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Ausgabe:

1957 Nr. 1

Spalte:

29-30

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Numeri und Deuteronomium 1957

Rezensent:

Kuhl, Curt

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Seite 1

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29

Theologische Literaturzeitung 1957 Nr. 1

30

kann. „There is room, furthermore, for two Standpoints — one
establishing distance and another proximity. Only the peaceful
rivalry of the productions themselves can demonstrate which is
the most instructive, the most useful way of dealing with the
Old Testament order."

Es fragt sich jedoch, ob es bei dem Dilemma bleiben muß.
in dem sich die Theologie hinsichtlich des Alten Testaments seit
langem sieht; muß sie wirklich zwischen Abwertung und christo-
zentrischer Umdeutung des Alten Testaments hin- und herschwanken
? Eine ernsthafte Lösung des Problems, das seit der
historisch-kritischen Forschung offensichtlich und unausweichlich
ist, liegt m. E. nur darin, daß man aufhört, das Alte Testament
unter ständiger Übersteigerung der Christologie dem Neuen unterzuordnen
, und statt dessen nach der gesamtbiblischcn Botschaft
fragt, die beiden Testamenten gemeinsam ist. Es mag sein,
daß dies eine tiefgehende Umschichtung in Theologie und kirchlicher
Verkündigung zur Folge hat; dann ist zwischen ihr und
deT Verwerfung des Alten Testaments als Teil des Kanons zu
wählen. Die Entscheidung sollte freilich nicht zweifelhaft sein,
nachdem Jesus den Schriftgelehrten auf die Frage nach dem Erlangen
des ewigen Lebens auf die alttestamentlichen Liebesforderungen
verweist und im Gleichnis vom reichen Mann und armen
Lazarus dem ersteren auf seine Bitte um Warnung seiner
Brüder das Alte Testament als ausreichend nennen läßt. Abgesehen
davon aber muß die alttestamentliche Wissenschaft zunächst
darauf bestehen, daß Geringschätzung und Umdeutung des Alten
Testaments in Theologie und Kirche endlich ein Ende finden.

Wien Georg Fohrer

Krämer. Karl Fr. DDr.: Numeri und Deuteronomium übers, u. erklärt
. Freiburg: Herder 1955. XIV. 610 S. gr. 8° = Herders Bibelkommentar
. Die Heilige Schrift für das Leben erklärt Bd. II, i. Lw.
DM 30.-.

Mit der Bearbeitung von Numeri auf 221 Seiten und Deuteronomium
auf 373 Seiten liegt jetzt in dem bekannten Herderschen
Kommentar die gesamte Auslegung des Pentateuchs vor.
Der besonderen Zielsetzung dieses Bibelwerkes gemäß sieht Kr.
seine Hauptaufgabe darin, die von ihm behandelten Bücher „für
das Leben" zu erklären, wobei er bestrebt bleibt, sich von „billigen
Anspielungen, die mehr oder weniger lose dem Text angehängt
werden", und von „Hinweisen auf alle die möglichen Fälle
im Leben", auf die das einzelne Bibelwort sich anwenden ließe,
frei zu halten. Ihm geht es darum, die „in den einzelnen biblischen
Aussagen verborgenen ewiggültigen Lebenswerte und ihre
Gestaltungskraft in der Heilsgeschichte, im Glauben, Beten und
Leben des alt- wie des neubundlichen Gottesvolkes und jedes
seiner Glieder" herauszustellen. Damit ist gegeben, daß die alt-
testamentlichen Gedanken weiter entwickelt werden bis hin zum
Ganzen der Offenbarung in Jesus Christus, daß ferner ihre Bedeutung
für die kirchliche Lehrentwicklung und das religiöse Leben
des einzelnen aufgezeigt wird und weiter, daß die einzelnen
Texte bis in den liturgischen Gebrauch der Kirche hinein verfolgt
werden. Darum wird (mit Ausnahme der Paränesen in Dtn. 1—11)
in den einzelnen Überschriften, auch der kleinen Unterabschnitte,
neben dem Inhalt auch der hauptsächliche „Lehrgehalt" angegeben
, wobei Kr. auch die gesetzlichen Partien für das Leben des
Christen fruchtbar zu machen sucht.

Einige Beispiele aus dem Dtn. mögen das veranschaulichen:
das Ritual für die Darbringung der Erstlinge (26, 1-11): Die
Liturgie als Kraftquelle der Dankbarkeit gegen Gott; bei
den Bestimmungen über das Zehntjahr (26, 12—15): Die Liturgie
als Kraftquelle des Gehorsams gegen Gott; gegen kultischen
Synkretismus (12,29—31): Ein sich selbst treuer Gottesdienst
; gegen kultische Prostitution (23, 18—19): Religiös bestimmtes
Geschlechtsleben; über das Zinsnehmen (23,20—21):
Religiös bestimmtes Wirtschaftsleben; über die jährlichen Feste
(16, 1—17): Förderung der gemeinschaftbildenden Kräfte der Religion
. Man sieht, dieser Kommentar ist ganz auf die katholische
Pfarramtspraxis ausgerichtet und will als Grundlage für die Wortverkündigung
dienen. Eine solche rein praktische Abzweckung
neigt nur zu leicht dazu, die literarkritischen Voraussetzungen
nicht oder nicht genügend zu berücksichtigen. Krämer hat diese

Gefahr glücklich vermieden, indem er überall den Literarsinn zu
Grunde legt. Seine Ausführungen sind, was besonders bei den
Textverderbnissen im Dtn. deutlich wird, sorgfältig exegetisch
durchgearbeitet, wenn auch der besonderen Zielsetzung des
Kommentars entsprediend weithin nur die Ergebnisse dieser Vorarbeit
ohne ausführliche Begründung gegeben werden können.

