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Ausgabe:

1957 Nr. 7

Spalte:

516-517

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Burnaby, John

Titel/Untertitel:

Amor Dei 1957

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 7

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chung kommende Werk eine Schrift „Über römisches Recht im
Rahmen der Kulturgeschichte" (168 S.), durch die verschiedene
früher in englischer Sprache erschienene Aufsätze im deutschen
Sprachgebiet bekannt werden und leichtere Verbreitung finden
sollen. Es handelt sich um „Das Erbrecht und der Verfall der
römischen Religion", um „Die Stiftungen für die Toten im Recht,
Religion und politischen Denken der Römer", um „Paulus, die
Kirchenväter und ,der fröhliche Geber' im römischen Recht" und
schließlich um den „Bischof Cäsarius von Arles (f 542) und die
Lex Romana Visigotorum".

In dem neuen Werk setzt Bruck seine bereits früher begonnenen
Forschungen zur Geschichte des kirchlich-sozialen Erbrechts
fort. Erstmals werden hier die geschichtlichen Grundlagen
und treibenden Faktoren für die Anschauung vom „Seelteil" im
kirchlichen Raum auf die kappadokischen Väter (Basilius, Gregor
von Nazianz und Gregor von Nyssa) zurückgeführt. Für das dem
Rechtshistoriker aufgegebene Problem „Seelteil und Seelgerät"
vermag der Verf. über die bisherige Forschung hinaus einen
neuen, früher zu datierenden Ausgangspunkt zu finden. In der
Zeit des geistig-religiösen Umbruchs und der im 4. Jahrhundert
immer weiter absinkenden Wirtschaft des römischen Reiches
empfanden besonders die führenden Männer der Kirche, welche
die soziale Fürsorge übernommen hatte, den scharfen Gegensatz
zwischen Reich und Arm. In der immer größer werdenden Not
der Zeit suchten sie vor ihrem Gewissen die Frage zu lösen, wieviel
der Besitzende zugunsten der Armen opfern mußte, um so
sein Seelenheil zu sichern, d. h. in der Sprache der Juristen ausgedrückt
, wie groß der „Seelteil" sein mußte, um vor dem Gerichte
Gottes bestehen zu können.

Seit Alfr. Schultze (1928) wurde die nähere Bestimmung
des Seelteils ziemlich allgemein auf Augustinus zurückgeführt.
Br. zeigt, daß bereits die oben genannten drei kappadokischen
Väter die Idee des Seelteils und der mit dem Erbrecht zusammenhängenden
Fürsorge für die Armen vertreten haben. Von ihnen
beeinflußt, hat dann in der Ostkirche besonders nachhaltig
Johannes Chrysostomus diesen Gedanken propagiert. Seitdem
hat der Seelteil in die Kulturen und Rechtssatzungen vieler Länder
des Orients und Okzidents Eingang gefunden. Hieronymus
war der Vermittler zwischen dem Osten und Westen des römischen
Reiches. Augustinus war der erste, der bei der Festsetzung
der „Quote für Christus", d. h. für die Kirche und damit für die
Armen, wegen seiner Hochschätzung der Ehe und Familie gegen
zu hohe Abgaben an die Kirche Widerspruch erhoben hat. Er
warnt den Erblasser, seinen Sohn im Zorn zu enterben und dafür
Christus als Erben einzusetzen; dies sei kein Gott wohlgefälliges
Werk (Sermo 355, 4, 5).

Im weiteren Verlauf der Darstellung beschäftigt sich Br. mit
der von Salvian (f nach 480) in der schlimmsten Notzeit der
Völkerwanderung erhobenen radikalen Forderung, das gesamte
Vermögen zugunsten der Armen zu testieren. Er verfolgt dann
das Eindringen der Seelquote in das Brauchtum und Recht des
Orients (Justinians Gesetzgebung, syrisches Kirchenrecht, späteres
byzantinisches Recht, Armenien und Georgien). Indem der
Verf. sich dann dem Westen wieder zuwendet, untersucht er das
Aufkommen der Quote in der Gesetzgebung des westgotischen
Reiches und in Irland. Das irische Recht ist aller Wahrscheinlichkeit
nach durch die kulturellen Beziehungen mit dem Orient beeinflußt
worden. Durch die irischen Missionare wurde das Seelteilgesetz
in Schottland und in das nördliche England und durch
die wandernden Iren auch in Bayern und im nördlichen Frankreich
eingeführt.

Weitergeführt werden die wertvollen, viele neuen Zusammenhänge
aufdeckenden Forschungen in einer Untersuchung der
kirchlichen Gesetzgebung im Westen vor der Entstehung des
Corpus Juris Canonici und die in dieser Gesetzessammlung selbst
vertretenen Anschauungen in Sachen der Seelquote. Hier wird
allmählich das Prinzip der Testierfreiheit stärker zur Geltung gebracht
, d. h. der Seelteil wird meist zugunsten der Kirche erweitert
, wobei die Fürsorge für die Armen zu kurz kam oder gar
ganz in den Hintergrund trat. Auf Seite 257—281 erhalten wir
noch einen kurzen Überblick über das Wiederaufleben und die
sich über ganz Europa ausbreitende Institution des Seelteils vom

Ausgang des 12. bis ins 14. Jahrhundert. Es handelt sich um die
große Reaktion gegen die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung
der Kirche, durch die die Zuwendungen an die Kirche
durch eine festumgrenzte geringere Quote beschränkt wurden.

