reiche Gedankenwelt
in den Paragraphen einer konfessionellen Dogmatik
abhandeln. Blanke setzt mit der Geistleiblichkeit ein, Lieb mit
der Bedeutung des Konkreten und Sinnlichen für Hamann.

Wenn jetzt in den systematisch-theologischen Hamannarbeiten
die Trinität stark betont wird1, so darf das nicht so verstanden
werden, als seien damit Blanke und Lieb widerlegt. Vielmehr
sollte die Systematisierung der Hamannschen Theologie
vom Begriff der Trinität aus nur die ersten Vorstöße von Blanke
(bes. S. 30—31) und Lieb bestätigen und weitertreiben, Rudolf
Ungers platonisch-spiritualistische Auffassung noch mehr zurückweisen
(Blanke S. 90) und auch die „existenz-theologische" Deutung
unmöglich machen, die Leibrecht fälschlich wohl schon bei
Lieb zu entdecken glaubt5.

Die theologische Hamannforschung soll und wird 6ich nicht
darauf versteifen, daß Hamann etwa nur Theologe wäre, wie Josef
Nadler ihr vorwarf6. Aber die Theologie wird sich nicht bestreiten
lassen, die wahre Mitte des Hamannschen Mikrokosmos aufzuzeigen
: Gottes Offenbarung. „In diesem Gott der Selbstoffenbarung
liegt nach Hamann auch die Erfüllung des Zieles, das Lessing als
höchstes vorschwebt, nämlich die Humanität. Denn dieser Gott
schafft einen neuen Menschen..." (Blanke S. 80).

Eine Frage am Rande: Welches sind die anakreontischen Gedichte
Hamanns in der „Daphne"? (Blanke S. 100).

Halle (Saale) Hans Urner

*) Leibrechts Heidelberger Dissertation: Der dreieinige Schöpfer
und der Mensch in Johann Georg Hamanns „philologia crucis", die
trinitarische Gliederung der Arbeit von Pierre Stabenbordt: Abaisse-
ment et Revclation de Dieu d'apres J.-G. Hamann. In: Revue d'Histoire
et de Philosophie religieuses 32, 1952, 97—119.

6) Ulrich Mann in seiner Tübinger Dissertation: Spiritualismus und
Realismus im christlichen Offenbarungsverständnis 1952, vgl. Für Arbeit
und Besinnung 9, 1955, 3 50. Dagegen, aber ohne Erwähnung dieser Dissertation
, Wilhelm Koepp: J. G. Hamanns Absage an den Existenzialis-
mus. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 5, 1955/56,
109—116.

°) Kleines Nachspiel (1954), 104—105. Vgl. meine Besprechung
von James C. O'Flaherty, Unity and Language 1952. In: Deutsche Literaturzeitung
76, 1955, 726—729.

K a c g i, Werner: Jacob Burckhardt. Eine Biographie. Band III: Die
Zeit der klassischen Werke. Basel/Stuttgart: Schwabe [1956], XXIV,
769 S., 32Taf. gr. 8°. Lw. sfr. 36.—.

Der vorliegende 3. Band der großen Burckhardtbiographie
Werner Kacgis (vgl. über Bd. I und II: ThLZ 1953, 356-58) behandelt
B.s Leben und Schaffen von Frühjahr 1846 bis Herbst
1860, also das bedeutsame Mittelstück seines Daseins. Seine Tätigkeit
in Berlin als Helfer von Kugler, dessen kunstgeschichtliche
Handbücher er neu herausgab, das darauf folgende Wirken in Basel
, die Zeit in Zürich am Polytechnikum, die endgültige Rückkehr
an die Universität Basel, die bedeutsamen Italienfahrten von
1846, 1848, 1853—54 werden anschaulich geschildert; auch der
zeitgeschichtliche Hintergrund wird lebendig, so der Kreis um
Kugler im Berliner Vormärz, das päpstliche Rom, die schweizerischen
Zustände, die Revolution von 1848 in Rom, die B. miterlebt
. Im allgemeinen konnte der Verf. aus einer Fülle von
Quellen schöpfen, wenn auch Wichtiges verloren ist (die Briefe
B.s an seinen Vater und an seinen Freund Kugler, unersetzlich,
sind nicht auf uns gekommen), und manchmal fließen die Quellen
doch nur als dürftige Rinnsale, etwa in Gestalt eines Visums
im Paß. Lebensgeschichte und geistiges Schaffen B.s werden nicht
in unhistorischer Systematik auseinandergerissen, sondern mit
und ineinander behandelt. Der Ertrag des Bandes ist bedeutend.