Was die Einleitungsfragen betrifft, wird man dem Verfasser
ohne weiteres zubilligen, daß sein Kommentar nicht der Ort sein
kann, das ganze Pentateuch-Problem aufzuzeigen, für das, da auch Kalt
in seiner Bearbeitung von Genesis bis Levitikus (Herder I) auf eine
Darstellung verzichtet hat, auf Junkers Ausführungen in der Echter-Bi-
bel (Würzburg 1955) verwiesen wird. Was Kr. darüber hinaus zu sagen
hat, ist auf vier Seiten zusammengefaßt; doch werden die Fragen bei
den einzelnen Unterabschnitten ausführlicher behandelt. Wir haben e»
in Numeri mit religiösen Gesdiichtsberichtcn zu tun, die keine lük-
kenlose Darstellung, sondern nur Einzelausschnitte aus dem Gesamtgeschehen
enthalten, die aber doch mehr sind als nur „geschichtlich aufgemachte
Erzählungen zur religiösen Erbauung". Von besonderer Bedeutung
ist naturgemäß die Frage nach der Verfasserschaft durch Mose.
Die Berichte aus dem Wüsten-und Lagerleben (2, 2 ff.; 10, 2 ff.; 19. 2ff.)
sind nach Kr. authentisch; in sie sind, in der Reihenfolge ihres Entstehens
, die einzelnen Vorschriften eingestreut. Unter Berufung auf
3 3, 2, wonach Mose selber die Stationen des Wüstenzuges aufgeschrieben
hat. wird nach Kr. damit zu redinen sein, daß auch die bedeutendsten
Abschnitte „sicherlich oder wahrscheinlich" von Mose verfaßt
seien, wie auch gewisse Grundlinien der Zusammenfassung (wie die
Einreihung der einzelnen Gesetze in die geschichtlichen Partien) auf ihn
zurückgehen werden. Darüber hinaus werden unter Berufung auf den
Kommentar von Heinisch (Bonn 1936) als späteren Ursprungs angesprochen
Gesdiichtsabschnitte der Mosezeit, die nicht gut von ihm stammen
können (wie 11,26—30; 12,1—15), und solche Nachrichten, in
denen Ereignisse und Zustände der Richterzeit vorausgesetzt sind.
Ebenso werden einer späteren Zeit zugewiesen gesetzliche Partien, sofern
sie Erweiterungen zu Mosegesetzen enthalten oder neue Gesetze
bringen. Diese Zufügungen setzen nach Kr. bereits in der Richterzeit
ein und reichen bis in die nachexilische Zeit. Des weiteren ist noch mit
Überarbeitung mosaischer Stücke zu rechnen, die z. T. vielleicht mit
der Endredaktion des Pentateuchs überhaupt zusammenhängen mag.

Etwas mehr wird auf die deuteronomistische Frage eingegangen
. Auf Grund der kritischen Arbeit des letzten Jahrhunderts,
die in ihren wichtigsten Zügen skizziert wird, ist nach Kr. die traditionelle
Ansicht von der Mosaizität des ganzen Deuteronomiums nicht
mehr aufrecht zu halten. Andererseits reichen nach Kr. die gewonnenen
Erkenntnisse aber auch nicht aus, die mosaische Herkunft für das Ganze
aufzugeben, wenn auch das vorliegende Buch einen langen Entwicklungsprozeß
durchgemacht haben wird und seine Gesetze unter dem Einfluß
der jeweiligen Verhältnisse und Bedürfnisse Erweiterungen oder
auch Veränderungen erfahren haben. Als unterste Grenze hierfür sieht
Kr- im Anschluß an Goettsberger (Einleitung 1928) die Zeit des Hiskia
an, aus der wohl auch das sog. Grundgesetz (c. 12) stammen wird. Darüber
hinaus finden sich kleinere Zusätze und Abänderungen aus späterer
Zeit, wie auch aus dem praktischen Gebrauch beim Vorlesen mit
Umstellungen und Glossen zu rechnen ist. Für das „Lied des Mose"
(c. 32) scheint der Verfasser, der neueren Bibelkritik folgend, nachexilische
Abfassung anzunehmen, während er vom „Segen des Mose"
(33, 6—2 5) wenigstens Teile als mosaisch angesehen wissen will, wenn
man auch bei der Erklärung der einzelnen Sprüche vergeblich nach näheren
Anhaltspunkten dafür sucht; doch wäre eine genauere Erörterung
sehr kompliziert und würde den Rahmen des Kommentars weit überschreiten
.

Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, uns im einzelnen
mit den vorgetragenen Anschauungen auseinanderzusetzen, sondern
nur den Gesamteindruck wiederzugeben, den wir bei der
Lektüre gewonnen haben. Der Kommentar ist wissenschaftlich
gut fundiert und zeugt von großer Umsicht und Kenntnis. Die
Erklärung ist sehr ausführlich und gibt bei den einzelnen Gesetzesbestimmungen
eingehende rechtsgeschichtliche Ausführungen
unter Hinweis auf altorientalische Gesetze, römisches und
germanisches Recht, so daß der Leser eine willkommene Einführung
in die einzelnen Bestimmungen und ihre Handhabung
erhält; auch sonst finden sich längere Exkurse, z. B. über die
Opferstätten oder das Prophetentum, die dem Leser wertvoll sein
werden. Alles in allem bietet Krämer eine recht gute Einführung
und Erklärung und wird damit dem katholischen Seelsorger zur
Vorbereitung für die Wortverkündigung sehr gute Dienste
leisten.

Nordkirchen Curt Kühl