Angesichts des weitschichtigen Materials und des weitgespannten
Rahmens der Untersuchungen konnte hier nur andeutungsweise
der reiche Inhalt des Werkes charakterisiert werden.
Dem Verf. darf eine souveräne Kenntnis der Quellen und weithin
auch der schier unübersehbaren Spezialliteratur nachgerühmt
werden. Eine erschöpfende Heranziehung der Literatur zumal für
die nur am Rande berührten Fragen kann und darf man von
einem einzelnen Gelehrten nicht erwarten. Wenn auch in der von
Br. gezeichneten Entwicklung des gesetzlich geregelten Seelteils
und in den von ihm angenommenen Beziehungen und den weiter
wirkenden Einflüssen manches unsicher bleibt und nur hypothetischen
Wert hat, so bringt das Werk sehr viele neue und sichere
Erkenntnisse und wird anregend auf die weitere Forschung wirken
. Dafür ist die historische Wissenschaft dem Verf. zu großem
Dank verpflichtet.

Würzburg Berthold AI ta n e r

Burnaby, John: Amor Dei. A Study of the Religion of St. Augustine
. The Hulsean Lectures for 1938. London: Hodder & Stoughton
[1947]. XI, 338 S. 8°. 15 S.

Die Anzeige eines Buches eine Reihe von Jahren nach seinem
Erscheinen (die erste Auflage kam schon 1938 heraus) möge
ihre Rechtfertigung damit finden, daß es, ebenso wie die Monographie
von Hultgren, welche ein verwandtes Thema behandelt
(G. Hultgren, Le commandement d'amour chez Augustin, Interpretation
philosophique et theologique d'apres les ecrits de la
periode 386—400, Paris 1939), infolge des Krieges und seiner
Nachwirkungen in Mitteleuropa zunächst nicht die Beachtung gefunden
hat, die ihm gebührt, was für einen Teil des Verbreitungsgebietes
der Theol. Literaturzeitung noch heute zutreffen dürfte.

Unter dem Titel Amor Dei verbirgt sich eine Darstellung,
die nicht bloß den Liebesbegriff in seinen verschiedenen Verzweigungen
verfolgt, sondern das Ganze des augustinischen Denkens
in die Betrachtung einbezieht. Ein vorbereitendes Kapitel
beschäftigt sich mit dem Problem der Mystik bei Augustin. Der
Verf. weist auf die Schwierigkeit hin, die der Liebesbegriff für
die Gegner der Mystik biete. Während der Mystiker bei Jesu
Doppelgebot der Liebe ohne weiteres wisse, was mit der Liebe
zu Gott gemeint sei (hier wird man die Frage nach der Legitimität
dieses Wissens an Burnaby richten müssen), müsse der Gegner
der Mystik den Begriff Liebe interpretieren. Als Beispiele für
die „Hinwegerklärung" und Ersetzung der „Liebe" nennt Verf.
das social gospel und die dialektische Theologie. Nach E. Brunner
werde das größte Gebot nicht durch die Liebe, sondern durch den
Glauben erfüllt. Burnaby begnügt sich mit dem Hinweis auf diese
Probleme, ohne eine prinzipielle Lösung der Frage der Mystik
bei Augustin anzustreben. Er weiß sehr wohl, daß Augustin eine
unio mystica im Sinne vieler mittelalterlicher Theologen nicht
lehrt und neigt dazu, das „Mystische" bei Augustin in das Gebiet
der Eschatologie zu verlegen.

In zwei vorzüglichen Kapiteln zeichnet Burnaby die Grundlinien
des augustinischen Christentums: die absolute Jenseitig-
keit, die eng verbunden ist mit der platonischen Metaphysik,
und das Streben nach der vita beata, das aus der antiken Ethik
stammt, jedoch theozentrisch gewendet wird. Gott ist die Quelle
von Tugend und Glück. Aber die Sittlichkeit ist ein Besserungs-
prozeß in diesem Leben, das Glück dagegen die Transzendenz
der Wandlung, die der zukünftigen Welt angehört. Diese Spannung
von Gegenwart und Zukunft wird an den Antithesen
Streit und Friede, Tätigkeit und Betrachtung, Glaube und Sehen
anschaulich gemacht. Damit gelangt der Verf. zum Kern seines
Buches, der Entfaltung des Liebesbegriffs, bei der er von De mor.
eccl. cath. ausgeht. Er analysiert zunächst die Elemente des augustinischen
Liebesbegriffs, Wille, Zuneigung, Verlangen, zur Gemeinschaft
einigende Erfüllung und wertendes Erkennen des
Gegenständlichen. Dann führt er den ordo amoris vor, die Weisen
legitimer Liebe zu den verschiedenen Stufen des Gegenständlichen
: zu äußeren Gütern, zu sich selbst, zum Nächsten — um